Alexander Schalck-Golodkowski

Alexander Schalck-Golodkowski
Alexander Schalck-Golodkowski, 1988

Alexander Schalck-Golodkowski, gebürtig Alexander Golodkowski (* 3. Juli 1932 in Berlin-Treptow) ist ein ehemaliger deutscher Politiker (SED) und Wirtschaftsfunktionär. Er war Leiter des geheimen Bereichs für Kommerzielle Koordinierung im Ministerium für Außenhandel, zuständig für den (inoffiziellen) Handel mit dem kapitalistischem Ausland. Bekanntheit erlangte er im Nachhinein für die Aushandlung eines Milliardenkredites mit Franz Josef Strauß im Jahr 1983, welcher die DDR vor dem Staatsbankrott bewahrte.[1]

Inhaltsverzeichnis

Leben

Jugend und Ausbildung

Alexander Golodkowski wurde am 3. Juli 1932 in Berlin geboren. Sein Vater Peter Golodkowski war ein Staatenloser mit russischen Wurzeln. 1940 wurde Golodkowski vom Ehepaar Schalck adoptiert. Er absolvierte von 1948 bis 1950 zunächst eine Lehre als Feinmechaniker. 1951 trat er in die Freie Deutsche Jugend (FDJ) ein.

Ab 1952 arbeitete Schalck-Golodkowski zunächst als Sachbearbeiter in einem Außenhandelsbetrieb, doch nach kurzer Zeit wechselte er in das Ministerium für Außenhandel und Innerdeutsche Beziehungen der DDR, wo er innerhalb eines Jahres zum Hauptreferenten des Referates Werkzeugmaschinen aufstieg. Von 1954 bis 1957 studierte Schalck-Golodkowski an der Hochschule für Außenhandel in Staaken Ökonomie.

Polit-Karriere

Nach Aufnahme in die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (1955) wurde er 1956, also noch vor Ende seines Studiums, Hauptverwaltungsleiter beim Ministerium für Außenhandel und Innerdeutschen Handel. Diese Position hatte er bis 1962 inne. 1958 wurde er außerdem zum Vertreter des Außenhandels in der Ständigen Kommission für Bauwesen des Rats für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW). Von 1962 bis 1966 war er als hauptamtlicher erster Sekretär in der SED-Kreisleitung im Ministerium für Außenhandel tätig.

Ab 1966 war er insbesondere für den neu gegründeten Bereich Kommerzielle Koordinierung (KoKo) zuständig, den er maßgeblich mit aufbaute. Der Bereich sollte mit verdeckten Geschäften zur Devisenerwirtschaftung die Zahlungsfähigkeit der DDR sichern. Mit dieser Tätigkeit erwarb er sich seine inoffiziellen Berufsbezeichnungen wie „Devisen-Beschaffer“, „größter gewerbsmäßiger Staatshehler“ und „kaltschnäuziger Finanzjongleur“.

Seine Karriere im Ministerium für Staatssicherheit (MfS) begann 1967, als er zum „Offizier im besonderen Einsatz“ (OibE) der Arbeitsgruppe Bereich Kommerzielle Koordinierung (AG BKK), zuständig für die Kommerzielle Koordinierung, ernannt wurde. 1975 wurde Schalck-Golodkowski zum Oberst befördert. Ein weiterer Aufstieg zum General kam nicht in Frage, da dies zwangsweise seine Enttarnung als MfS-Offizier nach sich gezogen hätte, er erhielt zuletzt dennoch das Gehalt eines Generalleutnants.

1970 verteidigte er gemeinsam mit seinem Führungsoffizier MfS-Oberst Heinz Volpert an der zum Ministerium für Staatssicherheit gehörenden Juristischen Hochschule in Golm bei Potsdam seine Dissertation zum Thema „Vermeidung ökonomischer Verluste und Erwirtschaftung zusätzlicher Devisen“. Diese Arbeit war bis zum Ende der DDR streng geheim. „Doktorvater“ war der Minister für Staatssicherheit Erich Mielke, der selbst weder Abitur hatte noch einen akademischen Grad besaß.

Von 1967 bis 1975 war Schalck-Golodkowski offiziell einer der stellvertretenden Minister für Außenhandel und im Anschluss daran bis zum Ende der DDR Staatssekretär im Ministerium für Außenhandel. 1981 nahm er an den wichtigen Verhandlungen zwischen dem westdeutschen Bundeskanzler Helmut Schmidt und dem Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker am Werbellinsee teil. In der Folge führte er 1983 die erfolgreichen Verhandlungen mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß über einen westdeutschen Milliardenkredit für die DDR. Seit 1986 war er außerdem ständiges Mitglied des Zentralkomitee der SED (ZK).

Privilegien

Als stellvertretender Minister, Staatssekretär, ZK-Mitglied und Leiter der KOKO war Schalck-Golodkowski einer der wichtigsten Männer der DDR-Wirtschaft und Angehöriger der Nomenklatura. Durch seinen Zugriff auf Westwaren aller Art war er innerhalb der DDR-Führung eine gefragte und hofierte Persönlichkeit. Die KOKO verfügte auch über die beschlagnahmten Waren der Zollverwaltung der DDR, welche sie zum Teil in Form von Präsenten an Parteifunktionäre wieder in Umlauf brachte, teilweise auch nach DDR-Recht illegale Waren, wie pornografische Produkte oder Drogen.

Schalck-Golodkowski selbst wohnte in einem Einfamilienhaus in der Manetstraße im Villenviertel am Orankesee in Berlin-Hohenschönhausen unweit von anderen Domizilen hochrangiger Mitarbeiter des MfS, wie dem Reihenhaus von Mielkes Sohn und dem Gästehaus Mielkes. Er besaß ein Ferienhaus in der Schorfheide, dessen Bau genehmigt wurde, obwohl es inmitten eines Naturschutzgebietes lag und dessen sanitäre Erschließung alleine bereits über 200.000 Mark (DDR) gekostet hatte. Beide Häuser wurden von Westfirmen gebaut und eingerichtet.

Umbruch

Schalck war einer der Autoren der „Analyse der ökonomischen Lage der DDR mit Schlußfolgerungen“ zusammen mit Gerhard Schürer, Gerhard Beil, Ernst Höfner und Arno Donda, als Vorlage für das Politbüro der SED am 30. Oktober 1989. In diesem auch als "Schürer-Papier" bekannt gewordenen Geheimbericht wurde die Überschuldung und wirtschaftliche Zerrüttung der DDR erstmals deutlich benannt.

Im Zuge des Zusammenbruchs der DDR wurde Schalck-Golodkowski wegen Pressemeldungen über kriminelle Machenschaften von KoKo-Firmen auf der letzten Sitzung des ZK der SED am 3. Dezember 1989 aus dem ZK und SED ausgeschlossen. Er flüchtete daraufhin panisch am 4. Dezember mit seiner Frau Sigrid nach West-Berlin, wo er sich den westdeutschen Behörden stellte und für circa sechs Wochen in Untersuchungshaft blieb. Er gab an, dass er eine Abstempelung als Buhmann und Beseitigung durch seine ehemaligen Genossen fürchte. Ein Auslieferungsantrag der DDR-Generalstaatsanwaltschaft wurde abgelehnt. Im Januar 1990 zog das Ehepaar Schalck-Golodkowski nach Rottach-Egern am Tegernsee.

Unter dem Decknamen „Schneewittchen“ machte er beim Bundesnachrichtendienst umfangreiche Aussagen über die kriminellen Wirtschaftsmethoden des Bereichs kommerzielle Koordinierung (KoKo) und seine Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit. Er erhielt vom BND Aussicht auf Straffreiheit und Papiere mit falschem Namen. Es wird gemutmaßt, dass Schalck-Golodkowski aufgrund dieser Ausweisdokumente in der Lage war, auf zuvor geschaffene Rücklagen in Form von Geheimkonten zuzugreifen. Bestätigt ist nur der Zugriff auf ein West-Berliner Bankschließfach, dessen Inhalt jedoch nicht bekannt wurde.

Bei der Auflösung seiner alten Wirkungsstätte kommerzielle Koordinierung wurden jedoch nach und nach weitere dubiose Einzelheiten seiner Tätigkeiten bekannt. In der Folge wurden mehrere Ermittlungsverfahren eingeleitet. Unter anderem wurden Schalck-Golodkowski der Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz, Veruntreuung, Betrug und Spionage vorgeworfen. 1991 wurde öffentliche Kritik an den zögerlichen Ermittlungen gegen Schalck-Golodkowski laut, die in der Presse im Zusammenhang mit den aus DDR-Zeiten bestehenden Kontakten zwischen Schalck-Golodkowski und bedeutenden westdeutschen Politikern und Unternehmern gesehen wurden. Vermutungen, dass Schalck-Golodkowski von den westdeutschen Behörden geschützt würde, widersprach der damalige Bundesjustizminister Klaus Kinkel energisch.

Der Betroffene selbst beteuerte in einem legendären Auftritt in der Fernsehsendung Der heiße Stuhl auf RTL, „alles anständig und korrekt abgewickelt“ zu haben und „nach bestem Wissen und Gewissen“ gehandelt zu haben, „in der Absicht der DDR und den Menschen zu dienen“.

Der Gesamtbereich der Kommerziellen Koordinierung, insbesondere Aufgaben und Tätigkeiten von Schalck-Golodkowski, war Gegenstand des 1. Untersuchungsausschusses des 12. Deutschen Bundestages unter dem Vorsitz des CDU-Abgeordneten Friedrich Vogel. Über das Ergebnis der Untersuchungen gibt es umfangreiche Berichte, vor allem Beschlussempfehlung und Bericht Drucksache 12/7600 vom 27. Mai 1994 mit drei Anlagenbänden und einem Anhangband.

Das Ermittlungsverfahren wegen „Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz“ wurde 1992 und das Verfahren wegen „Veruntreuung“ von Milliardenbeträgen der DDR-Regierung durch Überweisungen ins Ausland 1993 eingestellt. Zum Prozess kam es jedoch 1995 wegen des Vorwurfs der Abwicklung illegaler Waffengeschäfte. Als Ergebnis wurde Schalck-Golodkowski im Januar 1996 (wegen des Verstoßes gegen das Militärregierungsgesetz der Alliierten) zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt. Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Im Juli 1996 kam es zu einer weiteren Anklageerhebung wegen Embargovergehen. 1998 wurde der Beschuldigte wegen seines Krebsleidens für verhandlungsunfähig erklärt und musste zunächst nicht mehr vor Gericht erscheinen. Dennoch wurde er im Juli 1998 zu einer erneuten Freiheitsstrafe von 16 Monaten verurteilt. Wiederum wurde die Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Sein Verteidiger war der Berliner Anwalt und heutige SPD-Bundestagsabgeordnete Peter Danckert, der auch weitere Stasi-Offiziere vertrat.

Privates

Schalck-Golodkowski war zweimal verheiratet. Seine erste Frau Margareta (geb. Becker, * 23. August 1932) war gelernte Schneiderin. Nach der Heirat 1955 wurde der gemeinsame Sohn Thomas geboren (* 28. November 1956). Die gemeinsame Tochter Petra (* 21. Dezember 1964) kam fast 10 Jahre später zur Welt. Nach zwanzigjähriger Dauer wurde die Ehe 1975 wegen Zerrüttung geschieden.

Kurz darauf folgte 1976 die Heirat mit seiner zweiten Frau Sigrid (geb. Gutmann, * 28. Oktober 1940). Sie war die Tochter der ehemaligen stellvertretenden Oberbürgermeisterin von Berlin Johanna Blecha (geb. Kutzerra, geschiedene Gutmann). Ihr Stiefvater Kurt Blecha war Leiter des Presseamtes des Ministerrats. Beruflich war sie als Diplomfinanzwirtschaftlerin ebenfalls beim Bereich KoKo als Leiterin der Arbeitsgruppe Spezialimporte, insbesondere Sonderversorgung Politbürosiedlung Wandlitz, tätig. Sie hatte den Rang eines Oberst des MfS (OibE).

Schalck musste sich Krebsoperationen 1987 (Prostata) und 1997 unterziehen. Im April/Mai 2003 war er Rollstuhlpatient in der Neurologischen Klinik Bad Aibling nach einem Schlaganfall. Er wurde dort unter dem Pseudonym „Schulz“ geführt.

Er besitzt eine umfangreiche Sammlung Meißener Porzellans.

Auszeichnungen

Karl-Marx-Orden mit Spange

Höchstdekorierter Staatssekretär in der DDR

Werke

  • Deutsch-deutsche Erinnerungen. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt Verlag, 2000, ISBN 3-498-06330-8

Literatur

  • Jung, Christian: Geschichte der Verlierer. Historische Selbstreflexion von hochrangigen Mitgliedern der SED nach 1989, Heidelberger Abhandlungen zur Mittleren und Neueren Geschichte, Band 16, Universitätsverlag Winter Heidelberg, Heidelberg 2007. ISBN 978-3-8253-5308-7
  • Wolfgang Brinkschulte, Hans Jörgen Gerlach & Thomas Heise: Freikaufgewinnler. Die Mitverdiener im Westen. Frankfurt/M. & Berlin: Ullstein Report, 1993. ISBN 3-548-36611-2
  • Egmont R. Koch: Das geheime Kartell. BND, Schalck, Stasi & Co.. Hamburg: Hoffmann & Campe, 1992. ISBN 3-455-08435-4
  • Peter-Ferdinand Koch: Das Schalck-Imperium lebt. Deutschland wird gekauft. München: Piper Verlag, 1992. ISBN 3-492-03564-7
  • Wolfgang Seiffert & Norbert Trautwein: Die Schalck-Papiere. DDR-Mafia zwischen Ost und West. Die Beweise. Wien: Zsolnay Verlag, 1991. ISBN 3-552-04340-3

Einzelnachweise

  1. Milliardenspritze für den Mauerbauer - Spiegel Online

Weblinks

 Commons: Alexander Schalck-Golodkowski – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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