Volkstaat

Volkstaat
Die Vryheidsvlag (Freiheitsflagge) hat als Vorbild die alte Flagge Südafrikas.

Der Volkstaat ist ein Vorschlag, ein Territorium auf dem Gebiet der Republik Südafrika zu schaffen, auf dem sich die Buren, die afrikaanssprechende Volksgruppe innerhalb der weißen Minderheit des Landes, selbst verwalten können. Ein Volkstaat könnte dabei staatlichen Charakter erreichen, bis hin zur völligen Unabhängigkeit. Unterstützt wird diese Idee allerdings nur von kleinen, meist rechtsgerichteten Gruppen; echte Chancen auf Verwirklichung hat ein Volkstaat eher nicht.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die Buren (auch: Afrikaaner) haben eine lange Tradition, was Staatsgründungen angeht. Insbesondere im Zuge des Großen Trecks gründeten sie mehrere (meist kurzlebige) Burenrepubliken, darunter auch Natal, den Oranje-Freistaat und Transvaal, die jedoch spätestens im zweiten Burenkrieg ihre Unabhängigkeit verloren.

Während der Apartheid war die Kultur der Buren und der englischsprachigen Südafrikaner von der Regierung geschützt, und Afrikaans und Englisch waren die beiden einzigen Amtssprachen. Die Mehrheit der Politiker waren Afrikaaner. Dies, wie auch die Tatsache, dass die Apartheid den Weißen klare Vorteile brachte, führte dazu, dass die Buren (mitsamt den übrigen Weißen) weitaus besser gestellt war, als der Rest der Bevölkerung.

Ende der 80er Jahre wurde von Carel Boshoff die Afrikaner-Vryheidstigting (Afrikaaner-Freiheitsstiftung), kurz Avstig, gegründet. Sie verfolgte das Ziel, einen Volkstaat im ländlichen und gering besiedelten Norden der Kap-Provinz zu gründen. 1991 kaufte Avstig eine leerstehende ehemalige Arbeitersiedlung in der Provinz Nordkap und gründete Orania. Hier entstand im Folgenden ein Volkstaat im Kleinen.

Unterstützer und Gegner

Bei den Wahlen von 1994 tat sich die Freiheitsfront hervor, die mit dem Ziel der Errichtung eines Volkstaats auf Stimmenfang ging. Sie erhielt daraufhin 424.555 Wählerstimmen, allerdings konnte sie in keinem Wahlkreis auch nur annhähernd eine Mehrheit erreichen.

Vor den Parlamentswahlen von 1999 wurde festgestellt, dass 26,9 Prozent der Afrikaaner, die gerne auswandern würden, aber nicht können, einen Volkstaat favorisieren.

In zwei Umfragen wurden die Weißen 1993 und 1996 gefragt: „Was denken Sie darüber, ein Gebiet für Afrikaaner und andere weiße Südafrikaner auszuweisen, in dem sie sich selber verwalten können? Unterstützen Sie die Idee eines Volkstaats?“ 1993 ergab die Umfrage, dass 29 Prozent die Idee gut fanden und 18 Prozent in einen solchen Volkstaat ziehen würden. 34 Prozent waren komplett gegen diese Idee. 1996 war das Ergebnis, dass nur noch 22 Prozent die Idee gut fanden, während nur noch 9 Prozent in einen Volkstaat umziehen würden. Mittlerweile standen schon 66 Prozent der Befragten der Idee ablehnend gegenüber.

In der Umfrage von 1996 wurde festgestellt, dass „diejenigen, die 1996 angaben, sie könnten sich vorstellen, in einen Volkstaat zu ziehen, größtenteils Afrikaans sprechende Männer sind, die Anhänger der Konservativen oder der Freiheitsfront sind, rassistische Ansichten haben, sich selbst als Afrikaaner bezeichnen und nicht zufrieden mit dem neuen demokratischen Südafrika sind.“ Jedoch ist anzumerken, dass keine Definition einer „rassistischen Ansicht“ gemacht wurde und vielleicht einfach nur die Bereitschaft, das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit zu nutzen, festgestellt wurde.

Gegner der Volkstaat-Idee stellen aber fest, dass die Buren im Unterschied zu anderen staatenlosen Völkern wie den Kurden oder Tamilen keine andere historische Heimat haben, als die Republik Südafrika, in der sie zum Großteil heute auch leben. Zwar gibt es Gegenden (Gauteng, Kapstadt), in denen sie zu großer Zahl leben, jedoch stellen sie nirgends die Mehrheit der Bevölkerung.

Auf einer Konferenz über das Thema Selbstbestimmung, die in Orania im Oktober 2005 abgehalten wurde, zeigten afrikaanse Intellektuelle wenig Begeisterung bei der Frage nach einer Sezession, sondern machten andere Vorschläge, wie „Cyber-Government“.

Gründe für einen Volkstaat

Unzufriedenheit mit dem Leben im Südafrika nach der Apartheid wird oft als ein Grund gesehen, warum die Volkstaat-Ideologie Zulauf bekommt. Eine Umfrage unter Weißen in Pretoria hat Kriminalität, wirtschaftliche Probleme, Sicherheit, Affirmative Action, Bildung, Bevölkerungswachstum, Gesundheit, Sprache, Kultur und Wohnraum als Gründe für die Unterstützung eines Volkstaats ermittelt.

Kriminalität

Kriminalität ist eines der drängendsten Probleme im neuen Südafrika. Nach einer Studie der Vereinten Nationen lag das Land zwischen 1998 und 2000 auf Platz zwei der Staaten mit der höchsten Mordrate pro Kopf. 2008 gab es über 18.000 Morde. Insgesamt ist es eines der gefährlichsten Länder der Welt. Daraus entsteht eine Art Stadtflucht: wer kann, zieht in die relative Sicherheit der Vororte. Geschlossene Wohnsiedlungen werden immer häufiger. Die Innenstädte sind nach Geschäftsschluss wie leer gefegt. Viele Auswanderer begründen ihre Entscheidung damit, dass sie Opfer von Gewalt geworden sind, oder fürchten, es zu werden.

Angriffe auf Farmen

Es häufen sich Übergriffe auf (meist weiße) Farmer. Zwischen 1998 und 2001 wurden 3.500 Angriffe registriert. Bis 2009 wurden dabei geschätzte 3.000 Menschen getötet. Pro Woche werden durchschnittlich zwei Morde bei Angriffen auf Farmen begangen. Die Täter gehen dabei meist sehr brutal vor und nutzen die Abgelegenheit der Farmen aus.

Die Freiheitsfront interpretiert das als ethnische Gewalt gegen Buren: 2001 appellierte sie an die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen, Druck auf die südafrikanische Regierung auszuüben, um dieses „ethnische Massaker“ zu beenden. Pieter Mulder, ihr Vorsitzender, sagte, die Angriffe scheinen koordiniert zu sein und nicht allein kriminelle Motive zu verfolgen. Er sagte, dass ein anti-burisches Klima im Land Einzug hält, was man daran sieht, dass Menschen, die angeklagt wurden, Buren umgebracht zu haben, im Gerichtssaal oft Beifall der Anwesenden ernten.

Die unabhängige Untersuchungskommission, die vom Polizeichef eingesetzt wurde, veröffentlichte allerdings 2003, dass nicht nur weiße Leute angegriffen wurden, meistens Diebstahl begangen wurde und dass der Anteil der weißen Opfer in den vier Jahren vor 2003 zurückging. Trotzdem ist das Thema sensibel, da Landwirtschaft als ein traditioneller burischer Beruf angesehen wird (schon die afrikaanse Bezeichnung Boer für die Afrikaaner bedeutet „Bauer“).

Arbeitslosigkeit

Mit dem Ende der Apartheid kam auch das Ende der Jobgarantien für Weiße. Trotz einer Verschlechterung der Situation sind Südafrikas Weiße aber heute immer noch seltener von Arbeitslosigkeit betroffen, als andere. Das muss allerdings im Verhältnis gesehen werden: die Arbeitslosenzahl nur bei Weißen stieg von 1995 bis 2001 um 197 Prozent an (insgesamt Südafrika: 27 Prozent). 2001 waren 228.000 Weiße arbeitslos gemeldet.

Arbeitslose Weiße, insbesondere arbeitslose Buren, stehen einem Volkstaat offen gegenüber.

Affirmative-Action-Programme, die von der Regierung durchgeführt werden, um mehr Schwarzen und Farbigen einen Zugang zur Arbeitswelt zu ermöglichen, erschweren es heutzutage weißen Bürgern erheblich, einen Job zu bekommen. Oftmals werden beispielsweise schwarze Jobanwärter bevorzugt, obwohl sie geringere Qualifikationen als weiße Mitbewerber aufweisen können.

Repräsentation

Die Afrikaaner gaben ihre Führungsrolle innerhalb der weißen Minderheitsregierung bei den Wahlen 1994 ab und spielen nun nur noch eine untergeordnete Rolle in der Politik. Einige Afrikaaner, darunter die Volkstaat-Aktivisten, finden, dass Minderheiten im neuen politischen System nicht genügend geschützt werden und verlangen daher die Selbstbestimmung, was durch einen Volkstaat verwirklicht werden soll.

Der damalige Präsident Thabo Mbeki zitierte einen Buren, mit dem er verhandelt hatte mit den Worten: „Der Afrikaaner leidet unter den Spätfolgen des Machtverlustes, was sich in Verzweiflung niederschlägt.“

Kulturelle Identität

In den letzten Jahren wurden Städte mit afrikaansen Namen umbenannt, darunter auch eine Reihe von Orten, die in der Voortrekker-Periode gegründet wurden, wie Pietersburg (jetzt Polokwane) oder Potgietersrus (jetzt Mokopane). Hierbei handelt es sich oft jedoch nicht um eine Rückumbenennung von früher germanisierten Städtenamen. Vielmehr werden Städte neu benannt, obwohl sie unter ihren holländischen, italienischen etc. Namen gegründet wurden. Zumeist steht den Namensänderungen eine große Opposition von Menschen aller Hautfarben entgegen.

Ebenso müssen sich Regierungsstellen seit 2002 eine einzige Sprache aussuchen, in der sie kommunizieren, was dazu führte, dass Beamte dazu angehalten wurden, nur noch englisch zu sprechen.

Von den 31 Universitäten Südafrikas waren fünf ursprünglich afrikaans (Freistaat, Potchefstroom, Pretoria, Rand und Stellenbosch). Ebenfalls 2002 kündigte Bildungsminister Kader Asmal an, diese Universitäten müssten parallel englischsprachigen Lehrbetrieb einführen, obwohl eine Regierungskommission den Vorschlag machte, dass zwei Universitäten afrikaans bleiben sollten. Die Regierung erklärte später, dass rein afrikaanse Universitäten einem „transformierten Bildungssystem“ entgegen stehen würden.

Volkstaat-Bewegungen

Von der Freiheitsfront vorgeschlagenes Gebiet

Die Freiheitsfront ist die treibende politische Kraft hinter der Idee. Die Klientelpartei ist im nationalen Parlament sowie in verschiedenen Provinz-Parlamenten vertreten. Bei den Parlamentswahlen 2009 konnte sie 146.000 Stimmen (0,83 Prozent) erringen. Das entspricht ca. 6 Prozent der Stimmen aller Buren (wenn man unterstellt, dass die Partei keine Wähler außerhalb dieser Volksgruppe erhielt). Die Freiheitsfront lehnt sich an Vorbildern wie Spanien an, wo für linguistische Minderheiten Autonomien geschaffen wurden. Dies sei der einzige Weg, die Rechte der Buren zu schützen. Dazu soll ein Homeland auf dem Gebiet der Provinzen Nordkap und Westkap für sie geschaffen werden.

Die Afrikaner Weerstandsbeweging, eine rechtsextreme Gruppierung, tritt ebenfalls für einen Volkstaat ein.

Die Boeremag war eine rechtsgerichtete Organisation und wollte schon früher ähnliche Pläne gewaltsam verwirklichen. Mehrere ihrer Mitglieder stehen derzeit wegen Hochverrats vor Gericht.

Orania und Kleinfontein

Ernstere Versuche, Gebiete nur für Afrikaaner zu errichten, stellen die Siedlungen Orania und Kleinfontein dar. Im Falle Oranias wurde auf Privatland ein Dorf errichtet und Bewohner werden geworben. Bis heute hat Orania jedoch nur ca. 700 Einwohner. Mit der Zeit stellte sich ein gewisser wirtschaftlicher Wohlstand ein. Kleinfontein liegt in der Gegend von Pretoria.

Rechtsgrundlage

Sektion 235 der Verfassung von Südafrika erlaubt einer Gemeinschaft mit gemeinsamer Sprache und Kultur, sich in einem Gebiet in Südafrika selbst zu verwalten.

Dieser Passus der Verfassung wurde während der Verhandlungen, die der Machtübergabe 1994 vorausgingen, ausgehandelt. Hierbei spielte die Freiheitsfront eine bedeutende Rolle. Bisher wurde auf Basis der Sektion 235 allerdings noch kein Gesetz für irgendeine ethnische Gruppe erlassen.

Der Anspruch auf einen Volkstaat ließe sich vom Völkerrecht herleiten, welches allen Minderheiten, die Selbstständigkeit in Form von Unabhängigkeit wünschen, Rechte einräumt. Eine Minderheit, die räumlich konzentriert ist und über eigene kulturelle Identität verfügt, hat danach das Recht auf Unabhängigkeit, wenn sie nachrangig behandelt wird. Jedoch müssten ihr dazu politische, sprachliche, kulturelle und religiöse Rechte klar vorenthalten werden.

Die Gründung eines Staates auf südafrikanischem Gebiet würde jedoch die territoriale Integrität der Republik Südafrika berühren, was als illegaler, aggressiver Akt gesehen werden kann.

Reaktion der Regierung

Die ANC-Regierung stellte klar, dass sie einen Volkstaat nicht tolerieren würde. Sie erklärte, sie tue stattdessen alles in ihrer Macht stehende, um die Sprache und Kultur der Afrikaaner zu schützen, gleichsam wie andere Minderheiten im Land. Beobachter sehen eine Chance auf einen eigenen Staat höchstens nach einem Bürgerkrieg.

2003 wurde die Kommission für die Förderung und den Schutz der Rechte von kulturellen, religiösen und sprachlichen Gruppen gegründet. Sie wurde beauftragt, sich mit dem Schutz aller sich als ethnische Einheit verstehenden Gruppen (darunter auch den Buren) zu befassen. Dem Komitee gehört mit J. Landman auch ein Bure an.

Siehe auch

Weblinks


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