Aufgebotsverfahren

Aufgebotsverfahren

Bei dem Aufgebotsverfahren (in Österreich Ediktverfahren) handelt es sich um eine öffentliche gerichtliche Aufforderung zur Anmeldung von Ansprüchen oder Rechten. Es dient üblicherweise dazu, Urkunden für ungültig erklären zu lassen oder Rechte entfallen zu lassen, wenn in der Aufgebotsfrist (üblicherweise sechs Wochen) keine Anmeldung eines Anspruchs oder eines Rechts erfolgt. Das Aufgebotsverfahren stellt in Deutschland ein eigenständiges Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit dar und ist in den § 433 bis § 484 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) verankert.

Inhaltsverzeichnis

Ablauf

Das Aufgebotsverfahren findet in einer Reihe von gesetzlich vorgeschriebenen Fällen auf schriftlichen Antrag statt. Zuständig ist das örtlich zuständige Amtsgericht (§ 23a Abs. 2 Nr. 7 in Verbindung mit Abs. 1 Nr. 2 GVG, § 3 Nr. 1c RPflG).

Das Gericht nimmt dann eine öffentliche Bekanntmachung des Aufgebots vor. Diese muss durch Anheftung an die Gerichtstafel und Veröffentlichung im elektronischen Bundesanzeiger erfolgen. Anstelle des Aushangs an der Gerichtstafel kann die öffentliche Bekanntmachung in einem elektronischen Informations- und Kommunikationssystem erfolgen, das im Gericht öffentlich zugänglich ist. Das Gericht kann weitere Veröffentlichungen (z. B. in Tageszeitungen) anordnen. Inhalt der Veröffentlichung muss mindestens sein:

  • die Bezeichnung des Antragstellers
  • die Aufforderung, die Ansprüche und Rechte bis zu einem bestimmten Zeitpunkt beim Gericht anzumelden (Anmeldezeitpunkt)
  • die Bezeichnung der Rechtsnachteile, die eintreten, wenn die Anmeldung unterbleibt.

Das Gericht legt eine Aufgebotsfrist fest, innerhalb derer Betroffene Rechte anmelden müssen. Diese beträgt mindestens 6 Wochen (§ 437 FamFG).

Geht innerhalb der Aufgebotsfrist keine Anmeldung ein, wird ein so genannter Ausschließungsbeschluss erlassen. Durch diesen werden Urkunden kraftlos oder Rechte als erloschen oder eingeschränkt erklärt.

Gegen den Ausschließungsbeschluss kann Beschwerde eingelegt werden.

Anwendungsfälle

Ein Aufgebotsverfahren findet nur in den gesetzlich bestimmten Fällen statt. Dies sind u.a.:

Grundstücksrecht

Durch das Aufgebotsverfahren kann ein Eigentümer eines Grundstücks unter engen Voraussetzungen nach 30 Jahren aus seinem Eigentumsrecht an dem Grundstück ausgeschlossen werden.

Eintragungsgrundlagen:

1. Auflassung, § 925 BGB

2. Ausschließungsbeschluss, § 927 BGB

Sind diese Bedingungen erfüllt, kann die Eintragung des neuen Eigentümers im Grundbuch erfolgen. Er wird durch diesen Vorgang vom Besitzer (Besitz) zum Eigentümer (Eigentum).

Erbrecht

Im Erbrecht dient das Aufgebotsverfahren der Feststellung des Umfang der Nachlassverbindlichkeiten (§§ 454 ff. FamFG). Gläubiger des Erblassers, die ihre Rechte nicht fristgerecht anmelden, können nach dem Ausschlussurteil nur noch Forderungen aus dem Nachlass, nicht aber aus dem weiteren Vermögen der Erben verlangen. Hierdurch erhalten die Erben die Sicherheit, ob der Nachlass überschuldet ist oder nicht.

Eherecht

Für das bis 1998 rechtlich vorgeschriebene Aufgebot im Eherecht siehe: Aufgebot (Eherecht)

Wertpapiere

Die Kraftloserklärung von Wertpapieren geschah - bis zur Neuregelung des Aufgebotsverfahrens innerhalb des seit dem 1. September 2009 geltenden FamFG und dem gleichzeitigen Außerkrafttreten der §§ 946 bis 1024 ZPO - durch das besonders geregelte Aufgebotsverfahren nach §§ 1003 ff. ZPO alter Fassung ("a.F.") in Form eines richterlichen Ausschlussurteils (§ 1017 ZPO a.F.). Heute gelten für die Kraftloserklärung von Wertpapieren die § 466 bis § 484 FamFG.

Allgemeines

Das in einem Wertpapier verbriefte Recht geht durch Vernichtung oder Verlust der Urkunde nicht unter. Da jedoch der Schuldner seine Leistung nur gegen Aushändigung der Urkunde erbringen muss, scheitert die Geltendmachung des Rechts an der Vorlage des Wertpapiers durch den rechtmäßigen Inhaber. Dieser Konflikt wird durch das Aufgebotsverfahren gelöst. Die Kraftloserklärung verhindert dabei, dass der Finder eines verloren gegangenen Wertpapiers seinerseits beim Schuldner die Leistung unberechtigt verlangt[1]. Bei Inhaberpapieren besitzt sogar der Dieb oder Finder eine derart starke Rechtsstellung, dass er vom Aussteller der Urkunde die darin verbriefte Leistung verlangen darf (§ 935 Abs. 2 BGB), solange dessen Unkenntnis nicht auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruht. Um zu verhindern, dass dieser Rechtsschutz den rechtmäßigen Besitzer der Urkunde um die ihm zustehende Leistung bringt, wird der Dieb oder Finder durch die Kraftloserklärung von seiner Rechtsposition ausgeschlossen.

Rechtsgrundlagen

Das Aufgebotsverfahren für Wertpapiere ist in den § 466 bis § 484 FamFG abschließend geregelt. Bei den meisten Wertpapieren weisen gesetzliche Bestimmungen zusätzlich auf das Aufgebot zur Kraftloserklärung von Urkunden hin (§ 799, § 808 Abs. 2 Satz 2, § 1162, § 1192, § 1199 BGB; § 365 Abs. 2 HGB; § 72 AktG; Art. 90 WG; Art. 59 ScheckG). Nach Ablauf der Aufgebotsfrist (mindestens 6 Wochen, höchstens 1 Jahr - § 437, § 476 FamfG) wird die Urkunde durch das Ausschließungsbeschluss für kraftlos erklärt (§ 478 Abs. 1 FamFG) und versetzt den Gläubiger gleichzeitig in die Lage, die Rechte aus der Urkunde beim Schuldner ohne Urkunde geltend machen zu können (§ 479 Abs. 1 FamFG).

Sonderfälle

Zwar ist auch ein Aufgebotsverfahren für hinkende Inhaberpapiere nach § 483 FamFG vorgesehen, doch besteht bei Spar(kassen)büchern die Möglichkeit eines vereinfachten Aufgebotsverfahrens. Dieses Verfahren findet außergerichtlich statt, indem der Verlust im Gemeinde- oder Amtsblatt[2] öffentlich bekannt gemacht wird und dem Inhaber des Spar(kassen)buchs die Möglichkeit gibt, seine Rechte binnen drei Monaten anzumelden. Nach Ablauf der Ausschlussfrist wird das Spar(kassen)buch vom Vorstand des Kreditinstituts (etwa nach § 16 Abs. 2 Nr. 6 der Sparkassenverordnung NRW) für kraftlos erklärt.

Bei Aktien darf die Kraftloserklärung in drei Fällen durch die Aktiengesellschaft ebenfalls außergerichtlich vorgenommen werden, wenn ihr die eigenen Aktien zu bestimmten Zwecken eingereicht werden müssen, aber nach Ablauf einer Ausschlussfrist nicht eingereicht worden sind:

  • bei der Kaduzierung (die AG gibt anstelle der alten Urkunde eine neue aus),
  • im Fall der Kapitalherabsetzung bei den trotz Aufforderung nicht zu Umtausch, Abstempelung eingereichten Aktien (§ 226 AktG),
  • bei Aktien, deren Inhalt unrichtig geworden ist (§ 73 AktG).

Folgen

Nach Kraftloserklärung kann der Finder oder Dieb trotz Wertpapierbesitzes die Rechte nicht mehr beim Aussteller geltend machen, weil ihn die für kraftlos erklärte Urkunde nicht mehr legitimiert (die Legitimationsfunktion ist aufgehoben), auch gutgläubige Erwerber betroffener Wertpapiere sind nicht mehr geschützt. Die Kraftloserklärung wirkt mithin gegen jedermann. Der Ausschließungsbeschluss wiederum berechtigt den Antragsteller, die Rechte aus der Urkunde beim Schuldner ohne Urkunde geltend machen zu können (§ 479 Abs. 1 FamFG).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Reichard Holzhammer, Allgemeines Handelsrecht und Wertpapierrecht, 1998, S. 297 f.
  2. der Gemeinde, in welcher das ausstellende Kreditinstitut seinen Rechtssitz hat
Rechtshinweis Bitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten!

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем решить контрольную работу

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Aufgebotsverfahren — Aufgebotsverfahren,   1) Warenzeichenrecht: die nach dem früheren Warenzeichengesetz vorgeschriebene Bekanntmachung der Anmeldung eines Warenzeichens zur Eintragung in die Warenzeichenrolle, um anderen Gelegenheit zu Einwendungen zu geben. Nach… …   Universal-Lexikon

  • Aufgebotsverfahren — (Ediktalverfahren od. Ediktalzitation), das Verfahren, das die öffentliche gerichtliche Aufforderung zur Anmeldung von Ansprüchen oder Rechten betrifft, und bei dem die Unterlassung der Anmeldung mit einem Rechtsnachteil bedroht wird, der… …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Aufgebotsverfahren — I. Allgemein:Eine in bestimmten Fällen zulässige öffentliche gerichtliche Aufforderung, Ansprüche oder Rechte, i.d.R. zwecks Vermeidung des Ausschlusses, spätestens im Aufgebotstermin anzumelden (§§ 946 ff. ZPO). Zweck ist die Klärung der… …   Lexikon der Economics

  • Ausschlussurteil — ⇡ Aufgebotsverfahren …   Lexikon der Economics

  • Wertpapier — Ein Wertpapier oder eine Wertschrift (schweizerisch) ist eine Urkunde, die ein privates Recht in der Weise verbrieft, dass das Recht aus der Urkunde gegenüber dem Schuldner nur geltend gemacht werden kann, wenn der Inhaber der Urkunde diese dem… …   Deutsch Wikipedia

  • Verschollenheit — ist der Status einer Person, die im deutschen und österreichischen Recht gleichlautend wie folgt definiert wird: Verschollen ist, wessen Aufenthalt während längerer Zeit unbekannt ist, ohne daß Nachrichten darüber vorliegen, ob er in dieser Zeit… …   Deutsch Wikipedia

  • Ausschlussurteil — Das Ausschlussurteil war bis zum Inkrafttreten des FamFG zum 1. September 2009 eine besondere Form des Gestaltungsurteils nach dem deutschen Zivilprozessrecht. Gestaltung bedeutet, der Richter gestaltet durch sein Urteil die Rechtslage in eine… …   Deutsch Wikipedia

  • Namenspapier — Namenspapiere (früher Rektapapiere; vom lateinischen recta (via) = auf geradem Weg; das heißt, der Verpflichtete soll direkt leisten) sind auf einen bestimmten Namen lautende Wertpapiere, deren verbriefter Anspruch durch Einigung, Abtretung und… …   Deutsch Wikipedia

  • Orderpapier — Orderpapiere sind auf einen Namen lautende Wertpapiere, die durch Einigung, Indossament und Übergabe übertragen werden können. Der Begriffsbestandteil „Order“ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass jemand den Auftrag zur Übertragung erteilt.… …   Deutsch Wikipedia

  • Kraftloserklärung — Die Kraftloserklärung (auch Amortisation oder Kassation) ist das Feststellen der Ungültigkeit einer Urkunde oder eines anderen Gegenstandes durch eine dazu befugte Institution, häufig ein Gericht. Sie steht üblicherweise am Ende eines… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”