Der Karneval der Tiere

Der Karneval der Tiere

Den „Karneval der Tiere“ („Le carnaval des animaux“) mit dem Untertitel „Grande fantaisie zoologique“ komponierte Camille Saint-Saëns im Januar 1886 in einem kleinen österreichischen Dorf. Hier verarbeitete er in nur in wenigen Tagen frühe Skizzen zum Carnaval, die aus einer Zeit stammten, als er noch als Klavierlehrer tätig war (1861/65). Die Gelegenheit, das Werk jetzt niederzuschreiben, war ein Konzert, das der damals bekannte Cellist Charles-Joseph Lebouc alljährlich am Fastnachtsdienstag gab. Am 9. März 1886 wurde der „Karneval der Tiere“, mit Camille Saint-Saëns und Louis Diémer als Pianisten, erstmals aufgeführt.

Das Werk für Kammerorchester mochte er aber dann doch nicht veröffentlichen, fürchtete er doch um seinen Ruf. Denn abgesehen davon, dass er in den Stücken allerlei Tierrufe durch die Instrumente imitierte, hatte er zudem mehrere seiner Berufskollegen (Jacques Offenbach bei den „Schildkröten“ und Berlioz beim „Elefant(en)“) veralbert. Auch Rossini bleibt nicht verschont, indem eine seiner Arien unter den Fossilien parodiert erscheint. Die waren zwar zu dem Zeitpunkt schon tot und hätten es ihm nicht verübeln können, gleichwohl mochte Saint-Saëns niemanden und demnach auch deren Bewunderer nicht verärgern. So erschien das Werk bei seinem Verleger Jacques Durand erst nach seinem Tode (16. Dezember 1921) und die erste postume Wiedergeburt des Werkes fand zur Karnevalszeit am 25. Februar 1922 unter der Leitung von Gabriel Pierné in Paris statt.

Inhaltsverzeichnis

Die Stücke

Die Orchesterbesetzung: Flöte (Pikkoloflöte in Nr. 14), Klarinette, Glasharmonika, Xylophon, Klavier I, Klavier II, 1. Violine, 2. Violine, Viola, Violoncello und Kontrabass.

Der „Karneval der Tiere“ gehört zum Genre der Programmmusik.

  • Die „Introduction et marche royale du Lion“ (Introduktion und königlicher Marsch des Löwen) stellt den Einzug der Tiere in eine Arena dar, im Mittelplatz ist mehrfach deutlich der „König der Tiere“, nämlich der Löwe zu vernehmen, der mit raunendem Grollen sein Maul aufreißt.
    Instrumente: Klavier I, Klavier II, Streicher
    Einleitung: Takte 1-12 Andante maestoso, 4/4-Takt. Beide Klaviere führen über alle Takte ein an einen Trommelwirbel gemahnendes Tremolo aus und enden im Schlusstakt mit einem ff-Glissando über die ganze Tastatur. Unterstützt werden sie von allen Streichern mit kleinen aufsteigenden Tonschritten.
    Überleitung zum Marsch: Takte 13-17, Allegro non troppo, hier leiten die Klaviere mit Fanfaren-Rhythmen zum Marsch über.
    Der Königsmarsch: Piu Allegro, gespielt von den Streichern und begleitet von markanten Marschrhythmen der Klaviere.
    Tierporträt: Tierstimme des Löwen. Das Löwengebrüll imitieren Klaviere und Streicher durch schnelle auf- und abwärtsführende, chromatische Triolenläufe.
  • „Poules et coqs“ (Hühner und Hähne), Allegro moderato, 4/4-Takt, f
    Instrumente: Klarinette in B, Klavier I, Klavier II, 1. Violine, 2. Violine, Viola.
    Tierporträt: Tierstimmen der Hühnervögel
    - werden durch die Streichinstrumente vorgestellt. Wildes „Gezeter“ lässt den Gedanken an eine Schar pickender und streitender Hühner zu. Das „Gackern“ der Hühner imitieren die Streicher, das „Kikeriki“ der Hähne die Klaviere und die Klarinette.
  • „Hémiones“ (Animaux veloces), Halbesel (schnelle Tiere), Presto furioso, 4/4-Takt, f
    Instrumente: Klavier I, Klavier II.
    Tierporträt: Von der Schnelligkeit der Steppentiere
    Die Darstellung bezieht sich in ihrem Wesen auf Fluchttiere (wie Gazellen, Zebras etc.). Die hierzu durch die Klaviere intonierten Läufe werden in rasendem Tempo über 4 Oktaven präsentiert. Sie lassen so ein Bild von der Schnelligkeit der Steppentiere entstehen.
  • „Tortues“ (Schildkröten), Andante maestoso, 4/4-Takt, pp
    Die Instrumente: Klavier I, Streicher
    Tierporträt: Von der Langsamkeit der Kriechtiere.
    Parodie I: „La,la,la,la,la, partons, marchons!“
    Parodie II: „Ce bal est original d'un galop infernal…!“ aus Orpheus in der Unterwelt von Jacques Offenbach.
    Dieses Stück ist eine der erwähnten Veralberungen eines Komponisten, die Saint-Saëns sich leistete. Grundlage für dieses Stück ist der bekannte Can-Can, zu dessen wilder Musik die Tänzerinnen kreischend und juchzend ihre Beine so weit hochreißen, dass der Zuschauer Einblick unter ihre Röcke erhält. Bei den „Tortues“ gewinnt der Zuhörer den Eindruck, das Stück von Offenbach sei der Zeitlupe zum Opfer gefallen. Dreimal langsamer (und damit müde und schleppend) wird der Can-Can, der ehemalig schnellste Tanz der Welt, von den Streichinstrumenten unisono präsentiert. Die Triolen im Klavier unterstreichen noch diese Langsamkeit (Achtel gegen Triolen).
  • „L'Elephant“ (der Elefant) Allegretto pomposo, 3/8-Takt, f
    Instrumente: Klavier II, Kontrabass
    Tierporträt: Dressurakt in der Arena
    Parodie: Danse des sylphes aus Fausts Verdammung von Hector Berlioz, außerdem eine Anspielung auf das Scherzo aus Mendelssohns Musik zum Sommernachtstraum.
    Hier nimmt Saint-Saëns gleich den nächsten Berufskollegen aufs Korn: Hector Berlioz. Der Elefant versucht sich an dem aus Fausts Verdammnis entnommenen Elfentanz („Danse des Sylphes“). Die Musik hierzu ist von Saint-Saëns zur Plattitüde verfremdet worden und der trägt dazu bei, dass die Darbietung des Tanzes trampelig und unbeholfen daherkommt.
    Das größte lebende Landsäugetier wird hier von dem Kontrabass, dem größten und tiefsten Streichinstrument des Orchesters vorgestellt. Dieser nun, zuständig für die tiefste Tonlage, spielt pompös im Bassbereich (Klang eine Oktave tiefer als notiert) ein Thema, das normalerweise einem Diskantinstrument vorbehalten bleiben müsste; begleitet wird er im Walzertakt vom Klavier II.
  • „Kangourous“ (Kängurus), Moderato, 4/4-Takt.
    Instrumente: Klavier I und Klavier II
    Tierporträt: Hüpfende Fortbewegung der Beuteltiere.
    Die Kangourous werden von den zwei Klavieren vorgestellt und sind in ihrer hüpfenden Art unschwer zu erkennen. Sie bewegen sich abwechselnd fort. Ihre Sprünge beginnen langsam und werden immer schneller (accelerando), bis sie schließlich ihr Tempo wieder verlangsamen (ritardando).
  • Aquarium“ (Das Aquarium), Andantino, 4/4-Takt, pp
    Instrumente: Flöte, Glasharmonika, Klavier I, Klavier II (una corda),
    Violine I, Violine II, Viola und Violoncello (con sordino).
    Die hier eingesetzte Glasharmonika ist ein idiophones Friktionsinstrument, dessen feiner ätherischer Klang durch Reiben der Glasschalen mit wassergenetzten Fingerkuppen entsteht.
    Zurzeit Camille Saint-Saëns hatte das Instrument seine Hochblüte längst überschritten und war wegen seines geringen Klangvolumens aus der Mode gekommen. Und dennoch hatte Camille Saint-Saëns es in seine Instrumentation mit einbezogen. Mit feinem Humor hat er die Glasharmonika mit dem Aquarium (Glasbehälter) verknüpft: hier das Glasgehäuse zum Aufnehmen von Wasser als Lebensraum für Wassertiere, dort die Glasharmonika mit Glasschalen und Wasser zum Erzeugen von Klängen.
    In der heutigen Aufführungspraxis nimmt man anstelle der Glasharmonika als Ersatzinstrument das Orchesterglockenspiel, das Klaviaturglockenspiel oder die Celesta.
    Tierporträt: Zierfische
    Ein Stimmungsbild. Die Bewegungen in der Musik und die perlenden Läufe der Klaviere gemahnen an ein sich sanft bewegendes Wasser mit von der Glasharmonika „gemalten“, aufsteigenden Luftblasen.
  • „Personnages à longues oreilles“ (Persönlichkeiten mit langen Ohren), Ad lib., 3/4-Takt, ff.
    Instrumente: Violine I, Violine II
    Tierporträt: Tierstimmen
    Mit diesem Titel sind Esel gemeint. Der typische Eselsschrei, das langgezogene „I-aah“, wird von den Violinen präsentiert.
  • „Le coucou au fond des bois“ (Der Kuckuck in der Tiefe des Waldes), Andante, 3/4-Takt, pp.
    Instrumente: Klarinette in B (dans la coulisse), Klavier I, Klavier II
    Tierporträt: Kuckucksruf aus der Ferne
    Ein Stimmungsbild. Die ruhige Musik steht für die Atmosphäre eines unbelebten Waldes, aus der Ferne ist immer wieder der Ruf des Kuckucks (intoniert durch eine Klarinette mit fallender großer Terz d2 - b1) zu vernehmen.
  • Voliere“ (Das Vogelhaus), Moderato grazioso, 3/4-Takt, p
    Instrumente: Flöte, Klavier I, Klavier II, Streicher
    Tierporträt: Vogelstimmen
    Ganz anders präsentiert sich die Volière. Lebhaft geht es in dem Vogelkäfig zu, ein Stück, das ganz auf die Querflöte zugeschnitten ist, die ein fröhliches Vogelgezwitscher imitiert: schnelle, ausgeschriebene Trillerketten, Akkordbrechungen und chromatische Läufe ahmen das Fliegen und Flattern der kleinen Vogelhausbewohner nach. Die Klaviere mit ihren kurzen Tonrepetitionen, chromatischen Läufen, Vorschlägen und Trillern in hohen Lagen imitieren den Gesang exotischer Vögel. Das Tremolo der hohen Streicher vermittelt ein ständiges Schwirren in der Luft; nur die Celli und Bässe mit ihren Pizzicati sorgen für etwas Ruhe.
  • „Pianistes“ (Pianisten), Allegro moderato,4/4-Takt, f
    Instrumente: Klavier I, Klavier II, Streicher
    Tierporträt: Pianisten
    Dass Tiere „Pianistes“ sind, ist eine interessante, aber anhand des präsentierten Stücks nachvollziehbare Erfahrung. Denn nicht nur Tiere in Tiergärten locken Jahr für Jahr viele Neugierige an, sondern auch Musikanten verstehen sich darauf, mit ihrer Musik immer wieder ihr Publikum anzuziehen. Saint-Saëns, der selbst ein hervorragender Pianist war und zahlreiche anspruchsvolle Klavierwerke sowie fünf Klavierkonzerte komponiert hatte, lässt hier die zwei Klavierspieler, die an einer an Czerny denkende Klavier-Etüde ihre Fingerfertigkeiten beweisen wollen, Tonleitern exerzieren. Nach anfänglichem „Warmspielen“ bringen sie nunmehr ihre Etüde mit Begleitung der Streicher bravouriös zu Ende, Applaus.
  • „Fossiles“ (Fossilien), Allegro ridicolo, 2/2-Takt, ff
    Instrumente: Klarinette in B, Xylophon, Klavier I, Klavier II, Streicher
    Ein kurioses Instrument ist auch hier das Xylophon. Zur Entstehungszeit des Karnevals (1886) war es im Orchester noch längst nicht etabliert. Camille Saint-Saëns war es, der mit seiner symphonischen Dichtung Danse macabre (1876) das Xylophon als neues Orchesterinstrument in die „klassische“ Orchesterliteratur einführte. Denn wohl kein anderes Instrument ist so prädestiniert, den Fossilien zur neuen Lebendigkeit zu verhelfen. Die Klangholzstäbe, aus gut ausgetrocknetem und lang abgelagertem Hartholz hergestellt, sind selbst schon „versteinert“. Ihr scharfer spitzer Klang könnte dem der Fossilien sehr ähnlich sein.
    Tierporträt: versteinerte Tiere
    Diese sind bekanntlich eigentlich nur Abdrücke von Knochen im Gestein. Saint-Saëns lässt gleichwohl die Knochen klappern, intoniert von einem Xylophon, dessen wirbelnde Melodie auf den Hartholzstäben den Eindruck von tanzenden Knochentieren beschwört. Das Gebein-Motiv hierzu stammt aus dem Danse Macabre, ebenfalls von Saint-Saëns, es wird von den Holzbläsern und dem Xylophon gespielt. Das Motiv des Todes, das Aufspielen zum Tanz, wird jedoch in erster Linie von der Solo-Violine intoniert. - Des Weiteren benutzt er die schon im 18. Jahrhundert bekannte Melodie des Kinderliedes „Ah! vous dirai-je maman“, dessen Anfangstakte Mozart zum Thema seiner 12 Klaviervariationen (KV 265) inspirierte.
    Das Stück Fossiles, in Rondoform, schnell und lächerlich gespielt, besteht aus einer Reihe von Zitaten.
    Zitat I: Das Xylophon spielt aus Camille Saint-Saëns eigenem Danse macabre das nächtliche Treiben der Skelette,
    Zitat II: beide Klaviere und alle Streicher spielen: Jai du bon tabac und danach
    Zitat III: Ah! vous dirai-je, maman.
    Zitat IV: Der Klarinette bleibt es vorbehalten Au clair du bon lune und auch solistisch
    Zitat V: Partant pour la Syrie, zu spielen, begleitet vom Klavier I, und anschließend als Draufgabe
    Zitat VI: Rosinas Arie aus Rossinis Barbier von Sevilla.
  • „Le Cygne“ (der Schwan), Andantino grazioso, 6/4-Takt, pp
    Instrumente: Violoncello, Klavier I, Klavier II
    Tierporträt: weißer Wasservogel
    Ein Stimmungsbild. Es ist das einzige Stück aus dem „Karneval der Tiere“, zu dem Camille Saint-Saëns zu seinen Lebzeiten gestanden hat. Ein prachtvoller Schwan gleitet auf einem See dahin. Der Größe und Schönheit des Tieres angemessen, wird die Romanze vom Violoncello in seiner tenoralen Stimmlage gespielt.
  • „Final“ (Finale), Molto allegro, 4/4-Takt
    Instrumente: Pikkoloflöte, Klarinette in C, Glasharmonika, Xylophon, Klavier I, Klavier II, Streicher
    Mit dem Finale schließt sich der Kreis der Tierporträts. Wie schon in der Introduction des Königsmarsches eröffnen die Klaviere, diesmal unterstützt von der Pikkoloflöte, der Klarinette, der Glasharmonika und dem Xylophon, mit einem brillanten Tremolo das Finale. Nach 10 Takten münden die Einleitungstakte in einem sehr schnellen Galopp. Hier treten die Tiere noch einmal zusammen auf. Wer genau hinhört, kann erkennen, dass fast alle der präsentierten Tiere noch einmal einen kurzen Auftritt haben.

Literatur

Saint-Saëns' „Karneval der Tiere“ ist vielfach verarbeitet worden. Neben mehreren Bilderbuchfassungen seien hier folgende deutsche Titel vermerkt:

  • Loriot: Karneval der Tiere. Schott, Mainz 1997, ISBN 3-7957-5311-2
  • Peter Ustinov: Karneval der Tiere. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001, ISBN 3-462-03004-3
  • Roger Willemsen: Karneval der Tiere. Heyne, München 2005, ISBN 3-453-40104-2
  • Boris Aljinovic: Karneval der Tiere. O-Ton-Produktion, Berlin 2006, ISBN 3-9810256-5-2
  • Marko Simsa: Der Karneval der Tiere. Annette Betz, Wien - München 2002, ISBN 3-219-11015-0

Filme

  • 1990 – Zülal Aytüre-Scheele (Regie): Karneval der Tiere (filmische Animation des gesamten „Karnevals“ mit Origami-Papierfiguren).
  • 1998 – Die Melodie von Le Cygne kommt mehrmals in Idioten vor.

Weblinks


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