Böhmisch-Rixdorf

Böhmisch-Rixdorf
Erinnerungstafel

Böhmisch-Rixdorf, heute auch Böhmisches Dorf genannt, tschechisch Český Rixdorf, war eine kleine, im Jahre 1737 gegründete Gemeinde protestantischer Flüchtlinge aus Böhmen in Berlin. Zusammen mit dem benachbarten Deutsch-Rixdorf ging aus ihr der heutige Ortsteil Neukölln im gleichnamigen Bezirk hervor.

Inhaltsverzeichnis

Lage

Böhmisch- und Deutsch-Rixdorf 1857: [1] heutige Richardstraße, [2] heutiger Richardplatz, [3] heutige Karl-Marx-Straße

Böhmisch-Rixdorf lag an der heutigen Richardstraße und der heutigen Kirchgasse in Neukölln. Direkt südlich schloss sich Deutsch-Rixdorf mit seinem Dorfanger, dem heutigen Richardplatz, an.

Geschichte

Nach der Schlacht am Weißen Berg von 1620 kam es in Böhmen zu einer Rekatholisierung, die dazu führte, dass in den folgenden Jahrzehnten immer mehr Protestanten das Land verließen. 1722 entstand unweit des Sitzes von Nikolaus Ludwig von Zinzendorf in Berthelsdorf in der Oberlausitz die Gemeinde Herrnhut (tschechisch: Ochranov),[1] etwas später eine andere in der Nähe von Potsdam (Nova Ves, heute Potsdam-Babelsberg). Ab 1737 siedelten sich die Flüchtlinge (350 im Jahre 1737) auf Anregung und Einladung von Friedrich Wilhelm I. auch auf dem Gebiet von Rixdorf an, wo sich bereits seit 1360 die Gemeinde Richardsdorp befand, die in Deutsch-Rixdorf und Böhmisch-Rixdorf geteilt wurde. Beide Gemeinden erhielten ihre eigene Verwaltung.[2] Im Jahre 1805 hatte Böhmisch-Rixdorf 319 und Deutsch-Rixdorf 376 Einwohner.[3]

Bericht über den Brand von 1849 am Haus in der Richardstraße 80

Am 28. April 1849 erfasste ein Feuersturm beide Dörfer, bei dem von den damals 135 Häusern Deutsch-Rixdorfs und den 56 Häusern Böhmisch-Rixdorfs insgesamt 52 Häuser niederbrannten.[4] Der Wiederaufbau war 1853 abgeschlossen, dabei wurde allerdings die ursprüngliche Architektur nicht immer erhalten. Eine Ausnahme ist das Gebäude Richardstraße 80 (heute Sitz der Deutschen Comenius-Gesellschaft e.V.).[5] In den Folgejahren setzte ein deutliches Bevölkerungswachstum ein; im Jahr 1858 hatte Böhmisch-Rixdorf bereits 1014 und Deutsch-Rixdorf 2823 Einwohner.[6]

Am 1. Januar 1874 erfolgte die Vereinigung Rixdorfs, am 1. April 1899 erhielt Rixdorf das Stadtrecht,[7] am 27. Januar 1912 erfolgte mit Zustimmung von Kaiser Wilhelm II. an dessen 53. Geburtstag die Umbenennung in „Neukölln“[8] und acht Jahre später am 1. Oktober 1920 wurde der Stadtkreis Neukölln zusammen mit den Nachbargemeinden Britz, Buckow und Rudow im Rahmen des Groß-Berlin-Gesetzes als 14. Verwaltungsbezirk (Neukölln) nach Groß-Berlin eingemeindet.

Das gesamte Gebäudeensemble des früheren Böhmisch-Rixdorf steht heute als Böhmisches Dorf unter Denkmalschutz und gilt als bedeutendes Kulturdenkmal.

Die Entwicklung und Struktur der Gemeinde, Sprache

Straßenschild mit Hinweis auf den alten Namen der Kirchgasse:
Mala ulicka (Enge Gasse)

Die Flüchtlinge aus Böhmen waren in der Landwirtschaft, vor allem aber als Handwerker tätig. Sie begriffen sich als Nachkommen der im Jahre 1457 in Böhmen gegründeten Kirche der Böhmischen Brüder. In Rixdorf entstanden innerhalb kurzer Zeit insgesamt drei evangelische Kirchengemeinden, die bis heute existieren:[9]

  • Evangelisch-reformierte Bethlehemsgemeinde
  • Evangelisch-böhmisch-lutherische Bethlehemsgemeinde
  • Evangelische (Herrnhuter) Brüdergemeine, ursprünglich gegründet 1727 in Herrnhut/Ochranow durch den Grafen Zinzendorf

Die Siedler benutzten sehr lange Zeit ihre tschechische Muttersprache. Auch die Aufzeichnungen des Pfarramtes sowie die Inschriften auf Gräbern waren zuerst in Tschechisch gehalten; die Pfarramtaufzeichnungen wurden ab 1798 in Deutsch gehalten, die Grabsteine waren von 1780 bis 1820 zweisprachig, danach nur noch deutsch,[10] die Veranstaltungen der Brüdergemeine wurden bis kurz vor dem Ersten Weltkrieg noch auf Tschechisch gehalten.[11]

Tschechische Namen hatten auch einige Gassen, am längsten die Mala ulicka (Enge Gasse), die erst seit 1909 Kirchgasse heißt. Man geht davon aus, dass die letzten Siedler, die noch Tschechisch sprachen bzw. verstanden, in den 1970er Jahren verstarben.

Sehenswürdigkeiten

Haus Kirchgasse 5
Bethlehemskirche
250 Jahre der Ansiedelung,
Briefmarke 1987
  • Zu den am besten erhaltenen historischen Gebäuden von Böhmisch-Rixdorf gehört das Haus Kirchgasse 5. Eingeweiht wurde es am 14. November 1753 als eine Schule; der Unterricht lief hier bis 1909. Am Giebel sieht man deutlich einen Kelch, der verdeutlichen soll, dass sich zwischen 1754 und 1761 hier der erste Gebetssaal der Brüdergemeine befand. In zwei Räumen befindet sich hier heute ein kleines Museum.[12] Es ist zugleich das älteste erhaltene Schulgebäude des Bezirks Neukölln.
  • Der Böhmische Gottesacker liegt zwischen dem heutigen Karl-Marx-Platz und der Kirchhofstraße. Er wurde 1751 wegen einer für die damalige Zeit ungewöhnlich hohe Anzahl von Todesfällen (136 Personen in den Jahren 1737 bis 1751 alleine) angelegt.[10] Der Friedhof wird bis heute von allen drei kirchlichen Gemeinden gemeinsam benutzt, es handelt sich um den zweitältesten noch benutzten Friedhof in Berlin.
  • Die Rixdorfer Schmiede, die sich mitten auf dem Richardplatz befindet, wurde zuerst 1624 erwähnt. Sie gehörte ursprünglich einem Schmied aus Berlin, der einmal in der Woche hierher fuhr. 1797 wurde hier ein Schmied ansässig, dessen Nachkommen die Schmiede über 150 Jahre führten. Sie ist bis heute in Betrieb, wenngleich vorwiegend im künstlerischen und Restaurierungsbereich; im ehemaligen Wohnhaus des Schmieds befindet sich heute der „Frauentreffpunkt Schmiede“. Die Schmiede nimmt jährlich am traditionellen Alt-Rixdorfer Weihnachtsmarkt teil.[13]
  • Die Bethlehemskirche auf dem Richardplatz, im allgemeinen auch „Rixdorfer Dorfkirche“ genannt, stammt aus dem Jahre 1481. Im 16. Jahrhundert wurde sie bei einem Brand bis auf die Außenmauern zerstört. Nach 1737 wurde die Kirche wieder aufgebaut und bis heute durch die Lutheraner benutzt (Evangelisch-böhmisch-lutherische Bethlehemsgemeinde). Der ein- bis zweimal monatlich stattfindende Gottesdienst wird in deutsch gehalten, verwendet jedoch die alte Liturgie. Die Kirche ist bekannt für ihre gute Akustik und es finden Konzerte in ihr statt. Die Kirchengemeinde ist im sozialen Bereich tätig.
  • Der Comenius-Garten an der Richardstraße wurde am 11. Juni 1995 in Anwesenheit der Oberbürgermeister von Berlin und Prag eröffnet. Seine Architektur soll an die pädagogischen und philosophischen Vorstellungen von Johann Amos Comenius anknüpfen; auf etwa 7000 m² erinnert er symbolisch auch an die Geschichte und Tätigkeit der böhmischen Gemeinde.[14] Bei der Eröffnung wurde auch die Partnerschaft beider Städte - Berlin und Prag - besiegelt. Auf dem Gelände des Comenius-Gartens in der Richardstraße 35 stand bis 1971 die sogenannte „Richardsburg“, eine Mietskaserne mit fünf Hinterhöfen. Sie war ein historisches Monument für die „Arbeitervorstadt“ Rixdorf/Neukölln und Ort lokalgeschichtlich wichtiger Auseinandersetzungen bis Anfang der 1970er-Jahre.

Literatur

  • Richard Schneider: Neukölln – Ein Bezirk von Berlin, Nicolaische Verlagsbuchhandlung 1993
  • Johannes Wanzlik: Der Böhmische Gottesacker am Neuköllner Karl-Marx-Platz; Wichern-Verlag, Berlin 1989
  • Hans-Jürgen Rach: Böhmen in der Mark – Von böhmischen Exulanten in der Mark. In: Die Mark Brandenburg, Heft 75, Berlin 2009 ISBN 978-3-910134-11-9

Weblinks

 Commons: Böhmisch-Rixdorf – Album mit Bildern und/oder Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Ochranov a obnovená Jednota bratrská (Ochranow und die wiedergegründete Kirche der Böhmischen Brüder), tschechisch
  2. Quartiersmanagement Richardplatz Süd
  3. Richard Schneider: Neukölln – Ein Bezirk von Berlin, Nicolaische Verlagsbuchhandlung 1993
  4. Bezirksamt Neukölln (Hrsg.), Berlin Neukölln, Berlin 1973
  5. Historische Wege in Rixdorf. In: Berliner Morgenpost vom 20. November 2004
  6. Das Böhmische Dorf in Berlin Neukölln (Böhmisch-Rixdorf), boehmisches-dorf.de, aufgerufen am 29. Juli 2009
  7. Berlin und seine Wappen, aufgerufen am 29. Juli 2009
  8. Wie aus Rixdorf Neukölln wurde. In: Berliner Morgenpost vom 7. Oktober 2008, aufgerufen am 29. Juli 2009
  9. „Das Böhmische Dorf in Berlin – Neukölln. Ein kulturgeschichtliches Phänomen“; Lydie Holinková
  10. a b Johannes Wanzlik: Der Böhmische Gottesacker am Neuköllner Karl-Marx-Platz; Wichern-Verlag, Berlin 1989.
  11. Manfred Motel, Böhmisches Dorf in Berlin-Neukölln, in Werner Korthaase (Hrsg.), Das Böhmische Dorf in Berlin-Neukölln 1737–1987. Dem Kelch zuliebe Exulant, Berlin 1987, S. 21
  12. „Museum im Böhmischen Dorf“, siehe auch die Homepage des Museums
  13. Karl Bankmann (www.denkmalbild.de), Aushang an der Schmiede (vom April 2007); siehe auch die Homepage der Schmiede
  14. Homepage des Comenius-Gartens
52.47394913.44389434

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