Ruest

Ruest
53.614911.9418
Ruest (Mecklenburg-Vorpommern)
Ruest
Ruest
Getreideernte in Ruest (1955)
Verfallenes Gebäude in Ruest

Ruest ist ein Ortsteil der Gemeinde Mestlin im Landkreis Ludwigslust-Parchim in Mecklenburg-Vorpommern.

Inhaltsverzeichnis

Geografie

Das Dorf liegt im Norden des Mestliner Gemeindegebietes etwa 20 Kilometer nördlich der Kreisstadt Parchim und zehn Kilometer westlich von Goldberg. Der Ort befindet sich etwa 73 Meter über NHN und ist größtenteils von Ackerflächen umgeben. Westlich beziehungsweise südwestlich von Ruest liegen die Siedlungen Ruester Krug und Ruest-Ausbau. Östlich des Ortes sind innerhalb des Brandmoores Reste eines Burgwalls zu erkennen.

Durch Ruest führt die Kreisstraße 15 von Mestlin nach Groß Niendorf.

Geschichte

Der Ortsname könnte aus dem Slawischen abgeleitet werden und bedeutet so viel wie Mäusedorn (Pflanze, polnisch: ruszczek). Auch ein germanischer Ursprung ist möglich.[1]

Archäologische Untersuchungen deuten auf eine Besiedlung der Gemarkung bereits in der Jungsteinzeit hin. Ein bronzezeitliches Hügelgrab wurde überbaut. Durch Germanen besiedelt war das Gebiet über 1.000 Jahre bis 500 nach Chr., als diese in der Völkerwanderung weitgehend abgezogen waren. Es folgte eine allmähliche Besiedlung durch Slawen. Spätestens im 13. Jahrhundert begann ein starker Zuzug deutscher Bauern, die ein Dorf benachbart zu der slawischen Siedlung gründeten. Daneben lag die Turmhügelburg eines Ritters, der "Nygenhof" am Bollberg. Erstmals urkundlich erwähnt wird das Bauerndorf Ruest im Jahr 1352 in einer Stiftungsurkunde. 1540 lebten dort 18 Bauern, zudem existierte ein Gutshof. Laut einer Karte von 1777 sind die Bauernstellen beidseitig des durch den Ort führenden Weges angeordnet.

Dreißigjähriger Krieg und die Pest im Jahr 1638 sorgten für einen starken Bevölkerungsrückgang auf ein Drittel. Höfe wurden zerstört und Felder lagen wüst. 1696 waren bereits sechs Hofstellen wieder bebaut und trotz zwischenzeitlicher Kriege zählte Ruest 1704 67 Einwohner, 1751 schon 106. 1785 wird eine Schmiede an der Straße nach Mestlin in Aufzeichnungen genannt. Das Gebäude bestand bis 1960. 1830 sind neben der Kirche auch Schule und ein Krug erwähnt. Seit 1832 wurde in Ruest das Erbpachtrecht angewendet und der Zerstückelung von Flächen entgegengewirkt. Im 19. Jahrhundert wurde Ruest zu einem großen Bauerndorf mit 26 Höfen. Die Abhängigkeit der früheren Klosterbauern vom Klosteramt wurde abgebaut. 1832/33 entstanden westlich des Ortes der Ruester Ausbau (auch Neu Ruest) und Ruester Krug.[2] Um 1900 "fühlten sich die Ruester Bauern als kleine Könige in ihrem Reich". Im Ersten Weltkrieg fielen 11 Ruester Männer.

Im Zweiten Weltkrieg ersetzten französische Kriegsgefangene und Polen die eingezogenen Ruester Männer in der Landwirtschaft. Ab Januar 1945 strömten Flüchtlinge aus den Ostgebieten ins Dorf. Tiefflieger beschossen die auf den Feldern arbeitenden Leute. Der Krieg und nachfolgende Ereignisse forderten von der Dorfbevölkerung insgesamt 24 Todesopfer. 15 Ruester fielen an den Fronten, 5 Menschen nahmen sich nach dem Einrücken der Roten Armee am 3. Mai 1945 das Leben - zum Teil nach Vergewaltigungen. Vier Bauern wurden in das sowjetische Speziallager Fünfeichen verschleppt, von denen zwei nicht wiederkamen. Ein Bauer wurde erschossen. Eine Frau starb in Zusammenhang mit ihrer Ausweisung. Dazu wurden in der Umgebung von Ruest Anfang Mai 1945 zwölf deutsche Soldaten und zwei Nachrichtenhelferinnen von Rotarmisten erschossen. Vieh wurde geschlachtet oder weggetrieben, dann kam mit zugetriebenen Tieren die Maul- und Klauenseuche ins Dorf.[3] Das Ablieferungssoll war drückend. Vom 3. Mai bis 12. August gab es keinen Strom im Dorf. Die eingesetzten Bürgermeister wechselten häufig. 1946 kandidierte bei der Gemeinderatswahl nur eine Partei, die SED.

1945 zählte Ruest 223 Einwohner und 109 Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten. Noch 1949 wurde Ruest als „ein freies Bauerndorf mit 26 Altbauern und 26 Neubauern“ geschildert. 1950 wurde die Gemeinde Ruest aufgelöst und mit Mestlin zusammengelegt.[2] Aufgrund von Repressionen während der Zwangskollektivierung flüchteten 1952 zahlreiche Bauern aus dem Ort nach Westdeutschland.[4][5] 1953 wurde die Feldmark Ruests der LPG Mestlin zugeschlagen. Ortsansässige Bauern wurden zwangsumgesiedelt. Der Ort wurde von Flüchtlingen besiedelt, die das Dorf in den Folgejahren jedoch wieder verließen. Es verblieben Ruinen und vier bewohnbare Häuser. Zahlreiche Höfe lagen wüst, darauf stehende Gebäude wurden oft vollständig abgetragen. 1994 lebten noch 12 Einwohner in Ruest.[2]

Eingemeindung

1950 kam Kadow zu Ruest und 1951 wurde Ruest der Gemeinde Mestlin angegliedert.

Dorfkirche

Dorfkirche, Ansicht von Südwesten

Die Feldsteinkirche als frühgotischer Bau ist dem Heiligen Stephan geweiht und wurde Ende des 13. bis Anfang des 14. Jahrhunderts errichtet. Der östliche Blendgiebel ist über einem Treppenfries mit fünf großen zweibahnigen Spitzbogenblenden verziert. Die markanten, gemauerten Stützpfeiler wurden aus Sicherheitsgründen nachträglich angebracht. Die flachbogigen Fenster sind zweiteilig und in Rundbogenblenden eingefasst. Das Portal auf der Südseite hat nach innen einen Rundbogen- und nach außen einen Spitzbogen-Schluss.

Der am Westgiebel befindliche und heute verbretterte Fachwerkturm ist mit einem Zeltdach versehen. Das Local-Committee (Kommission) des Landtages hatte den seit vier Jahren schon genehmigten Bau des Kirchturms im Sommer 1818 besichtigt und nach Einsetzen von 12 Klammern am Fachwerk freigegeben.[6] Bis 1917 befanden sich in ihm drei Glocken, die kleinere von ihnen wurde zu Kriegszwecken eingeschmolzen. Die zwei anderen Glocken befinden sich seit 1989 in der Mestliner Kirche.

Ausschabungen an Ziegelsteinen des Ostgiebels

An der linken unteren Seite des Ostgiebels sind zwischen den Feldsteinen drei übereinander liegende Ziegelsteine mit fünf zwei bis drei Zentimeter großen ausgeschabten Rundungen zu erkennen. Heute ein vergessenes Ritual, einst als Pestmarke bewundert. Nach früheren Überlieferungen soll das herausgeschabte Ziegelmehl während der Pest als Wundermittel gegen Krankheiten bei Menschen und Tieren geholfen haben.[7]

Der dreigeschossige und geschnitzte Altaraufsatz, ein Werk des Barockstils, wurde 1693 von Caspar Hirsch aus Sternberg gefertigt. Die drei Gemälde (Abendmahl, Kreuzigung und Himmelfahrt) stammen vom Güstrower Borchard Bohme. Auf der Rückseite sind neben dem Kirchenvorsteher auch der Dobbertiner Klosterhauptmann Landrath Friedrich von Jasmund aus Cammin und die Mestliner Pastoren Johannes Simoni und Andreas Petri verzeichnet. Der massiv, mit Klosterformatsteinen gemauerte Altartisch stammt aus der Entstehungszeit der Kirche. Oberseitig mit einem Kalkmörtel glatt verputzt, befinden sich an jeder Ecke des Tisches in den Putz geritzte kleine Weihekreuze.

Der Innenraum ist mit einer flachen Balken- und Bretterdecke bedeckt. Zur Ausstattung zählt eine Renaissancekanzel aus dem 17. Jahrhundert, die mit Schnitzereien und Intarsien versehen ist.[8][9] Die Brüstungsorgel wurde im Auftrag der Dobbertiner Klostervorsteher durch den Orgelbauer Friedrich Hermann Lütkemüller 1874 auf der Westempore eingebaut. Es ist ein Serienprospekt im romanischen Stil mit fünf rundbogigen Pfeifenfeldern und linksseitigem Spieltisch. Die Orgel ist seit vielen Jahren nicht spielbar, Tiere haben die Tontraktur und Pfeifen beschädigt.[10]

Die Kirche wurde nach 1953 nicht mehr genutzt, der letzte Gottesdienst fand 1982 statt. Wegen Einsturzgefahr des baufälligen Turmes läuteten seit 1987 die Glocken nicht mehr. Die Kirche war dem Verfall ausgesetzt und sollte verkauft werden. Doch engagierte Personen, wie die Schweriner Architektin Eva-Maria Hetzer, sorgten seit 1993 dafür, dass die Kirche wieder genutzt werden kann. An der Rettung der Kirche beteiligten sich neben dem Land Mecklenburg-Vorpommern auch der Freistaat Bayern, die Bayerische Evangelisch-Lutherische Kirche, der Verein Dorfkirchen in Not, die Messerschmidt-Stiftung und die Deutsche Stiftung Denkmalschutz. Nach den erfolgten Notsicherungsmaßnahmen wurde 1995 das teilweise eingestürzte Dach repariert und mit Wellbitumen versehen, um weitere Feuchteschäden im Kircheninnern zu vermeiden. Die Mauerziegel im desolaten Fachwerk wurden entfernt und der Kirchturm nach statischer Sicherung 1996 mit einer Holzschalung verkleidet.[11] Am 5. Oktober 1996 erfolgte mit Pastor Jens Krause die Einweihung, an der auch viele ehemalige Ruester Bürger teilnahmen. Jährlich feiert nun zu Himmelfahrt die Kirchgemeinde Mestlin hier einen gemeinsamen Gottesdienst für die Region.

Grab von 7 namentlich unbekannten deutschen Soldaten auf dem Kirchhof in Ruest

Dorffriedhof

Der große Dorffriedhof um die Kirche weist noch zahlreiche alte Grabstellen und ein Kriegerdenkmal für die im Ersten Weltkrieg gefallenen Soldaten aus Ruest auf. Drei Steinkreuze des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge stehen auf dem Kirchhof über einem Gemeinschaftsgrab für sieben namentlich unbekannte deutsche Soldaten, die im Mai 1945 von Rotarmisten im "Brandmoor" bei Ruest "aufgestöbert" und erschossen worden sind. [12] Noch im April 2011 stand auf dem vorderen der drei Kreuze fehlerhaft „sowj. Soldaten“[13], im August 2011 nur noch „unbekannte Soldaten“.

Quellen

  • Landeshauptarchiv Schwerin
    • LHAS 3.2-3/1 Landeskloster/Klosteramt Dobbertin
    • LHAS 3.2-4 Ritterschaftliche Brandversicherungsgesellschaft
    • LHAS 5.11-2 Landtagsversammlungen, Landtagsverhandlungen, Landtagsprotokolle, Landtagsausschuß
    • LHAS 5.12-4/2 Mecklenburgisches Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten

Literatur

  • Georg Dehio: Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler, Mecklenburg-Vorpommern. München, Berlin 2000. S. 502, 503.
  • Johann-Georg Nehls: Ruest. Vom Werden und Vergehen meines Heimatdorfes. Eigenverlag, Mühlheim/Ruhr 1994
  • Friedrich Schlie: Die Kunst- und Geschichts-Denkmäler des Großherzogthums Mecklenburg-Schwerin. Band 4. Schwerin 1901. S. 376-378.

Karten

  • Topographisch oekonomisch und militaerische Charte des Herzogthums Mecklenburg-Schwerin und das Fürstenthum Ratzeburg 1758 Klosteramt Dobbertin mit der Sandpropstei vom Grafen Schmettau.
  • Wibekingsche Karte von Mecklenburg 1786.
  • Charte von den Besitzungen des Klosters Dobbertin, Abteilung II. enthält Ruest, angefertigt nach den Gutskarten im Jahre 1866 durch I. H. Zebuhr.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. B.Keuthe in Ruest. Vom Werden und Vergehen meines Heimatdorfes (Chronik). J.-G. Nehls, Eigenverlag 1994
  2. a b c Johann-Georg Nehls (Hrsg.): Ruest. Vom Werden und Vergehen meines Heimatdorfes. (digital)
  3. H. Nehls: Ruester Chronik. S. 20
  4. Infotafel in Ruest
  5. Ruest bei emecklenburg.de
  6. LHAS, Landtagsprotokoll vom 20. Dezember 1818 zu Malchin.
  7. Horst Alsleben, SVZ Lübz 18. Mai 2001.
  8. Georg Dehio:Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Mecklenburg-Vorpommern, Deutscher Kunstverlag, Neubearbeitung, München/Berlin 2000, ISBN 3-422-03081-6, S. 502f.
  9. Zerniner Beschäftigungsinitiative (ZEBI) e. V. und START e. V. (Hrsg.): Dorf- und Stadtkirchen im Kirchenkreis Parchim. Edition Temmen, Bremen/Rostock 2001, ISBN 3-86108-795-2, S. 209
  10. Friedrich Drese, Orgelsachverständiger in der Ev.-Luth. Landeskirche Mecklenburg, Orgelmuseum Kloster Malchow.
  11. Dorfkirchen in Not e.V. - Ruest beim Dorfkirchen in Not e. V.
  12. Johann-Georg Nehls: Ruest. Vom Werden und Vergehen meines Heimatdorfs. Chronik 1994. S.33
  13. Bild vom Soldatengrab im April 2011

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