Kraftloserklärung

Kraftloserklärung

Die Kraftloserklärung (auch Amortisation oder Kassation) ist das Feststellen der Ungültigkeit einer Urkunde oder eines anderen Gegenstandes durch eine dazu befugte Institution, häufig ein Gericht. Sie steht üblicherweise am Ende eines Aufgebotsverfahrens. Dessen Ausgestaltung regelt jeder Staat gesetzlich.

Inhaltsverzeichnis

Beispiele und Anlass

Ein Anlass zu einer Kraftloserklärung liegt bei einem Papieren vor, das dem Berechtigten abhanden gekommen, von ihm versehentlich vernichtet oder nicht mehr auffindbar ist. Mit der Kraftloserklärung können die in der Urkunde angegebenen Rechte vom Berechtigten auch ohne Vorlage dieser Urkunde geltend gemacht werden oder, was der Regelfall ist, die Ausstellung einer neuen Urkunde beantragt werden.

Zu solchen Urkunden zählen namentlich effektive Stücke von Wertpapieren (etwa Aktien oder Schuldverschreibungen). Daneben könne auch unauffindbare Spar(kassen)bücher, Versicherungsscheine, Erbscheine, Grundschuldbriefe oder ähnlich wertvolle Urkunden Gegenstand einer Kraftloserklärung sein. Im Zusammenhang mit ihr können Entgelte und Auslagenersatz anfallen.

Zu den Gegenständen, die ohne Aufgebotsverfahren wegen Verlustes oder Unauffindbarkeit für kraftlos erklärt werden, zählen vor allem amtliche Siegel.[1] Verlorene Dienstausweise werden ebenfalls für ungültig erklärt.[2]

Hintergrund

Ein in einem Papier verbrieftes Recht erlischt nicht mit dem Verlust oder der Vernichtung der Urkunde. Der Berechtigte hat jedoch Schwierigkeiten, seinen Anspruch darzulegen. Eine abhanden gekommene Urkunde birgt zudem die Gefahr, dass sich ein unberechtigter Inhaber Vorteile verschaffen könnte und beispielsweise durch Einlösung der Urkunde an Geld kommt. Dem kann durch eine Kraftloserklärung vorgebeugt werden. Mit ihr zerfällt die bisherige Einheit von Recht und Papier. Die vorherige Urkunde verliert, sollte sie später auftauchen, ihre Legitimationswirkung. Ein gutgläubiger Erwerb der in ihr genannten Rechte scheidet nach einer Kraftloserklärung aus.

Regelungen in einzelnen Staaten

Deutschland

Hauptartikel: Aufgebotsverfahren

In Deutschland sind Kraftloserklärungen in erster Linie den Gerichten anvertraut. Aufgebote für die Kraftloserklärung von Urkunden regelt das seit 1. September 2009 geltende Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) in den §§ 466ff. FamFG. Das Gericht fasst nach Ablauf der Aufgebotsfrist einen Ausschließungsbeschluss (§ 478) und erklärt das nicht vorhandene Schriftstück für kraftlos. Der Antragsteller wird dadurch gegenüber dem durch die Urkunde Verpflichteten berechtigt, Rechte aus der Urkunde geltend zu machen.

An das Gericht muss sich unter Umständen auch jemand wenden, dessen Versicherungsschein verschwunden ist. Der Versicherungsnehmer kann vom Versicherer nach § 3 Abs. 3 VVG bei abhanden gekommenem oder vernichtetem Papier die Ausstellung einer Ersatzurkunde verlangen. Unterliegt der Versicherungsschein einer Kraftloserklärung, so ist der Versicherer erst nach dessen Kraftloserklärung zur Ausstellung verpflichtet.

In wenigen Spezialfällen existieren weitere Institutionen, die vom Bundes- oder Landesgesetzgeber mit entsprechenden Befugnissen ausgestattet worden sind. Dies gilt etwa für die Sparkassen, die gemäß Landesrecht Sparkassenbücher für kraftlos erklären dürfen. Wenn der etwaige Inhaber eines abhanden gekommenen oder in Verlust geratenen Sparkassenbuches während der Aufgebotsfrist keine Ansprüche unter Vorlage der Urkunde geltend macht, beschließt der Vorstand über die Ungültigkeit.[3] Die Entscheidung wird bei für kraftlos erklärten Sparkassenbüchern im Mitteilungsblatt des Instituts bekanntgemacht.[4]

Das Aktiengesetz ermächtigt in § 73 AktG den Vorstand der Aktiengesellschaft unrichtig gewordene Aktien mit gerichtlicher Genehmigung für kraftlos zu erklären. Eine zweite Situation ist die Durchführung der Herabsetzung des Grundkapitals, wenn Aktien durch Umtausch, Abstempelung oder durch ein ähnliches Verfahren zusammengelegt werden. Nach § 226 AktG droht die Kraftloserklärung jenen Aktionären, die trotz Aufforderung ihre Aktien nicht vorlegen.

Schließlich hat in Fällen der Wertpapierbereinigung der deutsche Gesetzgeber das Mittel der Kraftloserklärung selbst angewandt, so im

  • Gesetz über die Ablösung öffentlicher Anleihen vom 16. Juli 1925 (RGBl. I 1925, S. 137)
  • Gesetz zur Bereinigung des Wertpapierwesens vom 19. August 1949 (WiGBl., S. 295) mit Wirkung ab 1. Oktober 1949
  • Art. 11 des Gesetzes über die Entschädigung nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen und über staatliche Ausgleichsleistungen für Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage (Entschädigungs- und Ausgleichsgesetz - EALG) vom 27. September 1994 (BGBl. I S. 2624).

Österreich

In Österreich gilt das Kraftloserklärungsgesetz vom 1951 (BGBl. 86/1951) für Wertpapiere und ähnliche Urkunden. Bei der Sicherheitsbehörde seines Aufenthalts- oder Verlustortes muss der Berechtigte zum einen die Bekanntmachung des Verlustes beantragen. Zum anderen ist das zuständige Landes- oder Kreisgericht einzuschalten, das das Aufgebotsverfahren per Edikt (sogenanntes Ediktverfahren) veranlasst.[5]

Ein Bundesgesetz zur Wertpapierbereinigung datiert vom 7. Juli 1954, sieht aber im Gegensatz zum deutschen Pendant keine generelle sondern eine punktuelle Kraftloserklärung vor.[6]

Schweiz

Das Schweizerische Zivilgesetzbuch enthält allgemeine Bestimmungen über die Kraftloserklärung von Wertpapieren im Obligationenrecht in Art. 971Vorlage:Art./Wartung/ch-Suche und Art. 972Vorlage:Art./Wartung/ch-Suche ZGB. Zur Kraftloserklärung von Inhaberpapieren gelten beispielsweise die Regelungen in Art. 981 ff. Zivilgesetzbuch. Für Pfandtitel und Zinskupons ist Art. 870Vorlage:Art./Wartung/ch-Suche ZGB einschlägig.

Geschichte

Kraftloserklärungen sind schon in früheren Zeiten vorgenommen worden. So existiert in den Wiener Stadtbüchern eine öffentliche Bekanntmachung vom 1. März 1404, dass Urkunden, die das verlorengegangene Siegel des Stadtschreibers Ulrich Herwart tragen, nach Fristablauf ungültig sind.[7] Weiter ist eine erteilte Bestätigung des Herzogs Leopold IV. vom 28. April 1409 zu nennen, dass ein verlorengegangenes Siegel der Brüder Konrad und Wolfgang Potinger, das auf Geldbriefen angebracht worden war, nach deren Fristablauf seine Wirkung verliere.[8]

Die Kraftloserklärung ist seit jeher ein hoheitlicher Akt. Welche Machtfülle sich dahinter verbergen kann, erweist sich am Beispiel des Staates Oman auf der arabischen Halbinsel. Dessen Sultan kann jederzeit die dortige Verfassung für kraftlos erklären.

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Siehe Beispiel im Amtsblatt für Frankfurt am Main, Nummer 27 vom 5. Juli 2011, Seite 752 (pdf-Datei)
  2. Siehe Beispiel im Amtsblatt für den Regierungsbezirk Köln, Nummer 18 vom 2. Mai 2011, Seite 130 (pdf-Datei)
  3. Finanzlexikon.de: Sparbuch
  4. Siehe Beispiel von Kraftloserklärungen der Sparkasse Uckermark im Amtsblatt für den Landkreis Uckermark vom 7. Juni 2005, abgefragt am 30. Juli 2011
  5. Österreichische Nationalbank: Kraftloserklärung, abgefragt am 30. Juli 2011
  6. Michael Gruber, Michael Tüchler: Rechtsfragen der Entziehung, Bereinigung und Rückstellung von Wertpapieren, Seite 85 ff. ISBN 978-3-486-56808-0, abgefragt am 2. August 2011
  7. Wilhelm Brauneder, Gerhard Jaritz, Christian Neschwara (Herausgeber): Die Wiener Stadtbücher 1395-1430, Teil 2: 1401-1405, Seite 210. ISBN 978-3-205-98972-1 abgefragt am 30. Juli 2011
  8. Gerhard Jaritz, Christian Neschwara (Herausgeber): Die Wiener Stadtbücher 1395-1430, Teil 3: 1406-1411, Seite 269. ISBN 978-3-205-77391-7, abgefragt am 30. Juli 2011
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