Charta 08

Charta 08

Die Charta 08 (chinesisch 零八宪章 Língbā Xiànzhāng) ist ein von mehr als 5000 chinesischen Intellektuellen und Bürgerrechtsaktivisten unterzeichnetes Manifest, das zu politischen Reformen und Demokratisierung in der Volksrepublik China aufruft. [1]

„Hundert Jahre sind vergangen, seit Chinas erste Verfassung geschrieben wurde. 2008 jährt sich zum sechzigsten Mal die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, zum dreißigsten Mal die Einrichtung der Demokratiemauer in Peking und zum zehnten Mal die chinesische Unterschrift unter den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte. Wir nähern uns dem zwanzigsten Jahrestag des Tian'anmen-Massakers von 1989 an Studenten, die für die Demokratie demonstrierten. Im chinesischen Volk, das während dieser Jahre Menschenrechtskatastrophen und unzählige Kämpfe zu ertragen hatte, gibt es nun viele, die klar erkennen, dass Freiheit, Gleichheit und Menschenrechte universelle Werte der Menschheit sind, und dass Demokratie und eine verfassungsmäßige Regierung ein grundlegender Rahmen für den Schutz dieser Werte sind.[2]

Die Charta ist eines der seltenen in China verfassten Dokumente, die die herrschende Kommunistische Partei Chinas auffordern, größere Meinungsfreiheit zu gewähren und freie Wahlen zuzulassen. Sein Name ist eine Anspielung an die Charta 77, mit der Dissidenten Kritik am kommunistischen Regime der Tschechoslowakei übten.[3]

Insgesamt 303 Personen, u. a. Liu Xiaobo und Ai Weiwei, ferner die bekannte Bloggerin Zeng Jinyan, Rechtsanwälte und ein in Ungnade gefallener früherer Funktionär der Kommunistischen Partei, trotzten der Gefahr ihrer drohenden Verhaftung und traten als Erstunterzeichner an die Öffentlichkeit. Die Charta fordert 19 Maßnahmen, um die Menschenrechtssituation in China zu verbessern. Verlangt werden unter anderem eine unabhängige Justiz, die Freiheit, Vereinigungen zu gründen, und ein Ende des Einparteiensystems. „Alle Arten von sozialen Konflikten haben sich unablässig angesammelt und die Gefühle der Unzufriedenheit sind stetig angewachsen“, heißt es darin. „Das gegenwärtige System ist in solchem Maße rückständig geworden, dass Wandel nicht mehr vermeidbar ist.“ China sei die einzige Großmacht, die immer noch ein autoritäres System beibehalte, das die Menschenrechte solcherart einschränke. „Diese Situation muss sich ändern! Politische demokratische Reformen können nicht länger hinausgeschoben werden!“[4]

Inhaltsverzeichnis

Forderungen der Charta 08

Die Unterzeichner der Charta 08 setzen sich ein für:

  • Eine neue Verfassung
  • Gewaltenteilung
  • Eine demokratische Gesetzgebung
  • Eine unabhängige Justiz
  • Die Kontrolle der Beamten durch die Öffentlichkeit
  • Die Gewährleistung der Menschenrechte
  • Regelmäßige Wahlen der Regierungsbeamten
  • Die Gleichheit von Stadt und Land
  • Die Freiheit, Vereinigungen zu bilden
  • Versammlungsfreiheit
  • Meinungsfreiheit
  • Religionsfreiheit
  • Die Einführung eines staatsbürgerlichen Unterrichts
  • Den Schutz des Privateigentums
  • Eine Finanz- und Steuerreform
  • Die Einführung einer Sozialversicherung
  • Den Umweltschutz
  • Eine föderative Republik
  • Eine Wahrheitskommission.[5]

Verhaftung und Verurteilung von Unterzeichnern, Internationale Reaktionen darauf

Demonstranten protestieren in Hongkong gegen die Festnahme von Liu Xiaobo

Am 8. Dezember 2008, zwei Tage vor dem 60. Jahrestag der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen, wurde Liu Xiaobo von der Polizei in seiner Wohnung festgenommen. Nur Stunden nach seiner Festnahme wurde der Text der Charta 08 im Internet veröffentlicht.

Der damalige deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier erklärte am 10. Dezember 2008:

„Wir dürfen nicht schweigen. Auch nicht gegenüber China und erst recht nicht angesichts der Verhaftung von Liu Xiaobo, der vor zwei Tagen in China verhaftet wurde, weil er den Appell „Charta 2008“ verteilen wollte. Ein Ereignis, das die menschenrechtlich unbefriedigende Lage nochmals dokumentiert. [6]

Der bekannte Dissident Liu Xiaobo wurde im Dezember 2009 aufgrund seiner Unterschrift für die Menschenrechte zu 11 Jahren Haft verurteilt. Dagegen gab es Proteste aus aller Welt, darunter auch seitens der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel.[7] 2010 erhielt Liu Xiaobo den Friedensnobelpreis.

Positionen zum Inhalt

Politisch linke und sozialistische Stimmen aus dem Westen kritisierten, dass es sich bei der Charta 08 „auch wirtschaftlich um ein liberales Programm“ handele, das „nicht gerade dem globalen Zeitgeist nach dem Ausbruch der Finanzkrise“ entspreche. Insbesondere drohe der Landbevölkerung durch die geforderte Privatisierung des Grund- und Bodenbesitzes der Verlust der Existenzgrundlage.[8] Andererseits seien bei aller notwendigen Kritik an der Privatisierung menschlicher Grundbedürfnisse „die Erfahrungen vieler Menschen — nicht nur die der Chartisten — mit den staatlichen Unternehmen in China nicht die Besten“.[9]

Eine differenzierte Position bezieht Qin Hui von der Pekinger Tsinghua-Universität. Während er die Forderung nach Meinungsfreiheit und demokratischen Rechten teilt, kritisiert er, die Charta 08 ignoriere die sozialen Probleme breiter Teile der Bevölkerung: „Ich stimme nicht mit den Ansichten überein, aber unterstütze entschlossen das Recht, diese zu äußern“.[10] Ähnlich Au Loong-yu vom Globalization Monitor in Hongkong: Die Forderung nach Schutz und Entwicklung des Privateigentums mache sie zu einem Instrument der Privatisierung.[11]

Vertreter orthodox marxistischer Positionen lehnen die Charta vielfach ab. So bezeichnet die US-amerikanische trotzkistische Zeitung 'Workers Vanguard' die Charta 08 als „ein explizites Programm für kapitalistische Konterrevolution“.[12] Ähnlich sieht dies der in den USA lebende Publizist Zheng Zhao Xi: „Was die 'Charta08' in dieser Hinsicht vorschlägt, bedeutet nicht eine Gesellschaft für die Menschen aufzubauen, sondern die Gesellschaft einer 'Dschungelgesellschaft' mit Naturgesetzen.“ Sie wolle somit dem „Imperialismus helfen, die große Strategie des Kommunismus von der Erdoberfläche [auszumerzen]“.[13]

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise


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