Politikberatung

Politikberatung

Der Ausdruck Politikberatung steht ursprünglich für den Wissenstransfer aus der Wissenschaft in die politische Praxis. Die klassische Definition stellte Jürgen Habermas Ende der 60er Jahre auf:

„Politikberatung hat die Aufgabe, einerseits Forschungsergebnisse aus dem Horizont leitender Interessen, die das Situationsverständnis der Handelnden bestimmen, zu interpretieren, und andererseits Projekte zu bewerten, und solche Programme anzuregen und zu wählen, die den Forschungsprozess in die Richtung praktischer Fragen lenken.“

Habermas 1968a, S. 134.

Zunehmend etabliert sich Politikberatung neben der ursprünglichen Definition als Sammelbegriff für ein breiteres Spektrum an Beratungsleistungen.

Man unterscheidet zwei Formen der Politikberatung:

  • Politikfeldberatung: Englisch policy advice; erfolgt vor allem durch Wissenschaftler, zunehmend aber auch durch Unternehmensberater und Lobbyisten. Die wissenschaftliche Politikberatung übernimmt dabei eine doppelte Vermittlungsfunktion. Zum einen vermittelt Politikberatung zwischen Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Zum anderen schlägt sie (z. B. in Denkfabriken) die Brücke zwischen Wissenschaft und politischer Praxis.
  • Kommunikative Politikberatung: Englisch political consulting; hierbei geht es vor allem darum, Politiker bei Kampagnen und Wahlkämpfen sowie anderen Aspekten der Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit zu beraten. (Tätigkeit von Politikberatungsagenturen (Vgl. Schuster)).

Einige Politikberater machen auch Lobbyismus:

Lobbyisten bezeichnen sich gerne als 'Politikberater'.

Ein großer Teil der Politikberatung wird von Wissenschaftlern in unterschiedlichsten Gremien, z.B. Expertenkommissionen, in Think Tanks sowie Stiftungen geleistet. Diese wissenschaftliche Politikberatung ist seit dem Aufsatz von Habermas immer wieder Gegenstand teils hitziger Debatten gewesen. 2008 hat die 'Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften' 'Leitlinien guter Politikberatung' erarbeitet und veröffentlicht (siehe weblinks). Einen guten Überblick zum Thema wissenschaftliche Politikberatung und zu anderen Formen der Politikberatung bietet das 'Handbuch Politikberatung'.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Der Regierungsumzug von Bonn nach Berlin gab der Politikberatung einen starken Entwicklungsschub. Viele Verbände blieben in Bonn - zum Beispiel wegen der relativen Nähe zu Brüssel - und beauftragten Agenturen oder externe Berater, um Kontakte in Berlin zu pflegen. Viele davon haben sich im Berliner Regierungsviertel angesiedelt.

Bericht des Bundesrechnungshofs

Am 1. April 2008 sendete der Bundesrechnungshof (BRH) einen Bericht mit dem Titel „Über die Mitarbeit von Beschäftigten aus Verbänden und Unternehmen in obersten Bundesbehörden“ an den Haushaltsausschuss des Bundestages.

Der Leitsatz lautet:

„„Der Bundesrechnungshof ist bei seiner Untersuchung nicht auf Sachverhalte gestoßen, die einen konkreten Verdacht auf vorsätzlichen Missbrauch des Einsatzes externer Beschäftigter in den Bundesministerien oder einen spürbaren Schaden für den Bund und das von ihm zu vertretende Gemeinwohl begründen würden.“ „Gleichwohl belegen seine Prüfungserkenntnisse, dass in einigen Bereichen erhöhte Risiken von Interessenkonflikten bestehen.““

Zwar „sieht der Bundesrechnungshof aufgrund seiner Prüfungsergebnisse keine Notwendigkeit, den personellen Austausch zwischen Verwaltung und Unternehmen grundsätzlich in Frage zu stellen“, aber um die dennoch „bestehenden Risiken“ auf ein Mindestmaß zurückzuführen, gab er den Parlamentariern zehn Handlungsempfehlungen, u.a.: „Leihbeamte“ sollten

  • keine „federführende Formulierung von Gesetzesentwürfen und anderen Rechtsakten“ vornehmen dürfen (bisher hatten 20 Prozent der externen Mitarbeiter Gelegenheit dazu).
  • nicht mehr an Vergabeverfahren öffentlicher Aufträge beteiligt sein (bisher waren dies mehr als 25 Prozent der jährlich rund 100 „Lobbyisten“, die 2004 bis 2006 in obersten Bundesbehörden tätig waren).
  • nicht mehr Leitungsvorlagen erstellen (was bisher über 60 Prozent der „Leihbeamten“ taten) und nicht mehr die Bundesregierung nach außen vertreten

Am 13. Juni 2009 legte das Bundesministerium des Innern (BMI) den „Entwurf einer Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Einsatz von außerhalb des öffentlichen Dienstes Beschäftigten (externen Personen) in der Bundesregierung“ vor. Er bündelte die Beschlüsse des Haushaltsausschusses vom 9. April und 4. Juni 2008 „im Interesse der Integrität und der Funktionsfähigkeit der Bundesverwaltung.“ Die „Allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung“ einschließlich „Verhaltenskodex für in der Bundesverwaltung tätige externe Personen“ wurde entlang der Empfehlungen des Bundesrechnungshofes formuliert. Das BMI muss nun halbjährlich schriftlich dem Haushalts- und Innenausschuss über den jeweiligen Personalstand der „externen Positionen“ berichten.

„Faktisch ist das Programm „Seitenwechsel“ mit diesen administrativen Korsettstangen und den erzwungenen Transparenzmaßnahmen „erledigt“, wie ein Spitzenbeamter im BMI bitter bilanzierte. Die „Methode Bundesrechnungshof“ und die zwar langatmigen, am Ende aber wirksamen Kontrollmechanismen des Haushaltsausschusses könnten Vorbild für die Lösung aller weiteren „parlamentarischen Brandherde im Zusammenhang mit Lobbyismus“ sein. Diese wirksame Blaupause einer Selbstbehauptung des Parlaments wurde aber in den anderen Fällen (bislang) selten genutzt.[1]

Einzelnachweise

  1. Thomas Leif in Das Parlament, 10. Mai 2010: Von der Symbiose zur Systemkrise - Essay [1]

Literatur

  • Cassel, Susanne (2001): Politikberatung und Politikerberatung. ISBN 3-258-06277-3.
  • Busch-Janser, Florian et.al. (Hg.) (2007): Politikberatung als Beruf. ISBN 978-3-938456-30-9.
  • Althaus, Marco (Hg.) (2002): Kampagne! ISBN 978-3-8258-5292-4. sowie (2004) Kampagne 2! ISBN 978-3-8258-5995-4.
  • Dagger, Steffen et.al. (Hg.): Politikberatung in Deutschland, Praxis und Perspektiven, VS-Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2004. ISBN 978-3-531-14464-1.
  • Dagger, Steffen; Kambeck, Michael (Hrsg.): Politikberatung und Lobbying in Brüssel. VS-Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2007. ISBN 978-3-531-15388-9.
  • Dagger, Steffen (2009): Mitarbeiter im Deutschen Bundestag: Politikmanager, Öffentlichkeitsarbeiter und Berater, Ibidem, Stuttgart. ISBN 978-3-8382-0007-1.
  • Falk, Svenja/ Römmele, Andrea/ Rehfeld, Dieter/ Thunert, Martin (Hrsg.)(2006): Handbuch Politikberatung, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. 9783531142500
  • Jürgen Habermas (1968/2003): Verwissenschaftlichte Politik und öffentliche Meinung. In: Technik und Wissenschaft als Ideologie, Frankfurt/Main, S. 120-145
  • Heinrichs, Harald (2002): Politikberatung in der Wissensgesellschaft: eine Analyse umweltpolitischer Beratungssysteme, Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag
  • Hellmann, Gunther (Hg.) (2007): Forschung und Beratung in der Wissensgesellschaft. Das Feld der internationalen Beziehungen und der Außenpolitik, Baden-Baden.
  • Hofer, Thomas (2010): Die Tricks der Politiker. Wien, Ueberreuter Verlag. ISBN 978-3-8000-7448-8
  • Ihne, Hartmut: Global Governance und wissenschaftliche Politikberatung - Tendenzen und Prinzipien (Global governance and evidence-based policy advice - tendencies and principles). Baden-Baden 2007 (Nomos Verlag).ISBN 978-3-8329-2452-2
  • Kuhne, Clemens (2008): Politikberatung für Parteien. Akteure, Formen, Bedarfsfaktoren, Wiesbaden: VS-Verlag für Sozialwissenschaften
  • Birger P. Priddat: Politik unter Einfluß. Netzwerke, Öffentlichkeiten, Beratungen, Lobby. Wiesbaden: VS 2009
  • Schuster, Christian H. (2005): Politikberatungsagenturen in Deutschland. Erschienen in der Reihe J+K Wissen. Diplomarbeit. Berlin, München: poli-c-books
  • Volkswille und Sachverstand. Themenheft der Schweizer Monatshefte, Ausgabe Januar/Februar 2007.
  • Birger P. Priddat: Politikberatung: Prozesse, Logik und Ökonomie. Marburg: Metropolis 2009
  • Peter Weingart, Justus Lentsch, Wissen Beraten Entscheiden. Form und Funktion wissenschaftlichern Politikberatung in Deutschland. Weiterswist 2008. ISBN 3-938808-51-9

Weblinks


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем решить контрольную работу

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Politikberatung — Politikberatung,   die Einbringung von »Sachverstand« in den politischen Willensbildungsprozess, besonders durch in der Forschung tätige Wissenschaftler. Die Anforderungen, die die politische Praxis an die Wissenschaft gestellt hat, führten zur… …   Universal-Lexikon

  • Politikberatung — ⇡ wirtschaftswissenschaftliche Politikberatung …   Lexikon der Economics

  • Rhein-Ruhr-Institut für Sozialforschung und Politikberatung — Das seit 1980 in Duisburg bestehende Rhein Ruhr Institut für Sozialforschung und Politikberatung e.V. (RISP) ist ein An Institut der Universität Duisburg Essen, dessen Schwerpunkt bei der anwendungsorientierten Forschung liegt. Gegenwärtig sind… …   Deutsch Wikipedia

  • wirtschaftswissenschaftliche Politikberatung — 1. Zielsetzung: Erhöhung der Rationalität in der Wirtschaftspolitik durch den Einbezug wirtschaftswissenschaftlichen Sachverstands in den Entscheidungsprozess. Der Informationsstand der Politiker in der Entscheidungsvorbereitung und der… …   Lexikon der Economics

  • Politikberater — Der Ausdruck Politikberatung steht ursprünglich für den Wissenstransfer aus der Wissenschaft in die politische Praxis. Die klassische Definition stellte Jürgen Habermas in den 1960er Jahren auf: „Politikberatung hat die Aufgabe, einerseits… …   Deutsch Wikipedia

  • Denkfabrik — Eine Denkfabrik (nach engl. think tank) ist ein nicht gewinnorientiertes Forschungsinstitut oder eine informelle Gruppe von Wirtschafts und Sozialwissenschaftlern, (ehemaligen) Politikern und/ oder Unternehmern, die gemeinsam politische, soziale… …   Deutsch Wikipedia

  • Public Policy Institution — Eine Denkfabrik (nach engl. Think tank; auch: Public Policy Institution, PPI) ist ein Forschungsinstitut oder eine informelle Gruppe meist von Politikern, Wirtschafts und Sozialwissenschaftlern oder Unternehmern, die gemeinsam politische, soziale …   Deutsch Wikipedia

  • Think-Tank — Eine Denkfabrik (nach engl. Think tank; auch: Public Policy Institution, PPI) ist ein Forschungsinstitut oder eine informelle Gruppe meist von Politikern, Wirtschafts und Sozialwissenschaftlern oder Unternehmern, die gemeinsam politische, soziale …   Deutsch Wikipedia

  • Think Tank — Eine Denkfabrik (nach engl. Think tank; auch: Public Policy Institution, PPI) ist ein Forschungsinstitut oder eine informelle Gruppe meist von Politikern, Wirtschafts und Sozialwissenschaftlern oder Unternehmern, die gemeinsam politische, soziale …   Deutsch Wikipedia

  • Thinktank — Eine Denkfabrik (nach engl. Think tank; auch: Public Policy Institution, PPI) ist ein Forschungsinstitut oder eine informelle Gruppe meist von Politikern, Wirtschafts und Sozialwissenschaftlern oder Unternehmern, die gemeinsam politische, soziale …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”