Kapillarlecksyndrom

Kapillarlecksyndrom
Klassifikation nach ICD-10
R60.1 Generalisiertes Ödem
R57.1 Hypovolämischer Schock
ICD-10 online (WHO-Version 2011)

Das Kapillarlecksyndrom, auch Clarkson-Syndrom genannt, ist eine sehr seltene schwerwiegende Erkrankung mit einem generalisierten Ödem. Es wird durch eine erhöhte Durchlässigkeit der Kapillargefäße verursacht, die ein Austreten von Plasma und Plasmaproteinen in das Interstitium zur Folge hat.

In der anglo-amerikanischen Fachliteratur wird das Kapillarlecksyndrom als capillary leakage syndrome (CLS) oder systemic capillary leak syndrome SCLS bezeichnet.

Inhaltsverzeichnis

Pathologie

Das Kapillarlecksyndrom ist durch Intervalle eines schweren hypovolämischen Schocks (Volumenmangelschock) mit generalisiertem Ödem, verbunden mit einer arteriellen Hypotonie mit Bluteindickung (Hämokonzentration) – bedingt durch den Verlust von Plasmawasser – und einer Hypalbuminämie (verminderte Konzentration des Plasmaproteins Albumin, hier bedingt durch das Übertreten in das Intersitium) ohne Albuminurie, gekennzeichnet.[1] Die Ursache für diese Symptome liegen in einer stark erhöhten Durchlässigkeit der Kapillarwände der Blutgefäße, wodurch es zu einem massiven Austritt von Plasma in das Interstitium kommt. Im Extravasat – das ist die ins Gewebe einströmende Flüssigkeit – sind Makromoleküle bis zu einer molaren Masse von 200 kDa, teilweise bis 900 kDa enthalten.[2]

Jedes Erkrankungsintervall besteht aus zwei Phasen:[2]

  • Die sogenannte initiale Phase ist gekennzeichnet durch Bauchschmerzen, Übelkeit, generalisiertes Ödem und arterieller Hypotonie (niedriger arterieller Blutdruck). Diese Symptome dauern etwa ein bis vier Tage an und können zu einem Herzkreislauf-Kollaps führen. Akute Niereninsuffizienz (akutes Nierenversagen) beziehungsweise Tubulusschäden können durch Hypovolämie (zu geringes Blutvolumen) und Rhabdomyolyse (Auflösung der quergestreiften Muskelfasern) entstehen.
  • In der zweiten Phase beginnt die extravasierte Flüssigkeit zu wandern. Die extreme intravakuläre Flüssigkeitsmenge führt zu einer Polyurie (stark erhöhte Urinausscheidung) und kann zu einem Lungenödem (Wasserlunge) führen.

Pathogenese

Der Pathomechanismus, der zum Kapillarlecksyndrom führt, ist noch weitgehend unklar. Für die erhöhte Durchlässigkeit der Kapillaren werden bestimmte Zytokine, wie beispielsweise Interleukin-2 (siehe auch: Vascular-Leak-Syndrom), Leukotriene oder die Apoptose (programmierter Zelltod) der Endothelzellen diskutiert.[2] 2010 wurde erstmals über einen Patienten mit einer eindeutigen familiären Vorbelastung berichtet, so dass es möglicherweise auch genetische Ursachen für die Erkrankung gibt.

Bei etwa 82 Prozent der Patienten liegt eine monoklonale Gammopathie, meist vom Subtyp IgG, vor. Einige Ärzte sind der Meinung, dass bereits die monoklonale Gammopathie pathogen sein, auch wenn kein Anzeichen einer Amyloidose, das heißt einer Anreicherung von abnorm veränderten Proteinen im Interstitium, vorliegt.[2]

Inzidenz

Das Kapillarlecksyndrom ist eine sehr seltene Erkrankung. Weltweit wurden bis 2002 nur 57 Fälle beschrieben.[3] Das Alter der Erkrankten lag zwischen 9 und 67 Jahren, der Mittelwert bei 46 Jahren. Männer waren genauso oft wie Frauen betroffen.[2] Bisher (Stand 2010) wurden vier Fälle bei Kindern beschrieben.[4]

Therapie

Aufgrund der sehr geringen Anzahl klinisch bekannter Fälle, gibt es keine Standardtherapie zur Behandlung des Kapillarlecksyndroms. Als prophylaktische Behandlungsmethoden wurden Terbutalin und Theophyllin[5] teilweise erfolgreich mit angewendet.[2] Die mehr chronische Form des Kapillarlecksyndroms ist offensichtlich mit Glucocorticoiden, wie beispielsweise Prednison, Diuretika, wie beispielsweise Furosemid, sowie mit Theophyllin gut behandelbar.[6][7]

Eine eventuell vorhandene monoklonale Gammopathie wird meist intensiv überwacht, da sich daraus ein multiples Myelom entwickeln kann.[2]

Prognose

Die Fünf-Jahres-Überlebensrate liegt bei etwa 25 %.[5][8][9]

Erstbeschreibung

Das Kapillarlecksyndrom wurde erstmals 1960 durch den US-Amerikaner B. Clarkson beschrieben. Es wird daher auch als Clarkson-Syndrom bezeichnet.[10]

Einzelnachweise

  1. M. Müller und A. Schmidt: 52-jährige Patientin mit rezidivierendem Schock unklarer Genese, Hämokonzentration und Hypalbuminämie. In: Der Internist 45, 2004, S. 587–591. doi:10.1007/s00108-004-1162-2
  2. a b c d e f g Kapillarlecksyndrom bei Orphanet (Datenbank für seltene Krankheiten)
  3. S. Kawabe u. a.: Systemic capillary leak syndrome. In: Intern Med 41, 2002, S. 211–215. PMID 11929183 (Review)
  4. J. Hollenberg, J. Frykman, L. G. Lundberg, S. Forsberg: A case report of systemic capillary leak syndrome (Clarkson's disease). In: Acta Anaesthesiol Scand 54, 2010, S. 649–652 PMID 20148770.
  5. a b N. K. Tahirkheli und P. R. Greipp: Treatment of the systemic capillary leak syndrome with terbutaline and theophylline, a case series. In: Ann Intern Med 130, 1999, S. 905–909. PMID 10375339
  6. L. Airaghi u. a.: Chronic systemic capillary leak syndrome. Report of a case and review of the literature. In: J Intern Med 247, 2000, S. 731–735. doi:10.2169/internalmedicine.46.6129 PMID 10886496 (Review)
  7. K. Keller u. a.: Chronic systemic capillary leak syndrome: a case responding to prednisolone treatment. In: Scand J Rheumatol 38, 2009, S. 400–401. PMID 19863213
  8. Z. Amoura u. a.: Systemic capillary leak syndrome: report on 13 patients with special focus on course and treatment. In: Am J Med 103, 1997, S. 514–519. PMID 9428835
  9. C. Vigneau u. a.: An unusual evolution of the systemic capillary leak syndrome. In: Nephrol Dial Transplant 17, 2002, S. 492–494. PMID 11865098
  10. B. Clarkson u. a.: Cyclical oedema and shock due to increased capillary permeability. In: Am J Med 29, 1960, S. 193–216. PMID 13693909

Weiterführende Literatur


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