Der Untergang der HMS Victoria

Der Untergang der HMS Victoria
Bau und Dienstzeit
Bauwerft Sir W. G. Armstrong, Whitworth & Co., Ltd, Newcastle upon Tyne
Kiellegung 23. April 1885
Stapellauf 9. April 1887
Indienststellung März 1890
Schicksal 1893 gerammt und versunken
Technische Daten
Wasserverdrängung 11.020 ts
Länge 104 m
Breite 21,3 m
Tiefgang 8 m
Bewaffnung
  • 2 x 16.25"/30 Mk. I
    (41,3-cm-Geschütze)
  • 1 x 10"/32
    (25,4-cm-Geschütz)
  • 12 x 6"/45 BL Mk. VII
    (15,2-cm-Geschütze)
  • 12 x 6-pdr/47 10 cwt. QF Mk. I
    (5,7-cm--Geschütze)
  • 9 x 3-pdr/50 QF
    (4,7-cm-Geschütze)
  • 5 x 14" Torpedorohre
    (Ø 35,5 cm)
Antriebsanlage
  • 8 Dampfkessel
  • 2 dreizylindrige
    Dreifachexpansionsdampfmaschinen mit 8.000 PS auf 2 Wellen
Geschwindigkeit 16 Knoten
Besatzung 430 (583 als Flaggschiff)

Die HMS Victoria war ein 1890 in Dienst gestelltes Schlachtschiff der Victoria-Klasse und Flaggschiff des zu dieser Zeit weltweit größten Seegeschwaders, der britischen Mittelmeerflotte. Am 22.Juni 1893 rammte die HMS Camperdown die HMS Victoria während eines Manövers vor Tripolis. 358 der 715 Menschen an Bord starben, darunter auch der Flottenchef Sir George Tryon. Der spätere Befehlshaber der britischen Grand Fleet bei der Skagerrakschlacht, John Jellicoe, überlebte das Unglück als erster Offizier der HMS Victoria.

Inhaltsverzeichnis

Sir George Tryon

Der Oberbefehlshaber, Vizeadmiral Sir George Tryon, war bekannt dafür, äußerst knappe und präzise Befehle zu geben, deren Sinn sich seinen Untergebenen nur durch einiges Nachdenken erschließt. Er liebte es, seine Befehle durchzudiskutieren, aber immer erst nach deren Ausführung. Das Missverständnis seiner Befehle am 22. Juni führten zur Kollision mit der Camperdown.

Die Befehle

Der 22.Juni 1893 war ein heißer und ruhiger Tag vor Tripolis. Die Flotte war in zwei Divisionen eingeteilt: Die erste Division bestand aus dem Flaggschiff HMS Victoria sowie vier weiteren Schlachtschiffen (HMS Nile, HMS Dreadnought, HMS Inflexible und HMS Collingwood) und einem Kreuzer (HMS Phaeton), die zweite Division aus insgesamt drei Schlachtschiffen (HMS Camperdown, HMS Edinburgh und HMS Sans Pareil), zwei Kreuzern (HMS Edgar und HMS Amphion) und zwei leichten Kreuzern (HMS Fearless, HMS Barham) unter der Führung der HMS Camperdown, dem Flaggschiff des Konteradmirals Albert Markham. Gegen 14:00 Uhr erläuterte Tryon - durchaus ungewöhnlich für ihn - Captain Maurice Bourke, dem Kommandanten der Victoria, und Commander Hawkins-Smith, dem Flottennavigationsoffizier, seinen Plan zum Ankern vor Tripolis.

Die Flotte sollte sich zunächst in zwei Linien formieren, mit der ersten Division Steuerbord. Der Abstand sollte „6 Kabellängen“, also rund 1000 m betragen (eine britische Kabellänge=185,3184 m). Die beiden Linien sollten dann gleichzeitig nach innen wenden - die Schiff hatten jedoch einen Wendekreis von jeweils 5 Kabellängen bei normalem Ruder bzw. 4 Kabellängen bei vollem Ruder. Der Navigationsoffizier Hawkins-Smith wies George Tryon auf die augenscheinliche Unmöglichkeit des Manövers hin und meinte „Wir benötigen mindestens acht Kabellängen dafür.“ George Tryon antwortete: „Ja, es sollten acht Kabellängen sein.“ und entließ seine Untergebenen.

Der Vizeadmiral rief daraufhin seinen Flaggenleutnant Lord Gillford zu sich und befahl ihm: „Geben Sie ein Signal, dass sich die Divisionen in Linie formieren sollen, mit der zweiten Division an Backbord und einem Abstand von sechs Kabellängen zwischen den Linien.“ Er nahm daraufhin einen Zettel schrieb explizit „6“ darauf und übergab ihn Gillford.

Als um 14:10 Uhr die Flaggen gehisst wurden, eilte Hawkins-Smith zu Gillford, um ihm mitzuteilen, dass er mit Tryon acht Kabellängen vereinbart habe. Gillford zeigte ihm den Zettel mit der „6“ und ging auf Hawkins-Smiths Bestehen wieder in die Kabine von Tryon. Tryon antwortete mit scharfer Stimme: „Lassen Sie es sechs Kabellängen sein!“

Um 14:20 Uhr wurden die Flaggen eingeholt, was dem Befehl zum Ausführen entspricht. Die Flotte fuhr mit 8,8 Knoten.

Kurz nach 15:00 Uhr erschien Vizeadmiral Tryon auf dem Deck und gab den Befehl zum vorher mitgeteiltem Manöver. Da dieses unübliche Manöver im Signalhandbuch keine Entsprechung hatte, musste der Befehl mit einem Doppelsignal an die übrigen Schiffe vermittelt werden. Um 15:24 Uhr wurden daher zwei Befehle gesetzt:

  • Zweite Division: Kursänderung 180 Grad nach Steuerbord, unter Beibehaltung der Flottenformation.
  • Erste Division: Kursänderung 180 Grad nach Backbord, unter Beibehaltung der Flottenformation.

Das Manöver könnte mit zeitlichem Versatz durchgeführt werden, wenn ein Flaggensignal vor dem anderen eingeholt werden würde. Dennoch zögerte Konteradmiral Markham auf der HMS Camperdown mit der Bestätigung des Signals. Tryon ließ daraufhin flaggen „Worauf warten Sie noch?“ - eine öffentliche Kompromittierung des Konteradmirals vor der ganzen Flotte. Um 15:31 Uhr wurde der Befehl ausgeführt.

Das Manöver

Untergang der HMS Victoria

Tryon hatte der 1. Division befohlen, das Manöver mit "vollem Ruder" durchzuführen. Das war unüblich für ihn. Markham aber befahl der 2. Division einen nur etwas weniger harten Kurs. Die Camperdown und die Victoria kamen sich stetig näher. Der Kommandant der Victoria, Bourke, beobachtete ängstlich die näherkommende Camperdown, doch Tryon blickte stur nach Achtern auf seine Division, denn, so sage er Bourke einmal, „Der Blick eines Admirals muss nach hinten gerichtet sein, der eines Kapitäns nach vorne.“ Insgesamt dreimal warnte der Kommandant den Vizeadmiral, der aber seinen Blick nicht wandte. Erst beim letzten Mal schaute er auf die Camperdown und bestätigte Bourke, dass er den Befehl für Rückwartsfahrt geben dürfe. Im selben Moment wurde auf der Hauptbrücke der Befehl „Schotten dicht“ gegeben. Die Camperdown fuhr inzwischen ebenfalls rückwärts. Doch die Kollision konnte nicht vermieden werden: Um 15:34 Uhr, nur drei Minuten nach Beginn des Manövers, rammte die mit einem Rammsporn ausgerüstete Camperdown die HMS Victoria mit einer Geschwindigkeit von immer noch sechs Knoten. Die Victoria sank innerhalb von zehn Minuten.

Analyse

Das zunächst für die Beteiligten vermutete Manöver mit gleich großem Wendekreis beider Divisionen würde die Schiffe zwar wie gewünscht in eine in zwei parallelen Linien um 180 Grad gedrehte Position führen, hätte aber nicht „die Flottenformation beibehalten“, da die 1. Division dann backbord der Flotte gewesen wäre. Durch die Reduzierung auf sechs Kabellängen war dieses Manöver auch völlig unmöglich. Tryon gab üblicherweise nur „normales Ruder“. Markham wusste das und dachte daher, Tryons Intention durchschaut zu haben. Er wollte offensichtlich mit dem fast „vollen Ruder“ und dem damit geringeren Wendekreis den Kurs der 1. Division kreuzen. Was Markham in den acht Minuten zwischen Befehlsübermittlung und Kollision nicht berücksichtigte, war die alte britische Seegewohnheit, dass ein Schiff niemals ohne explizite Erlaubnis den Kurs des Schiffes mit dem Oberbefehlshaber kreuzen dürfe. Ferner gab es eine königliche Dienstvorschrift, nach der „zwei Schiffe unter Dampf, die in der Gefahr stehen zu kollidieren, demjenigen Schiff, welches das andere zur Steuerbordseite hat, auszuweichen“ sei. Markham hätte also mit normalem Ruder außerhalb des Wendekreises der 1. Division bleiben müssen - dasjenige Verhalten, das er vice versa Tryon unterstellt hatte. Ein Marinegericht, das zunächst formal die Offiziere der HMS Victoria anklagte, benannte die Befehle Tryons als Ursache, aber Markhams stieg danach nicht weiter auf. Captain Bourke wurde von allen Punkten freigesprochen und wurde seinerseits stellvertretender Kommandeur der Mittelmeerflotte.

Trivia

Um den Tod Tryons ranken sich Geistergeschichten:

  • Am selben Tag veranstaltete seine Frau in London einen großen gesellschaftlichen Empfang. Während des Empfangs haben angeblich mehrere Gäste Sir Tryon gesehen oder sogar mit ihm gesprochen.
  • Am selben Tag wurden in Weymouth, Südengland, Torpedotests durchgeführt. Als die Offiziere die Tätigkeit des nächsten Tages besprachen, fiel kurz nach 15:30 Uhr - dem Zeitpunkt der Kollision - unvermittelt ein unberührtes Weinglas um. Das wurde von einem der Anwesenden mit den Worten kommentiert: „Das sollte ein größeres Desaster auf See bedeuten.“

Quellen

  • Reginald Bacon: Memoiren, 1921

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