Die implizite Ordnung

Die implizite Ordnung

Die implizite Ordnung. Grundlagen eines dynamischen Holismus ist der deutsche Titel eines Buchs, das der Quantenphysiker David Bohm im Jahr 1980 veröffentlichte.

Bohm entwirft in dem Buch ein Weltbild, in dem die Wirklichkeit nicht in einzelne Bausteine getrennt, sondern als bruchloses Ganzes begriffen wird. Er kritisiert die Fragmentierung der Welt in Bausteine, da sich bei Versuchen auf der Quantenebene Erscheinungen zeigen, die nicht erklärbar sind. Dies überträgt Bohm auch auf andere Aspekte der Wirklichkeit und auf eine ethische Ebene.

Die Bildung von Abgrenzungen zwischen den Menschen rufe Handlungsmuster hervor, die nicht dem Gemeinwohl dienten. Eine neue, ganzheitliche Weltanschauung habe somit auch eine Bedeutung für das Zusammenleben der Menschen.

Inhaltsverzeichnis

Hauptthesen

Im zusammengefalteten Blatt verbirgt sich eine implizite Ordnung.
Im auseinandergefalteten Blatt zeigt sich eine verborgene Struktur (z.B. Noten).

Dem Autor geht es um die Entwicklung eines ganzheitlichen Weltbildes. Zu diesem Zweck liefert er zunächst Darstellungen zu den Problemen in der Quantentheorie und der Relativitätstheorie. Damit will er zeigen, dass eine "zergliedernde" Sicht der Dinge den Blick auf die Wirklichkeit verstellen kann. [1]

Bohm beschäftigt sich in dem Buch auch mit der Sprache und ihrer Beziehung zum Denken. Er unternimmt den Versuch, einen neuen Sprachmodus ("Rheomodus") zu entwickeln, der den Verben vor den Substantiven den Vorzug gibt und die Subjekt-Prädikat-Objekt-Struktur moderner Sprachen hinterfragt. [2]

Weiterhin bietet das Buch einen philosophischen Diskurs über die Einheit von Denkvorgang und Realität (Annäherung von "Denkendem" und "Denkinhalt") und eine Kritik der aristotelischen Logik und des Dualismus. [3]

Im Dualismus, der u. a. durch René Descartes etabliert wurde, stehen sich Geist und Materie gegenüber (res cogitans und res extensa). Nach Bohm haben Materie und Geist eine gemeinsame Grundstruktur. In Anlehnung an Nikolaus Cusanus verwendet er die Begriffe implicatio (eingefaltet), explicatio (entfaltet) und complicatio (alles ineinandergefaltet). Die Realität generiere sich gleichsam aus einer steten und sich sehr schnell vollziehenden Einfaltung und Ausfaltung. [4]

Da sich aus diesem Bild ein geschlossenes Feld ergibt, schlug Bohm andere gedankliche Lösungen gewisser Probleme vor, die besonders im Experiment von Alain Aspect 1982 auftraten: Durch eine komplexe Anordnung wurde versucht, Messapparate und Emissionsbahnen der Photonen so voneinander zu trennen, dass eine gegenseitige Beeinflussung ausgeschlossen werden konnte - dennoch schienen die Photonen zu interagieren. Die Erklärung dieses "Einflusses" (Einstein prägte den Begriff "spukhafte Fernwirkung") konnte im Zusammenhang mit den Prämissen der Relativitätstheorie nicht geleistet werden: Das Experiment dokumentierte anscheinend die Verletzung der Lokalität (bzw. "Einstein-Separabilität") also der Forderung, dass kein Objekt in der Realität auf ein anderes schneller als mit Lichtgeschwindigkeit wirken dürfe (in diesem Zusammenhang wird dies Phänomen auch durch die Bellsche Ungleichung beschrieben). Zur Erklärung schlug Bohm die Vorstellung einer Art Leitwelle vor, nach der alles mit allem verbunden sei.[5] Eine Messung an irgendeiner Stelle störe die gesamte Leitwelle und damit auch Erscheinungen, die weit voneinander entfernt stattfänden. Da im Modell von Bohm kein Teilsystem getrennt vom anderen betrachtet werden kann, bzw. alle Teilsysteme nur Entfaltungen eines Feldes sind, bietet der Ansatz von Bohm eine andere Sicht für das Einstein-Podolsky-Rosen-Paradoxon. In diesem Modell nähert sich Bohm den Erscheinungen der Welt im Sinne des Monismus.

Bohm liefert weiterhin auch eine mathematische Beschreibung der Theorie der Verborgenen Variablen und des Indeterminismus in der Quantentheorie.

Sein Versuch, eine konsistente, feldartige Kosmologie zu entwickeln, in der Teilchen als Abstraktionsformen eines bruchlosen Ganzen interpretiert werden, zeigt sich auch im Bild einer Art "Weltenröhre", die man als eine Frühform der Superstring-Theorie ansehen könnte.[6]

Zur Veranschaulichung seiner Theorien verweist er auf die Arbeitsweise im Hologramm (der Begriff ist eine Verbindung der griechischen Worte "holos" = ganz und "gramma" = Schrift). In diesem zeige sich eine ganzheitliche Struktur, ähnlich seiner Vorstellung einer "impliziten Ordnung": "Vielmehr ist in einem impliziten Sinne in jedem Raum- und Zeitabschnitt eine Gesamtordnung enthalten." [7] Diese Struktur nennt Bohm "Holo-Movement". [8] Bohm vergleicht die Begrifflichkeit der "eingefalteten Ordnung" weiterhin mit einem Tropfen (z. B. Tinte), der in ein Gefäß gefüllt wird, in dem sich eine andere Flüssigkeit befindet (Glycerin) und ein Zylinder. Werde nun dieser Zylinder gedreht, ziehe sich der Faden langsam zu einem immer feineren Band auseinander, bis er sich ganz auflöst; da er nun aber nicht verschwunden ist, bleibt er "implizit" vorhanden und kann bei einer Gegendrehung des Zylinders wieder "sichtbar" gemacht werden.

Zylinder3Tinte.png

In diesem Bild grenzt er sich vom kartesianischem Raummodell ab, in dem alle Teile immer voneinander getrennt betrachtet werden.

Die Ordnung der impliziten Struktur wird auf multidimensionale Realitäten übertragen. Die "Teilchen" des EPR-Paradoxon korrelieren vor diesem Hintergrund, weil sie Projektionen höherdimensionaler Realitäten sind.[9]

Bohm äußert sich auch zu dem Thema „Implizite Ordnung und Bewusstsein“. In Anlehnung an die Monadologie von Leibniz vertritt er die Auffassung, dass sich das Bewusstsein aus "Momenten" ähnlich den "wirklichen Ereignissen" bei Alfred North Whitehead konstituiert. In diesem Zusammenhang wird auch die Zeit relativiert und als besondere Ordnung einer höherdimensionalen Ebene begriffen. [10]

Zusammengefasst wurde der Denkansatz von David Bohm unter dem Begriff holistische Ontologie[11]

Einzelnachweise

  1. Kapitel I, Fragmentierung und Ganzheit
  2. Kapitel II, Der Rheomodus - ein Experiment mit Sprache und Denken
  3. Kapitel III, Realität und Wissen als Prozess
  4. Der Geist im Atom
  5. Schrödingers Kätzchen
  6. Kapitel V, Die Quantentheorie als ein Hinweis auf eine neue Ordnung in der Physik, Teil A
  7. Kapitel VI - ebd. - Teil B
  8. Kapitel VI, Teil B
  9. Kapitel VII, Einfaltung und Entfaltung von Universum und Bewusstsein
  10. ebd.
  11. Was ist die Welt?

Literatur

  • David Bohm: Wholeness And The Implicate Order. Routledge, London 1980, ISBN 0-415-28978-5.
  • David Bohm: Die implizite Ordnung. Grundlagen eines dynamischen Holismus. Goldmann, München 1987, ISBN 3-442-14036-6.
  • David Bohm und F. David Peat: Das neue Weltbild. Naturwissenschaft, Ordnung und Kreativität. Goldmann, München 1990, ISBN 3-442-11489-6.
  • Paul C. W. Davies und J. R. Brown (Hrsg.): Der Geist im Atom. Insel, Frankfurt am Main 1994, ISBN 3-458-33199-9.
  • David Bohm und Basil J. Hiley: The Undivided Universe. Routledge, London 1996, ISBN 0-415-06588-7.
  • David Bohm: Der Dialog. Klett-Cotta, Stuttgart 1998, ISBN 3-608-91857-4.
  • John Gribbin: Schrödingers Kätzchen und die Suche nach der Wirklichkeit. Fischer, Frankfurt am Main 1998, ISBN 3-596-14151-6.
  • John Horgan: An den Grenzen des Wissens. Fischer, Frankfurt am Main 2000, ISBN 3-596-14364-0.
  • Stefan Bauberger: Was ist die Welt? Zur philosophischen Interpretation der Physik. 2. Auflage. Kohlhammer, Stuttgart 2005, ISBN 3-17-018982-4.

Weblinks


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