DDR-Kaffeekrise

DDR-Kaffeekrise

Die Kaffeekrise bezeichnet einen Versorgungsengpass des Konsumguts Kaffee Ende der 1970er Jahre in der DDR. Um 1977 kam es zu einer Krise in der Versorgung dieser nur gegen Devisen auf dem Weltmarkt zu erhaltenden Ware. Der Versorgungsengpass führte zu Bürgerprotesten und Unmut, der in einer für eine Diktatur[1] ungewöhnlichen Offenheit zum Vorschein kam. Mittelbar führte die DDR-Kaffeekrise auch zu Veränderungen im weltweiten Kaffeemarkt.

Außenpolitisch markiert die Kaffeekrise auch eine Neuorientierung der DDR-Außen- und Entwicklungspolitik[2] hin zu einer deutlich stärkeren Ökonomisierung.[3] Insbesondere wurden Tauschgeschäfte von Waffen und LKW aus der DDR gegen Rohkaffee und Energierohstoffe aus den Partnerländern nach dem Vorbild des klassischen Kolonialhandels[4] angestrebt.

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte

Ähnlich wie im gesamten Nachkriegseuropa war Kaffee nach 1945 Mangelware in der SBZ. Die ersten Kaffeeimporte der DDR erfolgten über die Sowjetunion. Die Einstellung dieser Lieferungen 1954 führte zu einer der ersten Versorgungskrisen und intensivierte die Bemühungen, notwendige Devisen zum Ankauf des begehrten Rohstoffs zu erwirtschaften. 1957 wurde auch Röstkaffee unter der Marke Röstfein hergestellt.

Kaffee wuchs bis in die 1970er Jahren zu einem der wichtigsten Posten im Haushaltsbudget der DDR-Haushalte heran[5], wobei Westimporte etwa 20 Prozent des Bedarfs deckten. Dies war nicht allein überkommenen sächsischen Traditionen des Kaffehauses, des Kaffeekränzchens und der Kaffeetafel und dem damit verbundenen bürgerlichen öffentlichen wie privatem Meinungsaustausch und Kontaktpflege geschuldet. Ab den 1960er Jahren war in der DDR zwar die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln gesichert, Luxus- und Konsumgüter sowie Delikatessen waren aber kaum verfügbar.[6] Dies führte indirekt neben einem deutlich erhöhten Verbrauch von Genussmitteln wie Süßwaren, Tabak und alkoholischen Getränken auch zu einem erhöhten Verbrauch an Bohnenkaffee (3,6 Kilogramm pro Kopf und Jahr) in den 1970er Jahren. Frei nach dem bereits im 18. Jahrhundert kolportierten sächsischen Motto „Ohne Gaffee gönn mer nich gämpfn!“ gaben DDR-Bürger damals 3,3 Milliarden Mark pro Jahr für Kaffee aus, fast eben soviel wie für Möbel und nahezu doppelt soviel wie für Schuhe.[7].

Kaffeekrise 1977

Eine eigentliche Kaffeekrise begann 1976. Damals waren die Weltmarktpreise für Kaffee aufgrund einer Missernte in Brasilien dramatisch angestiegen und zwangen die DDR, statt etwa 150 fast 700 Millionen D-Mark für Kaffeeimporte auszugeben. Die SED-Führung drosselte die Importe von Nahrungs- und Genussmitteln insgesamt, um parallel dringend benötigte Devisen[8] für die Einfuhr von Erdöl zu sparen.

Die von Alexander Schalck-Golodkowski empfohlene Einstellung der Kaffeeproduktion konnte das ZK-Mitglied Werner Lamberz mit Rüstungs- und Tauschgeschäften der Machart „Blaue gegen Braune Bohnen“[9], etwa mit Äthiopiens Diktator Mengistu noch abwenden.

Die bis dahin angebotenen Kaffeesorten wurden eingestellt und nur noch die erheblich verteuerte Sorte „Rondo“ angeboten. Außerdem kam mit dem Kaffeemix eine Mischkaffeesorte mit einem hohem Ersatzkaffeeanteil auf den Markt. Von einer Kontingentierung wurde abgesehen. Man ging davon aus, die Bevölkerung sei in der Lage, sich auch über den Warenaustausch mit Westdeutschland mit Kaffee zu versorgen.

Die Bürger lehnten „Erichs Krönung“, wie der Kaffeemix bald spöttisch bezeichnet wurde, ab und empfanden den Kaffeemangel als Angriff auf ein zentrales Konsumbedürfnis und wichtigen Bestandteil der Alltagskultur. Der Kaffeemix führte auch zu Ausfällen an Kaffeemaschinen in der Gastronomie. Es kam zu vielen Eingaben und empörten Reaktionen gegenüber und in verschiedenen Gremien[10] und zu Protesten. Auch als sich der Kaffeepreis nach 1978 mit der Entspannung auf dem Kaffeemarkt[11] wieder normalisierte, blieben notwendige Devisen für diesen Konsumartikel in den 1980er Jahren in der DDR ein Problem und die nach wie vor andauernden Versorgunsgkrisen führten zu Gesichtsverlusten der politischen Führung.

Monika Sigmund[12] spricht von 20 bis 25 Prozent des gesamten Kaffeeverbrauches in der DDR, die in den Jahren von 1975 bis 1977 als Bestandteil des klassischen Westpakets aus der Bundesrepublik kamen. Dem Kaffee kam damit eine weit über die Rolle als Genussmittel und – nach Öl – wichtigstem Welthandelsprodukt[13] reichende Funktion als innerdeutschem Symbol zu. Die steigende Nachfrage für das typische Gegengeschenk der Ostdeutschen, den Dresdener Christstollen, bescherte der DDR-Wirtschaft ebenfalls Probleme, da Zutaten wie Mandeln, Korinthen und Orangeat nur für Devisen erhältlich waren. Alexander Schalck-Golodkowski konnte sich aber 1978 mit einem – ernsthaft geplanten – Stollenschenkverbot[12] nicht durchsetzen.

Auswirkungen in Westdeutschland

In Westdeutschland führte die Preissteigerung bei Kaffee 1977 nicht zu Versorgungsengpässen. Es wurden aber im unteren Preissegment günstigere Kaffesorten [12] verwendet. Surrogatmischungen[14] wurden 1977 unter Markennamen wie „Caro mit“, „Jota-Sport“, „Aromata“ oder „Rogga halb & halb“ eingeführt, aber nur begrenzt angenommen. Die DDR-Führung hat diese Entwicklung sehr genau beobachtet.[15]

Kaffeehändler wie Tchibo und später Eduscho begannen in den 1970ern, Kaffee zusammen mit Non-Food-Artikeln im Rahmen von Cross-Selling anzubieten, was Sigmund[12] ebenfalls den Auswirkungen der Krise am Kaffeemarkt im Westen zuschreibt.

Einfluss auf die Kaffeeproduktion in Vietnam

Die Beziehungen zwischen der DDR und Vietnam waren außerordentlich eng, was bis heute eine – in Asien einzigartige – Verbindung zu Deutschland[16] ermöglicht. In Vietnam war bereits im 19. Jh. in geringen Mengen Kaffee angebaut worden.

Ab 1975, weitgehend parallel mit der Kaffeekrise in der DDR, wurde mit dem systematischen Anbau von Robusta-Kaffeesorten begonnen. Diese wachsen schneller, enthalten mehr Coffein und lassen sich auch im vietnamesischen Hochland anbauen und leichter mechanisiert ernten. Gegenüber den Arabica-Kaffees ist die Qualität und auch das Preisniveau geringer.

1982 wurde eine Regierungsvereinbarung zwischen der Sowjetunion, Bulgarien, Tschechoslowakei und der DDR geschlossen[17] und der Kaffeanbau und die zugehörige Infrastruktur massiv ausgebaut, ab 1990 auch mit Weltbankmitteln.

Die DDR war besonders engagiert, erließ Schulden und stellte auch Maschinen und Expertise in der Weiterverarbeitung wie auch im Anbau von Kaffee zur Verfügung. Vietnam gelang es, sich sehr bald als – nach Brasilien – zweitgrößter Anbieter auf dem Weltmarkt zu etablieren und insbesondere traditionelle afrikanische Kaffeeländer vom Markt zu verdrängen. Hilfreich dabei war auch der Aufhebung des Handelsboykotts der USA gegenüber Vietnam. Zusammen führte dies 2001 – nun durch Überversorgung – zu einer weiteren globalen Kaffeekrise.

Laut den Länderinformationen des Auswärtigen Amts ist Deutschland (2008) beim vietnamesischen Kaffeeexport vor den USA der größte Abnehmer weltweit.

Einzelnachweise

  1. Rittersporn, Gábor T.; Rolf, Malte; Behrends, Jan C. (Hrsg.), Sphären von Öffentlichkeit in Gesellschaften sowjetischen Typs. Zwischen partei-staatlicher Selbstinszenierung und kirchlichen Gegenwelten, Frankfurt am Main 2003
  2. Afrika und das andere: Alterität und Innovation Von Vereinigung von Afrikanisten in Deutschland Jahrestagung, Heike Schmidt, Albert Wirz Veröffentlicht von LIT Verlag Berlin-Hamburg-Münster, 1998 ISBN 3-8258-3395-X, 9783825833954
  3. [1] Hans-Joachim Döring Diss. Entwicklungspolitik und Solidarität in der DDR, dargestellt an Beispielen der staatlichen Zusammenarbeit mit Mosambik und Äthiopien und der entwicklungsbezogenen Bildungsarbeit unabhängiger Gruppen, TU Berlin 2007
  4. Hans-Joachim Döring: „Es geht um unsere Existenz“. Die Politik der DDR gegenüber der Dritten Welt am Beispiel von Mosambik und Äthiopien, (Forschungen zur DDR-Gesellschaft), Berlin: Christoph Links Verlag 1999, ISBN 3-86153-185-2
  5. Stefan Wolle: Die heile Welt der Diktatur. Alltag und Herrschaft in der DDR 1971–1989; Econ&List, München 1999, S. 328ff.
  6. Volker Wünderich, Die „Kaffeekrise“ von 1977. Genußmittel und Verbraucherprotest in der DDR, in: Historische Anthropologie 11 (2003), S. 240–261.
  7. Illustrierte Konsumgeschichte der DDR Von: Annette Kaminsky Erfurt: Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, 1999
  8. André Steiner Bundesrepublik und DDR in der Doppelkrise europäischer Industriegesellschaften Zum sozialökonomischen Wandel in den 1970er-Jahren in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 3 (2006) H. 3,
  9. [2] Blaue gegen braune Bohnen Die Stadt Luckenwalde will den DDR-Chefideologen Werner Lamberz mit einer Erinnerungsstelle würdigen ARIANE MOHL Märkische Allgemeine 22.05.2007
  10. Bürger, Bitten und Behörden. Geschichte der Eingabe in der DDR Felix Mühlberg, Texte 11 der Rosa-Luxemburg-Stiftung, ISBN 3-320-02947-9, 978-3-320-02947-0
  11. [3] Kosta, Rondo, Kaffeemix – Honeckers Kaffeekrise MDR.DE Sendung vom 16.01.2007
  12. a b c d [4] „Kaffee in beiden deutschen Nachkriegsstaaten: Konsum, Diskurs, Deutung und Beziehungen“, laufende Dissertation von Monika Sigmund, seit 2003 als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte, seit Juli 2007 Stipendiatin der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
  13. [5] Reader des deutschen Kaffeeverbandes, Stand 2004, abgerufen August 2008
  14. Kaffee- und Teemarkt 6.5.1977 Seite 3, verweist auch auf ähnliche Entwicklungen in den USA
  15. In den Akten des Büro Mittag im Bundesarchiv findet sich eine Anzeige für „Jota Sport“ von Jacobs wie auch das Protokoll einer Dienstreise (15. bis 16. 4. 1977) nach Zürich zu Gesprächen mit dem Jacobs Management. Der Verwaltungsrat von Jacobs erklärte dementsprechend, ein eigentlich notwendiger Marktpreis von DM 40,- pro kg sei nicht durchzusetzen. Aus der Situation würde der Konzern die Herstellung eines Mischproduktes seit längerer Zeit prüfen. Dieses sollte nicht als Jakobs „Cafe mit Zusatz“ (38 % Zichorie) wie in der Schweiz sondern unter dem bereits nach 1945 für Kaffeeersatz verwendeten Markennamen „Jota“ produziert werden (BArch, SAPMO, DY 30 / 2906, Bericht vom 17.4.1977)
  16. [6] IHK-Länderschwerpunkt Vietnam Stand 10/2003, demnach waren über 100.000 Vietnamesen zu Arbeit, Ausbildung und Studium in der DDR, die über 10.000 Akademiker machen einen bedeutenden Anteil der vietnamesischen Elite aus
  17. Trébel M.. La caféculture vietnamienne = Coffee cultivation in Vietnam Plantations, Recherche, Développement, 3 (1) : 5-14, 1996

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем решить контрольную работу

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Kaffeekrise (DDR) — Die Kaffeekrise bezeichnet einen Versorgungsengpass des Konsumguts Kaffee Ende der 1970er Jahre in der DDR. Um 1977 kam es zu einer Krise in der Versorgung dieser nur gegen Devisen auf dem Weltmarkt zu erhaltenden Ware. Der Versorgungsengpass… …   Deutsch Wikipedia

  • Kaffeekrise in der DDR — Die Kaffeekrise in der DDR war das Ergebnis von Versorgungsschwierigkeiten mit Kaffee Ende der 1970er Jahre in der DDR. Um 1977 kam es in der DDR zu Problemen bei der Versorgung des Binnenhandels mit dieser nur gegen Devisen auf dem Weltmarkt… …   Deutsch Wikipedia

  • DDR — Deutsche Demokratische Republik …   Deutsch Wikipedia

  • Sprachgebrauch in der DDR — Unter Sprachgebrauch in der DDR sind sprachliche Erscheinungen zusammengefasst, die in Lexik und Stilistik nur oder besonders in der Deutschen Demokratischen Republik gebräuchlich waren. Dieses betrifft sowohl Begriffe der Alltagssprache als auch …   Deutsch Wikipedia

  • German Democratic Republic — Deutsche Demokratische Republik …   Deutsch Wikipedia

  • SED-Diktatur — Deutsche Demokratische Republik …   Deutsch Wikipedia

  • SED-Staat — Deutsche Demokratische Republik …   Deutsch Wikipedia

  • Feigenkaffee — Ersatzkaffee (auch Kaffeeersatz, Muckefuck, Malzkaffee, Getreidekaffee, Gerstenkaffee oder Fruchtkaffee) ist ein kaffeeähnliches Getränk, das aus einer Mischung von verschiedenen Getreidesorten hergestellt wird und meist auch Zichorie enthält. Im …   Deutsch Wikipedia

  • Fruchtkaffee — Ersatzkaffee (auch Kaffeeersatz, Muckefuck, Malzkaffee, Getreidekaffee, Gerstenkaffee oder Fruchtkaffee) ist ein kaffeeähnliches Getränk, das aus einer Mischung von verschiedenen Getreidesorten hergestellt wird und meist auch Zichorie enthält. Im …   Deutsch Wikipedia

  • Getreidekaffee — Ersatzkaffee (auch Kaffeeersatz, Muckefuck, Malzkaffee, Getreidekaffee, Gerstenkaffee oder Fruchtkaffee) ist ein kaffeeähnliches Getränk, das aus einer Mischung von verschiedenen Getreidesorten hergestellt wird und meist auch Zichorie enthält. Im …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”