DDR-Kinder von Namibia

DDR-Kinder von Namibia

Der Begriff DDR-Kinder von Namibia bezeichnet eine Gruppe von insgesamt etwa 400 namibischen Kindern, die im Zuge der Unabhängigkeitskämpfe der SWAPO gegen Südwestafrika ab 1979 zu ihrer eigenen Sicherheit aus den Flüchtlingslagern in die DDR gebracht wurden und dort aufwuchsen, bis sie 1990 mit der Erlangung der Unabhängigkeit Namibias unvermittelt zurückgebracht wurden.[1]

Viele dieser „DDR-Kinder“ sind im Freundeskreis ex-DDR organisiert. Die offizielle Sprache des Vereins ist Oshi-Deutsch, eine Mischung aus Deutsch, Englisch und Oshivambo.

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte

In den sechziger und siebziger Jahren wuchs unter vielen Schwarzen, besonders unter den Angehörigen der Ovambo-Bevölkerungsgruppe, der Widerstand gegen die südafrikanische Besetzung. Die Bevölkerung Südwestafrikas wurde durch die weißen Südafrikaner unter der Apartheid stark benachteiligt. Im Zuge ihres Befreiungskampfes unterstützte die SWAPO die Zuflucht suchenden Namibier und errichtete Flüchtlingslager, welche bald die Größe und Struktur von Dörfern oder Kleinstädten annahmen. Exil fanden die Namibier in Tansania, Botswana, Sambia und Angola. Neben den Flüchtlingen bemühten sich „Solidarity Workers“, vor allem aus europäischen Ländern, aber auch aus Kuba und anderen sozialistischen Staaten, um den Aufbau von Gesundheits- und Schulzentren. Zwei der Lager wurden offiziell als „Namibisches Gesundheits- und Erziehungszentrum“ bezeichnet: Nyango in Sambia und Kwanza Sul in Angola. Hier waren vor allem Kubaner, Deutsche aus der DDR, Schweden und Finnen vertreten, die dabei halfen, die Bedingungen im Exil zu verbessern.

Im Kampf um die Unabhängigkeit Namibias suchte die SWAPO in vielen Ländern Hilfe und Unterstützung, welche sie in Form von Lehrkräften und medizinischem Fachpersonal, Waffen, Geldern, Munition und schließlich zivilen Gütern erhielt. Zwischen 1960 und 1980 kamen Hunderte von Namibiern in die DDR, denen eine Berufsausbildung, ein Studium bzw. diverse Lehrgänge ermöglicht wurden. Auch erfolgte 1978 eine medizinische Behandlung von Kassinga-Überlebenden und schwer verwundeten PLAN-Kämpfern in der DDR. Auf diese Weise lieferte die DDR „Solidaritätssendungen“ in den Südwesten Afrikas. Sam Nujoma wandte sich nach dem Kassinga-Massaker erneut an die DDR und weitere sozialistische und kommunistische Länder und bat, Kinder aus den SWAPO-Flüchtlingslagern aufzunehmen, um sie vor weiteren Übergriffen zu schützen, ihnen gute Verpflegung und Betreuung zu sichern, bis man selbst wieder in der Lage sei, diesen Verpflichtungen nachzukommen.

Am 12. September 1979 wurde Nujomas Antrag vom Sekretariat des Zentralkomitees der SED bewilligt und die Planung des Projekts begonnen. Das heute als Jagdschloss Bellin bekannte Anwesen im Dorf Bellin zehn Kilometer südlich von Güstrow (Mecklenburg-Vorpommern) wurde für die Unterbringung der Kinder ausgewählt.

Ankunft

Am 18. Dezember 1979 kamen 80 namibische Kinder im verschneiten Berlin an, von denen die ältesten zwischen sechs und sieben und die jüngsten zwischen drei bis vier Jahre alt waren. Neben medizinischer und alltäglicher Versorgung war die Vermittlung erster Deutschkenntnisse eine zentrale Aufgabe, um die Kinder auf ihren Schulbesuch vorzubereiten. Zwischen 1979 bis 1988 kamen insgesamt 430 schwarze Kinder in die DDR. Aufgrund mangelnder Kapazitäten brachte man ab 1985 die älteren Klassen in die Schule der Freundschaft in Staßfurt, wo die namibischen Jugendlichen neben dem Unterricht eine Unterkunft hatten. Auch im nahe gelegenen Löderburg gingen farbige Kinder zur Schule.

Die später als „79er“ bekannte Gruppe der ersten Ankömmlinge verbrachten elfeinhalb Jahre in der DDR. Sie gingen zur Schule, lernten deutsch wie ihre Muttersprache und wuchsen praktisch deutsch auf. Deutsche wie namibische Erzieherinnen versuchten den Kindern so weit wie möglich ihre namibische Kultur mittels traditioneller Tänze und Liedern auf Oshivambo sowie traditionellen Kochveranstaltungen näher zu bringen. Die vergleichsweise geringe Rolle, die der namibischen Tradition angesichts der Allgegenwart der deutschen Sprache und Kultur zukam, wurde auch durch die fehlenden Erfahrungen der Erzieherinnen unterstützt. So kannten nach Aussagen der „Ex-DDR-Kinder“ die eigenen namibischen Erzieherinnen verhältnismäßig wenig von ihrer Kultur, da sie einen Großteil ihres Lebens in den Flüchtlingslagern außerhalb Namibias verbracht hatten. Auf sozialistische Erziehung und Wertebildung wurde, wie in der gesamten DDR, großen Wert gelegt. Die Ausbildung der SWAPO-Pioniere zielte darauf ab, nach der Unabhängigkeit diese namibischen Kinder als neue Führungselite des Landes einzusetzen. Diese ihnen von Beginn an zugedachte Rolle bestimmte weitgehend ihre disziplinäre Erziehung.

Rückführung

Wenige Monate nach dem Fall der Berliner Mauer im November 1989 erlangte Namibia seine Unabhängigkeit. Die sich überstürzenden Ereignisse in der DDR führten neun Monate später dazu, dass die namibischen Kinder und Jugendlichen sowie ihre Erzieherinnen kurzfristig die DDR verlassen mussten.

Die Meinungen über die Ursachen der Rückführung gehen auseinander. Während ehemalige Mitarbeiter und Lehrer die fehlende Bewilligung der Weiterführung des doch sehr kostspieligen Projektes als Grund nennen, beharren vorwiegend die „Ex-DDR-Kinder“ auf der Verantwortlichkeit durch die SWAPO. Eine damals gebildete Eltern-Kommission habe die Rückführung der Kinder eingefordert, sei es als Symbol der neuen und eigenständigen Regierung Namibias oder als Beweis gegen kursierende Gerüchte der angeblich entführten SWAPO-Kinder. Zwischen dem 26. und 31. August 1990 fand die Rückführung der Kinder statt. Als Heimkehrer landeten sie in einem ihnen fremden und unbekannten Land. Ein zweiseitiger Kulturschock war die Folge: Während diese Jugendlichen für die Schwarzen, oft für die eigene Familie, Fremde – „Deutsche“ waren, betrachteten die Deutschstämmigen in Namibia sie zwar als „überraschend deutsch“, aber eben doch als schwarz.

Für die „DDR-Kinder aus Namibia“ bedeutete dies einen Konflikt zwischen zwei Heimatländern, zwischen zwei Kulturen und einen Kampf zwischen zwei Identitäten.

Nachbetrachtung

Im Zuge der Rückführung nach Namibia wurden die jungen Namibier schnell mit dem Begriff der „Ex-DDR-Kinder“ versehen. Auch sprach man von den „Ossis von Namibia“, da sie sich selbst gelegentlich als „Ossi“ bezeichneten. Der bis 2007 noch existierende Ossiclub von Windhoek, in welchem sie sich regelmäßig trafen, unterstützte ihre Namensgebung zusätzlich.[2] Bis heute hängt den jungen Deutsch-Namibiern die Bezeichnung „DDR-Kinder“ an, ein Begriff, dem sie längst entwachsen sind. Dabei variieren ihre Biografien stark: Während für einige die gute Schulausbildung und deutsche Sprachkenntnis im stark deutsch geprägten Namibia große Berufschancen versprechen, leiden andere an ihrer zerrütteten Biographie, die einer unentwegten Suche nach der eigenen Heimat, Kultur und Identität glich.

Heute bezeichnen sich die jungen Ex-DDR-Kinder gegenseitig als „Omulaule“, was Oshivambo ist und „schwarz“ oder „schwarzer Mann“ bedeutet. Ihr Verein trägt aber weiterhin den Namen Freundeskreis ex-DDR.

Filmische Rezeption

  • Honeckers vergessene Kinder, Dokumentarfilm von Jule und Udo Kilimann, 2010, Erstausstrahlung RBB 27. März 2010; Webseite zum Film
  • Die Ossis von Namibia, Dokumentarfilm von K.-D. Gralow, R. Pitann und H. Thull., 2004-2007, Produktion: Pitann Film+Grafik , Erstausstrahlung NDR 2007
  • Wenn uns zwei Berge trennen, 2007, 48 min, R + B: Martin Reinbold, Marion Nagel Webseite zum Film Film ansehen
  • Omulaule heißt schwarz , an der Bauhaus-Universität Weimar (Fakultät Medien) entstandener Dokumentarfilm . Der Film wurde mit dem Preis der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, 2003 ausgezeichnet. Webseite zum Film
  • Die Ossis von Windhoek, 1997 Dokumentation, 52 min. ARTE & Mdr
  • Dokumentarfilm-Trilogie von Lilly Grote & Julia Kunert:
    • Inside – Outside, 1990
    • Staßfurt – Windhoek, 1991
    • Oshilongo Shange – Mein Land, 1992

Literatur

  • Stefanie-Lahya Aukongo: Kalungas Kind. Wie die DDR mein Leben rettete. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 2009, ISBN 3-499-62500-8, (Rororo 62500 Sachbuch).
  • Lucia Engombe, Peter Hilliges: Kind Nr. 95. Meine deutsch-afrikanische Odyssee. Ullstein, Berlin 2004, ISBN 3-548258-92-1, (Ullstein-Taschenbuch 25892).
  • Constance Kenna (Hrsg.): Die „DDR-Kinder“ von Namibia. Heimkehrer in ein fremdes Land. Klaus Hess Verlag, Göttingen / Windhoek 1999, ISBN 3-933117-11-9.
  • Jürgen Krause: „Das DDR-Namibia-Solidaritätsprojekt Schule der Freundschaft – Möglichkeiten und Grenzen interkultureller Erziehung“. BIS-Verlag, Universität Oldenburg 2009, ISBN 978-3-8142-2176-2, siehe Online-Text [1]
  • Uta Rüchel: „Wir hatten noch nie einen Schwarzen gesehen“. Das Zusammenleben von Deutschen und Namibiern rund um das SWAPO-Kinderheim Bellin 1979 - 1990. Herausgegeben vom Landesbeauftragten für Mecklenburg-Vorpommern für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Landesbeauftragter für Mecklenburg-Vorpommern für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der Ehemaligen DDR, Schwerin 2001, ISBN 3-933255-11-2.
  • Ingrid Brase Schloe, Kay Brase: Onesmus. Weiße Kinder mit schwarzer Haut in Namibia. Betzel Verlag, Nienburg 1996, ISBN 3-929017-74-1.

Einzelnachweise

  1. Oshi-Deutsch, ein Verein und viele Geschichten, Allgemeine Zeitung, 21. Juni 2006
  2. Ossi-Club und Karnevalsverein, Berliner Zeitung, 10. Oktober 2006

Weblinks


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