Bilanzselbstmord

Bilanzselbstmord

Als einen Bilanzsuizid bezeichnet man einen freiverantwortlichen Suizid, der auf der rationalen Abwägung der Lebensumstände beruht (vergleiche Bilanz).

Inhaltsverzeichnis

Unterschied zu anderen Suizidformen

Ein Bilanzsuizid wird in aller Regel gründlich geplant und vorbereitet. Insbesondere stellt der Suizidant sicher, dass er möglichst spät aufgefunden wird und in der ersten Zeit nicht vermisst wird. Dadurch soll das Gelingen sichergestellt und verhindert werden, dass Dritte helfend einschreiten. Anders als ein (nicht ernsthafter) Suizidversuch hat ein Bilanzsuizid nicht die Zielsetzung, auf die verzweifelte Situation aufmerksam zu machen und einen Hilferuf abzugeben, sondern soll ganz bewusst dem Leben und dem darin wahrgenommenen Leiden ein Ende setzen. Häufig wird er bei schweren, als unheilbar diagnostizierten Krankheiten verübt, um dem erwarteten eigenen Leiden zu entgehen oder das empfundene Leiden abzukürzen. Dabei stützt sich der Suizidant wahrscheinlich häufig mehr auf den von ihm selbst prognostizierten Verlauf der Erkrankung als auf die medizinische Prognose. Auch massive soziale oder wirtschaftliche Belastungen können Ursache eines Bilanzsuizides sein. Die statistisch abgeleitete Wahrscheinlichkeit für einen Bilanzsuizid ergibt sich aus der SAD-PERSON-Scale. Die Eignung dieses Verfahrens für eine individuelle Prognose ist allerdings fraglich.

Der Begriff des Bilanzsuizides ist aus den Lehrbüchern der Psychiatrie seit den 1970er Jahren kontinuierlich verschwunden. Mangels empirischer Basis wird die Möglichkeit des Menschen, sich frei für den eigenen Tod zu entscheiden und diesen zugleich auch selbständig zu vollziehen, von Psychiatern in der Zwischenzeit abgelehnt. Bilanzsuizide existieren offensichtlich nur im individuellen Empfinden von Suizidenten im Sinne einer subjektiv als negativ empfundenen Lebensbilanz (Dörner 1993, Eser 1976, Etzersdorfer 1994, Klie / Student 2007, Frankl 1982).

Rechtliche Anmerkungen

Die Einstufung als Bilanzsuizid kann bei der Frage der Strafbarkeit eines Teilnehmers, insbesondere eines Gehilfen, eine Rolle spielen. Die Unterstützung eines Lebensmüden ist in Deutschland nicht strafbar, wenn dieser frei von Irrtümern und Zwängen handelt und selbst das Geschehen bestimmt. Der Grund hierfür ist, dass das deutsche Strafrecht als Voraussetzung der Beihilfe eine rechtswidrige Haupttat vorsieht. Die Tötung eines Menschen ist jedoch nur rechtswidrig (strafbar), wenn es sich um einen anderen handelt (siehe Totschlag). Ein Suizidversuch ist daher nie zu bestrafen.

Bei einem Bilanzsuizid kann jedoch zumindest vermutet werden, dass der Suizidant seine Lage insgesamt zutreffend erkannt und abgeschätzt und ernstlich die Beendigung seines Lebens gewählt hat. Hat der Helfer dann nur einen untergeordneten Beitrag zur Tötung geleistet und nicht die Fäden in der Hand gehalten, macht er sich nicht strafbar.

Garantenstellung

Etwas anderes kann sich jedoch ergeben, wenn der Helfer eine Garantenstellung innehat, wie etwa der betreuende Arzt in einer psychiatrischen Abteilung. Wenn ein Dritter mit Garantenstellung lediglich untätig bleibt (Unterlassen), macht er sich in jedem Fall strafbar. Umstritten ist, ob dieses Ergebnis auch bestehen bleiben kann, wenn der Dritte die Tat als Gehilfe durch sein Unterlassen fördert, da sogar die aktive Beihilfe zur eigenverantwortlichen Selbsttötung straflos ist.

Die Situation kompliziert sich weiter, wenn eine so genannte Patientenverfügung vorliegt.

Literatur

  • Klaus Dörner: Suizid – Schnittpunkt des Rechts zu leben und des Rechts zu sterben, in: Eckhard Frick; Thomas Giernalczyk: Suizidalität. Deutungsmuster und Praxisansätze, Regensburg 1993, S. 1 – 10
  • Albin Eser: Erscheinungsformen von Suizid und Euthanasie – Ein Typisierungsversuch, in: Albin Eser (Hg.): Suizid und Euthanasie als human- und sozialwissenschaftliches Problem, Stuttgart 1976, S. 4 – 11
  • Thomas Klie, Johann-Christoph Student: Sterben in Würde. Auswege aus dem Dilemma der Sterbehilfe. Herder, Freiburg i. Br. 2007
  • Viktor Emil Frankl: Ärztliche Seelsorge. Grundlagen der Logotherapie und Existenzanalyse, Wien, 10. Auflage, 1982
Bitte beachte den Hinweis zu Rechtsthemen!

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