Trinkhalle (Verkaufsstelle)

Trinkhalle (Verkaufsstelle)
eine typische Trinkhalle im Ruhrgebiet

Eine Trinkhalle ist ein Verkaufsstand für Wasser, alkoholische und nichtalkoholische Getränke und Dinge des sofortigen Bedarfs wie Tabak, Süßwaren (und ähnliche Genussmittel), Lebensmittel und auch Medien. Viele Trinkhallen dienen zugleich als Annahmestellen für Lotto und Toto und verkaufen Zeitungen oder Zeitschriften sowie in eingeschränktem Maß Fahrscheine für den öffentlichen Personennahverkehr.

Die ersten Trinkhallen entstanden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Zuge der Industrialisierung und breiteten sich in weiten Teilen Deutschland aus.

Andere geläufige Bezeichnungen sind Wasserhäuschen (in Frankfurt am Main und Umgebung), Spätverkauf bzw. kurz Spätkauf oder Späti (in Berlin), Kaffeeklappe (in Hamburg), Kiosk (in Nord- und Süddeutschland, Schweiz), Bude (im Ruhrgebiet) und Büdchen (in Düsseldorf und Köln).

In Österreich ist die Kombination des Verkaufs von essfertigen Lebensmitteln und Getränken einerseits und Druckerzeugnissen und Tabakwaren andererseits ungebräuchlich; der am ehesten vergleichbare Würstelstand verkauft keine Zeitungen und Tabakwaren. Die Tabaktrafiken dürfen keine Getränke, Süßwaren oder Lebensmittel verkaufen (§ 36Vorlage:§/Wartung/RIS-Suche TabMG).[1] und sind meistens auch nicht freistehend, sondern normale Ladengeschäfte. Der Begriff Trinkhalle wird in Österreich ausschließlich mit Kuranlagen in Verbindung gebracht.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Leitungswasser war früher ungekocht ein gesundheitliches Risiko. Die Arbeiter tranken stattdessen Bier und Schnaps, deren Konsum von den Zechen- und Fabrikbesitzern zuerst durch so genannte „Schnapsspenden“ unterstützt wurde. Um den um sich greifenden Alkoholismus einzudämmen, förderten die Städte die Einrichtung von Trinkhallen, an denen Mineralwasser und andere alkoholfreie Getränke angeboten wurden. Sie entstanden hauptsächlich vor den Werktoren von Zechen oder Fabriken, später auch an anderen öffentlichen Plätzen. Die meisten wurden von ehemaligen oder nicht mehr arbeitsfähigen Bergleuten oder Kriegsveteranen betrieben.

Im Laufe der Zeit änderte und erweiterte sich das Sortiment immer mehr. Inzwischen findet man in Trinkhallen fast alles, was man nebenbei nach Ladenschluss oder am Wochenende brauchen könnte: Getränke (auch alkoholische), Tabakwaren, Zeitungen und Zeitschriften, Süßigkeiten, Eiswaren und Lebensmittel für den täglichen Bedarf, mittlerweile auch Telefonkarten und Mobiltelefon-Aufladungen. Die Öffnungszeiten wurden an die Öffnungszeiten von Kneipen und Gaststätten angeglichen. Trinkhallen sind zum Ausschank alkoholfreier Getränke berechtigt. Im Zuge der Lockerung der Öffnungs-/Ausschankzeiten können Trinkhallen heute rund um die Uhr betrieben werden wie ihre Konkurrenz, die 24-Stunden-Tankstellen.

Trinkhallen werden eingeteilt in begehbare und nicht begehbare. Bei ersteren kann der Kunde einen kleinen Laden betreten. Nicht begehbare Trinkhallen verkaufen die Waren durch ein (Schiebe-)Fenster nach draußen.

Gebundene Trinkhallen gehören zu einer Unternehmenskette und werden verpachtet, wobei der Pächter verpflichtet ist, bei bestimmten Lieferanten zu deren Bedingungen einzukaufen. Nicht gebundene Trinkhallen können ihren Einkauf frei gestalten. Sie werden oft sehr teuer weiterverkauft oder weitergegeben, da die Gewinnspannen hier eindeutig höher sind.

Lokale Varianten

Wasserhäuschen

Wasserhäuschen in Offenbach am Main vor dem Klinikum

Die ersten Wasserhäuschen entstanden in Frankfurt am Main in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als es erstmals gelang, Mineralwasser (in Frankfurt Bitzelwasser genannt) in Flaschen abzufüllen und so zu verschließen, dass der Gasdruck erhalten blieb. 1899 wurde die Firma Jöst gegründet, der bis 1971 die meisten Frankfurter Trinkhallen gehörten, den Gebrüdern Krome die meisten anderen.[2] Der größte Teil wurde von Jöst an die Brauerei Henninger verkauft.

Es wurde zunächst Mineralwasser ausgeschenkt, wobei bei den Gebr. Krome auch sog. „Klickerwasser“ (Brauselimonade in Kugelverschlussflaschen, wobei eine Kugel im Frankfurter Volksmund als Klicker bezeichnet wird) verkauft wurde, was zu zusätzlicher Popularität verhalf. Dies hat dazu beigetragen, dass im Volksmund von Wasserhäuschen gesprochen wurde.

Nach dem Ersten Weltkrieg kamen die Wasserhäuschen wegen Rohstoffmangels in wirtschaftliche Bedrängnis. Dem wurde durch Erweiterung des Sortiments vor allem auf Tabak, Schokolade, Obst und Zeitungen begegnet.[3] Als auch haben viele Kriegsinvalide und Unterschichtler dort eine Arbeit gefunden, so dass die städtischen Behörden die Wasserhäuschen weiter tolerierten.

Im Dritten Reich wurden sehr viele Wasserhäuschen bis auf die der Firma Jöst, die mit dem System sympathisierte, einfach abgerissen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zum Wiederaufbau viele Buden. Es gab zeitweise bis zu 800 Wasserhäuschen in Frankfurt am Main, was u. a. dem Umstand zu verdanken war, dass ihre Öffnungszeiten nicht an die lange Zeit rigiden Ladenschlusszeiten gebunden waren. Abends und am Wochenende konnten sich die Bürger nirgendwo anders mit Lebensmitteln versorgen, zumal auch die Tankstellen damals noch vorwiegend vom Benzinverkauf lebten und keine Supermärkte waren.

In der Nachkriegszeit waren die Wasserhäuschen deshalb eine notwendige, wenn auch von der Obrigkeit ungeliebte Einrichtung. Lärm- und Geruchsbelästigung, das Fehlen von Toiletten und nicht zuletzt alkoholisierte Wasserhäuschen-Stammgäste (in Frankfurt als Volleul' oder Hefköpp bezeichnet) führten dazu, dass Anwohner und Investoren gegen Wasserhäuschen vorgingen und die Behörden sich mit der Erteilung oder Verlängerung von Konzessionen zurückhielten. Außerdem übernahmen die Shops der Tankstellen zum Teil die Funktion von Wasserhäuschen.

Erst ab Mitte der 1980er Jahre sorgte eine Wasserhäuschen-Nostalgie dafür, dass das „Wasserhäuschensterben“ nachließ. Eigentümer der etwa 280 verbliebenen Frankfurter Wasserhäuschen sind heute zumeist Großbrauereien und Getränkeverlage, die den Stand an den Betreiber verpachten. Das Wasserhäuschen ist daher bis heute aus dem Frankfurter Alltag nicht wegzudenken. Bekennende Wasserhäuschen-Fans sind z. B. die Schriftsteller Martin Mosebach und Eckhard Henscheid.

Literatur

  • Elisabeth Naumann: Kiosk. Entdeckungen an einem alltäglichen Ort. Vom Lustpavillon zum kleinen Konsum, Jonas Verlag, Marburg 1999, ISBN 3-89445-322-2 (Doktorarbeit)
  • Ursula Neeb: Wasserhäuschen - eine Frankfurter Institution. Fachhochschulverlag, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-936065-46-2
  • Kurt Wettengl (Hrsg.), Frankfurter Wasserhäuschen. Fotografien von Martin Starl. Mit einem Beitrag von Timm Starl. Frankfurt am Main: Historisches Museum, 2003. in : Kleine Schriften des Historischen Museums, Bd. 54. ISBN 3-89282-044-9
  • Oliver Kirst: Gesellschaftliche Funktion von Trinkhallen. Diplomarbeit (pdf) (753 kB)
  • Brigitte Kraemer / Dietmar Osses: Die Bude. Trinkhallen im Ruhrgebiet. Essen: Klartext 2009. ISBN 978-3-8375-0061-5
  • Dietmar Osses, (Hrsg.): Die Bude. Trinkhallen im Ruhrgebiet. Fotografien von Brigitte Kraemer. Essen: Klartext-Verlag 2009. (Begleitband zu einer Ausstellung im LWL-Industriemuseum [4]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Hinweise der Monopolverwaltung zu § 36 TabMG
  2. Geschichte der Trinkhalle im Rhein-Main-Gebiet
  3. ebd.
  4. LWL-Industriemuseum

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