- Privatsphäre
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Privatsphäre bezeichnet den nicht-öffentlichen Bereich, in dem ein Mensch unbehelligt von äußeren Einflüssen sein Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit wahrnimmt.[1] Das Recht auf Privatsphäre gilt als Menschenrecht und ist in allen modernen Demokratien verankert. Dieses Recht kann aufgrund des öffentlichen Interesses an einer Person oder zu Zwecken der Strafverfolgung eingeschränkt werden.
Der Schutz der Privatsphäre ist im deutschen Grundgesetz aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1)[2] abzuleiten. Das besondere Persönlichkeitsrecht dient dem Schutz eines abgeschirmten Bereichs persönlicher Entfaltung. Dem Menschen soll dadurch ein spezifischer Bereich verbleiben, in dem er sich frei und ungezwungen verhalten kann, ohne befürchten zu müssen, dass Dritte von seinem Verhalten Kenntnis erlangen oder ihn sogar beobachten bzw. abhören können. Durch die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) und durch das Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG) wird der Schutzbereich konkretisiert. Die Ausnahmen hiervon (Abhören von Telefongesprächen und Wohnungen) werden als Lauschangriff bezeichnet und sind ebenfalls gesetzlich geregelt.
Auch in den Vereinigten Staaten von Amerika hat Privatsphäre (Privacy) eine lange Tradition, die sich aus dem 4. Zusatzartikel der Verfassung ableitet. Der Terminus Privacy wurde 1890 von dem späteren Richter Louis Brandeis und dem Schriftsteller und Rechtsanwalt Samuel D. Warren im Artikel The Right to Privacy im Harvard Law Review (Jahrgang 4, Nr. 5) als the right to be let alone definiert, also als das Recht, in Ruhe gelassen zu werden.
Inhaltsverzeichnis
Bereiche
Die Privatsphäre kann in die folgenden Bereiche aufgeteilt werden:
- Der Schutz personenbezogener Daten, ist in Deutschland im Landesrecht nicht im Grundgesetz (GG) selbst verankert (siehe Datenschutz).
- Die Unverletzlichkeit des Post- und Fernmeldegeheimnis festgeschrieben in Art. 10 des GG, beinhaltet die Sicherheit der Kommunikationsmittel wie Post, Telefon, E-Mail oder andere (siehe auch Vorratsdatenspeicherung)
- Die Unverletzlichkeit der Wohnung: laut Art. 13 des GG dürfen von Richtern nur bei Gefahr im Verzug Wohnungsdurchsuchungen angeordnet werden.
In der Schweiz wird die Privatsphäre durch generelle Normen (Art. 13 der Bundesverfassung = Schutz vor staatlichen Uebergriffen; Art. 28 Zivilgesetzbuch = Schutz vor privaten Uebergriffen) sowie durch einige Spezialnormen geschützt. Sie ist nur durch ein überwiegendes öffentliches oder privates Interesse verletzbar.
Geschichte der Privatsphäre
Antike
Die Idee einer privaten Sphäre des Individuums findet sich bereits in der griechischen und römischen Philosophie (Antike), das Verhältnis von individuellem Wohl und Gemeinwohl wurde diskutiert, in der Praxis allerdings konnte nur eine Elite dieses Recht einfordern.
Für Sklaven galten solche Freiheiten nicht. Sie hatten weder Anrecht auf Individualität, noch auf ein eigenes Zimmer.
Mittelalter
Im Mittelalter wurde das Privatleben, der Bereich des Einzelnen, zurückgedrängt. Nur wenige Adelige und reiche Bürger konnten sich ein privates Leben erlauben, in das niemand Einblick hatte (siehe auch Kemenate). Die meisten mussten sich ein Schlafzimmer, eine Küche und ein Wohnzimmer miteinander teilen (Badezimmer gab es noch kaum.) Teilweise schliefen sogar mehrere Leute zusammen in einem Bett. Das Gesinde schlief auf Bänken, Öfen oder auf einer Strohschütte, ohne jede Privatsphäre. In den Bauernhöfen lebten und schliefen die Leute manchmal mit dem Vieh unter einem Dach; es kam vor, dass die Knechte und Mägde im Stall schliefen.
Ein klein wenig Privatsphäre hatten die Mönche in ihren Klosterzellen, wenn sie sich in ihrer karg bemessenen Freizeit etwas zurückziehen konnten. Novizen hatten wenig Privatsphäre, denn sie befanden sich ja noch in der „Probezeit“.
Neuzeit
Die heutige Vorstellung einer Privatsphäre entstand mit dem Aufkommen des Bürgertums in der Neuzeit. Der Humanismus, Liberalismus, Anarchismus und die Idee der individuellen Menschenrechte stehen im Gegensatz zum Feudalismus, und später Kollektivismus, Faschismus und Kommunismus, die häufig im Namen des Gemeinwohls individuelle Freiheitsrechte zurückstellen, und mit Geheimpolizeien vor allem abweichende Meinungen in der Bevölkerung erforschen und verfolgen.
Kalter Krieg
Im Zuge des Ost-West-Konflikts (Kalter Krieg) spielen Geheimdienste, Abhörmaßnahmen und Überwachungstechnologien eine große Rolle im Hintergrund, die der Öffentlichkeit oft erst nachträglich oder gar nicht bekannt wird. Heimliche Überwachung tritt an die Stelle des offenen, sichtbaren Konflikts (heißer Krieg).
Die Volkszählung von 1987 in Deutschland stößt auf großen Widerstand in einem Teil der Bevölkerung, Boykott-Aktionen und Proteste werden initiiert.
Seit 2001
Im Zuge der Terroranschläge vom 11. September 2001 in den USA und weiteren Anschlägen in der Folge sowie neuen Überwachungstechnologien werden, etwa von den Datenschutzbeauftragten, aber auch von Bürgerinitiativen, vermehrte Tendenzen des Eindringens in die Privatsphäre beklagt. RFID, Lauschangriff, Videoüberwachung, Gendatenbank oder Biometrie, wie sie etwa von Innenpolitikern der großen Parteien forciert werden, stellen für Befürworter Garanten der inneren Sicherheit und öffentlichen Ordnung dar, da sie Schutz gegen Terrorismus bieten würden. Für Gegner erinnern sie eher an Dystopien, also negative Utopien, wie sie in der Literatur etwa George Orwell oder Aldous Huxley, und später die Autoren des Cyberpunk-Genres, als Schreckensbilder entwarfen.
Aber auch Wirtschaft und Werbung stellen mit Scoring- (Schufa), Marktforschungs-Maßnahmen und Konsumenten-Profiling für Kritiker eine zunehmende Bedrohung von Privatsphäre dar, Adressenhandel, Spam oder Phishing konstituieren einen neuen Graubereich zwischen legalen Belästigungen und betrügerischer Kriminalität. Einige Cracker vermögen über das Internet in staatliche und Unternehmens-Datenbanken oder private Computer einzudringen und erhalten so teils Einblick in intimste Daten.
Privatsphäre gefährdende Technologien
- RFID
- im Bargeld
- in Ausweisdokumenten (zum Beispiel Reisepass, Gesundheitskarte, JobCard)
- in Waren aller Art (zum Beispiel in Jeans eingearbeitet)
- in Fahrkarten
- im menschlichen Körper als Ausweisdokument
- Gen-Datenbanken (zum Beispiel Genetischer Fingerabdruck, Gesichtserkennung)
- biometrische Datenbanken (zentral oder in RFID-Chips) mit:
- Bewegungsprofile
- durch RFID-Chips (zum Beispiel in Geld, Ausweisen, Implantaten, Fahrkarten, Kleidung, Aufklebern, usw.)
- durch satellitenbasierte PKW-Maut
- durch automatische Kfz-Kennzeichenregistrierung (Zeichenerkennungssoftware)
- durch städtische Gesichtserkennungssysteme (Beispiel: London, geplant: Peking)
- durch Handyortung
- TCG-Chips auf PC-Hauptplatinen (ehemals TCPA)
- Internetüberwachung
- E-Mail-Überwachung
- soziale Netzwerk Analyse
- Vorratsdatenspeicherung der Verbindungsdaten bei Providern
- Cookies
- Zählpixel
- durch Überwachungskameras oder Webcams
- Ortung von WLANs und IP-Adressen
Neue Technologien haben dazu geführt, dass heute ein Verlust an Privatsphäre nur durch weitgehende Vermeidung vieler moderner „Errungenschaften″ wie z. B. Handys, Bankomatkarten und Kreditkarten zu vermeiden ist. Aber selbst dann ist es kaum möglich, vielen der nahezu omnipräsenten Überwachungstechnologien zu entgehen.
Viele Internetdienste und Technologien konvergieren, wobei die vergleichsweise strikten europäischen Standards oft durch ausländische Firmen umgangen werden. Beispielsweise erlauben es viele Nutzer von sozialen Netzwerken wie Facebook, ihr E-Mail Konto oder IPhone zu durchsuchen, die Adressen zu speichern und anhand dessen die sozialen Beziehungen zu analysieren, um Freunde und Bekannte automatisch zu finden, und Käufe bei Amazon können automatisch dem Facebook-Freundeskreis empfohlen werden. Software erlaubt es inzwischen, Handy-Fotos automatisch mit Profilen aus Sozialen Netzwerken zu verknüpfen[3]. Für den Zugang zu sehr vielen Bereichen, auch zu behördlichen Diensten wie der Bundesagentur für Arbeit, wird eine E-Mail Adresse benötigt, die ermöglicht eigentlich getrennte Daten zu verknüpfen. Auch die Einführung des zukünftigen Internet Protokolls IPv6 wird es voraussichtlich stark erleichtern, Personen den von ihnen benutzten Internet-Adressen zuzuordnen, da eine dynamische Adressvergabe dann technisch nicht mehr notwendig ist.
Internetdienstleister gehen zunehmend dazu über, persönliche Daten von Benutzern mit solchen zu verknüpfen, die diese nicht selber eingegeben haben. Dabei helfen erhebliche theoretische und technische Fortschritte in dem Bereich des Data-Mining, die in den letzten Jahren gemacht wurden. Beispielsweise wurde berichtet, dass der Online-Versandhaus Amazon in Deutschland die Bestellung eines Mannes stornierte, weil für den Freund von dessen volljähriger, nicht mehr bei den Eltern lebender Tochter ein Zahlungsrückstand gespeichert war[4]. Die Legalität derartiger Datenverknüpfungen ist rechtlich bisher nur unzureichend geregelt.
Zitate
- „Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten, sie fliegen vorbei, wie nächtliche Schatten. Kein Mensch kann sie wissen, kein Jäger erschießen. Es bleibet dabei: Die Gedanken sind frei!“ – (unbekannter Verfasser, kompletter Liedtext und Hintergrund)
- „Ich kann mit meiner Familie und Freunden über Gott und die Welt reden, aber nicht mit Gott und der Welt über meine engsten Verhältnisse.“ – Mathias Richling
- „Privatsphäre ist wie Sauerstoff – man schätzt sie erst, wenn sie fehlt“ – John Emontspool
In Film und Literatur
- 1984, Roman von George Orwell
- 1984, auf gleichnamigen Roman basierender Film
- Gattaca
- Das Netz
- Der Staatsfeind Nr. 1
- Il mostro (Film)
- Little Brother
- Wahnsinnig verliebt
- Schöne neue Welt, Roman von Aldous Huxley
- Traveler
Siehe auch
Literatur
- Helmut Bäumler (Hrsg.): E-Privacy. Datenschutz im Internet, Braunschweig und Wiesbaden: Vieweg, 2000.
- David Brin: The Transparent Society. Will Technology Force Us to Choose Between Privacy and Freedom?, Reading, MA: Perseus Publishing, 1998, ISBN 0-7382-0144-8.
- Rafael Capurro: Ethik für Informationsanbieter und -nutzer, In: Kolg, Anton u.a.: Cyberethik. Verantwortung in der digital vernetzten Welt, Stuttgart, Berlin, Köln: Kohlhammer, 1998.
- Diffie Whitfield; Landau, Susan: Privacy on the Line. The Politics of Wiretapping and Encryption, MIT Press, 1999.
- Simson Garfinkel: Database Nation. The Death of Privacy in the 21st Century, Sebastopol, CA usw.: O'Reilly, 2000, ISBN 1-56592-653-6.
- Sandro Gaycken/Constanze Kurz: 1984.exe - Gesellschaftliche, politische und juristische Aspekte moderner Überwachungstechnologien, Bielefeld, 2008, ISBN 978-3-89942-766-0.
- John Gilliom: Overseers of the Poor. Surveillance, Resistance, and the Limits of Privacy, Chicago und London: Chicago University Press, 2001, ISBN 0-226-29361-0.
- Ralf Grötker (Hrsg): Privat! Kontrollierte Freiheit in einer vernetzten Welt, Heise Zeitschriften Verlag, Hannover, 2003, ISBN 3-936931-01-1
- Maximilian Hotter: Privatsphäre. Der Wandel eines liberalen Rechts im Zeitalter des Internets, Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York 2011 ISBN 978-3-593-39407-7
- Frederick S. Lane, III: The Naked Employee. How Technology is Compromising Workplace Privacy, New York usw.: AMACOM, 2003, ISBN 0-8144-7149-8.
- Karden D. Loch; Conger, Sue; Oz, Effy: Ownership, Privacy and Monitoring in the Workplace: A Debate on Technology and Ethic, In: Journal of Business Ethics 17, 1998, S. 653-663.
- Michael Nagenborg, Privatheit unter den Rahmenbedingungen der IuK-Technologie, Wiesbaden: VS Verlag 2005, ISBN 3-531-14616-5.
- Vance Packard: Die wehrlose Gesellschaft, Knaur, 1970
- Beate Rössler: Der Wert des Privaten, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main, 2001, ISBN 3-518-29130-0.
- Peter Schaar: Das Ende der Privatsphäre. Der Weg in die Überwachungsgesellschaft. 1. Auflage. C. Bertelsmann, München 2007, ISBN 978-3-570-00993-2.
- Herman T. Tavani: Ethics & Technology. Ethical Issues in an Age of Information and Communication Technology, o.A.: John Wiley & Sons, 2004, Kap. 5: Privacy and Cyberspace, ISBN 0-471-45250-5.
- van den Hoven, M.J.: Privacy or Information Injustice?, In: Pourciau, Lester J. (Hrsg.): Ethics and Electronic Information in the Twenty-First Century, West Lafayette: Purdue University Press, 1999.
- Whitaker, Reg: The End of Privacy. How Total Surveillance is becoming a Reality, New York: The New Press, 1999, ISBN 1-56584-569-2.
Einzelnachweise
- ↑ vgl: http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv101361.html
- ↑ http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv090255.html
- ↑ http://www.heise.de/newsticker/meldurrsichng/Handy-identifiziert-Fotografierte-ueber-Facebook-Co-939784.html
- ↑ Vorsicht, Kuhttp://www.heise.de/newsticker/meldung/Handy-identifiziert-Fotografierte-ueber-Facebook-Co-939784.htmlnde: Sippenhaftung bei Amazon. c't Magazin für Computertechnik, Heise Verlag, Heft Nr. 1 vom 21. Dezember 2009, Seite 66-67
Weblinks
Wiktionary: Privatsphäre – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, ÜbersetzungenDeutsche Quellen
- Der gläserne Mensch (Datenschutzseite)
- Referat zum Schutz der Privatsphäre, zur Sphärentheorie und zum Kernbereich privater Lebensgestaltung (PDF-Datei; 348 kB)
- Big Brother Awards für Deutschland und Österreich
- Vom Menschenrecht, in Ruhe gelassen zu werden (Telepolis)
- Begriffserläuterung von Privacy
- E-Commerce and E-Privacy – Entwicklungen im Internet (World Wide Web Consortium)
- Versteckte Daten in digitalen Bilddateien: Gefahren für Privatsphäre und Datenschutz
- Ausführliche Aufzählung zum Thema Bewegungsprofile
- Spuren im Internet
- Aspekte zum Thema Privatsphäre, mit detaillierten Beispielen für die aktuellen Gefährdungen der Privatsphäre
Englische Quellen
- Electronic Privacy Information Center
- Privacy International
- Statewatch Europe – monitoring the state and the civil liberties in Europe
- Privacy (Artikel aus der Stanford Encyclopedia of Philosophy)
- Introduction to Dataveillance and Information Privacy, and Definitions of Terms
- Einführungstutorium Datenschutz- und Identitätsmanagement
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