Der Steuermann

Der Steuermann

Der Steuermann ist ein kleines Prosastück von Franz Kafka aus dem Jahr 1920.

Ein Erzähler wird als Steuermann von einem Eindringling verdrängt, ohne dass seine Mannschaft ihm zu Hilfe kommt.

Inhaltsverzeichnis

Entstehung

Im Herbst 1920, als Kafka sich von seiner Geliebten Milena Jesenska wieder löste [1] , entstand wie in einem produktiven Schub eine Reihe kurzer Prosastücke [2]. Zu nennen sind hier Das Stadtwappen, Poseidon, Nachts, Gemeinschaft, Unser Städtchen liegt... (auch zu finden unter "Die Abweisung"), Zur Frage der Gesetze, Die Truppenaushebung, Die Prüfung, Der Geier, Der Kreisel, Kleine Fabel und eben auch Der Steuermann.

Diese kleinen Werke mit ihrem inneren Zusammenhang hat Kafka nicht veröffentlicht, die Titel stammen weitgehend von Max Brod [3].

Inhalt

Der Erzähler fragt sich, ob er nicht Steuermann sei. Er stand in dunkler Nacht am Steuerrad, als ein anderer ihn zur Seite drängte. Der Erzähler reißt im Fallen das Steuerrad herum, aber der andere korrigiert dieses Fehlsteuern. Der Erzähler ruft nach der Mannschaft im Schiffsrumpf. Sie kommt herauf, hilft ihm aber nicht, ist vielmehr fasziniert von dem Eindringling, und zieht sich wieder in das Innere des Schiffs zurück.

Textanalyse

Der erste Satz „Bin ich nicht Steuermann?“ ist zweifach irritierend. Das Steuermannsein ist eine allgemeine Berufsbezeichnung, es geht hier aber doch darum, dass er „der“ Steuermann eines ganz konkreten Schiffes ist. Die Tatsache, dass er am Steuer gestanden war in der dunklen Nacht, ist doch real und hätte einleitend festgestellt werden müssen und nicht erst im dritten Satz. Er scheint sich seiner Funktion selbst nicht sicher. Den Eindringling beschreibt er eindrucksvoll. Dunkel, hochgewachsen, nicht aggressiv, tritt dieser dem Erzähler langsam den Fuß auf die Brust legend nieder. Das Missgeschick mit dem Steuerrad bringt er in Ordnung. Fast scheint er auch die Anerkennung des alten Steuermanns zu haben.

Der Erzähler hat nicht die Autorität, sich allein gegen den neuen Steuermann zu wehren und ruft nach seiner Mannschaft unten im Schiffsinnern. Diese „müden, mächtigen Gestalten“ nicken ihm zwar zu, aber haben nur Blicke für den Fremden und gehorchen dem auch sofort, als er sie wegschickt, da sie ihn stören. Man sieht hier genau den Unterschied. Der alte Steuermann erhofft von der Mannschaft Hilfe, der neue braucht sie ausdrücklich nicht, er will nicht gestört werden, man möchte fragen, wobei eigentlich. Nun, er will das Schiff alleine steuern, genau so, wie es der Erzähler vorher auch getan hat.

Der Erzähler ist resigniert und sieht in seiner Mannschaft nur ein sinnlos dahin schlurfendes Volk. Aber hatte er denn nicht als Steuermann Einfluss auf die Wahl der Mannschaft? Da er sie beim nächtlichen Lenken des Schiffes nicht brauchte, welchen Sinn hatte sie denn überhaupt? Seinem eigenen Versagen, seiner Unzulänglichkeit diesem mental überlegenen Anderem gegenüber, seiner Fehlleistung am Steuerrad, seinem mangelnder Einfluss auf seine Untergebenen stellt er sich gedanklich nicht.

Man könnte dieses Prosastück als Gleichnis über einen politischen Führer sehen, dem seine Anhängerschaft unter dem Einfluss eines neuen charismatischeren Konkurrenten entgleitet.

Bezug zum sonstigen Schaffen Kafkas

Unter Kafkas Figuren finden sich nur wenige, die in irgendeiner Form Lenkende oder Beherrschende sind. Und wenn doch, so scheitern sie.

Neben dem Steuermann gibt es in Der Jäger Gracchus eine solche Figur [4]. Durch eine Verlockung fehlgeleitet muss er in einen permanenten Zustand des Übergangs von Leben zum Tod verharren. Auch hier gibt es einen scheiternden Bootsmann, durch dessen Versagen der Jäger jegliche Herrschaft über seinen Todeskahn verloren. hat.

Zitat

  • Was ist das für ein Volk! Denken sie auch oder schlurfen sie nur sinnlos über die Erde?“

Ausgaben

  • Der Steuermann. Entstanden 1920. Erstveröffentlichung: Beschreibung eines Kampfes. Hrsg. von Max Brod, Prag 1936, S. 100 ff. (Titel von Max Brod).
  • Sämtliche Erzählungen. Herausgegeben von Paul Raabe, Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main und Hamburg 1970, ISBN 3-596-21078-X.
  • Die Erzählungen. Originalfassung. Hrsg. von Roger Hermes, Frankfurt/Main 1997, ISBN 3-596-13270-3.
  • Nachgelassene Schriften und Fragmente II. Hrsg. von Jost Schillemeit, Frankfurt/Main 1992, S. 324.

Sekundärliteratur

Einzelnachweis

  1. Alt 2005. ISBN 3-406-53441-4. S. 548.
  2. Unseld 1982. S. 194
  3. Alt 2005. S. 569.
  4. Alt 2005. S. 568

Weblinks


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