- Steven Johnson (Autor)
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Steven Berlin Johnson (* 6. Juni 1968) ist ein US-amerikanischer populärwissenschaftlicher Autor. Er hat als Kolumnist für Discover Magazine, Slate, Wired und andere Magazine gearbeitet. Er ist ein anerkannter Writer In Residence an der New Yorker Universität.
Inhaltsverzeichnis
Veröffentlichungen
Er veröffentlichte mehrere Bücher, die den sozialen und soziologischen Entwicklungen und Bedeutungen der technischen Entwicklung nachspüren.
- Interface Culture. Wie neue Technologien Kreativität und Kommunikation verändern (Interface Culture: How New Technology Transforms The Way We Create And Communicate) (1997)
- Emergence: The Connected Lives of Ants, Brains, Cities, and Software (2001)
- Mind Wide Open: Your Brain And The Neuroscience Of Everyday Life (2004)
- Die neue Intelligenz. Warum wir durch Computerspiele und TV klüger werden (Everything Bad Is Good For You: How Today's Popular Culture Is Actually Making Us Smarter) (2005)
- The Ghost Map: The Story of London's Most Terrifying Epidemic - and How it Changed Science, Cities and the Modern World (2006)
- The Invention of Air: A Story of Science, Faith, Revolution, and the Birth of America (2008)
- Where Good Ideas Come From: The Natural History of Innovation (2010) ISBN 978-1594487712
Interface Culture (1997)
In seiner Darstellung der technischen Entwicklungen im Computerbereich gelingt es Johnson, die Veränderungen auf Kultur, kulturelle Wahrnehmung und Realitätswahrnehmung zu erfassen und greifbar zu machen. Er verknüpft historische Anekdoten und Erzählungen mit fundierten und hintergründigen Schlussfolgerungen.
Seine Schilderungen und Anekdoten beispielsweise über die Entwicklung der Computermaus sind mit seinen Beobachtungen zum veränderten Umgang mit Objekten und der daraus resultierenden kognitiven „Neuverdrahtung” verknüpft und bieten dem Leser dadurch ein Verständnis für Prozesse und Entwicklungen im kulturellen Umgang mit Objekten, denen sich dieser kaum bewusst ist. Das Prinzip der Verschränkung von Historie und Interpretation zieht sich konsequent und leichtfüßig durch alle Kapitel, die beispielsweise dem Internet, Benutzerschnittstellen und anderen Computerbereichen gewidmet sind.
Computerwelt und kulturelle Entwicklung stehen nach der Lektüre nicht mehr als unabhängige Begriffe gegenüber, sondern haben sich gegenseitig durchdrungen.
Emergence (2001)
„Emergenz ist das, was entsteht, wenn das Ganze größer ist als die Summe der Teile“, fasste Johnson den Kerngedanken des Buches in einem Interview zusammen. Mit seinem Buch erfindet Johnson das Phänomen nicht neu, sondern setzt sich mit den vielfältigen Erscheinungsformen, deren Implikationen und Konsequenzen auseinander. Als Beispiele für das Entstehen von Komplexität durch die Interaktion zahlreicher Einzelteile verweist Johnson auf Ameisen, das menschliche Gehirn, die Entstehung von Städten und Software. In allen Fällen besitzen die Einzelteile ein – im Vergleich zum Gesamtsystem – einfaches Regelsystem der Entscheidungsfindung und Interaktion, das durch die Quantität der Einzelteile zu einer neuen Qualität findet. Adaptives Lernen, Selbstorganisation, Schwarmintelligenz sind einige der Schlagwörter, die in diesem Zusammenhang oft gebraucht werden.
Die Intelligenz bzw. Komplexität entsteht ausschließlich durch die Menge der Einzelteile, die aufgrund der schieren Anzahl das „Lokal handeln, global wirken“ auslöst – das gilt für menschliche Zellen, die sich aufgrund der DNA-Regeln genauso entwickeln wie für Ameisen, die den Pheromon-Signalen ihrer Artgenossen folgen. Das Regelsystem, nach dem moderne Onlineplattformen wie Amazon oder Slashdot.com oder Computerspiele wie SimCity funktionieren, ist relativ primitiv; erst durch die Menge der Nutzer entsteht daraus scheinbar intelligentes Verhalten oder Empfehlen. Emergenz ist keine Entwicklung, die hierarchisch von oben nach unten vorgesehen ist, sondern die auf dem unteren Level stattfindet und durch die Quantität ein höheres Level erreicht.
Vier Bedingungen für das Entstehen von Emergenz behandelt Johnson ausführlich. Die Fähigkeit zur Mustererkennung, beispielsweise welche Artgenossen einer Ameise begegnen oder welche Artikel jemand bei Amazon kauft, ist essenziell und kann als „lerne von deinem Nachbarn“ verstanden werden. Damit dies gelingt, müssen die Einzelteile fähig sein, Feedback zu geben und zu verarbeiten. Die Bezeichnung „Nachbarn“ verweist auf die dritte Bedingung, dass sich alle Einzelteile auf demselben Level („street level“) befinden müssen, also keine Hierarchie zwischen diesen bestehen darf. Emergence entsteht dann durch die ständige Interaktion zahlreicher Einzelteile; eine Einflussnahme auf das Ergebnis wäre nur über eine Veränderung der Regeln, nach denen die Einzelteile agieren, möglich.
Mind Wide Open (2004)
Wie funktioniert das Gehirn, wie werden Verhaltensweisen prägend, was geschieht unterhalb des eigenen Bewusstseins? Solche und begleitende Fragen erforscht Johnson bei der Reise in die neuronalen Bereiche. Das Buch ist als persönliche Geschichte aufgebaut, die über verschiedene Stationen zahlreiche Untersuchungsmöglichkeiten und moderne Erkenntnisse verbindet. Allgemeinplätze wie Adrenalinlevel oder Bezüge zu Vorgängen auf der biochemischen Ebene werden so in einen Kontext gestellt und in der Vielfalt ihrer Wirkweisen vorgestellt.
Auf dem gewohnt hohen populärwissenschaftlichen Niveau, das stets anschaulich und faktisch korrekt detailliert schildert, führt Mind Wide Open über prägende Ereignisse, Witze-Erzählen und Verstehens- bzw. Erkennenstests zu Einsichten über das Gehirn, das nach Johnsons Verständnis wie ein gutes Orchester zahlreiche Bestandteile verbindet. Erst im Zusammenspiel der Einzelelemente entstehen Denken und Fühlen. Während Untersuchungen meist auf einen Bereich konzentriert sind, schafft Johnson die Bezüge der Bereiche untereinander und liefert einen post-Freudianischen Einblick in die menschliche Psyche.
Neue Intelligenz (2005)
Johnsons Everything Bad Is Good For You erschien auf Deutsch als Neue Intelligenz und unterstellt, dass moderne Technologien positive Effekte haben, die in der üblichen Debatte oft ausgeblendet werden. Der amerikanische Kulturwissenschaftler erklärt, Fernsehen und Computerspiele wirken längst nicht so verblödend und unsozial, wie es oft behauptet wird.
Johnson untersucht ältere und jüngere Fernsehsendungen und stellt fest, dass Emergency Room, Seinfeld oder Die Sopranos dem Publikum geistige Höchstleistungen abverlangen – viele Handlungsfäden sind parallel zu verfolgen, miteinander in Beziehung zu setzen und weitverzweigte Verweissysteme zu erschließen. Reality-TV schult soziale Kompetenzen, da es offensiv dazu auffordert, sich mit den Situationen emotional und lösungsorientiert auseinanderzusetzen. „Sogar der Mist ist besser geworden” – mit diesem Fazit rehabilitiert er als vergleichender Beobachter das gescholtene Fernsehprogramm.
Bei den Computerspielen betrachtet er die erfolgreichen Genres – und lässt daher die berüchtigten Killerspiele außen vor. Johnson gelingt es, auch Nicht-Spielern die Faszination der Spielwelten zu vermitteln und die Lösungsstrategien zu analysieren. Genauso wie Bücher vermögen es Computerspiele, die Nutzer in ihre Welt zu ziehen sowie emotional und intellektuell zu fesseln – und zu fördern. Dies ist kein Buch gegen das Lesen, sondern die Aufforderung, scheinbar „niedere Kulturgüter“ erst zu prüfen, bevor man sie verdammt.
The Ghost Map (2006)
Johnson rekonstruiert detailliert die Cholera-Epidemie 1854 in London. Das Buch ist in Kapitel gegliedert, die jeweils einen Tag schildern und dabei die Beschreibungen einzelner Schicksale, verschiedene Aspekte der Gesellschaft, Wissenschaft und Entwicklungen einbeziehen (dieses Verfahren bezeichnet Johnson selbst als „Deep Structure“). Das Zusammenleben in der neuen (rasant gewachsenen) Großstadt London, dem das erste Kapitel gewidmet ist, brachte neue Herausforderungen, wobei Johnson als wesentliche Faktoren die später wichtigen Bereiche Wasserver- und -entsorgung sowie Müllentsorgung in den Fokus nimmt. Erst die Lösung dieser Probleme verhinderte später die Entstehung ähnlicher Epidemien, wie er anhand zahlreicher Beispiele belegt.
Das für Johnson historisch wichtigste Element ist, dass erstmals bei einer Epidemie Maßnahmen ergriffen wurden, die durch rationale Analyse begründet waren: Der Hebel der Pumpe, über die cholera-verseuchtes Wasser verteilt wurde, wurde abmontiert. Der Ideologie folgend, sahen die Obrigkeiten die Cholera über Luft verbreitet und nicht über das Wasser, wie es John Snow belegen konnte. Johnson räumt Snows Untersuchungen, Schlussfolgerungen und Überzeugungsleistungen breiten Raum ein und stellt auch zahlreiche Personen und deren Wirken ausführlich vor, die Snows Erkenntnisse erst ermöglichten.
Mit dem Verweis auf Pandemien schlägt Johnson im letzten Kapitel den Bogen zur Neuzeit. Während ein Ereignis wie 9/11 eine hohe Opferquote forderte, jedoch zeitlich begrenzt ist, hätten Pandemien aufgrund ihrer Ausbreitung wesentlich verheerendere Folgen. Insbesondere das Zusammenleben vieler Menschen auf wenig Raum (Stichwort Großstadt) würde in beiden Fällen hohe Opferzahlen verursachen, im Fall der Pandemie jedoch katastrophale Ausmaße annehmen, da die Ansteckungszahlen exponentiell ansteigen.
The Invention of Air (2008)
Der heute kaum bekannte Universalgelehrte Joseph Priestley steht im Zentrum. Johnson folgt chronologisch dem Leben Priestleys, das in die Darstellung der englischen Kultur eingebettet ist. Die "Beinahe-Entdeckung" des Sauerstoff, die Begründung der modernen Chemie, das begeisterte Interesse für die Elektrizität lassen Priestley zu einem der wichtigsten Wissenschaftler seiner Zeit werden. Der radikale Denker, überzeugte Optimist, chaotische Experimentierer und geschätzte Analytiker veröffentlichte zahlreiche Schriften zu wissenschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Themen.
Aufgrund einiger unglücklicher und unbedachter Formulierungen sah Priestley sein Leben ernsthaft gefährdet und floh mit seiner Familie aus England in die sehr junge USA. Mit Benjamin Franklin hatte ihn schon in England eine tiefe Freundschaft verbunden. In den USA pflegte er engen Kontakt zu den beiden anderen Gründungsvätern: John Adams und Thomas Jefferson. Im Briefwechsel dieser beiden ist Priestley der wichtigste Protagonist, beide setzen sich ausführlich mit seinen Positionen und Ansichten auseinander.
Johnson argumentiert, dass weder dieser Briefwechsel zwischen den beiden US-Präsidenten noch die Beziehung zwischen den drei Gründungsvätern verstanden werden kann, wenn man nicht Priestleys Leben, Wirken und Denken kennt. In seine Darstellung eines Männer-Lebens bettet Johnson die Geschichte vom Entstehen neuer Ideen, Paradigmen, Denkmuster, geistiger Errungenschaften ein. Diese - so Johnsons Argument - benötigen eine bestimmte gesellschaftliche, politische, wissenschaftliche Kulisse, um so zu wirken, wie sie es taten. Daher lassen sie sich nur retrospektiv erkennen, wenn man "herauszoomt" und den Blick nicht nur auf ein Themengebiet verengt.
Im Sinne des New Historicism ist Johnsons sechstes Buch eine historische Erzählung, die von dem Entstehen und Wirken wissenschaftlicher Ideen berichtet.
Where good Ideas come from -- The natural History of Innovation (2010)
Ausgehend von Charles Darwins Beobachtung des Korallenriffs als Ökosystem zieht Johnson Verbindungen zur geistigen Produktivität heutiger Großstädte und zum raschen Erfolg von Projekten wie YouTube. Dabei steht die Frage im Vordergrund, welche Umgebungen neue Ideen und Entwicklungen befördern und voranbringen. Sieben Kernprinzipien untersucht Johnson anhand von Beispielen quer durch die Menschheitsgeschichte.
Stil
Johnsons Schreibstil kann im Wortsinn als populärwissenschaftlich beschrieben werden. Er verbindet anschauliches Schreiben mit faktisch korrekten Darstellungen, ohne das eine zugunsten des anderen zu vernachlässigen. Seine Bücher sind daher als Kompilate und Überblickswerke zum Einstieg in ein Wissensgebiet zu sehen. Die Leistung Johnsons liegt weniger im Schaffen neuer Fakten als im Aufdecken von Verbindungen, im Wichten von Fakten und im Übersetzen der Fachproblematiken und -ausdrucksweisen in gut zugängliche Texte, die eine erzählende Struktur aufweisen.
Wie die Untertitel seiner Bücher von 2006 und 2008 andeuten, liefert Johnson keine wissenschaftliche Auseinandersetzung, sondern eine Story, eine Erzählung. Diese Erzählungen kreisen jeweils fokussiert um wenige Personen und sind im 18./19. Jahrhundert angesiedelt. Sie leben von den detaillierten Verbindungen zwischen Wissenschaft, Kultur, Politik und anderen Faktoren. Der Blick ist dabei weniger auf die dramatische Dimension gerichtet, sondern lässt bestimmte kulturelle Entwicklungen, wissenschaftliche Entdeckungen oder politische Entscheidungen aus dem Geflecht zahlreicher Faktoren erkennbar und nachvollziehbar werden.
Web-Projekte
1995 war Steven Johnson ein Mitbegründer des frühen Webzine Feed Magazine.
Johnson hat einen neuen Webdienst namens Outside.In gestartet. Sein Ziel ist, die dichten regionalen und lokalen Verknüpfungen auch virtuell abzubilden und zu nutzen. Weniger ein großes mediales Dorf soll dabei entstehen als vielmehr tatsächliche Nachbarschaften. Dafür verwendet er den Begriff „hyperlocal“.
Weblinks
Commons: Steven Berlin Johnson – Sammlung von Bildern, Videos und AudiodateienKategorien:- Autor
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