Dschamal ad-Din Asadabadi

Dschamal ad-Din Asadabadi
Sayyid Jamāl-al-dīn Asadābādī

Sayyid Muhammad Ibn Safdar al-Husain (* 1838 in Asadabad, Iran[1]; † 1897) (‏سيد محمد بن صفدر الحسين اسدآبادي ‎), bekannt als Dschamāl ad-Dīn Asadābādī, oder Sayyid Dschamāl ad-Dīn al-Afghānī, ‏ سيد جمال الدين الأفغاني‎ / Sayyid Ǧamāl ad-Dīn al-Afġānī, war einer der Gründer der islamischen Moderne[2], ein politischer Aktivist und islamischer Theoretiker im Iran, in Afghanistan, Ägypten und im Osmanischen Reich des 19. Jahrhunderts. Er gilt als einer der geistigen Begründer der Salafiyya-Bewegung des späten 19. und 20. Jahrhunderts.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Herkunft und frühe Jahre

Obwohl viele ältere Quellen die Stadt Asadābād in der afghanischen Provinz Kunar als al-Afghanis Herkunft angeben[3][4][5], beweisen Analysen seiner Biografie und der erhaltenen, zeitgenössischen Berichte über ihn (besonders Schriften, die er 1891 hinterließ), dass er aus der Stadt Asadābād im Westen Irans, in der Nähe der Stadt Hamadān stammte und seine Kindheit und Jugend im Iran verbrachte.[6][7][1] Den Namen „al-Afghānī“ trug er, um der Verfolgung durch die Regierung Nāser ad-Dīn Schahs zu entkommen.[6]

In seinen frühen Jahren hielt er sich wahrscheinlich auch in Konstantinopel auf, obwohl es dafür keine sicheren Belege gibt. Seinen religiösen und politischen Unterricht erhielt er zuerst in seiner Heimat, später in Teheran, anschließend in den Zentren der schiitischen Lehre im Irak.[6] Er unternahm 1857 die Wallfahrt nach Mekka und ging dann nach Afghanistan, wo er schnell zu einem wichtigen Berater des Emirs Dust Mahammad Khan wurde. Von dessen Sohn Mahammad al-Akbar Khan wurde er als Minister eingestellt. Als dieser gestürzt wurde, gelang es ihm nicht, beim neuen Emir eine ähnliche Position zu erlangen. Er wurde des Landes verwiesen und verließ 1869 Kabul. Nach verschiedenen Zwischenstationen ging er 1870 nach Konstantinopel (Istanbul), wo er schnell Anschluss an reformerische, einflussreiche Kreise fand. Eine Rede an der Universität, in der er die Philosophie und das Prophetentum als gleichrangig darstellte, erregten solches Missfallen bei den Ulama, dass er Konstantinopel verlassen musste.

Kairoer Jahre

Er reiste daraufhin 1871 nach Kairo, wo er einige Anhänger für seine Ideen fand, darunter Muhammad Abduh, den Vertreter der islamischen Reformbewegung in Ägypten. Da sich die Anzahl seiner Anhänger stetig vergrößerte, wurde er von der britischen Obrigkeit bald als potentielles Problem für die Ruhe in der britischen Kolonie angesehen. Er wollte jeden Dogmatismus sowie Nachahmung bekannter Werke verwerfen und strebte politische Aktionen an.

1876 trat er der Freimaurerloge 'Stern des Ostens' (Kaukab asch-scharq) in Ägypten bei, welche zur angelsächsischen Großloge gehörte. In seinem Schreiben an die Loge, in dem er um Aufnahme bat, erklärte er diesen Wunsch damit, dass er sich den humanitären Zielen der Freimaurerei verpflichtet fühle. Er wurde in dieser Loge Meister vom Stuhl, legte aber die Hammerführung nieder, als er einsah, dass seine politischen Bestrebungen nicht von den Brüdern getragen wurden. Sein Nachfolger wurde Abduh. Al-Afghānī etablierte eine unabhängige, nationale Loge, in welcher politisches Engagement, wie bei den romanischen Logen, erlaubt war und die sich in der Folgezeit dem Groß-Orient von Frankreich anschloss.

Bei Khedive Tawfiq Pascha vorgeladen, schlug er ihm die Beteiligung des Volkes nach dem Schura-System sowie eine Wahl von Volksvertretern vor. Seine Bemühungen zielten neben der Einigung und Konsolidierung der moslemischen Nationen darauf ab, die staatlichen Institutionen dahin zu entwickeln, dass Ägypten und die anderen islamischen Länder sich von der Administration der Briten entledigen würden. Hierzu sah er die Einführung einer Verfassung vor, welche die Willkür der Regierenden eingeschränkt hätte. Deswegen wurde er 1879 des Landes verwiesen.

Aufnahmegesuch al-Afghānī's in eine Loge von Kairo

handgeschriebenes Aufnahmegesuch von al-Afghani an die Loge in Kairo

Ǧamāl ad-Dīn al-Kābulī, Lehrer der Philosophie in Kairo – Gott möge es beschützen –, dem siebenunddreißig Jahre von seinem Leben beschert wurden, sagt: ich bitte die Brüder der Reinheit und rufe die Freunde der Treue, ich meine (damit) die Herren der heiligen Vereinigung der Freimaurer ohne Makel und Tadel, dass sie mir die Gnade erweisen und mich beehren, mich in diese rechtschaffene Vereinigung aufzunehmen und in diesen vorzüglichen Klub einzugliedern.

Hochachtungsvoll

Donnerstag, am 22. Rabīʿ II. 1292

(Unterschrift)

Aufenthalte in Europa und Afghanis Briefwechsel mit Renan

1882 verließ Afghani Indien und zog nach Europa, wo er 1883 seinen berühmten Briefwechsel mit dem französischen Philosophen Ernest Renan über den Zustand des Islam und der islamischen Zivilisation diskutierte. In Antwort auf Renan's Behauptung, der Islam stehe Entwicklung oder der Moderne gegenüber im Widerspruch, kritisierte Afghani Renan's Diskurs. Er selbst stand dem gegenwärtigen Stand des Islam kritisch gegenüber, den er als von Uneinigkeit, Aberglauben und fehlender Bildung verfälscht sah, er lehnte aber jede Verallgemeinerung ab und beteuerte die vollkommene Kompatibilität des wahren Islam der Vorväter und der Moderne. Renan zeigte sich von Afghani's Ausführungen beeindruckt und bezeichnete Afghani als einen gelehrten Freidenker.[8]

Über seinen Aufenthalt in Großbritannien schrieb Afghani in sein Tagebuch: „I did not see Islam there but Moslems“ (Ich sah dort keinen Islam, aber Muslime). Bald ging er jedoch für längere Zeit nach Paris, wo seine gegen die Kolonialpolitik Großbritanniens gerichtete Tätigkeit auf fruchtbareren Boden fiel als in London.

Späte Jahre

Von London über Teheran gelangte er bis 1889 nach Russland, wo er den Zar von einem Militärschlag gegen die Briten (vergeblich) zu überzeugen suchte.[9] Es folgten weitere Reisen nach Europa, bis zu seiner Rückkehr in den Iran 1890/91, wo er sich bei Nāser ad-Dīn Schah, wieder vergebens, für Reformen des Islam aussprach. Nachdem al-Afghānī und seine Anhänger damit drohten, selbst für die Umsetzung ihrer Pläne zu sorgen, wurde er vom Schah ins Exil nach Anatolien geschickt. Über den Irak reiste er zunächst erneut kurz nach London. 1892 folgte er einer Einladung Sultan Abdülhamids II. und gelangte so wieder nach Konstantinopel. Das zu Beginn gute Verhältnis zum Sultan verschlechterte sich allerdings zusehends durch erhöhten Druck seiner Gegner auf ihn, und sein mehrmaliges Ersuchen nach Ausreiseerlaubnis wurde abgelehnt.

1896 erschoss ein Anhänger al-Afghānīs Nāser ad-Dīn Schah. Die daraufhin geforderte Auslieferung Afghanis nach Iran wurde durch Sultan Abdülhamid verweigert – offiziell wurde argumentiert, dass Afghani afghanischer Staatsbürger und deshalb nicht auszuliefern sei[10] –, jedoch war der Sultan nun auch endgültig misstrauisch geworden: Al-Afghani verbrachte den Rest seines Lebens zwar in Ehren, jedoch de facto als Gefangener in einem „goldenen Käfig“ in Konstantinopel.[11]

Dschamāl ad-Dīn al-Afghānī starb 1897 in der Türkei an einem Kinntumor.[12] Seine Gebeine wurden nach seinem Tode Ende Dezember 1944 aus der Türkei nach Afghanistan überführt, wo sie auf dem Hauptcampus der Universität Kabul in einem Mausoleum in Ali-Abad beigesetzt wurden.

Bedeutung und Ideologie

Al-Afghānī gilt als einer der letzten großen muslimischen Denker und Philosophen der Moderne. Zwei zentrale Themen lassen sich in seiner Ideologie wiederfinden: Islamische Einheit, und der Ruf nach einem reformierten und modernisierten Islam, der sich westliche Technologie und Wissenschaft zu eigen macht, und sich damit gegen westliche politische und wirtschaftliche Abhängigkeit wehrt. Zeit seines Lebens agitierte Afghani gegen die Briten, die Ägypten und Indien kolonialisierten und Muslime unterdrückten. Den Grund für die Schwäche der Muslime sah Afghani in der fehlenden Einigkeit unter den Muslimen, sowie in der orthodoxen Form des Islam, wie er von den Rechtsgelehrten und Philosophen den 19. Jahrhunderts gepredigt wurde. Nach Meinung der Orthodoxie blieben Moderne, d.h. Wissenschaft und technischer Fortschritt, unvereinbar. Afghani wehrte sich gegen diese Ansicht: der Islam und moderne Technik und Wissen seien selbstverständlich vereinbar, alte Vorstellungen müssten aufgebrochen, der Islam modernisiert werden.[13][14]

Afghani wird oftmals vor allem in seiner Rolle als Vordenker des modernen Panislamismus betrachtet, wird jedoch auch als Vater des Salafismus angesehen. Afghanis Ideen wurden weiter getragen und entwickelt von seinem berühmtesten Schüler Muhammad Abduh, ein liberal angesehener Denker.[15] Zusammen mit Raschid Rida leitete er das Zeitalter nationalistischer und religiöser Reform in Ägypten ein.

Literatur

  • Abdullah, Muhammad (1983): Freimaurerische Spuren im Islam. In: Quatuo Coronati, Jahrbuch 1983 (Bayreuth), Nr. 20; S. 167–177.
  • Hourani, Albert (1962): Arabic Thought in the Liberal Age 1798–1939. London u.a.: Oxford University Press, S. 103–129.
  • Keddie, Nikki (1968): An Islamic Response to Imperialism: Political and Religious Writings of Sayyid Jamal al-Din al-Afghani. Berkeley, CA: University of California Press.
  • Keddie, Nikki R. (1972): Sayyid Jamal ad-Din al-Afghani, University of California Press, Berkeley
  • Kedouri, Elie (1966): Afghani and 'Abduh. London: Cass.
  • Kudsi-Zadeh, A. Albert (1972): Afghani and Freemasonry in Egypt. In: Journal of the Asian and Oriental Society (J.A.O.S.) 92 (1972), S. 25–35.
  • Landau, Jacob M. (1965): Prolegomena to a Study of Secret Societies in Modern Egypt. In: Middle Eastern Studies 1 (1965), S. 135–186.
  • Murtaza, Muhammad Sameer (2008): Al-Afghanis Plädoyer für die islamische Philosophie. In: Nun (8), S. 26–34.

Siehe auch: Politischer Islam

Einzelnachweise

  1. a b Britannica Encyclopædia, Online Edition 2007 - link
  2. Jamal al-Din al-Afghani Jewish Virtual Library
  3. From Reform to Revolution, Louay Safi, Intellectual Discourse 1995, Vol. 3, No. 1 LINK
  4. Historia, Le vent de la révolte souffle au Caire, Baudouin Eschapasse, LINK
  5. Jameel Ahmad, Studying Islam Website, LINK
  6. a b c N.R. Keddie, Afghāni, Jamāl al-dīn, Encyclopædia Iranica, Online-Asugabe 2005-2007
  7. N. R. Keddie, Sayyid Jamal ad-Din “al-Afghani”: A Political Biography, Berkeley, 1972
  8. Keddie, Nikki. 1968. An Islamic Response to Imperialism: Political and Religious Writings of Sayyid Jamal al-Din al-Afghani. Berkeley, CA: University of California Press
  9. Keddie, Nikki. 1968. An Islamic Response to Imperialism: Political and Religious Writings of Sayyid Jamal al-Din al-Afghani. Berkeley, CA: University of California Press
  10. Keddie, Nikki. 1972. Sayyid Jamal ad-Din al-Afghani: A Political Biography. Berkeley, CA: University of California Press.
  11. Hourani, Albert (1962): Arabic Thought in the Liberal Age 1798–1939. London u.a.: Oxford University Press, S. 112.
  12. Keddie, Nikki. 1972.
  13. Kedouri, Elie. 1966. Afghani and 'Abduh. London: Cass
  14. Keddie, Nikki. 1968. An Islamic Response to Imperialism: Political and Religious Writings of Sayyid Jamal al-Din al-Afghani. Berkeley, CA: University of California Press
  15. Nikki R. Keddie: Sayyid Jamal ad-Din al-Afghani, University of California Press, Berkeley 1972

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