Tighremt

Tighremt
Tighremt im Draa-Tal

Ein Tighremt ist eine meist dreigeschossige, aus Stampflehm errichtete und mit Ecktürmen versehene Wohnburg der Berber im Süden Marokkos.

Inhaltsverzeichnis

Wortbedeutung

Das Wort tighremt (pl. tiguermin oder tiguermatin) entstammt dem tamazight, einer Berbersprache, die im östlichen Antiatlas und in weiten Teilen des Hohen Atlas gesprochen wird und bezeichnet jedes größere aus Stampflehm errichtete Gebäude. Nicht selten wird ein Tighremt auch mit dem arabischen Wort kasbah bezeichnet, doch sollte man beide Begriffe besser auseinander halten: Bei einer Kasbah stehen militärisch-hoheitliche Aspekte eindeutig im Vordergrund.

Funktion

Das Leben der Berber in den ehemals abgelegenen Bergregionen Südmarokkos war über Jahrhunderte geprägt von den Prinzipien der Selbstversorgung und Selbstverantwortung. Jede (Groß-)Familie stellte die lebensnotwendigen Nahrungsmittel sowie Gerätschaften und Werkzeuge selbst her und war gezwungen, ihren Besitz gegen Fremde zu verteidigen. Ein - nur aus den vor Ort vorkommenden Materialien (Lehm, Palmstämme und -blätter, Äste von Oliven-, Mandel- oder Granatapfelbäumen, Schilf) errichteter - Tighremt bot alle notwendigen architektonischen Voraussetzungen für das Überleben in einer schwierigen Umwelt. Darüber hinaus bot die Lehmbauweise eine ausreichende Isolierung gegen die Hitze des Tages und die Kälte der Nacht.

In einigen Regionen Südmarokkos - nicht jedoch in den dauerhaft fruchtbaren Oasentälern - bestand die Notwendigkeit zu alljährlichen Wanderungen mit dem Vieh in höher gelegene Bergregionen (Transhumanz). Während dieser Zeit wurde der Familienbesitz vorübergehend in den Agadiren (Speicherburgen) deponiert.

Architektur

Äußeres

Vor allem durch zinnenbekrönten Ecktürme, fehlende Fenster und schießschartenähnliche Lüftungsöffnungen erhält ein Tighremt sein wehrhaftes, fast burgähnliches Äußeres. Im Gegensatz zum gesamten Baukörper ist der obere Bereich der Ecktürme zumeist mit - über Jahrhunderte tradierten - geometrischen Motiven (Rauten, Dreiecke, Gitter etc.) dekoriert, wobei davon auszugehen ist, dass derartige Motive ursprünglich eine apotropäische (Unheil abwehrende) Bedeutung hatten: so können die Rauten als abstrahierte Augen und somit als Zeichen von Wachsamkeit gedeutet werden. Treppenmuster dagegen sind eher jüngeren Datums und als - in die geometrische Formensprache der Berber übertragene - Entlehnungen aus der arabischen Kunst Nordmarokkos ("Lambrequinbögen") anzusehen; ein symbolischer Gehalt ist nicht festzustellen.

Hof

Die meisten Tighremts haben einen mehr oder weniger großen Hofbereich, in dem allabendlich das Vieh (Schafe, Ziegen, Hühner) eingesperrt wurde. Auch heute noch ist der aus Lehm gebaute - und mit Stroh und trockenen Ästen befeuerte - kleine Backofen für das Backen des täglichen Brotes zu sehen.

Inneres

Das Innere eines Tighremts ist wohldurchdacht: Im Erdgeschoss befinden sich Stallungen für das Vieh (Ziegen, Schafe, Hühner); auch Viehfutter, Stroh und landwirtschaftliche Geräte werden hier gelagert. Keine Treppe, sondern eine schräge Rampe aus Ästen, Schilf und Erde, die - je nach Region - auf Arganhölzern oder Palmstämmen aufruht, führt hinauf ins Obergeschoss, in dem sich die rußgeschwärzte Küche sowie kleinere Schlafräume befinden. Das Dachgeschoss bildete den eigentlichen Lebensmittelpunkt des Hauses: Die windgeschützte Terrasse wurde von den Frauen für häusliche Arbeiten (Essensvorbereitung, Webarbeiten, Trocknen der Wäsche) genutzt; daneben gab es hier weitere Wohn- und Schlafräume.

Heutiger Zustand

Heutzutage kann und will kaum jemand in den staubigen, engen, lichtlosen und ständig pflegebedürftigen Tighremts wohnen. Die meisten Berberfamilien sind stattdessen in die überall anzutreffenden, meist rot verputzten Neubauten mit Wänden aus Hohlformsteinen, Decken aus Beton und richtigen Treppen umgezogen. So sind die allermeisten Tighremts bereits verschwunden oder in argem Verfall begriffen; einige wenige sind allerdings zu ‚Museen’ oder mit viel Aufwand zu kleinen Touristenhotels umgebaut worden. Die besterhaltenen – teilweise auch noch bewohnten – Tighremts befinden sich in der Umgebung von Tafraoute (Oumesnat), in Ait Benhaddou, im Dades-Tal sowie in den Oasentälern des Oued Draa und Oued Ziz.

Literatur

  • Arnold Betten: Marokko. Antike, Berbertraditionen und Islam – Geschichte, Kunst und Kultur im Maghreb. DuMont, Ostfildern 2009, S. 120f, ISBN 978-3-7701-3935-4
  • Wolfgang Neumann: Die Berber. Mythos und Wandlung einer alten nordafrikanischen Kultur. DuMont Dokumente, Köln 1983, S. 81–87, ISBN 978-3770112982

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