Terrestrischer Gammablitz

Terrestrischer Gammablitz
Künstlerische Darstellung: Gammastrahlen-Blitz und verwandte Phänomene.

Terrestrische Gammablitze (englisch terrestrial gamma-ray flash, TGF) sind Ausbrüche von energiereicher elektromagnetischer Strahlung (vgl. Gammablitz) in der Erdatmosphäre. TGFs wurden mit 0,2 bis 3,5 ms Dauer und Energien von bis zu 20 MeV registriert. Es wird angenommen, dass sie durch elektrische Felder im oberen Bereich von Gewitterwolken entstehen.

Inhaltsverzeichnis

Entdeckung

Terrestrische Gammablitze wurden erstmals 1994 vom BATSE (Burst und Transient Source Experiment) des Compton Gamma-Ray Observatoriums, einer NASA-Raumsonde,[1] entdeckt. Eine weitere Studie an der Stanford University im Jahr 1996 konnte einen TGF einem individuelle Blitzeinschlag, welcher innerhalb von wenigen ms gleichzeitig mit dem TGF erfolgte, zuordnen. BATSE konnte in neun Jahren nur eine kleine Anzahl von TGF-Ereignissen registrieren, da es eigentlich für die Erforschung extraterrestrischer Gammastrahlenausbrüche von längerer Dauer konstruiert war. Der neuere RHESSI-Satellit hat TGFs mit viel höheren Energien als den von BATSE registrierten beobachtet.[2] Darüber hinaus zeigen neue Beobachtungen, dass etwa fünfzig TGFs jeden Tag auftreten, mehr als bisher angenommen, jedoch nur ein sehr kleiner Bruchteil der insgesamt auf der Erde auftretenden Gewitterblitze (3–4 Millionen Blitze durchschnittlich pro Tag). Allerdings kann die Zahl auch viel höher sein, wenn die Gammastrahlenblitze in Form eines engen Strahlungskegels abgestrahlt werden und so nur schwer zu erkennen sind, oder wenn eine große Zahl von TGFs in niedrigen Höhen entsteht, so dass die Gammastrahlen durch die Atmosphäre absorbiert werden, bevor sie den Satelliten erreichen.

Entstehung

Mittlerweile hat sich betreffs des physikalischen Mechanismus, der die TGFs verursacht, ein Konsens herausgebildet. Es wird vermutet, dass TGFs auftreten, wenn Elektronen mit relativistischen Geschwindigkeiten (Geschwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindigkeit) auf Atomkerne der Luft treffen und dabei Energie in Form von Bremsstrahlung abgeben. Manchmal werden dadurch auch weitere Elektronen mit relativistischen Energien aus den Atomen freigesetzt, so dass sich eine Lawine von schnellen Elektronen bildet, ein Phänomen, das „relativistischer Runaway-Breakdown“ genannt wird.[3] Die Beschleunigung der Elektronen erfolgt vermutlich durch ein starkes elektrisches Feld, aber von hier an besteht erhebliche Unsicherheit.

Einige der Standarderklärungen sind von anderen mit Gewitterblitzen verbundenen Entladungserscheinungen entlehnt Kobold (Wetterphänomen), deren Entdeckung der der TGFs unmittelbar (einige Jahre) voranging. Beispielsweise könnte das Feld durch Ladungstrennung in einer Gewitterwolke (DC-Feld), wie sie oft mit den Kobold-Erscheinungen verbunden ist, verursacht sein. Eine andere Erklärung wäre der mit einem Blitzschlag einhergehende elektromagnetische Impuls (EMP), wie er ebenfalls oft bei Entladungen in der Hochatmosphäre auftritt. Es gibt auch einige Hinweise, dass TGFs auch in Abwesenheit von Blitzschlägen auftreten, wenn auch in der Nähe allgemeiner Blitzaktivität, so wie auch sogenannte „Blue Jets“. Die meisten TGFs wurden jedoch innerhalb weniger Millisekunden vor oder nach einem Blitzereignis nachgewiesen.[4][5][6][7]

Das DC-Feld-Modell erfordert eine sehr große Ladung der Gewitterwolke in großer Höhe (etwa 50–90 km, wo sich „Kobold-Erscheinungen“ bilden). Anders als bei Kobold-Erscheinungen können so große Ladungen offenbar nicht mit Blitzen, die TGFs erzeugen, in Verbindung gebracht werden.[5] Deshalb erfordert das DC-Feld-Modell, dass die TGFs in geringerer Höhe erzeugt werden, an der Spitze der Gewitterwolke (10–20 km), wo stärkere lokale Felder auftreten können. Diese Hypothese wird durch zwei unabhängige Beobachtungen unterstützt. Erstens passt das Spektrum der von RHESSI registrierten Strahlung sehr gut zur Vorhersage von Runaway Breakdowns in 15–20 km Höhe.[8] Zweitens sind TGFs im Vergleich zur Gesamtheit der Blitze stark um Äquator und über Wasser konzentriert.[9] Gewitterwolken sind in der Nähe des Äquators höher. Somit hat die dort im oberen Teil der Wolke durch TGFs entstehende Gammastrahlung eine bessere Chance, durch die Atmosphäre zu entkommen. Die Schlussfolgerung wäre dann, dass es vor allem in höheren Breiten viele TGFs gibt, die wegen der niedrigen Höhe ihrer Entstehung vom Weltraum aus nicht gesehen werden können.

Der EMP-Modell[6] erfordert weniger Energie für die TGFs, da die Gammastrahlen in der Hochatmosphäre erzeugt werden, so dass man alle entstehenden Gammastrahlenblitze auch vom Weltraum aus sehen kann. Dieses Modell ist bisher durch Beobachtungen nur unzureichend bestätigt. Die Anforderungen an einen elektromagnetischen Puls mit den erforderlichen Eigenschaften sind recht eng.

Mit einiger Wahrscheinlichkeit sind auch mehrere Mechanismen an der Erzeugung der TGFs beteiligt.

Paarweise Ereignisse

Es ist vorgeschlagen worden, dass TGFs Begleiterscheinungen von Strahlen hoch relativistischer Teilchen sind, die der Atmosphäre entweichen, sich entlang magnetischer Feldlinien ausbreiten und auf der gegenüberliegenden Hemisphäre wieder eindringen. In einigen Fällen weisen sowohl von RHESSI als auch von BATSE registrierte TGFs ungewöhnliche Muster auf, die diese Erklärung zu stützen scheinen. Diese Fälle stehen aber im Widerspruch zur Mehrzahl der statistischen Daten über TGF-Ereignisse, so dass diese Art von TGFs wahrscheinlich, wenn überhaupt, nur einen Bruchteil der Gesamtereignisse repräsentiert.

Am 14. Dezember 2010 beobachtete der Satellit Fermi einen TGF mit der Nummer TGF 091214 über der ägyptischen Sahara, in dessen Nähe sich keinerlei Gewitter befand. Das zugehörige Gewitterereignis hatte 4000 km entfernt, in Sambia, stattgefunden. Die Teilchen, welche den TGF auslösten, hatten sich entlang einer Magnetfeldlinie bewegt. Bei der Untersuchung der Energieverteilung wurde zudem eine Häufung bei 511 keV entdeckt, welche als Spur von Elektron-Positron-Vernichtungen angesehen wird. Dies stützt die Annahme, dass sich in irdischen Blitzen auch Antimaterie bilden kann.[10]

Weblinks

Literatur

  • C. P. Barrington-Leigh: Terrestrial Gamma-ray Flashes After CGRO: Prospects From HESSI. In: AGU Fall Meeting Abstracts. 31, 1. November 2001, S. 60 (Konferenz-Poster, PDF, abgerufen am 30. Dezember 2010).
  • U. S. Inan, M. B. Cohen, R. K. Said, D. M. Smith, L. I. Lopez: Terrestrial gamma ray flashes and lightning discharges. In: Geophysical Research Letters. 33, 19. August 2006, S. 5 PP., doi:200610.1029/2006GL027085.
  • J. R. Dwyer, D. M. Smith, M. A. Uman, Z. Saleh, B. Grefenstette, B. Hazelton, H. K. Rassoul: Estimation of the fluence of high-energy electron bursts produced by thunderclouds and the resulting radiation doses received in aircraft. In: Journal of Geophysical Research. 115, 15. April 2010, S. 10 PP., doi:201010.1029/2009JD012039.

Einzelnachweise

  1. G. J. Fishman, P. N. Bhat, R. Mallozzi, J. M. Horack, T. Koshut, C. Kouveliotou, G. N. Pendleton, C. A. Meegan, R. B. Wilson, W. S. Paciesas, S. J. Goodman, H. J. Christian: Discovery of Intense Gamma-Ray Flashes of Atmospheric Origin. In: Science. 264, Nr. 5163, 1994, S. 1313–1316, doi:10.1126/science.264.5163.1313.
  2. David M. Smith, Liliana I. Lopez, R. P. Lin, Christopher P. Barrington-Leigh: Terrestrial gamma-ray flashes observed up to 20 MeV. In: Science. 307, Nr. 5712, 2005, S. 1085–1088, doi:10.1126/science.1107466.
  3. A. V. Gurevich, G. M. Milikh, R. Roussel-Dupre: Runaway electron mechanism of air breakdown and preconditioning during a thunderstorm. In: Physics Letters A. 165, Nr. 5-6, 1. Mai 1992, S. 463–468, doi:10.1016/0375-9601(92)90348-P.
  4. Inan et al. 1996
  5. a b Steven A. Cummer, Yuhu Zhai, Wenyi Hu, David M. Smith, Liliana I. Lopez, Mark A. Stanley: Measurements and implications of the relationship between lightning and terrestrial gamma ray flashes. In: Geophysical Research Letters. 32, 30. März 2005, S. 5 PP., doi:200510.1029/2005GL022778.
  6. a b U. S. Inan, N. G. Lehtinen: Production of terrestrial gamma-ray flashes by an electromagnetic pulse from a lightning return stroke. In: Geophysical Research Letters. 32, 15. September 2005, S. 5 PP., doi:200510.1029/2005GL023702.
  7. M. B. Cohen, U. S. Inan, G. Fishman: Terrestrial gamma ray flashes observed aboard the Compton Gamma Ray Observatory/Burst and Transient Source Experiment and ELF/VLF radio atmospherics. In: Journal of Geophysical Research. 111, 21. November 2006, S. 11 PP., doi:200610.1029/2005JD006987.
  8. J. R. Dwyer, D. M. Smith: A comparison between Monte Carlo simulations of runaway breakdown and terrestrial gamma-ray flash observations. In: Geophysical Research Letters. 32, 19. Oktober 2005, S. 4 PP., doi:200510.1029/2005GL023848.
  9. E. Williams, R. Boldi, J. Bór, G. Sátori, C. Price, E. Greenberg, Y. Takahashi, K. Yamamoto, Y. Matsudo, Y. Hobara, M. Hayakawa, T. Chronis, E. Anagnostou, D. M. Smith, L. Lopez: Lightning flashes conducive to the production and escape of gamma radiation to space. In: Journal of Geophysical Research. 111, 29. Juli 2006, S. 7 PP., doi:200610.1029/2005JD006447.
  10. Jan Hattenbach: Blitz, Donner, Antiteilchen. In: Spektrum der Wissenschaft. Ausgabe 06/2011. Spektrumverlag, Heidelberg. ISSN 0170-2971

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