- Bezugspflege
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Bezugspflege beschreibt eine ganzheitlich orientierte Vorgehensweise innerhalb der Arbeitsorganisation der Kranken- und Altenpflege, bei der die Zuordnung einer Pflegekraft zu einer bestimmten Gruppe Pflegebedürftiger den Arbeitsablauf innerhalb einer Pflegeeinheit strukturiert. Wesentliches Prinzip der Bezugspflege ist die dezentrale und am Pflegeprozess orientierte Delegation der Verantwortung für alle pflegerischen Tätigkeiten an eine bestimmte examinierte Pflegekraft, der sogenannten Bezugspflegekraft. Dies umfasst ebenfalls die patientenbezogenen Administration und die Arbeitsorganistation zugeordneter Pflegehilfskräfte, Auszubildender und anderer Hilfskräfte sowie die zeitweise Übergabe an die Funktionspflege benachbarter Fachbereiche der Diagnose oder Therapie.
Die Bezugspflege ist im Gegensatz zur tätigkeitsorientierten Funktionspflege oder dem System der zeitlichen Verantwortlichkeit für eine Schicht, die als Bereichspflege oder Gruppenpflege bezeichnet wird, ein an den Patienten orientiertes und auf den Pflegeprozess ausgerichtetes Pflegesystem und wird im englischen als Primary Nursing (engl. für Primärpflege) bezeichnet.
Inhaltsverzeichnis
Prozessorientierung
Bei der Bezugspflege werden alle grund- und behandlungspflegerischen Maßnahmen, die für einen Pflegebedürftigen oder eine bestimmte Gruppe zu Pflegender durchgeführt werden, einer bestimmten Pflegekraft übertragen, die alle Pflegeprozesse und deren Dokumentation eigenverantwortlich plant und diese weitgehend übernimmt. Einzelne Aufgaben können hierbei von der Bezugspflegekraft an zugeordnetes Hilfspersonal wie Pflegehelfer oder Zivildienstleistende delegiert werden , ebenso können Auszubildende mit Pflegemaßnahmen betraut werden.
Einteilung und Zuordnung
Die Zuteilung einer Gruppe von Pflegebedürftigen zu einer Bezugspflegekraft muss zunächst nach der erwarteten durchschnittlichen Leistungsdauer pro Patient und Schicht erfolgen. Die Zuordnung kann weiter sowohl räumliche Kriterien, beispielsweise einen Flurabschnitt, ein Stockwerk (Bereichspflege) oder einige bestimmte Zimmer (Zimmerpflege), aber auch ausgewählte pflegerische Kriterien berücksichtigen. Dies können zum Beispiel die Anforderungen der Empfänger der Dienste in einer bestimmten Pflegestufe oder einer bestimmten Erkrankung wie Diabetes mellitus oder Demenz sein, die je nach Zeitbedarf und Schwierigkeitsgrad der Pflege und Aus- und Fortbildungsstand des Pflegenden einer entsprechend qualifizierten Pflegekraft zugeordnet werden können (Gruppenpflege).
Vorteile
Die Vorteile der Bezugspflege liegen außer in der Dezentralisation und der damit verbundenen Selbststeuerung durch die leistenden Pflegekräfte vor allem in der Eigenverantwortlichkeit des Pflegenden für die Zeiteinteilung. Die bessere Unterstützung der Pflegetätigkeit wird außerdem durch einen steten Informationsfluss zwischen der anhaltend zugeordneten Pflegekraft und dem jeweiligen Pflegebedürftigen erreicht. Hierdurch wird die somatische, aber auch die psychosoziale Pflegeanamnese erleichtert und die Durchsetzung der Pflegeplanung erreicht eine höhere Bedürfnisorientierung (Outcome).
Der Prozesskreis der Planung der eigenen Pflegedurchführung wie auch der Durchsetzung von Leistungen anderer Pflegepersonen und der Evaluation ist geschlossen. Die Pflegedokumentation wird durch die Bindung an die Bezugsperson mit dem direkten Informationsfluss und die Kenntnis aller zusammenhängenden Pflegeprozesse bei der Bezugsperson erleichtert.
Die examinierten Pflegekräfte haben in diesem System ihrem Wissenstand angemessene Entscheidungs- und Handlungsspielräume, die allgemeine Motivation und die erreichte Zufriedenheit ist gegenüber dem Bereichspflegesystem höher. Die Aufgabenlast der Stations- und Schichtleitungen im Bereich der Administration und Koordination verlagert sich zum größten Teil auf die Bezugspflegekräfte. Häufig ist der Zeitaufwand für die Koordination geringer als in der Bereichspflege, Pflegehandlungen an einzelnen Patienten und Bewohnern können besser strukturiert werden, Wegezeiten und ablaufbedingte Wartezeiten nehmen ab. Für die Pflegebedürftigen ergibt sich aus der Bezugspflege ein erleichterter Kontakt zur Pflegekraft und der Aufbau eines Vertrauensverhältnisses wird gefördert. Die Tagesstruktur kann innerhalb des Bezugspflegesystems einfacher an die individuellen Bedürfnisse des Einzelnen (Arbeitszeitmodell) angepasst werden.
Gegenüber der auf spezielle Leistungen ausgerichteten Funktionspflege ist die im Arbeitsablauf erreichte Spezialisierung geringer und die individuelle Bezugsdauer erheblich höher. Daher bietet sich die Bezugspflege nicht für die speziellen Funktionsbereiche der Diagnose und Therapie mit besonderen Qualifikationsanforderungen an.
Nachteile
Jenseits der Bezugsperson steigt der Koordinationsbedarf und es bleiben die Informationsübergänge zu anderen Mitarbeitern der Funktionspflege wie bisher erforderlich. Gleichzeitig wird mittelbar eine Hierarchie der Bezugspfleger und der im selben Bereich eingesetzten, aber ansonsten bezugslosen Hilfskräfte eingeführt. Die gegenseitige Unterstützung darf nicht an der Zuordnung der Bezugspersonen scheitern.
Für die Pflegekräfte kann die zum Teil sehr intensive Auseinandersetzung mit Bewohnern oder Patienten, insbesondere in Bereichen mit hoher psychischer Belastung wie beispielsweise im Umgang mit psychisch oder dementiell Erkrankten zu Überforderung oder dem sogenannten Burn-out-Syndrom führen. Ein entsprechender Ausgleich dieser Belastung wie auch der faktischen Unterstellung der Hilfskräfte muss im Führungskonzept berücksichtigt werden.
In der Bezugspflege muss der Informationsfluss zwischen den Mitarbeitern organisiert sein. Um alle Pflegekräfte über die einzelnen Pflegebedürftigen zu informieren, muss insbesondere mit entsprechenden Übergabezeiten zum Schichtwechsel gerechnet werden. Der notwendige Anteil an examinierten Pflegekräften ist nicht notwendigerweise höher, jedoch können einzelne isolierte Aufgaben nur bedingt aus dem Pflegeprozess losgelöst und delegiert werden, dann weist die Bezugspflege einen höheren Personalkostenanteil auf als in tätigkeitsorientierter Pflege.
Für die Bewohner oder Patienten sind Personalwechsel, der Austausch oder das Fehlen der zugeordneten Bezugspflegepersonen weiterhin schwer zu verstehen und anzunehmen.
Wegen der nach individuellen Patienten- oder Bewohnerbedürfnissen differenzierten Pflegeplanung dauert die Einarbeitung neuer Mitarbeiter länger als bei rein tätigkeitsorientierter Pflege.
Literatur
- Michael Ammende: Handbuch für die Stations- und Funktionsleitung: Neue Herausforderungen als Chance für die Praxis. Georg Thieme Verlag, 2003, Seite 21-50, ISBN 3131250321
- Michael Brater, Anna Maurus: Das schlanke Heim: Lean Management in der stationären Altenpflege, Vincentz Network GmbH & Co KG, 1999, Seite 77-130, ISBN 3878706111
- Thomas Elkeles, Barbara Bromberger, Hans Mausbach, Klaus-Dieter Thomann: Arbeitsorganisation in der Krankenpflege: Zur Kritik der Funktionspflege, Mabuse-Verlag, 1990, ISBN 3925499415
- Liliane Juchli, Ursula Geißner, Edith Kellnhauser, Martina Gümmer, Susanne Schewior-Popp, Franz Sitzmann: Thiemes Pflege, Georg Thieme Verlag, Seite 79-80, ISBN 3135000109
- Rüdiger Bauer, Günter Kreuzpaintner: Die Beziehungspflegeplanung in der Bezugspflege in Altenhilfeeinrichtungen. In: Die Schwester/Der Pfleger, Ausgabe 06/2005
- Hans-Joachim Schlettig, Ursula von der Heide: Bezugspflege. Springer Verlag, Berlin, 2000, ISBN 3540639632
Weblinks
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