- Cassis-de-Dijon-Entscheidung
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Als Cassis-de-Dijon-Entscheidung wird das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 20. Februar 1979 in der Rechtssache 120/78, Rewe-Zentral AG ./. Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, bezeichnet. Das daraus abgeleitete Cassis-de-Dijon-Prinzip besagt generell, dass alle Produkte, die in einem EU-Mitgliedstaat vorschriftsgemäß hergestellt wurden, in allen anderen Mitgliedstaaten verkauft werden dürfen. Gemäß dem Urteil darf ein Mitgliedstaat die Warenverkehrsfreiheit in der EU nur aus ganz bestimmten, im öffentlichen Interesse stehenden Gründen einschränken: Insbesondere zur steuerlichen Kontrolle, zum Schutz der öffentlichen Gesundheit, zum Schutz der Lauterkeit des Handelsverkehrs und aus Gründen des Verbraucherschutzes.
Inhaltsverzeichnis
Sachverhalt
Die Kölner Handelsgruppe Rewe-Zentral AG importierte aus Dijon (Frankreich) einen Johannisbeer-Likör, einen so genannten Cassis, nach Deutschland, um diesen Likör in ihren Lebensmittelmärkten zu verkaufen. Die Bundesmonopolverwaltung für Branntwein verbot der Rewe jedoch den weiteren Import und Verkauf der Ware aus Frankreich, da der vermeintliche Likör mit seinem Alkoholgehalt von 16 bis 22 Vol.% nicht dem vom deutschen Branntweinmonopolgesetz geforderten Alkoholgehalt von 25 Vol.% für Liköre entsprach.
Rewe erhob daraufhin Klage gegen die Bundesmonopolverwaltung für Branntwein und machte unter anderem geltend, dass die deutsche Regelung als eine Maßnahme, die einer mengenmäßigen Einfuhrbeschränkung in der Wirkung gleich stehe, mit der Warenverkehrsfreiheit aus Artikel 34 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union unvereinbar sei. Das mit der Sache befasste Hessische Finanzgericht legte den Rechtsstreit daraufhin dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.
Entscheidung
Der EuGH hat festgestellt, dass Hemmnisse für den Handel zwischen den Mitgliedstaaten, die sich aus Unterschieden der nationalen Regelungen über die Vermarktung der betroffenen Produkte ergeben, grundsätzlich hingenommen werden müssen, sofern diese Regelungen notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen gerecht zu werden. Zwingende Erfordernisse in diesem Sinne hat der Gerichtshof dabei insbesondere in den Erfordernissen einer wirksamen steuerlichen Kontrolle, des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, der Lauterkeit des Handelsverkehrs und des Verbraucherschutzes gesehen.
Für die angegriffene Bestimmung des deutschen Branntweinmonopolgesetzes allerdings konnte der Gerichtshof solche zwingenden Erfordernisse nicht erkennen. Folgerichtig hat der Gerichtshof die deutsche Bestimmung für unvereinbar mit der europäischen Warenverkehrsfreiheit gehalten.
Bedeutung
Die Entscheidung beruht auf Art. 34 AEUV [vormals Art. 28 EGV (vormals Art. 30 EWGV)] und hat für die Auslegung dieser Bestimmung Maßstäbe gesetzt. Art. 34 AEUV regelt die sogenannte Warenverkehrsfreiheit und lautet wie folgt:
„Mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung sind zwischen den Mitgliedstaaten verboten.“
In der ebenfalls grundlegenden Dassonville-Entscheidung hatte der Gerichtshof den Begriff „Maßnahmen gleicher Wirkung“ bereits überaus weit ausgelegt und darunter jede Handelsregelung eines Mitgliedstaates gefasst,
„die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern“
– sogenannte Dassonville-Formel.
Die Cassis-de-Dijon-Entscheidung führt diese Rechtsprechung zunächst konsequent fort, indem sie erstmals auch eine Handelsregelung, die unterschiedslos für ausländische und inländische Produkte gilt, als Maßnahme gleicher Wirkung einstuft.
Gleichzeitig jedoch begrenzt die Entscheidung den Begriff der „Maßnahmen gleicher Wirkung“ – und nimmt insoweit die weit gehende Dassonville-Formel zurück – auf solche mitgliedstaatlichen Regelungen, die
„nicht notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen des Allgemeinwohls gerecht zu werden“
– sogenannte Cassis-Formel.
Neben der Dassonville-Entscheidung gehört das Cassis-de-Dijon-Urteil daher zu den grundlegenden, richtungsweisenden Entscheidungen des Gerichtshofs zur Auslegung der europäischen Warenverkehrsfreiheit. Grundsätzlich entspricht das Cassis-de-Dijon-Prinzip mit der implizierten gegenseitigen Anerkennung von im Ergebnis gleichwertigen, aber unterschiedlich ausgestalteten Regelungen einer Marktöffnung und liberalem Handeln.
Dem Cassis-de-Dijon-Urteil folgten noch weitere Urteile des EuGH gegen Verstöße im Zusammenhang mit dem freien Warenverkehr, so zum Beispiel das Bier-Urteil, welches es Deutschland verbietet, sich gegen den Import von Bieren aus der EG zu verschließen, die nicht dem deutschen Reinheitsgebot entsprechen.
Anwendung in der Schweiz
Um das Problem der hohen Konsumentenpreise in der Schweiz zu bekämpfen, machte Bundesrätin Doris Leuthard 2006 den Vorschlag, das Cassis-de-Dijon-Prinzip auch für den Warenimport in die Schweiz anzuwenden. Dadurch würden im EU-Raum zugelassene Produkte automatisch auch in der Schweiz zugelassen und somit Handelshemmnisse abgebaut. Damit soll das Preisniveau in der Schweiz gesenkt werden, das rund 20 Prozent höher ist als im angrenzenden Ausland.[1]
Der Bundesrat wollte allerdings zuerst ausloten, welche Auswirkungen ein Freihandelsvertrag mit der EU auf den Bundeshaushalt hat. Vorgesehen sind flankierende Maßnahmen, womit die Auswirkungen der Liberalisierung abgefedert werden sollen. Darunter fallen Ausstiegshilfen und Ausgleichszahlungen an die Landwirte. Ende Juni 2008 präsentierte Bundesrätin Doris Leuthard die Botschaft ans Parlament zur Revision des Bundesgesetzes über die technischen Handelshemmnisse. Wenn Produkte in der EU zugelassen sind, sollen sie künftig auch in der Schweiz frei vermarktet werden dürfen. Es sind nur 19 Ausnahmen vorgesehen. Nach Einführung des Cassis-de-Dijon-Prinzips wären nur noch 19 statt 52 Prozent der Importe von Marktzugangsbeschränkungen behindert. Der Bundesrat rechnet mit jährlichen Einsparungen von 2 Milliarden Franken. Diese Maßnahme wird jedoch kritisiert, da die Einsparungen letztendlich zu einer Verringerung der Produktion im Inland führen würden, was im Endeffekt die Einsparungen zu Lasten der Arbeitslosenkassen und verringerten Steuereinnahmen verschiebt.[2]
Am 29. April 2009 beschloss der Nationalrat mit 95 zu 73 Stimmen die vom Bundesrat vorgeschlagene einseitige Übernahme des Cassis-de-Dijon-Prinzips durch die Schweiz, d.h., die Zulassung der Einfuhr von Produkten nach europäischen Standards in die Schweiz und die Zulassung dieser Standards für die Produktion in der Schweiz. Mehrheitlich mit Ja stimmten die Sozialdemokraten, die CVP und die Freisinnig-Liberalen, die damit argumentierten, dass das Gesetz die Kaufkraft stärke und die Schweizer Wirtschaft entlaste. Dagegen waren die Grünen und die SVP, die damit argumentierten, dass die Weltprodukte die Schweizer Produkte vom Markt treiben würden und dass damit Produkte in der Schweiz erlaubt wären, die unter schlechten Zuständen produziert würden.[3][4] Ein angekündigtes Referendum der Bauern, der Grünen und der SVP[5] kam nicht zustande, da sie nicht die benötigten 50.000 Unterschriften sammeln konnten.[6] Das Gesetz zur Erleichterung von EU-Importen in die Schweiz trat daher am 1. Juli 2010 in Kraft.[7][8]
Ein Jahr später berichteten die Medien, dass das Cassis-de-Dijon-Prinzip die in es gesteckten Erwartungen bisher nicht erfüllt habe. Der Schweizer Binnenmarkt habe sich nicht verändert, und insbesondere im Lebensmittelbereich habe das Prinzip keine Auswirkungen gezeigt.[9]
Quellen
Einzelnachweise
- ↑ swissinfo.ch: Tiefere Preise dank weniger Handelshemmnissen, vom 29. November 2006
- ↑ news.ch: Bundesrat will Cassis-de-Dijon-Prinzip, vom 26. Juni 2008
- ↑ swissinfo.ch: Auch Nationalrat für Cassis-de-Dijon-Prinzip, 29. April 2009
- ↑ drs.ch: Grünes Licht für Cassis-de-Dijon-Prinzip, vom 29. April 2009
- ↑ nachrichten.ch: Bauern bringen Referendum gegen Cassis-de-Dijon-Prinzip, vom 23. Juni 2009
- ↑ nzz.ch: Referendum gegen Cassis-de-Dijon gescheitert, vom 1. Oktober 2009
- ↑ nzz.ch: Erleichterte EU-Importe, vom 20. Mai 2010.
- ↑ SECO: Rechtliche Grundlagen zur Anwendung des Cassis-de-Dijon-Prinzips in der Schweiz
- ↑ David Vonplon: Cassis-de-Dijon hat kaum etwas gebracht, Der Bund vom 7. Mai 2011
Literatur
- Thomas Cottier, Rachel Liechti-Mc Kee (Hrsg.): Die Schweiz und Europa. Wirtschaftliche Integration und institutionelle Abstinenz. vdf Hochschulverlag, Zürich 2009, ISBN 978-3-7281-3185-0 (S. 275f)
Siehe auch
Weblinks
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