Richard Cœur de Lion

Richard Cœur de Lion

Richard Cœur de Lion ist eine Oper (Opéra comique) von André-Ernest-Modeste Grétry. Das Libretto der 1784 in Paris uraufgeführten Oper stammt von Michel-Jean Sedaine.

Inhaltsverzeichnis

Rollenprofile

Gefangennahme von Richard Löwenherz. Detail aus dem Liber ad honorem Augusti von Petrus de Ebulo fol. 129 recto (um 1196)

Adel

  • Richard, König von England, Tenor: Titelfigur, grosse Partie, durch Gefangenschaft vom Geschehen abgeschnitten
  • Blondel, sein Troubadour, Tenor: grosse Partie, wichtigster Handlungsträger
  • Marguerite, Gräfin von Flandern und Artois, Sopran: grosse Partie
  • Beatrix, ihre Zofe, Sopran: kleine Partie
  • Florestan, Gouverneur des Schlosses von Linz: kleine Partie
  • Williams, verarmter Landedelmann, Bass: grosse Partie
  • Laurette, Williams Tochter, Sopran: grosse Partie
  • Haushofmeister, Sprecher: Nebenrolle
  • Urbain, Page, Bass; Charles, Page, Tenor, Guillot, Page, Tenor: Nebenrollen
  • Soldaten, Chor

Dorfbevölkerung

  • Antonio, ein junger Bauer, Sopran: gr. Partie, Begleiter des Blondel, Bindeglied zwischen der adeligen und der dörflichen Welt
  • Mathurin, ein Bauer, feiert seine goldene Hochzeit: kleine Partie
  • Mathurins Frau, Sopran: kleine Partie
  • Colette, Bauernmädchen, Sopran: kleine Partie
  • Bauern, Bäuerinnen, Chor

Eine bäuerlich-dörfliche wird einer adeligen Welt gegenübergestellt. Aus beiden Sphären kommt jeweils ein Handlungsträger, indem der junge Bauer Antonio dem vermeintlich blinden Blondel als Führer an die Seite gestellt wird. Haupt- und Nebendarsteller lassen sich nur bedingt voneinander abgrenzen, da es viele Ensembleszenen gibt, und die Solonummern relativ gleichmässig verteilt sind. König Richard Löwenherz, der Dichter Blondel und die Gräfin Marguerite von Flandern sind historische Personen, die sich aber nie begegnet sind. Die Akteure der Liebesgeschichte und des ländlichen Festes sind rein fiktiv.

Ort und Zeit

Das Drama erstreckt sich von einem Abend zum nächsten und hat folgende Schauplätze: Der erste Akt spielt in einem Dorf in der Nähe einer Burg, wo die Einwohner gerade Vorbereitungen für eine Feier treffen. Der zweite Akt spielt am Fuss der Festung, wo König Richard Löwenherz gefangen gehalten wird. Die Burg wird als „Château de Lintz“ bezeichnet. Die historische Festung Dürnstein, wo Richard tatsächlich gefangen gehalten wurde, liegt ca. 130 km westlich von Linz. Durch diese vereinfachende Umbenennung hatte das Publikum in Paris die Möglichkeit, die Burg verhältnismässig genau zu lokalisieren. Für ortskundiges Publikum wurde das Schloss im Libretto der Wiederaufnahme in Wien 1806 „Veste Dürnstein“ genannt. Im dritten Akt ist der Festsaal von Williams‘ Haus Ort des Geschehens. Auf die Orte verwiesen wird über das Bühnenbild, im Textbuch gibt es keine Hinweise auf Ort und Zeit.

Handlung

Zentrales Motiv der Oper ist die Gefangenschaft und Befreiung von Richard Löwenherz durch den Troubadour Blondel. Nebenbei wird erzählt, wie die Gemeinschaft eines nahen Dorfes die goldene Hochzeit des Dorfältesten feiert. Ein dritter Strang betrifft den Gouverneur des Schlosses, der Laurette, die Tochter eines Edelmannes, heiraten will. Zu Beginn des ersten Aktes kehren die Bauern von den Feldern ins Dorf zurück, wo der vermeintlich blinde Blondel um Quartier bittet, und sich als Gefolgsmann des gefangenen Richard Löwenherz zu erkennen gibt. Zufällig belauscht er, wie der Landedelmann Williams seinen Diener Guillot mit einem Liebesbrief an seine Tochter Laurette ertappt. Der Liebesbrief stammt aus der Feder des Gouverneurs des nahegelegenen Schlosses, er erwähntz beiläufig, dass er das Schloss tagsüber wegen eines Gefangenen nicht verlassen kann. Blondel wird hellhörig und horcht Laurette aus. Schliesslich trifft auch Gräfin Marguerite, Richards Geliebte ein, die ihn verzweifelt sucht. Da sie Blondel an einer seiner Melodien erkennt, gewährt sie ihm Obdach. Mit einem grossen Gelage der Bauern und Blondels endet der erste Akt. Es ergeben sich folgende Handlungsmotive: Marguerite und Blondel sind auf der Suche nach dem gefangenen König, der Gouverneur will mit Laurette anbändeln, was deren Vater Williams verhindern will, Antonio möchte Colette gewinnen, und die Bauern wollen ein grosses Fest zur goldenen Hochzeit des Mathurin feiern. Durch den Liebesbrief des Gouverneurs wird die Verbindung zum Geschehen auf der Burg hergestellt und auf den weiteren Fortgang der Handlung vorausgewiesen. Musikalisches Herzstück des ersten Aktes ist Blondels Arie „Ô Richard, ô mon roi“, die ihn als treuen Gefolgsmann des Richard Löwenherz ausweist.

Zu Beginn des zweiten Aktes beklagt Richard seine Gefangenschaft und verfällt angesichts eines Portraits seiner Geliebten Marguerite in Hoffnungslosigkeit. Blondel singt am Fuss der Burg eine Weise, worauf Richard ihn erkennt und sich ebenfalls zu erkennen gibt. Der Troubadour versucht vergeblich, sich Zugang zur Burg zu verschaffen. Beinahe wäre er wegen seiner Dreistigkeit ebenfalls eingesperrt worden, kann sich aber als blinder Bettler aus der Affäre ziehen.

Im dritten Akt spricht Blondel bei der Gräfin vor und berichtet, dass der König auf der benachbarten Burg gefangen ist. Diese verwirft ihren Entscheid, ins Kloster zu gehen und beide beschliessen die Burg zu stürmen, was die Truppen der Marguerite dann bewerkstelligen. Das nachfolgende Hochzeitsfest dient dabei als Falle für den Gouverneur, der aber nur einen Denkzettel bekommt, und zum Schluss – lieto fine – Laurette heiraten darf. Wie es den Spielregeln der Opéra Comique enden alle Verwicklungen für die Beteiligten glücklich.

Historischer Kontext

Das Libretto von Richard Coeur de Lion verarbeitet zwei historische Begebenheiten und deren Verknüpfung in einer Legende. Zum einen handelt es sich um die Gefangenschaft des Königs Richard Löwenherz am Ende des dritten Kreuzzugs, die in der Chronica Majora des Matthäus von Paris ausführlich geschildert wird. Die Auseinandersetzung zwischen Richard und dem Herzog Leopold V. von Österreich begann damit, dass Richard auf einer Burg bei Emmaus Quartier nehmen wollte, wo bereits der Herzog zu Gast war. Auf Richards Geheiss hin wurde die Fahne des Herzogs heruntergerissen und in die Kloake geworfen. [1]. Auf Grund dieser Beleidigung nahm der Herzog Richard auf dem Heimweg vom Kreuzzug in der Nähe von Wien gefangen und verkauft ihn später an Kaiser Heinrich VI. [2]

Von dem historischen Troubadour Blondel de Nesle sind rund zwei Dutzend Minnelieder überliefert. Es gibt keinen Hinweise darauf, dass sich die Zeitgenossen Richard und Blondel je begegnet wären, sie wurden aber bereits im altfranzösischen Ménéstrel de Reims um 1260 erstmals miteinander in Verbindung gebracht. Seither ist Blondel fester Bestandteil der Legenden um Richard Löwenherz. Bereits im Ménéstrel von Reims wird erzählt, wie der gefangene Richard seinen Troubadour an der Stimme erkennt und ihn befreit. Dies wird zum zentralen Motiv der Oper.

Soziale und politische Kontexte

Innerhalb des Adels gibt es zwei Konflikte, nämlich die Gefangenschaft König Richards und die Weigerung Williams, seine Tochter Laurette an den Gouverneur zu verheiraten. Die Dorfgemeinschaft hingegen lebt und feiert fröhlich und glücklich, was einen "antirevolutionären" Zug Grétrys und seines Librettisten abbildet. Die Royalisten des ausgehenden 18. Jahrhunderts bedienten sich gerne der Arie „O Richard, ô mon roi“, auch in der Variante „O Louis, ô mon roi“ um ihre bedingungsloser Treue Ludwig XVIII. gegenüber zu dokumentieren. Gelöst werden die Konflikte in der Oper einerseits durch Blondels Treue und Scharfsinn, anderseits durch die Schlichtheit, Festfreude und Heiterkeit der Bauern. Die betreffenden Paare bleiben selbstverständlich ihrem sozialen Stand gemäß unter sich.

Notenblatt

In militärischer Hinsicht erweist sich Gräfin Marguerite, deren Truppen die Burg erfolgreich stärmen, als Inhaberin der Macht. Zu dem komischen Vertreter den Adels gehört derGouverneur Florestan, ein leicht zu übertölpelnde Trottel, zu den heldenhaften König Richard Löwenherz, der als positive Identifikationsfigur angelegt ist. In der Innenperspektive der Erzählung treten Machtverhältnisse als Handlungsmotive zurück zu Gunsten von Liebe und Freiheit. Im Hinblich auf Grétrys Blick auf das vorrevolutionäres Paris, wird subtil sein Bekenntnis zur Monarchie deutlich. Ein weiterer Reflex auf soziale Kontexte der Entstehungszeit der Oper zeigt sich im Fest der Goldenen Hochzeit. Solche Hochzeitsjubiläen sind erst vereinzelt ab dem 16. Jahrhundert belegt, gewinnen aber unter der städtischen Bevölkerung im 18. und 19. Jahrhundert zunehmend an Bedeutung, die soziale Situation des 12. Jahrhunderts abzubilden, war nicht Absicht von Librettist und Komponist.

Mittelalterdarstellung in Musik, Text und Inszenierungen

In der Musik und in den frühen Inszenierungen werden verschiedene Mittel eingesetzt, um „Mittelalter“ oder vielleicht auch diffusere Imaginationen des Vergangenen zu evozieren, wohingegen das Libretto nur am Rande solche Hinweise bietet. Grétry selbst war der Ansicht, dass man auf musikalischer Ebene bereits in der Ouvertüre den hsistorischen Kolorit an der Dominanz der Blechbläser erkennen könne.

Das Duett von Richard und Blondel im zweiten Akt ist „im alten Stil“ komponiert. Rhythmik und Melodik sind sehr schlicht gehalten und repräsentieren eine stilisierte Imitation mittelalterlicher Musik. Auf modernes musikalisches Material wird verzichtet. Stattdessen ist das Werk von eingängigen Rondes und Chansons geprägt, die als direktes Erbe der Troubadoure aufgefasst wurden. Effektvoll ist der instrumentale Zusammensturz der Burgmauer im dritten Akt, der das Emblem „Burg“ sogar auf der musikalischen Ebene sehr plastisch werden lässt. Auch das Bühnenbild der Darmstädter Festaufführung von 1785, zeigte als Hintergrund eine naturalistisch und perspektivisch dargestellte Burg. Für die Inszenierung der Wiederaufnahme in Wien 1806 wurden 14 lebendige Pferde bemüht, in deren Gesellschaft Marguerite auftrat. Die Zertrümmerung des Schlosses, die im Original nur in der Musik geschildert, wurde auch auf der Bühne inszeniert, im dritten Akt wurde zu Pferd gekämpft, um Ritterturniere darzustellen. Ein spektakuläre Einzug der Marguerite ist im Libretto nicht angelegt, lediglich ein Trinklied am Ende des ersten Aktes, mit Versen über eine Schlacht gegen Sultan Saladin sowie in Vers über Papst Gregor nehmen Rekurs auf die Zeit des Mittelalters. Syntax und Wortschatz der Texte sind Gegenwartssprache und nicht an ein mittelalterliches oder pseudo-mittelalterliches Französisch angelehnt.

Literatur

  • Bartlet, M. Elizabeth C. Grétry and the Revolution, in: Vendrix, Philippe (Hg.). Grétry et l’europe de l’opéra comique. Liège 1992, S. 47-110.
  • Betzwieser, Thomas: Grétrys Richard Coeur de Lion in Deutschland: Die Opéra Comique auf dem Weg zur „grossen Oper“, in: Vendrix, Philippe (Hg.). Grétry et l’europe de l’opéra comique. Liège 1992, S. 331-351.
  • Bumke, Joachim: Höfische Kultur: Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter. München 2008.
  • Görner, Karen: Familiale Traditionen in der Betrachtung über mehrere Generationen – ein Vergleich zwischen Einheimischen und Vertriebenen in: Dröge, Kurt (Hg.). Beiträge zur Volkskunde der Deutschen im und aus dem östlichen Europa. (Schriften des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte 6). Oldenburg 1995, S. 67-81.
  • Grillingham, John: Some Legends of Richard the Lionheart: Their Development and their Influence in: Nelson, Janet L. (Hg.). Richard Coeur de Lion in history and Myth (King’s College London Medieval Studies 7). London 1992, S. 51-69.
  • Klügl, Michael: Richard Coeur de Lion: Opéra comique en trois actes in: Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters Bd. 2 (1987), S. 574-576.
  • Lessens, Ronald. André-Ernest-Modeste Grétry ou le triomphe de l’opéra-comique (1714-1813). Paris 2007.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Chronica Majora, RS 157, Bd. 2, S. 384
  2. Chonica Majora, RS 157, Bd. 2, S. 395f.

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