VW-Gesetz

VW-Gesetz
Basisdaten
Titel: Gesetz über die Überführung der Anteilsrechte an der Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung
in private Hand
Kurztitel: VW-Gesetz,
VW-Privatisierungsgesetz,
Volkswagenwerk-Anteilsrechteüberführungsgesetz
Abkürzung: VWGmbHÜG,
VWAntRÜberfG
Art: Bundesgesetz
Geltungsbereich: Bundesrepublik Deutschland
Rechtsmaterie: Wirtschaftsverwaltungsrecht, Gesellschaftsrecht
Fundstellennachweis: 641-1-1
Datum des Gesetzes: 21. Juli 1960 (BGBl. I S. 585)
Inkrafttreten am: 28. Juli 1960
Letzte Änderung durch: Art. 14c G vom 30. Juli 2009
(BGBl. I S. 2479, 2493)
Inkrafttreten der
letzten Änderung:
1. September 2009
(Art. 16 G vom 30. Juli 2009)
Bitte den Hinweis zur geltenden Gesetzesfassung beachten.

Das Gesetz über die Überführung der Anteilsrechte an der Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung in private Hand (VWGmbHÜG) – populär als VW-Gesetz bezeichnet – trat am 28. Juli 1960 in Kraft, als die Volkswagenwerk GmbH privatisiert und in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde.

Es besagt, dass kein Aktionär mehr als 20 Prozent der Stimmrechte ausüben kann, auch wenn er mehr Anteile besitzt. Das Ziel der öffentlichen Hand war damals, Einfluss auf den Autobauer zu behalten, da das Gesetz dem Land Niedersachsen mit seinem Anteil von 20,2 Prozent eine Sperrminorität, also ein Vetorecht in allen wichtigen Entscheidungen, einräumt. Ein Großteil des Kapitalvermögens wurde der VolkswagenStiftung zugeführt.

Der Europäische Gerichtshof hat am 23. Oktober 2007 entschieden, dass die im VW-Gesetz enthaltene Beschränkung der Stimmrechtsanteile gegen EU-Recht verstößt.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Der Grund für dieses Gesetz liegt in der NS-Vergangenheit des VW-Unternehmens. Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg war das VW-Werk von der „Deutschen Arbeitsfront“ (DAF), der mitgliederstärksten und finanzkräftigsten Gliederung der NSDAP, errichtet worden. Den Aufbau der 1938/39 östlich von Fallersleben errichteten Fabrik finanzierte die DAF teilweise mit dem Vermögen der zerschlagenen Gewerkschaften 1933.[1] Dies und der Einsatz von Zwangsarbeitern bildete eine finanzielle Grundlage des Konzerns.

Die Privatisierung war Resultat eines Streits zwischen der damals CDU-regierten Bundesrepublik Deutschland und dem damals SPD-regierten Land Niedersachsen. Die British High Commission hatte die Gesellschaft im Namen und auf Weisung der Bundesrepublik Deutschland dem Land Niedersachsen übergeben. Damit war unklar, ob Niedersachsen lediglich der Treuhänder der Gesellschaft oder Vermögenseigner geworden war. Der Streit wurde durch einen Vergleich, der als Staatsvertrag geschlossen wurde, beigelegt. Aufgrund des Staatsvertrages kam es zur Verabschiedung des VW-Gesetzes. Das Gesetz wandelte die Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung in eine Aktiengesellschaft um.

Erst mit dem VW-Gesetz wurde eine Einigung mit Bund, Land, Gewerkschaften und Erwerbern der Käuferoptionsscheine erzielt.

Die Privatisierung wurde vom Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 12, 354; Az.: 1 BvR 561/60, 579/60, 114/61) im Rahmen von Verfassungsbeschwerden überprüft und für ordnungsgemäß erachtet. Die Verfassungsbeschwerden waren unbegründet.

Eine weitere Verfassungsbeschwerde (Az.: 1 BvR 764/70) gegen die Aufhebung der Privilegierung von Bund und Land Niedersachsen nach § 2 Abs. 4 VW-Gesetz a.F. durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Überführung der Anteilsrechte an der Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung vom 31. Juli 1970 (BGBl. I, S. 1149) wurde zwar als „nicht unzulässig“ erklärt, jedoch nicht nach § 93a Abs. 4 BVerfGG zur Entscheidung angenommen.

Inhalt

Die wichtigste Vorschrift des Gesetzes ist § 2, nach der kein Aktionär mehr als 20 Prozent der Stimmrechte ausüben kann, auch wenn er mehr Anteile besitzt. So können Entscheidungen zu möglichen Übernahmen oder eine Verlagerung des Firmensitzes blockiert werden. Außerdem wird der Konzern für eine Übernahme uninteressant, weil kein Aktionär – selbst wenn er sich eine Mehrheit zusammenkaufen würde – automatisch seinen unternehmerischen Willen durch eine ihm genehme Besetzung des Aufsichtsrats durchsetzen könnte.

Konflikt mit der EU

Die EU-Kommission hat Deutschland Ende März 2004 ultimativ zur Änderung des VW-Gesetzes bis Ende Mai 2004 aufgefordert. Der zuständige Kommissar Frits Bolkestein sah in dem VW-Gesetz, das eine feindliche Übernahme des Wolfsburger Autokonzerns verhindern soll, einen Verstoß gegen den freien Kapitalverkehr (Art. 56 Abs. 1 EGV) in der Europäischen Union. Möglicherweise ist aber auch die Niederlassungsfreiheit nach Art. 43 Abs. 2 EGV verletzt.

Die EU-Kommission hat am 13. Oktober 2004 beschlossen, gemäß Art. 226 Abs. 2 EGV den Europäischen Gerichtshof (EuGH) anzurufen. Die Klage vor dem EuGH ging am 18. März 2005 ein (Az.: C-112/05).

Mit Urteil vom 2. Juni 2005 hat der EuGH eine italienische Regelung für mit Art. 56 Abs. 1 EGV unvereinbar erklärt, in der Stimmrechte von Anteilseignern mit Anteilen von über zwei Prozent an Elektrizitäts- und Gasunternehmen automatisch ausgesetzt werden (C-174/04).

Erwartet wurde somit allgemein auch von dem Urteil in der Causa VW, dass die Sonderregelungen des VW-Gesetzes (z.B. die sogenannte „Goldene Aktie“) in der EU keinen Bestand haben werden, und damit der Weg frei werden wird für eine Erhöhung der Unternehmensanteile der Porsche-Gruppe und für die industrielle Führerschaft im VW-Audi-Konzern seitens der Porsche AG. Eine Vorentscheidung in diese Richtung fiel in den Schlussanträgen von Generalanwalt Colomer vom 13. Februar 2007: Er bewertete die streitigen Vorschriften des VW-Gesetzes (Stimmrechtsbeschränkung, Entsenderecht und Verringerung der Sperrminorität) als unzulässigen Eingriff in die Kapitalverkehrsfreiheit und schlug dem Gericht vor, die Bundesrepublik entsprechend den Anträgen der EU-Kommission zu verurteilen. Der EuGH teilte diese Ansicht im Hinblick auf die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 56 EG) und hat das Gesetz mit Urteil vom 23. Oktober 2007 für EG-rechtswidrig erklärt. Insbesondere der Arbeitnehmerschutz rechtfertige keinen Eingriff in Art. 56 EG. Die Bundesrepublik ist verpflichtet, das Gesetz zu ändern oder abzuschaffen.

Am 27. Mai 2008 hat die Bundesregierung einen Regierungsentwurf für ein neues VW-Gesetz vorgelegt. Dieser nimmt allerdings nur eingeschränkte Änderungen vor. Während das Entsenderecht in den Aufsichtsrat und die Stimmrechtsbeschränkung entfallen sollen, will die Bundesregierung am 80-Prozent-Mehrheitserfordernis für wichtige Unternehmensentscheidungen festhalten, und bleibt damit im Rahmen von §179(2) des deutschen Aktiengesetzes, wonach eine Aktiengesellschaft eine andere Mehrheit als drei Viertel für Satzungsänderungen u.ä. festlegen kann. Darüber hinaus soll auch eine Regelung, nach der jede Entscheidung über den Produktionsstandort einer Zweidrittelmehrheit im Aufsichtsrat bedarf, erhalten bleiben. Der neue Gesetzesentwurf wurde bereits deutlich kritisiert und ist als ebenfalls unvereinbar mit der Kapitalverkehrsfreiheit eingestuft worden. Die Europäische Kommission hat bereits ein erneutes Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. Am 9. September 2008 wurde bekannt, dass das VW-Gesetz erneut vor dem höchsten EU-Gericht verhandelt wird.

Trotz der massiven Kritik von der EU und Großaktionär Porsche hat der Bundestag am 13. November 2008 den Neuentwurf des Gesetzes verabschiedet, in dem nach wie vor die Sperrminorität von 20 Prozent enthalten ist. Auch der Bundesrat hat dem Gesetz zwischenzeitlich zugestimmt. Schon unmittelbar nach der Entscheidung des Bundestages hatte die EU-Kommission schnelle Schritte gegen die Bundesrepublik angekündigt, die zu einer erneuten Klage vor dem Europäischen Gerichtshof führen könnten. Die neue Fassung wurde am 8. Dezember 2008 beschlossen.

Am 27. November 2008 hat EU-Kommission der Bundesregierung eine letzte Frist zur Änderung des VW-Gesetzes gesetzt. Noch zwei Monate hat Deutschland Zeit, das Gesetz im Sinne der Kommission zu ändern, ansonsten droht erneut eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Die EU-Kommission stößt sich am Vetorecht des Landes Niedersachsen bei wichtigen Konzernentscheidungen (20%-ige Sperrminorität, des Land Niedersachsen). Üblich ist ein derartiges Vetorecht erst bei einem Stimmrechtsanteil von 25%.[2]

Literatur

  • A. Endell: Volkswagen im Angebot – VW-Gesetz bietet keinen Schutz vor feindlichen Übernahmen, in: Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht 2000, S. 1160–1161
  • W. Kilian: VW-Gesetz und Wissenschaftsförderung, in: Neue Juristische Wochenschrift 2002, S. 3599–3601
  • H. Krause: Von „goldenen Aktien“, dem VW-Gesetz und der Übernahmerichtlinie, in: Neue Juristische Wochenschrift 2002, S. 2747–2752
  • R. Ruge: Goldene Aktien und EG-Recht, in: EuZW 2002, S. 421–424
  • St. Grundmann, F. Möslein: Die goldene Aktie, in: Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht 2003, S. 317–366
  • C. Armbrüster: „Golden Shares“ und die Grundfreiheiten des EG-Vertrages, in: JuS 2003, S. 224 ff.
  • F. Sander: Volkswagen vor dem EuGH – Der Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit am Scheideweg, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (EuZW) 2005, S. 106-109.
  • M. Pießkalla: Goldene Aktien aus EG-rechtlicher Sicht, Dissertation, Verlag Dr. Kovac, Hamburg 2006, ISBN 3-8300-2307-3.
  • N. Reich: Kurzbesprechung der Schlussanträge von Generalanwalt Dámaso Ruiz-Colomer v. 13. Februar 2007 in der Rs. C-112/05 - Kommission/Bundesrepublik Deutschland betreffend das VW-Gesetz (VWG), in: EuZW 2007, S. 132 ff.
  • W. Kilian, Vereinbarkeit des VW-Gesetzes mit Europarecht, in: Neue Juristische Wochenschrift 2007, S. 3469 ff.
  • F. Sander: Höchststimmrechte und Kapitalverkehrsfreiheit nach der VW-Gesetz-Entscheidung – Psychologisiert der EuGH den Schutzbereich des Art. 56 EG?, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (EuZW) 2008, S. 33.
  • F. Sander: Case C-112/05, European Commission v. Federal Republic of Germany: The Volkswagen Case and Art. 56 EC - A Proper Result, Yet Also a Missed Opportunity?, 14 Columbia Journal of European Law (2008), 359-370.
  • A. Kömpf: Staatseinfluss auf die Volkswagen AG: Grenzen der staatlichen Einflussnahme auf Wirtschaftsunternehmen in Privatrechtsform, Dissertation, Verlag Peter Lang, Frankfurt 2010, ISBN 978-3-631-59321-9.

Quellen

  1. Die historische Verantwortung für VW. IG Metall, abgelesen am 28. März 2010.
  2. Artikel des Tagesspiegels vom 28. November 2008

Weblinks

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