Wilcoxon-Vorzeichen-Rang-Test

Wilcoxon-Vorzeichen-Rang-Test

Der Wilcoxon-Vorzeichen-Rang-Test ist ein nichtparametrischer statistischer Test. Er prüft anhand zweier gepaarter Stichproben die Gleichheit der zentralen Tendenzen der zugrundeliegenden (verbundenen) Grundgesamtheiten. Im Anwendungsbereich ergänzt er den Vorzeichentest, da er nicht nur die Richtung (d. h. das Vorzeichen) der Differenzen, sondern auch die Höhe der Differenzen zwischen zwei gepaarten Stichproben berücksichtigt.[1] Der Test ist eine Alternative zu Student’s t-Test, falls für die zugrundeliegende Population keine Normalverteilung angenommen werden kann.

Der Wilcoxon-Vorzeichen-Rang-Test wurde vom Chemiker und Statistiker Frank Wilcoxon (1892–1965) vorgeschlagen und durch das Lehrbuch von Sidney Siegel – Nonparametric Statistics for the Behavioural Sciences – populär.

Inhaltsverzeichnis

Hypothesen und Voraussetzungen

Für den Test bzgl. der beiden Mediane \tilde{x}_1 und \tilde{x}_2 gibt es drei mögliche Hypothesenpaare:

  1. zweiseitig: H_0: \tilde{x}_1=\tilde{x}_2 vs. H_1: \tilde{x}_1\neq\tilde{x}_2.
  2. einseitige: H_0: \tilde{x}_1\leq\tilde{x}_2 vs. H_1: \tilde{x}_1>\tilde{x}_2 bzw. H_0: \tilde{x}_1\geq\tilde{x}_2 vs. H_1: \tilde{x}_1<\tilde{x}_2.

Eine Voraussetzung ist, dass die Stichprobenvariablen Di

Di = Xi,1Xi,2

unabhängig, identisch verteilt und symmetrisch sind. Die letzte Voraussetzung wird jedoch oft vernachlässigt.

Teststatistik

Zunächst wird für die Teststatistik der Rang Ri der absoluten Differenzen berechnet:

Ri = rang( | Di | )

Die Teststatistik W berechnet sich als das Minimum der negativen und der positiven Rangsummen:

W_+ = \sum_{i=1}^n I(x_{i,1}-x_{i,2}>0) R_i
W_- = \sum_{i=1}^n I(x_{i,1}-x_{i,2}<0) R_i
W = min(W_+, W_-)\,

Im Fall, dass eine oder mehrere Differenzen xi,1xi,2 = 0 sind, gibt es zwei Möglichkeiten:

  1. Die zugehörigen Rangwerte werden zur Hälfte W + und zur Hälfte W zugeordnet.[2]
  2. Die Beobachtungen fließen nicht in den Test ein, d.h. n muss korrigiert werden. Eine größere Anzahl von gleichen Beobachtungswerten deutet allerdings auf die Gültigkeit der Nullhypothese hin.

Die Teststatistik ist approximativ normalverteilt für n > 20:

\frac{W-\tfrac14 n(n+1)}{\sqrt{\tfrac{n(n+1)(2n+1)}{24}}}\approx N(0;1).

Außerdem sollte für n\leq 60 noch eine Stetigkeitskorrektur durchgeführt werden

\frac{|W-\tfrac14 n(n+1)|-0,5}{\sqrt{\tfrac{n(n+1)(2n+1)}{24}}}\approx N(0;1).

Für Werte kleiner gleich 50 liegen die kritischen Werte auch tabelliert vor. [3]

Kritische Werte für W, die unterschritten werden müssen um die Nullhypothese abzulehnen
α n
zweiseitig einseitig 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 25 30 35 40 45 50
0,1000 0,0500 0 2 3 5 8 10 13 17 21 25 30 35 41 47 53 60 100 151 213 286 371 466
0,0500 0,0250 0 2 3 5 8 10 13 17 21 25 29 34 40 46 52 89 137 195 264 343 434
0,0200 0,0100 0 1 3 5 7 9 12 15 19 23 27 32 37 43 76 120 173 238 312 397
0,0100 0,0050 0 1 3 5 7 9 12 15 19 23 27 32 37 68 109 159 220 291 373
0,0050 0,0025 0 1 3 5 7 9 12 15 19 23 27 32 60 98 146 204 272 350
0,0010 0,0005 0 1 2 4 6 8 11 14 18 21 45 78 120 172 233 304

Bindungen bei den Rängen

Im Fall, dass Bindungen bei den Rängen der | Di | auftreten (d.h. mehrere absolute Differenzen den gleichen Rang bekommen), werden jeder Differenz die Mittelwerte der entsprechenden Ränge zugeordnet (siehe Beispiel unten).

Bezeichnet ti die Anzahl der Beobachtungen mit dem gleichen Rang wie das Beobachtungspaar (xi1,xi2), so gilt

Var(W) = \tfrac{n(n+1)(2n+1)}{24} - \sum_{i=1}^n \tfrac{t_i^3-t_i}{48}

und für die Approximation

\frac{W-\tfrac14 n(n+1)}{\sqrt{\tfrac{n(n+1)(2n+1)}{24}- \sum_{i=1}^n 
\tfrac{t_i^3-t_i}{48}}}\approx N(0;1).

Lässt man den Korrekturfaktor weg, so ist der Test zu konservativ, d.h. er entscheidet zu oft für die Nullhypothese.

Beispiel

Ein Beispiel für dessen Anwendung: Ein statistisch versierter Bauer möchte feststellen, ob Rinder Heu oder Stroh vorziehen. Er teilt eine Fläche in zwei Bereiche ein, zwischen denen die Tiere frei hin und her wechseln können. Im einen Bereich bietet er den fünf Rindern Stroh an, im anderen Heu. Jede halbe Stunde notiert er, wie viele Tiere sich in welchem Bereich aufhalten; er erhält n = 6 Paare von Stichproben.

Das Ergebnis seiner Beobachtungen ist eine Tabelle, und er berechnet auch die Differenzen aus den Werten:

Tiere beim Heu Tiere beim Stroh Differenz
4 1 +3
3 2 +1
2 3 -1
5 0 +5
5 0 +5
3 2 +1
Beitrag zu
Differenz Rang W + W
+1 2 2
+1 2 2
-1 2 2
+3 4 4
+5 5,5 5,5
+5 5,5 5,5
19 2

Rang: Die drei 1er Werte müssten die Ränge 1 bis 3 belegen, da sie aber gleichwertig sind, wird der Mittelwert ihrer Ränge eingetragen, also (1+2+3)/3=2. Bei den 5er Werten ebenso: (5+6)/2=5,5.

Dann werden die Differenzen nach der Größe geordnet (das Vorzeichen wird dabei nicht berücksichtigt); und jeder Differenz wird ein Rang zugeordnet – die größte Differenz erhält den höchsten Rang. Sind mehrere Differenzen gleichrangig, wird jedem Wert der durchschnittliche Rang zugeordnet.

Die Rangsumme der positiven Differenzen beträgt w + = 19 und die Rangsumme der negativen Differenzen beträgt w = 2, also

w = min(w + ,w ) = 2.

Zweiseitiger Test

Beim zweiseitigen Test mit

H_0: \tilde{x}_H=\tilde{x}_S (Rinder mögen Heu und Stroh gleich) vs.
H_1: \tilde{x}_H\neq\tilde{x}_S (Rinder bevorzugen eine Sorte)

kann die Nullhypothesen zum Signifikanzniveau α = 10% bzw. α = 5% nicht abgelehnt werden. Denn

  • aus der Tabelle oben ergibt sich für α = 10% und n = 6 ein kritischer Wert von 2. Da der Prüfwert w = 2 nicht kleiner als der kritische Wert ist, kann die Nullhypothese nicht abgelehnt werden bzw.
  • aus der Tabelle oben ergibt sich für α = 5% und n = 6 ein kritischer Wert von 0. Da der Prüfwert w = 2 nicht kleiner als der kritische Wert ist, kann die Nullhypothese nicht abgelehnt werden.

Einseitige Tests

Auch bei den einseitigen Tests mit

Nullhypothese H0 Alternativhypothese H1
Linksseitig  \tilde{x}_H\geq\tilde{x}_S (Rinder mögen Heu mehr oder beide Sorten gleich) \tilde{x}_H<\tilde{x}_S (Rinder mögen Stroh mehr)
Rechtsseitig  \tilde{x}_H\leq\tilde{x}_S (Rinder mögen Stroh mehr oder beide Sorten gleich) \tilde{x}_H>\tilde{x}_S (Rinder mögen Heu mehr)

können die Nullhypothesen nicht abgelehnt werden. Denn

  • aus der Tabelle oben ergibt sich für α = 5% und n = 6 ein kritischer Wert von 2. Da der Prüfwert w = 2 nicht kleiner als der kritische Wert ist, kann die Nullhypothese nicht abgelehnt werden bzw.
  • aus der Tabelle oben ergibt sich für α = 2,5% und n = 6 ein kritischer Wert von 0. Da der Prüfwert w = 2 nicht kleiner als der kritische Wert ist, kann die Nullhypothese nicht abgelehnt werden.

Approximation mit der Normalverteilung beim zweiseitigen Test

Berechnet man – als Näherung – daraus den normalverteilten z-Wert:

z = \frac{w^+-\frac{n(n+1)}{4}}{\sqrt{\frac{n(n+1)(2n+1)}{24}}} = \frac{19-\tfrac{6*7}{4}}{\sqrt{\tfrac{6*7*13}{24}}}=\tfrac{+8,5}{\sqrt{22,75}}=+1,7821

Aus der Standardnormalverteilungstabelle ergeben sich für den zweiseitigen Test

  • für α = 5% kritische Werte von \pm1,96. Da der Prüfwert z = 1,7821 im Intervall [ − 1,96; + 1,96] liegt, kann die Nullhypothese nicht abgelehnt werden.
  • für α = 10% kritischer Werte von \pm1,65. Da der Prüfwert z = 1,7821 nicht im Intervall [ − 1,65; + 1,65] liegt, kann die Nullhypothese abgelehnt werden.

Damit haben die Rinder zu einem 10% Signifikanzniveau eine Vorliebe für eine der beiden Sorten.

Dies scheint ein Widerspruch zu sein zu dem Ergebnis aus dem exakten zweiseitigen Test. Jedoch ist der mittels der angegebenen Formel berechnete z-Wert ist nur eine Näherung und nur für einen Stichprobenumfang n > 20 zuverlässig!

Für die Approximation spielt es bei zweiseitigen Test keine Rolle, ob in der Formel der Wert w + oder w (oder das Minimum von beiden) eingesetzt wird, denn es folgt

z = \frac{w^--\frac{n(n+1)}{4}}{\sqrt{\frac{n(n+1)(2n+1)}{24}}} = \frac{2-\tfrac{6*7}{4}}{\sqrt{\tfrac{6*7*13}{24}}}=\tfrac{-8,5}{\sqrt{22,75}}=-1,7821.

D.h. die Testentscheidung wäre die gleiche.

Vergleich mit dem Vorzeichentest

Fünf Stichproben tragen ein positives Vorzeichen (+), eine ein negatives (-). Gemäß der Tabelle der kritischen Werte (MacKinnon, 1964) kann man bei diesem Beispiel lediglich von p < 0.5 ausgehen (d.h. weniger als 50 Prozent Irrtumswahrscheinlichkeit). Hätten alle sechs Stichproben das gleiche Vorzeichen, läge p zwischen 0.02 und 0.1 - hier wurde also eindrücklich gezeigt, dass das Verfahren von Wilcoxon besonders bei kleineren Stichproben-Umfängen brauchbare Resultate liefert.

Einzelnachweise

  1. Jürgen Bortz, Gustav A. Lienert, Klaus Boehnke: Verteilungsfreie Methoden in der Biostatistik. 3. Auflage. Springer Verlag, 2008, S. 256,259.
  2. Leonard A. Marascuilo, Maryellen McSweeney: Nonparametric and Distribution-free Methods for the Social Sciences. Brooks/Cole Publishing Co, Dezember 1977, ISBN 978-0818502026.
  3. Jürgen Bortz, Gustav A. Lienert, Klaus Boehnke: Verteilungsfreie Methoden in der Biostatistik. 3. Auflage. Springer Verlag, Berlin 23. Oktober 2010, S. 729.

Literatur

  • Siegel, Sidney. Nichtparametrische statistische Methoden. Eschborn b. Frankfurt a. M. Verlag Dietmar Klotz, 2001. ISBN 3-88074-102-6.
  • Siegel, Sidney. Nonparametric statistics for the behavioral sciences. New York (etc.), McGraw-Hill, circa 1988 (vergriffen)

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