Wolhynientschechen

Wolhynientschechen

Wolhynientschechen ist die Bezeichnung einer Minderheit ethnischer Tschechen, die seit Beginn der Industrialisierung von 1868 bis 1945 in Wolhynien lebte und nach 1945 in die Tschechoslowakei großenteils repatriiert wurde.

Zwischen 1868 und ca. 1880 wurden in Wolhynien (in der heutigen Ukraine), im Grenzgebiet zwischen Österreich-Ungarn und dem Russischen Kaiserreich rund 16.000 Tschechen angesiedelt.[1] Während die wirtschaftlichen Bedingungen in Böhmen schwierig waren, war die russische Regierung an Ansiedlung neuer Arbeitskräfte interessiert; aufgrund eines Abkommens, das 1867 anlässlich des Slawenkongresses in Moskau unterschrieben wurde, unterstützte die zaristische Regierung die Ansiedlungen mit verschiedenen steuerlichen und finanziellen Anreizen. [2] Für diese Tschechen bürgerte sich der Name Wolhynientschechen ein.

Nach den Ergebnissen der Volkszählung 1897 gab es im Gouvernement Wolhynien 27.670, im Gouvernement Kiew 3.294 und im Russischen Kaiserreich insgesamt 50.385 tschechischsprachige Personen.[3] Eine neuere Schätzung geht für die Zeit zu Beginn des ersten Weltkrieges allerdings von 90.000 Tschechen aus. Die Tschechen in Wolhynien siedelten in insgesamt 638 Gemeinden.[1] Wolhynientschechische Orte waren beispielsweise České Noviny, Český Malín, Český Boratín und Český Straklov, einige lebten auch in der Hauptstadt Schitomir (tschechisch geschrieben Žitomír). Nach der bolschewistischen Revolution von 1917 traf die Entwicklung auch die Wolhynientschechen: die Zwangskollektivierung mit all negativen Folgen, kulturelle Unfreiheit, politische Verfolgung (es gab mehrere Prozesse gegen tschechische Lehrer usw., zum Teil mit Todesurteilen).[4]

Während des Zweiten Weltkrieges hat sich ein großer Teil (an die 10.500 Soldaten) freiwillig in den 1. tschechoslowakischen Verband innerhalb der Roten Armee gemeldet und nahmen aktiv Teil an der Befreiung der Tschechoslowakei mit hohen Verlusten.[5] In dieser Zeit war diese Minderheit von Massakern durch deutsche Einheiten und ukrainische Nationalisten betroffen. Weil auch die Erfahrungen mit dem sowjetischen Regime nicht positiv waren, haben die meisten Tschechen aufgrund eines Abkommens zwischen Beneš und Stalin vom 10. Juli 1946 die Möglichkeit zur Rückkehr in die (damals noch demokratische) Tschechoslowakei ergriffen. Während des Jahres 1947 wurde etwa 200.000 Wolhynientschechen repatriiert. [5] Sie wurden vor allem in den von Sudetendeutschen verlassenen Regionen Böhmens und Mährens angesiedelt.

Obwohl die Wolhynientschechen für die Befreiung der Tschechoslowakei kämpften, wurden sie nach der kommunistischen Machtübernahme 1948 zum Ziel neuer Repressionen. Weil sie ihre in der Sowjetunion gemachten Erfahrungen mit den Auswüchsen der stalinistischen Unterdrückung sowie mit den Nachteilen der Kollektivierung machten, haben sie beispielsweise öffentlich vor der Gründung der landwirtschaftlichen Genossenschaften gewarnt. Im März 1957 wurde ihr Verband einschließlich der Zeitschriften liquidiert.[6]

Literatur

Weblinks

  • www.scvp.wu.cz - Homepage der Vereinigung der Wolhynientschechen in Tschechien (tschechisch)

Einzelnachweise

  1. a b Luděk Toman - rodopisné stránky [Luděk Toman - Genealogische Seiten], online: www.toman.estranky.cz / stehovani na volyn... (tschechisch), abgerufen am 7. Okt. 2009
  2. www.scvp.cz/onas (tschechisch), abgerufen am 7. Okt. 2009
  3. Ergebnisse für Wolhynien, Ergebnisse für Kiew, Ergebnisse des Reiches insgesamt
  4. Luděk Toman - rodopisné stránky [Luděk Toman - Genealogische Seiten], online: www.toman.estranky.cz / sssr-kolektivizace... (tschechisch), abgerufen am 7. Okt. 2009
  5. a b Kdo to byli volynští Češi? [Wer waren die Wolhynientschechen] (eine Recherchearbeit), online: web.sks.cz (tschechisch), abgerufen am 7. Okt. 2009
  6. Z naší krajanské historie [Aus unserer landsmannschaftlichen Geschichte], online: http://scvp.wu.cz/onas.htm (tschechisch), abgerufen am 7. Okt. 2009

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