Jürgen Borchert (Sozialrichter)

Jürgen Borchert (Sozialrichter)

Jürgen Borchert (* 1949 in Gießen) ist ein deutscher Sozialrichter und Politikberater. Er ist Vorsitzender Richter des 6. Senats des Hessischen Landessozialgerichts in Darmstadt.[1]

Inhaltsverzeichnis

Leben

Borchert studierte Jura, Soziologie und Politologie in Freiburg, Genf und Berlin. Er legte 1974 und 1978 sein 1. und 2. Staatsexamen ab[2] und promovierte 1981.[3] In seiner Dissertation entwickelte er Leitlinien für ein familiengerechtes Rentensystem.[1]

Von 1978 bis 1983 arbeitete er als wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Arbeits- und Sozialrecht des Fachbereichs Rechtswissenschaft an der Freien Universität Berlin und am Fachbereich Informatik der Universität Bremen. Nach seiner 1980 erfolgten Zulassung als Rechtsanwalt nahm er 1983 eine Stellung in der hessischen Sozialgerichtsbarkeit an und wurde 1986 Richter am Hessischen Landessozialgericht. Er führte unter Anderem für den Bundestagsausschuss für Arbeit und Sozialordnung, für die Bundestagsfraktion der Grünen sowie für die Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU Lehraufträge durch. Borchert ist Gründungsmitglied der Neuen Richtervereinigung.[2]

2002 erarbeitete er für den damaligen Ministerpräsident von Hessen Roland Koch, ein familienpolitisches Konzept.[3] In seinem „Wiesbadener Entwurf“ von 2002 kritisierte Borchert, dass Lasten und Nutzen bezüglich der Kinder ungleich verteilt seien. Es finde eine Privatisierung der Kinderlasten statt, bei eine gleichzeitiger Sozialisierung des Nutzens, der durch Kinder entsteht. Das belaste Gering- und Durchschnittsverdienerfamilien unverhältnismäßig stark.[4] Borchert ist einer der Autoren des Kinderreport 2007.

Borchert war an drei die Familienpolitik maßgeblich prägenden Urteilen beteiligt. In den mündlichen Verhandlungen zum „Trümmerfrauenurteil“ 1992 und „Pflegeurteil“ 2001 wurde er vom Bundesverfassungsgericht als Sachverständigen gehört.[5] Im Herbst 2008 rief der 6. Senat des hessischen Landessozialgerichts, dessen Vorsitzender Richter Borchert ist, das Bundesverfassungsgericht wegen verfassungsrechtlicher Bedenken zur Überprüfung der Hartz-IV-Regelsätze an. Das Bundesverfassungsgericht folgte 2010 diesem Urteil.[1]

Borchert hat mehrere Veröffentlichungen zur Familienpolitik und zur Reform des Sozialstaats verfasst. Er sieht vor allem bezüglich der durch die Rentenreform von 1957 und den damit verbundenen Generationenvertrag einen Bedarf zur Reform, insbesondere für die Rentenversicherung und die Pflegeversicherung.[6]

Nach Borcherts Auffassung findet eine Transferausbeutung von Familien statt, die behoben und durch eine Gleichbehandlung im Abgabesystem ersetzt werden müsse. Borchert plädiert für den Abzug des Unterhalts der Kinder von der Bemessungsgrundlage in der Sozialversicherung, die Rückzahlung der indirekten Steuerbelastung beim Kindesunterhalt durch eine Form des Kindergeldes sowie eine Berücksichtigung der Kinder bei der Einkommenssteuer mit den Durchschnittkosten anstatt mit dem Existenzminimum.[7]

Borchert hat auf Bundes- wie Landesebene mehrere Parteien – die SPD, die Grünen, CDU, CSU, FDP und Die Linke – politisch beraten.[5] Des Weiteren ist er Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von Attac [8] und Gründungsmitglied des Instituts Solidarische Moderne.

Borchert setzt sich außerdem für das, vom Verein Familien e. V. gegründete, Familiennetzwerk ein; ein familienpolitisch, christlich-konservativer Interessenverband der sich gegen außerfamiliäre Kinderbetreuung engagiert.[9]

Ehrung

Borchert erhielt im Mai 2011 den Regine-Hildebrandt-Preis für Solidarität. [10]

Literatur

  • Jürgen Borchert: Renten vor dem Absturz. Ist der Sozialstaat am Ende?, Fischer Taschenbuch Verlag, 1993, ISBN 3596116244
  • Jürgen Borchert: Innenweltzerstörung. Sozialreform in die Katastrophe, Fischer Taschenbuch Verlag, 1991, ISBN 3596242967
  • Ernst-Jürgen Borchert: Die Berücksichtigung familiärer Kindererziehung im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung: Ein Beitrag zur Rentenreform, Duncker & Humblot, 1981, ISBN 3428048873
  • Jürgen Borchert: Die Zusammenarbeit des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) mit dem sowjetischen KGB in den 70er und 80er Jahren, Lit Verlag, 2006, ISBN 3825898121

Weblinks

Artikel von Jürgen Borchert
Interviews mit, und Artikel über, Jürgen Borchert

Einzelnachweise

  1. a b c Dorothea Siems: Die Mission des Jürgen Borchert. Welt Online, 10. Februar 2010, abgerufen am 4. März 2010.
  2. a b http://www.europarl.europa.eu/document/activities/cont/200906/20090605ATT56761/20090605ATT56761DE.pdf
  3. a b Rainer Hein: Ein Darmstädter Jurist, der Sozialgeschichte schreibt. FAZ.net, 14. Februar 2010, abgerufen am 4. März 2010.
  4. Jürgen Borchert: Der “Wiesbadener Entwurf” einer familienpolitischen Strukturreform des Sozialstaats, in: Hessische Staatskanzlei (Hrsg.): Zukunftsmotor Hessen. Muss die Familienpolitik neue Wege gehen? Der „Wiesbadener Entwurf“ von Dr. Jürgen Borchert für die Landesregierung, 2002. Zitiert nach Margherita Zander: Kinderarmut und Verteilung der Erziehungsarbeit, S. 181-192, in Bernhard Emunds u. a.: Die Zwei-Verdiener-Familie: von der Familienförderung zur Kinderförderung?, LIT Verlag, 2003, S. 181-182
  5. a b Abschnitt zu Jürgen Borchert, im Forum Familie Nr. 56. Familienbund der Katholiken, Diözesanverband Freiburg, Juni 2009, abgerufen am 7. März 2010 (PDF)., S. 3
  6. Michael Klundt: Von der sozialen zur Generationengerechtigkeit?: Polarisierte Lebenslagen und ihre Deutung in Wissenschaft, Politik und Medien, VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2008, ISBN 978-3-531-15665-1, S. 248
  7. Podiumsdiskussion bei den Bistumstagen fragte „Platzt der Generationenvertrag?“
  8. http://www.attac-netzwerk.de/das-netzwerk/wissenschaftlicher-beirat/mitglieder/ Mitglieder Wissenschaftlicher Beirat Attac (Stand Dezember 2009)
  9. Website des Familiennetzwerk
  10. Total sozial

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