Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen

Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen
Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen, vom 1. September 1939

Mit einer Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen vom 1. September 1939, dem Tag des Beginns des Polenfeldzugs, wurde im Deutschen Reich das Verbreiten der Nachrichten von abgehörten Feindsendern unter Strafe gestellt. Auch das Abhören von Radiosendern neutraler und mit Deutschland verbündeter Staaten war verboten. Beides wurde im nationalsozialistischen Deutschland auch mit dem Begriff Rundfunkverbrechen belegt.

Schon 1933 war die Gestapo dazu übergegangen, den Kommunisten zugerechnete Rundfunkteilnehmer, die gemeinschaftlich „Radio Moskau“ empfangen hatten, in Konzentrationslager zu verschleppen. Auch hatten Oberlandesgerichte, Sondergerichte und der Volksgerichtshof bereits ohne gesetzliche Grundlage Urteile wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ gefällt, weil Beschuldigte diesen Sender abgehört hatten.

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte

Seit dem 29. Oktober 1929 strahlte Radio Moskau, ein starker Kurzwellen-Sender des Zentralrates der russischen Gewerkschaften, deutschsprachige Sendungen aus, die die KPD in Deutschland propagandistisch unterstützten. Die Reichsregierung setzte ab 1931 versuchsweise Störsender dagegen ein.

Im September 1933 gab die Gestapo einen Erlass heraus, dass alle beim gemeinschaftlichen Empfang von „Radio Moskau“ festgestellten Personen unverzüglich in ein Konzentrationslager einzuliefern seien.[1] Erwogen wurden technische Änderungen an Radioempfängern, um den Empfang zu verhindern. Zahlreiche Störsender wurden installiert; diese führten aber beim Betrieb zu unliebsamen Störgeräuschen des Deutschlandsenders.

1936 gab das Reichsjustizministerium eine Richtlinie heraus, nach der „hochverräterische Mundpropaganda“ auch dann vorliegen könne, wenn ein Feindsender nur im engsten Familienkreis angehört werde; bei gemeinschaftlichem Empfang von Radio Moskau sei grundsätzlich von Vorbereitung zum Hochverrat auszugehen.[2] Obwohl das Abhören gesetzlich noch nicht verboten war, verhängte das Hanseatische Oberlandesgericht 1937 in einem solchen Fall Zuchthausstrafen.

Ein von Joseph Goebbels vorgelegter Entwurf für ein Gesetz über das Abhören kommunistischer Sender, das „Geldstrafen und Gefängnisstrafen nicht unter zwei Jahren“ vorsah, wurde 1937 auf Geheiß Adolf Hitlers nicht umgesetzt.[3]

In einem Monatsbericht aus Bayern, der zur Information der Gestapo angefertigt wurde, wird im April 1939 gemeldet:

„Bedenklich ist die immer größer werdende Sucht, die in deutscher Sprache ausgehenden Meldungen ausländischer Rundfunksender abzuhören. Das führt dazu, dass auch auf dem Lande von weniger begüterten Volksgenossen anstelle der einfachen billigen Volksempfänger die teuren und leistungsfähigen Rundfunkgeräte bevorzugt werden, mit denen auch die Sendungen aus dem Ausland gut abgehört werden können.“[4]

Hitler billigte später eine mehrfach veränderte Vorlage, bei der Goebbels das ablehnende Votum des Ministerrates durch vorzeitige Veröffentlichung überspielt hatte, und die Verordnung wurde am 7. September 1939 im Reichsgesetzblatt verkündet.[5]

Inhalt der Verordnung

Im § 1 wurde „das absichtliche Abhören ausländischer Sender“ verboten und bei Zuwiderhandlung mit Zuchthausstrafe bedroht, deren Dauer nicht begrenzt war. Leichtere Fälle waren mit Gefängnisstrafe zu ahnden; das Rundfunkgerät war einzuziehen.

Im § 2 wurde die Verbreitung der abgehörten Nachrichten, die „die Widerstandskraft des deutschen Volkes“ gefährdeten, mit Zuchthausstrafe und in besonders schweren Fällen mit der Todesstrafe bedroht.

Weitere Paragrafen stellten das dienstliche Abhören straffrei und bestimmten, dass die Strafverfolgung nur auf Antrag der Staatspolizeistellen erfolgen und für Verhandlungen die Sondergerichte zuständig sein sollten.

Goebbels schränkte später den Kreis derjenigen erheblich ein, die zum dienstlichen Abhören befugt waren. Sein Ministerium versagte sogar einigen Ministern diese Erlaubnis.[6]

Bekanntmachung der Verordnung

Das Abhörverbot wurde durch Presseveröffentlichungen und Ankündigungen in Filmlichtspielen publik gemacht. Zeitungen berichteten über abschreckende Strafurteile. Mitte 1941 erhielten die Blockwarte den Auftrag, alle Wohnungen aufzusuchen und an den Rundfunkgeräten oder an den Bedienungsknöpfen eine Karte anzubringen, die folgende Warnung enthielt:

„Das Abhören ausländischer Sender ist ein Verbrechen gegen die nationale Sicherheit unseres Volkes. Es wird auf Befehl des Führers mit schweren Zuchthausstrafen geahndet. Denke daran!“[7]

In den Geheimen Lageberichten des Sicherheitsdienstes heißt es hierzu, diese Aktion „finde in allen Kreisen der Bevölkerung eine stark negative Aufnahme. Man empfinde die Anbringung dieser Zettel als eine Kränkung und Beleidigung […]“ und lehne besonders ab, dass dort „die Begriffe Führer und Drohung mit Zuchthausstrafe unmittelbar nebeneinander gestellt würden.“ [8]

Diese Quittung erhielt man, wenn man 1944, wie üblich, die Rundfunkgebühren im Postamt zahlte
Das stand auf der Rückseite

Ausmaß der Verfolgung

Durch die Ausschaltung der Staatsanwaltschaft entfiel die Strafverfolgungspflicht. Denunziationen wurden gefiltert und führten nur dann zu Strafurteilen, wenn die Gestapo die Anzeige entsprechend bearbeitete und weiterleitete. Nach einer internen Richtlinie sollte das bloße Abhören von Musiksendungen im Feindsender zu einer Verwarnung, die Weiterverbreitung von Nachrichten aber in jedem Falle zu einem Strafantrag führen.[9]

Die Quellenlage erlaubt keine genauen Aussagen zur Verfolgungsintensität. Nach einem Lagebericht von 1941 wurden monatlich zwischen 200 und 440 Personen wegen Abhörens feindlicher Rundfunkpropaganda festgenommen.[10] In einigen näher untersuchten Gestapobereichen wurden Verstöße nur in 23% bis 47% der Fälle an die Gerichte weitergemeldet. In etwa 10% der Fälle wurden die Denunzierten nach einer mehrtägigen Gestapohaft entlassen; viele der Angezeigten kamen mit einer Verwarnung davon.

Die Reichskriminalitäts-Statistik nennt für die Jahre 1939 bis 1942 für das Deutsche Reich (ohne Österreich) 2.704 Verurteilungen nach der Rundfunkverordnung. Gesamtzahlen für die Folgejahre fehlen, doch offenbaren Zahlenangaben einzelner Städte eine eindeutige Tendenz: So stieg in Hamburg die Anzahl der Fälle ab 1943 sprunghaft um das Dreifache an. [11] Die geheimen Lageberichte des Sicherheitsdienstes des SD berichten unter dem 8. Juli 1943 von „Auflockerungserscheinungen in der Haltung der Bevölkerung“, die für „Rundfunkverbrecher“ Verständnis zeige:

„… weisen ferner auf die Tatsache hin, dass das Abhören ausländischer Sender offensichtlich seit Monaten stark zugenommen hat. […] Es gebe zwar niemand zu, dass er ausländische Sender höre, häufig werde aber in politischen Gesprächen darüber diskutiert, dass in England das Abhören deutscher Sender nicht verboten sei und dass die unzureichende Information des deutschen Volkes durch Presse und Rundfunk geradezu der Feindpropaganda in die Arme treibe.“[12]

Vergleichende Untersuchungen der Urteile, die Sondergerichte in Berlin und in Freiburg verhängten, belegen durchschnittliche Gefängnisstrafen von 11 bzw. 9 Monaten und Zuchthausstrafen von 25 bzw. 21 Monaten.

Todesurteile

§ 2 sah unter bestimmten Umständen die Todesstrafe vor. Tatsächlich begründeten Richter jedoch Todesurteile auch in Kriegszeiten nur in wenigen Ausnahmefällen mit dieser Bestimmung. Todesurteile wurden häufig wegen „Hochverrat“ oder „Vorbereitung zum Hochverrat“ oder „Wehrkraftzersetzung“ ausgesprochen. Dazu reichte es, die Wirkung der „defätistischen“ und regimefeindliche Äußerungen entsprechend zu bewerten, ohne nachforschen zu müssen, ob der Angeklagte diese Nachricht selbst abgehört, nur weitererzählt oder aus eigenem Wissen und Urteilen geschöpft hatte.

Literatur

  • Michael P. Hensle: Rundfunkverbrechen. Das Hören von „Feindsendern“ im Nationalsozialismus. Berlin 2003, ISBN 3-936411-05-0.

Einzelnachweise

  1. Michael Hensle: Rundfunkverbrechen. Das Hören von „Feindsendern“ im Nationalsozialismus. Berlin 2003, ISBN 3-936411-05-0, S. 18.
  2. Michael Hensle: Rundfunkverbrechen, S. 22.
  3. Michael Hensle: Rundfunkverbrechen, S. 25/28.
  4. Cornelia Schmitz-Berning: Vokabular des Nationalsozialismus. Berlin 1998, ISBN 3-11-013379-2, S. 653.
  5. RGBl.1939 I, Seite 1683 / Michael Hensle: Rundfunkverbrechen, S. 36f.
  6. C. F. Latour: Goebbels' „Außerordentliche Rundfunkmaßnahmen“ 1939 - 1942. Dokumentation. In: VfZ 11(1963), H. 4, S. 418 - 435
  7. Michael Hensle: Rundfunkverbrechen, S. 141.
  8. Heinz Boberach (Hrsg.): Meldungen aus dem Reich. Herrsching 1984, ISBN 3-88199-158-1, Bd. 8, S. 3020
  9. Michael Hensle: Rundfunkverbrechen, S. 72.
  10. Michael Hensle: Rundfunkverbrechen, S. 89.
  11. Justizbehörde Hamburg (Hrsg.): „Von Gewohnheitsverbrechern, Volksschädlingen und Asozialen …“. Hamburger Justizurteile im Nationalsozialismus. Hamburg 1995, ISBN 3-87916-023-6, S. 195.
  12. Heinz Boberach (Hrsg.): Meldungen …, Bd. 14, S. 5447.

Weblinks


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