Akt ohne Worte II

Akt ohne Worte II
Daten des Dramas
Titel: Akt ohne Worte II
Originaltitel: Acte sans paroles II
Originalsprache: französisch
Autor: Samuel Beckett
Erscheinungsjahr: 1959
Ort der Uraufführung: Oxford, Calderon Press Institute
Personen
  • A
  • B

Akt ohne Worte II (Acte sans parole II) ist ein pantomimisches Kurzstück des irischen Schriftstellers Samuel Beckett, seine zweite Pantomime (nach Akt ohne Worte I). Wie viele seiner Werke schrieb Beckett das Stück ursprünglich auf französisch und übersetzte es danach selbst ins Englische. In den späten 50er Jahren geschrieben,[1] wurde das Stück zuerst am Calderon Press Institute in Oxford unter der Regie von John McGrath aufgeführt. Der Erstdruck erfolgte in New Departures 1 im Sommer 1959.[2]

Inhaltsverzeichnis

Handlung

Regieanweisungen von Beckett[3]

Zwei Säcke und ein kleines Häufchen zusammengelegter Kleider liegen auf einer niedrigen, „grell beleuchteten“ ("violently lit") [4] Plattform im Hintergrund der Bühne. In jedem Sack ist ein Mann verborgen: A rechts, B links.

Ein spitzer Stachel ("goad") dringt von rechts ins Blickfeld, sticht in den Sack von A, weckt ihn für seine tägliche Routine auf, und verschwindet wieder. Nachdem A einen zweiten Stich erhalten hat, schlüpft er schließlich aus seinem Sack heraus. Er ist langsam und linkisch. Er nimmt Pillen, betet, beißt ein Stück von einer Möhre ab und „spuckt es angewidert aus“.[5] „Er ist ein Trübsalbläser, ein hypochondrischer Träumer, vielleicht ein Poet.“[6] Seine Haupttätigkeit besteht darin, den noch vollen Sack wegzutragen und wieder in seinen eigenen Sack zu kriechen, sodass nun der Sack von B den Stichen des Stachels ausgesetzt ist.

Der Stachel erscheint wieder, diesmal wird ein Rad sichtbar, auf dem der Stachel geführt wird. Der Stachel sticht in den anderen Sack und verschwindet ebenso wie vorher. B kriecht aus seinem Sack. Er ist präzise, effizient und eifrig. Es benötigt nur einen Stich, um ihn aufzuwecken. Die Sachen, die vermutlich er zusammengefaltet hatte, liegen nun verstreut - ein klarer Beweis, dass noch jemand da sein muss. Aber er reagiert in keiner Weise darauf, sondern macht sich einfach an die Arbeit. Er weiß sich anzuziehen und achtet auf seine Kleidung. Er achtet auch mehr auf sich selbst als A (er putzt sich die Zähne und macht Frühsport), ist besser organisiert (er sieht insgesamt 11 Mal auf die Uhr, und zieht Karte und Kompass zu Rate, bevor er sich daran macht, die Säcke zu verschieben), dennoch ist seine Arbeitsschicht ebenso sinnlos. Beckett Regieanweisung verlangt, dass B seine Routine rascher ausführen soll, sodass er, obwohl er mehr zu tun hat als A, ungefähr die gleiche Zeit dafür benötigt wie dieser. Nachdem er die Säcke bewegt hat, zieht er sich aus und legt seine Kleidung, anstatt sie auf einen Haufen zu werfen, zu einem Stapel zusammen, bevor er wieder in seinen Sack zurückkriecht. Wieder erscheint der Stachel (so weit, dass nun ein zweites Rad sichtbar wird) und weckt A. Wieder werden dazu zwei Stiche benötigt. A beginnt, seine vorherige Pantomime noch einmal zu spielen, wird diesmal aber vom Blackout unterbrochen, mit dem das kurze Stück endet.

Das Spektrum der ersten Kritiken reichte von „verwirrt bis ablehnend“[7]. In den USA erging es dem Stück nicht viel besser, auch wenn Beckett an Thomas MacGreevy schrieb: „Niemals hatte ich so gute Besprechungen.“[8] Der Regisseur Alan Schneider glaubte, „Kritiker scheinen nicht das kommentieren zu können, was vor ihnen ist, ohne sich auf die älteren Stücke zu beziehen und ihre früheren Reaktionen zu rationalisieren.“[9]

Interpretation

Persephone überwacht Sisyphos in der Unterwelt. Attische schwarzfigurige Amphore, ca. 530 BC, Staatliche Antikensammlungen (Inv. 1494)

„Das Stück beginnt erst dann zu sprechen, wenn die mechanischen Figuren auf irgendeine Weise vermenschlicht werden. Wenn es Trost gibt, dann deswegen, weil die Menschen ihre zwar nichtige und immer gleiche Mühsal doch immerhin miteinander teilen, selbst wenn sie keinen direkten Umgang miteinander haben.“[10] Die beiden Männer arbeiten zusammen daran, sich der wie auch immer gearteten externen oder elementaren Macht zu entziehen, die sich hinter dem Stachel verbirgt und mit immer mehr Rädern dagegen arbeitet. Es erscheint logisch, dass A und B irgendwann in sicherer Entfernung außerhalb der Reichweite des Stachels sein werden, aber was dann? Werden sie ohne den Stachel, der sie antreibt, in ihren Säcken zusammengekauert sitzen bleiben? Ist das der Tod?

Eugene Webb nimmt eine andere Perspektive ein. Er denkt, dass „der Stachel den inneren Zwang des Menschen nach Tätigkeit darstellt. Wenn der Mensch sich auf nichts mehr außerhalb seiner selbst verlassen kann, gibt es dann noch etwas, das ihm den Wert seines Hoffens und Vertrauens beweist? Was Akt ohne Worte II darüber zu sagen hat, ist: dass der Mensch von einer zwanghaften Kraft angetrieben wird, die ihm niemals erlaubt, sich lange in Inaktivität zurückzuziehen.”[11]

Der Namenlose endet mit dem berühmten Satzpaar: „Ich kann nicht weitermachen, ich werde weitermachen.“ (“I can’t go on, I’ll go on.”)[12] Der Stachel stellt dar, was zwischen diesen beiden Sätzen passiert. Es gibt einige Gemeinsamkeit zwischen den Figuren A und B und den Hauptfiguren in Becketts Warten auf Godot, Vladimir und Estragon, die ihr Leben auf ganz gleiche Weise verbringen, die sich mit gegenstandlosen Aufgaben beschäftigen, um sich abzulenken und die Zeit totzuschlagen, und es dabei dennoch niemals zu irgendetwas von Bedeutung bringen. So gesehen, ist B mehr wie ein Geschäftsmann, „eine Art Pozzo [aus Warten auf Godot] […] auf groteske Weise effizient, ein Workaholic, ein gesunder Irrer.“ [13] Sie präsentieren ein „zusammengesetztes Bild des Menschen“[14]: B ist selbstständig und voll Eigeninitiative, A zieht es vor, an einen externen Gott zu glauben.

Akt ohne Worte II zeigt, dass das Leben ausgehalten werden muss, wenn es nicht verstanden wird. Es gibt keine Triumphe, keine Auflösung […]. Es gibt keine Kontrolle des Prozesses“,[15] nicht das Erkennen des ‘größeren Zusammenhangs’. „Weder A noch B bemerkt, dass jeder von ihnen den jeweils anderen auf dem Rücken trägt (oder dass es überhaupt einen anderen gibt), […] sie nehmen ihre Last als selbstverständlich an“,[16] genau wie Molloy im gleichnamigen Roman Becketts. Die Handlung kann an einem oder zwei Tagen oder vielleicht an jedem Tag in ihrem Leben spielen. Die Bewegung nach links erinnert aber an „den Weg Dantes und Vergils im Inferno.“ [17]

„Beim Lesen von Der Mythos des Sisyphos von Albert Camus entdeckte Beckett ein Symbol für die Zwecklosigkeit, Frustration und Absurdität aller menschlichen Arbeit: Sisyphus - einer der großen Sünder der griechischen Mythologie - erlitt ewige Bestrafung, indem er ständig einen großen Stein auf die Spitze eines Hügels rollen musste, nur um zu sehen, dass er wieder herunterrollte. Geboren sein, um einen ewigen Kreislauf von Erwachen-Aktivität-Ruhen zu vollführen und zu ertragen, ohne dass irgendein Sinn stiftender Fortschritt dabei erreicht wird, das ist es, was A und B heimsucht.[18]

Verfilmungen

The Goad

1965 machte Paul Joyce einen rührenden Film des Stücks mit dem Titel The Goad („Der Sporn“) mit Freddy Jones und Geoffrey Hinscliff. Er wurde in einer limitierten Ausgabe (500 Stück) von Nothing Doing in London [No.1] (London: Anthony Barnett, 1966) veröffentlicht.

NBC-Verfilmung

NBC strahlte 1966 eine von Alan Schneider inszenierte Version von Akt ohne Worte II aus.

Beckett on Film

Im Projekt Beckett on Film („Beckett auf Film“) wurde das Stück als 20er-Jahre-Stummfilm in schwarz-weiß verfilmt.

Da Beckett angegeben hatte, dass „[d]iese Pantomime [...] auf einer niedrigen, [...] schmalen Plattform im Hintergrund der Bühne gespielt werden [sollte]“[5] (“the mime should be played on a low narrow platform at the back of [the] stage, violently lit in its entire length”[19]), entschied sich der Regisseur Enda Hughes dafür, das Stück auf einem Film einzurichten, der durch einen Filmprojektor läuft. Anstatt des Blacks, wird As Handlung dadurch abgebrochen, dass der Projektor ausgeschaltet wird. Die Handlung findet über drei Rahmen statt und erfüllt damit den „Fries-Effekt“[20], den Beckett anstrebte.

Einzelnachweise

  1. The Faber Companion to Samuel Beckett gibt an, dass das Werk 1958 geschrieben wurde, (S. 4), Eugene Webb in The Plays of Samuel Beckett sagt, es wäre 1959 gewesen (S. 86-90), wohingegen Deirdre Bair, in Samuel Beckett: A Biography (S. 500) angibt, dass er daran seit 1956 arbeitete
  2. Irish playwrights, 1880-1995: a research and production sourcebook. Greenwood Publishing Group 1997, ISBN 0313288054 (Zugriff am 20. Juni 2009)
  3. Nachzeichnung de Zeichnung auf Seite 211 von Samuel Beckett: The Complete Dramatic Works, Faber & Faber, 2006
  4. Beckett, S., Collected Shorter Plays of Samuel Beckett (London: Faber and Faber, 1984), p 49
  5. a b Samuel Beckett: Akt ohne Worte II, aus dem Französischen übersetzt von Elmar Tophoven. In: Samuel Beckett: Nacht und Träume. Gesammelte kurze Stücke, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2006, S.55-59
  6. Lamont, R. C., ‘To Speak the Words of “The Tribe”: The Wordlessness of Samuel Beckett’s Metaphysical Clowns’ in Burkman, K. H., (Ed.) Myth and Ritual in the Plays of Samuel Beckett (London and Toronto: Fairleigh Dickinson University Press, 1987), p 63: “He is a moper, a hypochondriacal dreamer, perhaps a poet.”
  7. Bair, D., Samuel Beckett: A Biography (London: Vintage, 1990), p. 545: “from puzzled to disapproving”
  8. Samuel Beckett, letter to Thomas McGreevy, 9th February 1960: “I have never had such good notices.”
  9. Bair, D., Samuel Beckett: A Biography (London: Vintage, 1990), p. 546: “Critics can’t seem to comment on what’s before them without dragging in the older plays and rationalising their previous reactions.”
  10. Ackerley, C. J. and Gontarski, S. E., (Eds.) The Faber Companion to Samuel Beckett, (London: Faber and Faber, 2006), p 4: “The play is compelling only if the mechanical figures are somehow humanised. If comfort exists it is because the plight of humanity if futile or repetitive is at least shared, even if no intercourse exists.”
  11. Webb, E., Two Mimes: Act Without Words I and Act Without Words II in The Plays of Samuel Beckett (Seattle, University of Washington Press, 1974), pp 86-90: “the goad, represent[s] man's inner compulsion to activity. If man cannot rely on anything outside himself, is there anything inside him, which might prove worthy of his hope and trust? What Act Without Words II has to say about this is that man is driven by a compulsive force that will never let him withdraw for long into inaction.”
  12. Beckett, Trilogy (London: Calder Publications, 1994), p. 418
  13. Lamont, R. C. 1987 p. 63: “a kind of Pozzo … grotesquely efficient, a workaholic, a health nut.”
  14. Webb, E. 1974 pp. 86-90: “a composite picture of man”
  15. Lamont, R. C. 1987 p. 57:“Act Without Words II shows that life must be endured, if not understood. There are no triumphs, no resolution … There is no control over the process”
  16. Lamont, R. C. 1987 p. 63: “[N]either A or B appears to realise that each one of them carries the other on his back [or that there even is an other] … they take their burden for granted.”
  17. Aus einem unveröffentlichten persönlichen Brief von Samuel Beckett an den polnischen Kritiker und Übersetzer Antoni Libera, zitiert nach Lamont, R. C., ‘To Speak the Words of “The Tribe”: The Wordlessness of Samuel Beckett’s Metaphysical Clowns’ in Burkman, K. H., (Ed.) Myth and Ritual in the Plays of Samuel Beckett (London and Toronto: Fairleigh Dickinson University Press, 1987), p. 70, n. 28: “the walk of Dante and Virgil in the Inferno.”
  18. Act Without Words 2 in Beckett on Film Project: “In his reading of Le mythe de Sisyphe by Albert Camus, Beckett discovered a symbol for the futility, frustration and absurdity of all man's labours. Sisyphus – one of classical mythology's great sinners – suffered eternal punishment, having to perpetually roll a great stone to the top of a hill, only to see it roll back down again. Being born to enact and endure [an] eternal cycle of arousal-activity-rest, without any meaningful progress being achieved, is the sin that afflicts A-B.
  19. Beckett, S. 1984 p 49:
  20. Beckett, S. 1984 p 49: “Frieze effect”

Weblinks


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