Deurag-Nerag

Deurag-Nerag
Früheres Firmengebäude

Die Deurag-Nerag war eine große Erdölraffinerie in Misburg bei Hannover (seit der Eingemeindung 1974 Hannover-Misburg). Sie hatte eine gute Verkehrsanbindung über den Mittellandkanal und eine Eisenbahnlinie (Güterumgehungsbahn Hannover) in Richtung Osten. Der Doppelname setzt sich aus zwei symbiotisch arbeitenden Raffineriezweigen zusammen: Deurag steht für Deutsche Raffinerie AG, Nerag für die später hinzugekommene Neue Erdölraffinerie AG, die Flugmotorenöl herstellte. Nach dem Unternehmen ist eine Straße am früheren Werksgelände benannt.

Bis heute besteht die Erdöl-Raffinerie Deurag-Nerag GmbH, in deren Besitz sich das Firmengelände befindet. Anteilseigner der GmbH sind die BEB Erdgas und Erdöl GmbH (80%), die Shell Erdgasbeteiligungsgesellschaft mbH (10%) sowie die Esso Deutschland GmbH (10%). Die technische Betriebsführung der Deurag-Nerag wurde 2002 auf die ExxonMobil Production Deutschland GmbH (EMPG) übertragen.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die Anfänge

Anfang 1930 gelang es dem damaligen Misburger Bürgermeister Gustav Bratke die "Gewerkschaft Erdöl-Raffinerie Deurag-Nerag" am verkehrstechnisch günstigen Standort nahe Hannover anzusiedeln. 1931 wurden mit dem Bau der Deurag begonnen. Die Raffinerie nahm 1932 den Betrieb auf. 1935 wurde die Schwesterfirma Nerag im westlich und südlich angrenzenden Bereich eröffnet. Beide Unternehmen arbeiteten von Anfang an eng zusammen und verfügten über eine gemeinsame Verwaltung. Die Fusion beider Werke zur Deurag-Nerag erfolgte 1955.

Luftangriffe

Die Deurag-Nerag war während des Zweiten Weltkriegs einer der wichtigsten Lieferanten von Spezialschmierölen im Reich. 1944 lieferte der Betriebsteil Nerag ca. 40% der von Deutschland benötigten Flugmotorenöle. Neben den Ölraffinerien wurden auch Anlagen zur Herstellung von synthetischen Benzin unterhalten. Damit war die Deurag-Nerag für die Alliierten ein kriegswichtiges Ziel. Daneben waren dies auch die ökonomisch ebenso bedeutenden Zementfabriken Misburgs. Daher wurde Misburg im Rahmen der alliierten Luftoffensive gegen die deutsche Mineralölindustrie bei ca. 45 alliierten Bombenangriffen von ca. 40.000 Spreng- und Brandbomben getroffen, 60% der Wohnhäuser wurden vernichtet oder beschädigt. Obwohl die Angriffe kriegswichtigen Betrieben galten, trafen nur knapp 4 % der Bomben die Raffinerie.

Der Schriftsteller und Weltkriegsveteran Ernst Jünger, der ab September 1944 im nahen Kirchhorst lebte, hat in seinen Tagebuchaufzeichnungen "Kirchhorster Blätter" zu den Luftangriffen auf Misburg vermerkt:

„16. September 1944. Zahlreiche Überfliegungen. Misburg, das Hauptziel in der näheren Umgebung, wurde wieder getroffen, und große Ölvorräte brannten jenseits des Moores unter bleigrauen Rauchwolken ab...“

Am 15. März 1945, dem Tag des schwersten Luftangriffs auf Misburg, notierte er:

„Abends, während dieser Eintragungen, einer der schwersten Angriffe auf Misburg. Kundschafterflugzeuge säten zuerst eine wahre Allee von orangegelben Leuchtzeichen, sodann folgten die Abwürfe.“

Zum Schutz von Belegschaft und Anwohnern (die meisten Arbeiter lebten auch mit ihren Familien in unmittelbarer Nähe der Deurag-Nerag) entstanden in den Kriegsjahren auf dem Firmengelände vier Hochbunker, von denen zwei bis heute existieren[1].

KZ-Außenlager

Mahnmal für das frühere KZ-Außenlager in Misburg von Eugène Dodeigne

Nahe dem Werkgelände der Ölraffinerie und dem Hydrierwerk befand sich von Juni 1944 bis April 1945 das KZ-Außenlager Hannover-Misburg des KZ Neuengamme. Die 1000 bis 1200 Häftlinge, die stets im Lager anwesend waren, kamen zum größten Teil aus der Sowjetunion, Polen und Frankreich. Daneben gab es auch kleinere Nationalitätengruppen aus den Niederlanden, Belgien und Frankreich. Die Anzahl der deutschen Häftlinge war mit 30 gering, und es waren zumeist Kriminelle, die wichtige Funktionsposten einnahmen. Die KZ-Häftlinge wurden bei Aufräumarbeiten auf dem durch Bombenangriffe beschädigten Raffineriegelände der Deurag-Nerag eingesetzt. 55 sind nachweislich während seines Bestehens zu Tode gekommen; es waren vermutlich wesentlich mehr. Gegen Ende des Krieges wurden die marschfähigen Häftlinge in ein Evakuierungsmarsch nach Norden in Richtung Neuengamme durchgeführt, der am 8. April 1945 im KZ Bergen-Belsen endete. Die nicht marschfähigen KZ-Häftlinge wurden mit Lastkraftwagen dorthin transportiert.

Seit 1979 erinnert eine Gedenktafel auf dem Waldfriedhof an das nahebei erlittene Unrecht.[2]

Auf dem früheren Lagergelände an der Hannoverschen Straße in Höhe des Mittellandkanals wurde 1989 als Mahnmal eine Skulptur von Eugène Dodeigne aufgestellt.

Schließung

Eingang Firmengelände

1986 schloss die Deurag-Nerag infolge von Überkapazitäten der deutschen Rohölverarbeitung, Teuerungen auf dem Ölmarkt und angeblicher Überalterung der Raffinerie. Die Werksanlagen wurden in den Folgejahren abgebaut.

2001 wurde die Deurag-Nerag-Straße in Misburg nach dem Erdölunternehmen benannt.[3]

Im Jahr 2003 gab es politische Bestrebungen das Gelände für die Internationale Gartenbauausstellung (IGA) 2017 zu nutzen. Eine Bewerbung Hannovers kam aber nicht zustande.

2007 erfolgte auf dem Südgelände jenseits vom Stichkanal Misburg der Abbruch der ungenutzten Tanklager. Auf einem Teil des Südgeländes wird heute ein Tanklager von VTG-Lehnkering betrieben. Das Nordgelände ist (bis auf das Verwaltungsgebäude) komplett geräumt und inzwischen stark bewachsen. Aufgrund der nur unzureichend geklärten Umweltbelastung auf dem Firmenareal ist eine Nachnutzung noch unklar.

Literatur

  • A. Scholand, V. Bialecki: Misburgs Boden und Bevölkerung im Wandel der Zeiten, 3. Aufl., 1992, S. 209 – 214
  • Albert Lefèvre: Der Beitrag der hannoverschen Industrie zum technischen Fortschritt, in: Hannoversche Geschichtsblätter, Neue Folge 24 (1970), S. 182 – 186
  • R. Fröbe u.a.: Konzentrationslager in Hannover, Bd. I, 1985, S. 131 – 229
  • Waldemar R. Röhrbein: Deurag-Nerag, in: Stadtlexikon Hannover, S. 125

Weblinks

 Commons: Deurag-Nerag – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Werkluftschutzbunker in Hannover
  2. Klaus Mlynek: Konzentrationslager, d) Misburg, in: Stadtlexikon Hannover, S. 364
  3. Waldemar R. Röhrbein: Deurag-Nerag, in: Stadtlexikon Hannover, S. 125

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