Karl Wittgenstein

Karl Wittgenstein
Karl Wittgenstein, 1908

Karl Wittgenstein (* 8. April 1847 in Gohlis; † 20. Januar 1913 in Wien) gehörte zu den erfolgreichsten Unternehmern der späten Donaumonarchie, war ein charakteristischer Vertreter der sogenannten „Gründerzeitgeneration“ und der Vater des Philosophen Ludwig Wittgenstein.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Herkunft

Karl stammte aus einer früh assimilierten deutsch-jüdischen Familie, deren Wurzeln in der deutschen Kleinstadt Laasphe in Wittgenstein (Wittgensteiner Land) liegen. Sein Großvater war der Gutsverwalter Moses Meyer gewesen, der für die Grafen von Sayn-Wittgenstein-Hohenstein gearbeitet hatte. Er zog vor 1803 nach Korbach, wo er einen Wollgroßhandel betrieb.

Infolge der napoleonischen Bestrebung nach Gleichheit vor dem Gesetz wurde für alle Juden im Königreich Westphalen 1808 angeordnet, binnen drei Monaten einen Nachnamen anzunehmen. Moses Meyer nannte sich nun Moses Meyer-Wittgenstein nach seiner Geburtsgegend oder seinen Arbeitsgebern.[1]

Der Wollgroßhandel des Moses Meyer-Wittgenstein wurde zum größten Unternehmen in der Stadt Korbach, später ging es wieder abwärts. Moses hatte einen Sohn, Hermann Christian (* 12. September 1802 in Korbach; † 1878 in Wien), der das Geschäft gegen Ende der 1830er Jahre nach Gohlis bei Leipzig verlegte und dort weiterführte.

Nach Hermann Christians Übertritt zum protestantischen Glauben heiratete er 1839 in Gohlis Fanny Figdor (* 7. April 1814 in Kittsee; † 21. Oktober 1890 im Wiener Bezirk Hietzing), Tochter einer bedeutenden jüdischen Familie Wiens, die ebenfalls noch vor der Eheschließung zum protestantischen Glauben konvertierte.

Kindheit und Jugend

1847 kam Karl als sechstes von elf Kindern des Heinrich Christian Wittgenstein in Gohlis zur Welt. Drei Jahre später zog die Familie nach Vösendorf (Bezirk Mödling) in Österreich, dort kamen seine vier jüngsten Geschwister zur Welt. Die Familie zog 1860 nach Wien, wo der Vater im Immobilienhandel arbeitete.

Mit elf Jahren versuchte Karl Wittgenstein das erste Mal, von zu Hause davonzulaufen, mit siebzehn verließ er nach einer Androhung einer Verweisung das Gymnasium: Er hatte in einem Aufsatz die Unsterblichkeit der Seele bezweifelt. Ein Jahr später, 1865 lief er tatsächlich von zu Hause fort: mit einem Pass, den er in Wien einem verarmten Studenten abgekauft hatte, reiste er nach Amerika, wobei er nur eine Geige als einzigen Besitz dabei gehabt haben soll. In New York verdingte er sich als Kellner und Barmusikant, als Lehrer für Mathematik, Deutsch, Latein, Griechisch sowie Musik, Violine und Horn und schließlich als Steuermann auf einem Kanalboot. Fast ein Jahr ließ er die Familie ohne Nachricht und erst zwei Jahre später kehrte er zu ihr nach Wien zurück.

Aufstieg

In Wien brach Karl Wittgenstein nach nur einem Jahr ein Ingenieurstudium an der Technischen Universität ab. Es folgten mehrere kurze Zwischenstationen in unterschiedlichen Berufen an verschiedenen Orten in Österreich-Ungarn. Erst durch Vermittlung und Förderung durch Paul Kupelwieser (Bruder von Wittgensteins Schwager Karl Kupelwieser), begann Wittgenstein seine steile Karriere in der Eisen- und Stahlindustrie als technischer Zeichner bei den „Teplitzer Walzwerken“ in Böhmen. Bereits 1876 wurde Wittgenstein in den Direktionsrat gewählt und 1877 zum Direktor bestellt. Nur wenige Jahre später war er auch deren Hauptaktionär. Unter Wittgensteins Führung übernahmen die Teplitzer Walzwerke 1884 dann die „Böhmische Montangesellschaft“.

1886 brachte Karl Wittgenstein die Teplitzer Walzwerke im Austausch für Aktien in die „Prager Eisenindustrie-Gesellschaft“ ein und begründete damit das erste österreichische Eisenkartell. 1887 Kauf der „St. Egydyer Eisen- und Stahl-Industrie-Gesellschaft“; 1890 konzentrierte er die obersteirische Sensenindustrie mit den „Vereinigten Sensenwerken“ in Judenburg. 1889 gründete Karl Wittgenstein schließlich in Kladno die „Poldihütte“ als privates Unternehmen. Er benannte die Firma nach seiner Frau Leopoldine.

Als erster Unternehmer in der Donaumonarchie betrieb Karl Wittgenstein in den von ihm beherrschten Firmen eine konsequente Modernisierung der Produktionstechnik und eine Rationalisierung der Betriebabläufe. Den sozialen Folgen seines Handelns schenkte er keine besondere Beachtung. Daher wurde er bald - mit einem durchaus kritischen Unterton - als „Amerikaner in Österreich“ bezeichnet. Außerdem betrieb Wittgenstein eine Politik der „Vertikalen Integration“. Das heißt, er bemühte sich den gesamten Produktionsprozeß der Eisen- und Stahlgewinnung in die Hand zu bekommen, angefangen von Kohle- und Eisenerzgruben, über die Eisen- und Stahlwerke bis hin zur Weiterverarbeitung und Vertrieb derselben. Sogar Banken zur Finanzierung seiner Vorhaben und Siedlungsgesellschaften zur Errichtung von Arbeiterwohnungen zählten schließlich zu Wittgensteins Einflussbereich.

Höhepunkt und Rückzug

Den Höhepunkt seines Einflusses erreichte Karl Wittgenstein 1897 mit dem Erwerb der Aktienmehrheit an der „Österreichisch-Alpine Montangesellschaft“, in der er, wie bereits zuvor in anderen Unternehmen, konsequent Produktionsabläufe auf Effizienz trimmte und überzählige Werke schloss. Dies rief heftige Proteste sowohl bei den von Wittgensteins Maßnahmen betroffenen Arbeitern, als auch bei Wittgensteins Kunden hervor, die sich von dessen Eisenkartell preislich zunehmend übervorteilt sahen. Schließlich war sogar die Regierung Österreich-Ungarns genötigt, offiziell die Geschäftspraktiken Wittgensteins zu untersuchen.

Angesichts des Aufruhrs, zog sich Karl Wittgenstein 1898 - erst 52 Jahre alt - von all seinen Posten zurück und unternahm mit seiner Frau eine Weltreise. Außerdem verkaufte er seinen gesamten Industriebesitz[Anm. 1]. Den Erlös transferierte er in die Schweiz, nach Holland und in die USA und investierte ihn dort in Immobilien, Aktien und Anleihen. Daher überstand sein gewaltiges Vermögen sowohl den Ersten und den Zweiten Weltkrieg, als auch die Weltwirtschaftskrise. Während der dem Ersten Weltkrieg nachfolgenden Hyperinflation konnte das Vermögen durch eine geschickte Anlagepolitik sogar noch beträchtlich vergrößert werden.

Familie

Karl heiratete 1873 Leopoldine Kallmus (* 14. März 1850 in Wien), eine begabte Pianistin, die aus einer Prager jüdischen Familie stammte. Das Paar zog für ein Jahr nach Teplitz, dann in eine Villa im Wiener Bezirk Meidling. Danach bezog die Familie das Palais Wittgenstein, welches 1871-73 von Friedrich Schachner in der Alleegasse (heute Argentinierstraße) erbaut wodern war. Das 1905/06 in Hohenberg als Um- und Ausbau fertiggestellte Land- bzw. Jagdhaus (Hochreith)[2] der Familie sowie die beiden 1900 im Ortsverband errichteten Häuser, Forstamt sowie Forsthaus[Anm. 2],[3] wurden von Josef Hoffmann („Wiener Werkstätte“) geplant und eingerichtet[2].[4]

Karl und Leopoldine Wittgensteins Kinder waren:

  • Hermine (* 1. Dezember 1874 in Teplitz; † 16. Februar 1950 in Wien), unverheiratet
  • Dora (*† 1876 in Wien), bei der Geburt verstorben
  • Hans (* 1877 in Wien; † 1902 in Chesapeake Bay, USA vermutl. Selbstmord)
  • Kurt (* 1878 in Wien; † November 1918? Selbstmord)
  • Helene (* 1879 in Wien; † 7. April 1956), verheiratet mit Dr. Max Salzer, Ministerialbeamter
  • Rudolf (* 1881 in Wien; † 1904 Selbstmord)
  • Margherita/Margaret Anna Maria (* 19. September 1882 in Neuwaldegg; † 1958 in Wien), 1904 verheiratet mit Jerome Stonborough daher heute als Margarethe Stonborough-Wittgenstein bekannt, ab 1923 getrennt
  • Paul Wittgenstein (* 11. Mai 1887 in Wien; † 3. März 1961 in New York) verlor aufgrund einer schweren Kriegsverletzung 1914 seinen rechten Arm, doch durch seine unerschütterlichen Energie wurde er der berühmteste einarmige Pianist der Geschichte
  • Ludwig Josef Johann Wittgenstein (* 26. April 1889 in Wien; † 29. April 1951 in Cambridge), Philosoph

Wie in seinen Firmen, so agierte Karl Wittgenstein auch im familiären Umfeld in der Art eines autoritären Patriarchen, der seine Kinder konsequent überforderte und demütigte, was die schwerwiegenden psychischen Probleme vor allem seiner männlichen Nachkommen mit bedingt haben dürfte.

Anders als andere erfolgreiche Unternehmer und Bankiers jüdischer Herkunft lehnte Karl Wittgenstein die Erhebung in den Adelsstand ab. Er war ein Wittgenstein, wollte keiner der gewöhnlichen „Ringstraßenbarone“ werden. Auch kokettierte er mit einer vielleicht illegitimen Abkunft aus deutscher Hocharistokratie - aus den fürstlichen Geschlechtern der Waldeck-Pyrmont oder Sayn-Wittgenstein. Ein altes Wiener Scherzwort unterschied jedenfalls die „Wittgenstein-Haben“ von den „Wittgenstein-Sein“.

Mäzenatentum

Karl Wittgenstein war ein wichtiger und großzügiger Mäzen und Förderer der zeitgenössischen Kunst, unter anderem hat er maßgeblich zum Bau der Wiener Secession beigetragen, und er war auch ein Förderer der zeitgenössischen Künstler, besonders der Wiener Secessionisten. Musiker, wie zum Beispiel Johannes Brahms, Gustav Mahler, Bruno Walter oder Pablo Casals waren im Palais Wittgenstein häufig zu Gast. [5]

Krankheit und Tod

Um 1909 wurde bei Wittgenstein eine Neubildung am Gaumen festgestellt. Im Rahmen der von Emil Theodor Kocher in Bern vorgenommenen Behandlung folgten zwölf schwere Operationen – die letztlich eine Wiederkehr des Leidens nicht zu verhindern vermochten. [5]

Sommer und Herbst 1912 verbrachte Wittgenstein in seinem Landhaus Hochreith. Am 25. Dezember des Jahres kehrte er von einem Aufenthalt an der französischen Riviera nach Wien zurück, wo er sein Krankenzimmer nicht mehr verließ. [5]

Am 22. Jänner 1913 fand in der Lutherischen Stadtkirche die Einsegnung statt, gefolgt auf dem Wiener Zentralfriedhof von der Beisetzung in der Familiengruft. [6]

Siehe auch

Literatur

  • Jorn K. Bramann: Karl Wittgenstein – ein Amerikaner in Wien. In: Rudolf Morsey (Hrsg.), Jürgen Aretz (Hrsg.): Zeitgeschichte in Lebensbildern, Band 2. Verlag Aschendorff, Münster 1975, ISBN 3-7867-0521-6.
  • Franz Klingler: 650 Jahre Hohenberg. Markt- und Pfarrgemeinde Hohenberg, Hohenberg 1975. [7]

Einzelnachweise

  1. Bartley, William Warren. Wittgenstein. Open Court, 1994. Seiten 199–200.
  2. a b Denkmal des Monats. September 2002. In: bundesdenkmalamt.at, 21. Dezember 2010.
  3. Der Architekt. Wiener Monatshefte für Bauwesen und decorative Kunst. Band 7.1901. Anton Schroll, Wien 1901, Permalink Österreichischer Bibliothekenverbund, S. Hauptteil, S. 26, Bildteil, Tafel 47. – Seite 26 online, Tafel 47 online. (ANNO).
  4. Josef Hoffmann. In: architektenlexikon.at, 19. November 2008.
  5. a b c Karl Wittgenstein als Kunstfreund. In: Neue Freie Presse, Morgenblatt, 21. Jänner 1913, S. 11, Mitte rechts. (Online bei ANNO)Vorlage:ANNO/Wartung/nfp
  6. Heute mittag entschlief (…) Karl Wittgenstein (…). In: Neue Freie Presse, Morgenblatt, 21. Jänner 1913, S. 25 (Online bei ANNO)Vorlage:ANNO/Wartung/nfp, sowie
    Kleine Chronik. (…) Karl Wittgenstein. In: Neue Freie Presse, Morgenblatt, 23. Jänner 1913, S. 8 Mitte. (Online bei ANNO)Vorlage:ANNO/Wartung/nfp
  7. Permalink Österreichischer Bibliothekenverbund.

Anmerkungen

  1. Erwarb jedoch 1899 von der Böhler AG deren Waldbesitz im Ausmaß von 5.000 Hektar. – Klingler: Hohenberg, S. 84.
  2. Während des Zweiten Weltkriegs als Lazarett genutzt. – Klingler: Hohenberg, S. 158.

Weblinks


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