Wittgenstein (Familie)

Wittgenstein (Familie)

Die Familie Wittgenstein ist eine österreichische Industriellen- und Intellektuellen-Familie.

Sie war ursprünglich eine früh assimilierte deutsch-jüdischen Familie im Wittgensteiner Land. Einer der ältesten bekannteren Mitglieder der Familie war der Gutsverwalter Moses Meyer, der für die Grafen von Sayn-Wittgenstein-Hohenstein gearbeitet hatte. Aufgrund der 1808 im Königreich Westphalen erlassenen Vorschrift, binnen drei Monaten einen Nachnamen anzunehmen, wählte Moses Meyer den herkunftsbezogenen Nachnamen Moses Meyer-Wittgenstein.

Meyer-Wittgenstein reussierte als Wollgroßhändler, sein Sohn Heinrich Christian (* 12. September 1802 in Korbach; † 1878 in Wien) verlegte das Geschäft in die Nähe von Leipzig und trat 1839 zum protestantischen Glauben über.(Die Reichsstelle für Sippenforschung bestätigte im Sommer 1939 kontrafaktisch seine „rein deutschblütige“ Herkunft). Seine Ehefrau Fanny Figdor (* 7. April 1814 in Kittsee im Burgenland; † 21. Oktober 1890 in Wien-Hietzing), konvertierte ebenfalls vom Judentum zum Protestantismus.

Karl Wittgenstein war das sechste von elf Kindern des Heinrich Christian. Die Familie zog 1860 nach Wien, wo der Vater im Immobilienhandel arbeitete.

Karl Wittgenstein (1847–1913) entlief als noch nicht Achtzehnjähriger der Familie und reiste nach Amerika. Nach etwa einem Jahr kehrte er nach Wien zurück. Er heiratete 1873 Leopoldine Kallmus (* 14. März 1850 in Wien,† 1926), eine begabte Pianistin aus einer Prager jüdischen Familie (allerdings mit katholischer Mutter). Nach abgebrochenem Ingenieurstudium an der Technischen Hochschule, arbeitete er bei den Teplitzer Walzwerken in Böhmen, wo er 1877 zum Direktor bestellt wurde, und stieg in der Folge zum Magnaten der böhmischen Eisenindustrie auf. 1898 zog sich Karl Wittgenstein von den Geschäften zurück. Er erbaute und bewohnte das Palais Wittgenstein in Wien und trat als Kunstförderer (u. a. der Wiener Secession) auf.

Bereits Karls Geschwister gehörten zur Wiener Oberschicht. Anna, die älteste heiratete in die protestantische Familie von Franz ein, desgleichen sein Bruder Louis. Karls jüngere Schwester Bertha war mit dem Juristen Karl Kupelwieser verheiratet, dem Bruder von Paul Kupelwieser, dem Gründer der noblen Ferieninsel Brioni.Lydia Wittgenstein war mit dem Kavallerie- General Josef Siebert verheiratet. Mily, Karl Wittgensteins zweitjüngste Schwester, war mit dem Arzt Theodor von Brücke verehelicht. Der Bruder Paul heiratete Justine Hochtetter.

Mit seiner Frau Leopoldine hatte Karl Wittgenstein, der als autoritärer Patriarch galt, neun Kinder:

  • Hermine Wittgenstein (* 1874 in Teplitz; † 1950), die unverheiratet blieb und die NS-Zeit mit dem erkauften Status einer „Halbjüdin“ in ihrer Heimat verbrachte
  • Dora Wittgenstein (*† 1876 in Wien), die bei der Geburt verstarb
  • Hans Wittgenstein (* 1877 in Wien; † 1902 in Chesapeake Bay, USA; vermutlich Selbstmord durch Ertrinken)
  • Kurt Wittgenstein (* 1878 in Wien; † November 1918; erschoss sich an der italienischen Front)
  • Helene Salzer, geborene Wittgenstein (* 1879 in Wien; † 1956), verheiratet mit Dr. Max Salzer, Ministerialbeamter
  • Rudolf Wittgenstein (* 1881 in Wien; † 1904; Student der Chemie, Selbstmord in Berlin)
  • Margherita/Margaret Anna Maria (* 19. September 1882 in Neuwaldegg; † 1958 in Wien), 1904 verheiratet mit Jerome Stonborough daher heute als Margarethe Stonborough-Wittgenstein bekannt, ab 1923 getrennt. Sie ließ nach den Vorstellungen ihres Bruders Ludwig das Haus Wittgenstein errichten und war langjährige Besitzerin der Villa Toscana (Gmunden).
  • Paul Wittgenstein (* 11. Mai 1887 in Wien; † 3. März 1961 in New York), verlor aufgrund einer schweren Kriegsverletzung 1914 seinen rechten Arm, doch durch seine unerschütterlichen Energie wurde er der berühmteste einarmige Pianist der Geschichte. Er heiratete 1940 in Kuba die Mutter seiner Töchter Elisabeth und Johanna, seine fast blinde Schülerin Hilde Schania (1915-2001). 1941 wurde ihnen der Sohn Paul-Louis geboren.
  • Ludwig Wittgenstein (* 26. April 1889 in Wien; † 29. April 1951 in Cambridge), der Philosoph, das bekannteste Mitglied der Familie.

Ein weiteres Mitglied der Familie war Paul Wittgenstein (1907–1979), in die Literatur eingegangen durch Thomas Bernhard als Wittgensteins Neffe.

Literatur

  • Georg Gaugusch: Die Familien Wittgenstein und Salzer und ihr genealogisches Umfeld in: Adler, Zeitschrift für Genealogie und Heraldik, 21. (XXXV.) Band (2001-2002) p.120-145 (2001).
  • Ursula Prokop: Margaret Stonborough-Wittgenstein. Bauherrin, Intellektuelle, Mäzenin, Böhlau Verlag, Wien-Köln-Weimar 2003.
  • Birgit Schwaner: Die Wittgensteins. Kunst und Kalkül, Metro Verlag, Wien 2008.
  • Lea Singer: Konzert für die linke Hand, Hoffmann und Campe, Hamburg 2008.
  • Alexander Waugh: Das Haus Wittgenstein. Geschichte einer ungewöhnlichen Familie, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009.

Weblinks


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужен реферат?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Wittgenstein — steht für: das Wittgensteiner Land Kreis Wittgenstein, einen ehemals selbständigen Landkreis Schloss Wittgenstein, ein Schloss oberhalb der Stadt Bad Laasphe in Nordrhein Westfalen Sayn Wittgenstein, ein Adelsgeschlecht ein sagenumwobener Felsen… …   Deutsch Wikipedia

  • Wittgenstein [2] — Wittgenstein. I. Die Fürstliche Linie, s. Sayn Witgenstein. Merkwürdig sind: 1) Ludwig Adolf Peter, früher Graf, seit 1834 Fürst von Sayn Witgenstein Ludwigsburg, geb. 6. Jan. 1709, trat früh in russische Kriegsdienste u. war 1806 General u. Chef …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Familie Rosthorn — Familienwappen der Rosthorn in Waldegg Die Familie Rosthorn ist eine österreichische Industriellenfamilie, deren Mitglieder im 18. und 19. Jahrhundert Bedeutung erlangten. Inhaltsverzeichnis 1 Ges …   Deutsch Wikipedia

  • Karl Wittgenstein — Karl Wittgenstein, 1908 Karl Wittgenstein (* 8. April 1847 in Gohlis; † 20. Januar 1913 in Wien) gehörte zu den erfolgreichsten Unternehmern der späten Donaumonarchie, war ein charakteristischer Vertreter der sogenannten „Gründerzeitgeneration“… …   Deutsch Wikipedia

  • Paul Wittgenstein (Pianist) — Paul Wittgenstein (* 11. Mai 1887 in Wien; † 3. März 1961 in Manhasset, New York) war ein amerikanischer Pianist österreichischer Herkunft. Trotz des Verlustes seines rechten Arms als Folge einer Kriegsverletzung setzte er seine Karriere fort und …   Deutsch Wikipedia

  • Margaret Stonborough-Wittgenstein — Margarethe Stonborough Wittgenstein (auch Margaret) (* 19. September 1882 in Neuwaldegg, heute Stadt Wien; † 27. September 1958 in Wien) war die jüngste Tochter des Stahlmagnaten Karl Wittgenstein, Schwester des Philosophen Ludwig Wittgenstein… …   Deutsch Wikipedia

  • Margarete Stonborough-Wittgenstein — Margarethe Stonborough Wittgenstein (auch Margaret) (* 19. September 1882 in Neuwaldegg, heute Stadt Wien; † 27. September 1958 in Wien) war die jüngste Tochter des Stahlmagnaten Karl Wittgenstein, Schwester des Philosophen Ludwig Wittgenstein… …   Deutsch Wikipedia

  • Margarethe Stonborough-Wittgenstein — (auch Margaret) (* 19. September 1882 in Neuwaldegg, heute Stadt Wien; † 27. September 1958 in Wien) war die jüngste Tochter des Stahlmagnaten Karl Wittgenstein, Schwester des Philosophen Ludwig Wittgenstein und des Pianisten Paul Wittgenstein… …   Deutsch Wikipedia

  • Paul Wittgenstein (Philosoph) — Paul Wittgenstein (* 1907 in Wien; † 13. November 1979 Linz) war ein österreichischer Schriftsteller, Philosoph, Mathematiker und galt als Exzentriker. Mit der Erzählung Wittgensteins Neffe – Eine Freundschaft von Thomas Bernhard ist er in die… …   Deutsch Wikipedia

  • Sayn-Wittgenstein — Territorium im Heiligen Römischen Reich Grafschaft Wittgenstein Grafschaft / Fürstentum Sayn Wittgenstein Wappen …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”