Tempelbezirk von Khajuraho

Tempelbezirk von Khajuraho
Der Shiva als dem 'Herrn der Welt' geweihte Vishvanatha-Tempel (ca. 1000) besteht - wie der ca. 50 Jahre frühere Lakshmana-Tempel - aus mehreren Bauteilen (mandapas, antarala und garbhagriha) und ist von einem hohen Shikhara-Turm überhöht. Die Dachaufbauten der Vorhallen sind dagegen pyramidenförmig gestaltet. In der südwestlichen Ecke der Plattform (jagati) steht der Parvati-Schrein.

Der Tempelbezirk von Khajuraho[1] umfasst eine Gruppe von etwa 20 Tempeln im Zentrum und in der näheren Umgebung der Stadt Khajuraho im indischen Bundesstaat Madhya Pradesh. Sie zählen zum UNESCO-Welterbe.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Nahezu alle Tempel Khajurahos wurde von den Herrschern der Chandella-Dynastie zwischen 950 und 1120 erbaut. Die Chandellas waren ein zwischen dem 10. und 16. Jahrhundert regierender Rajputen-Klan, welcher sich um 950 in Gwalior festsetzte. Im 10. und 11. Jahrhundert waren die Chandellas die führende Macht in Nordindien, wenngleich sie formell noch bis 1018 Vasallen der Pratihara waren.

Nach dem Niedergang der Dynastie im 12. Jahrhundert wurden die Tempel kaum noch oder gar nicht mehr benutzt und blieben dem Wuchs des Dschungels überlassen. Der politisch, militärisch und wirtschaftlich bedeutungslos gewordene Ort lag abseits aller Wege und blieb somit auch in der Zeit des islamischen Vordringens in Nordindien von Zerstörungen verschont. Im 18. und 19. Jahrhundert zählte die einstmals bedeutsame Stadt nur noch etwa 300 Einwohner. Im 19. Jahrhundert wurden die Tempel von den Briten 'wiederentdeckt'. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts begannen systematische Sicherungs- und Restaurierungsarbeiten, die schließlich zur Wiederherstellung dieses einzigartigen Architektur-Ensembles führten.

Tempel

Ursprünglich gab es in Khajuraho etwa 80 Tempelbauten verstreut auf einer Gesamtfläche von ca. 21 km², heutzutage sind davon nur noch etwa 20 erhalten, von denen die meisten in zwei Gruppen stehen. Die Mehrzahl der Tempel ist den hinduistischen Hauptgöttern geweiht, einige den Jaina-Tirthankaras. Buddhistische Bauten gab es wohl nicht, jedenfalls wurden keine buddhistischen Skulpturen entdeckt.

Alle Tempel stehen auf 1,50 m bis 3 m hohen Plattformen (jagatis), die das Bauwerk vor Witterungseinflüssen (Monsun) und freilaufenden Tieren schützten. Gleichzeitig wird durch sie eine 'Erhöhung' des aufstehenden Bauwerks im übertragenen Sinn erreicht.

Die Mehrzahl der Tempeleingänge sind nach Osten, also in Richtung der aufgehenden Sonne ausgerichtet, d. h. die Cella (garbhagriha) liegt im Westen. Bei zwei Tempeln ist es umgekehrt: sie orientieren sich nach Westen, d. h. in Richtung der untergehenden Sonne (Lalguan-Mahadeva-Tempel und Chaturbuja-Tempel). Beide Ausrichtungen sind bei indischen Tempeln seit Jahrhunderten möglich und üblich.

Der Vishnu in seiner Form als Vaikuntha, dem 'Herrn des Paradieses', geweihte Lakshmana-Tempel (ca. 950) gilt als wichtigster Tempel von Khajuraho, weil hier − erstmals in Khajuraho − mehrere Bauteile aneinandergereiht wurden und ein typischer, hoch aufragender Shikhara-Turm zu sehen ist. Im Vordergrund kniet eine menschliche Figur, die mit einem Dolch einen scheinbar übermächtigen Löwen tötet − das Emblem der Chandella-Dynastie findet sich an vielen Tempelbauten in Khajuraho.

Westgruppe (Hindu-Tempel)

  • Matangeshvara-Tempel (ca. 970)
  • Varaha-Tempel (ca. 950)
  • Lakshmana-Tempel (ca. 950)
  • Devi-Tempel
  • Vishvanatha-Tempel (ca. 1000)
* Nandi-Schrein
* Parvati-Schrein

Ostgruppe (Jain-Tempel)

  • Parsvanatha-Tempel (ca. 960)
  • Adinatha-Tempel (ca. 1050)
  • Shantinatha-Tempel
  • Ghantai-Tempel (ca. 990)

Einzeltempel (Hindu-Tempel)

  • Chausath-Yogini-Tempel (ca. 875)
  • Lalguan-Mahadeva-Tempel (ca. 920)
  • Brahma-Tempel (ca. 930)
  • Khakra-Math-Tempel (ca. 980)
  • Vamana-Tempel (ca. 1050)
  • Javari-Tempel (ca. 1100)
  • Chaturbuja-Tempel (ca. 1120)
  • Duladeo-Tempel (ca. 1120)

Architektur

  • Frühzeit

Abgesehen vom Chausath-Yogini-Tempel, dem ältesten und vollkommen anderen baulichen Traditionen verpflichteten Tempelbau in Khajuraho, bestehen die frühen Tempel nur aus einer − von einem gestuften Pyramidendach bedeckten − Cella (garbhagriha), der im Fall des Brahma-Tempels noch ein Portalvorbau (antarala), im Fall des Varaha-Tempels und des Matangesvara-Tempels jeweils ein kleiner offener Vorraum (mandapa) vorgesetzt ist. Die Außenwände sind nur geringfügig gegliedert und überwiegend steinsichtig.

  • Blütezeit

Die Blütezeit der Tempelarchitektur in Khajuraho beginnt mit dem Lakshmana-Tempel (ca. 950), der wahrscheinlich von früheren Tempelbauten in Rajasthan beeinflusst ist, die ihrerseits wiederum allesamt auf den Kalika-Mata-Tempel in Chittorgarh (ca. 700) zurückgeführt werden können. Er besteht aus mehreren hintereinander liegenden, aber harmonisch miteinander verbundenen Bauteilen (mandapas, antarala und garbagriha). Deren Wände sind außen wie innen mehrfach abgestuft; die Außenwandgliederung − die natürlich auch Stabilitätsvorteile hat − setzt sich im Dachaufbau fort. Gleichzeitig sind große Teile des Bauwerks in Form von Balkonen nach außen geöffnet. Die Cella ist als eigener, innenliegender Baukörper gestaltet und von einem Umgang (pradakshinapatha) umgeben. Der gesamte Sanktumsbereich des Lakshmana-Tempels sowie seine vier Nebenschreine werden − erstmals in Khajuraho − von steil und hoch aufragenden Shikhara-Türmen überhöht; die weniger wichtigen Vorhallen werden auch weiterhin von den insgesamt flacheren, pyramidenförmigen Dächern bedeckt, so dass eine architektonische Steigerung der Tempel − einem Gebirge durchaus vergleichbar − hin zur Cella erreicht wird. Die wichtigsten Nachfolgebauten des Lakshmana-Tempels sind der Vishvanatha-Tempel (ca. 1000) und der Kandariya-Mahadeva-Tempel (ca. 1050), bei denen − wegen der vielfältigen architektonischen Gliederungen und des dichten Skulpturenprogramms − eine Stein- bzw. Wandsichtigkeit nicht mehr wahrzunehmen ist.

Jedes Bauteil des Lakshmana-Tempels ist mit beinahe vollplastischen Figuren überzogen - sogar die weitgehend im Dunkeln liegenden Ecknischen.

Skulpturen

  • Frühzeit

Die nur wenig gegliederten Außenwände der frühen Tempel von Khajuraho zeigen kaum figürlichen oder ornamentalen Schmuck. Dieser ist − noch stark reliefgebunden − auf die Portale (Lalguan-Mahadeva-Tempel; Brahma-Tempel) sowie auf einige Fensternischen (Matangeshvara-Tempel) beschränkt.

  • Blütezeit

Auch hier ist es der Lakshmana-Tempel, der für Khajuraho neue Zeichen setzt: Während die Außenwände der Vorhallen nur wenig figürliche Reliefs zeigen, sind die Wände des Sanktums überreich mit Skulpturen geschmückt. Darunter finden sich Götterfiguren (devas oder devis), 'Schöne Mädchen' (surasundharis) und Liebespaare (mithunas); auch die ersten erotischen Skulpturen sind in den unteren (erdnahen) Feldern der Mittelregister sowie im Figurenfries der Plattform zu sehen. Die mittleren Felder zeigen dagegen zärtliche Liebespaare mit kleineren Begleitfiguren; die oberen Götterfiguren − eine Hierarchie der Figurenanordnung ist also deutlich zu erkennen. Bei den unmittelbaren Nachfolgebauten (Vishvanatha-Tempel, Jagadambi-Tempel und Kandariya-Mahadeva-Tempel) nimmt die Anzahl der Figuren − und somit auch der erotischen Darstellungen − zu.

Bei den Jain-Tempeln und den späteren Hindu-Tempeln sind kaum noch erotisch-sexuelle Darstellungen zu finden; hier überwiegt die Anzahl der Götterfiguren manchmal sogar die der 'Schönen Mädchen'.

Archäologisches Museum

Zu den Sehenswürdigkeiten im Bereich des Tempelbezirks von Khajuraho gehört auch das im Ortskern gelegene Archäologische Museum (auch Rani Durgavati-Museum genannt). Es beherbergt einige sehr schöne Skulpturen, die im Rahmen der Ausgrabungs- und Restaurierungsarbeiten gefunden und hierher verbracht wurden, weil sie keinem der erhaltenen Tempelbauten direkt zuzuordnen waren.

Galerie

Literatur

  • Krishna Deva: Temples of Khajuraho. (2 Bände) Archaeological Survey of India, New Delhi 1990, S. 146ff
  • Henri Stierlin: Hinduistisches Indien. Tempel und Heiligtümer von Khajuraho bis Madurai. Taschen-Verlag, Köln 1998, S. 129ff ISBN 3-8228-7298-9

Einzelnachweise

  1. Deutsche Bezeichnung nach Deutsche UNESCO-Kommission: Die UNESCO-Liste des Welterbes; englisch Khajuraho Group of Monuments, französisch Ensemble monumental de Khajuraho.

Weblinks

 Commons: Khajuraho group of monuments – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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