Eigenkirchwesen

Eigenkirchwesen

Eigenkirchen (lat. ecclesia propria oder propriae haereditatis) waren im frühen Mittelalter Gotteshäuser (Kirchen, Klöster), die meist Laien (örtlicher Adel, Grafen und Herzöge des Frankenreiches zeitweise bis hin zum König) auf privatem Grund und Boden errichten ließen. Über die Eigenkirchen bzw. Eigenklöster hatte der Grundherr das Recht der Investitur, das heißt der Ein- und Absetzung der Pfarrer bzw. der Äbte ohne Bewilligung durch den Diözesanbischof. Der Grundherr war Vogt seiner Eigenkirche. Es standen ihm zwar die Nutzungen der Erträge (Zehnt und Grunderträge) zu, doch hatte er auch für die Bedürfnisse der Kirche und der Seelsorge aufzukommen. Als Gegenleistung wurden der Eigenkirchenherr und seine Angehörigen in die Gebete einbezogen (Memoria); dies war – zumindest theoretisch – der Hauptgrund für die Stiftung von Kirchen und Klöstern auf dem eigenen Boden. Der Bischof seinerseits sah sich oftmals aufgrund seines schwindenden Einflusses gezwungen, selbst Eigenkirchen zu erwerben und diese mit loyalen und gebildeten Freien zu besetzen.

Einen Höhepunkt erreichte das Eigenkirchenwesen im 9. und 10. Jahrhundert. Da die Eigenkirchen und Eigenklöster gekauft, getauscht und vererbt werden konnten, verloren sie immer mehr ihren religiösen Zweck – wenngleich die Kirchen selbst nicht profaniert werden konnten. Geistliche Ämter wurden oft durch Simonie gekauft, vielfach wurden ungeeignete Geistliche oder sogar Laien bestellt, die durch einen sittenlosen Lebenswandel und Ungehorsam gegenüber dem Diözesanbischof auffielen. Wenn ein der vollen Befehlsgewalt des Grundherrn unterstehender Unfreier als Priester eingesetzt wurde, konnte dieser zusätzlich zu niedrigen Arbeiten verwendet werden. In der cluniazensischen monastischen Reformbewegung wurde versucht, diesen Entwicklungen entgegenzuwirken. Ludwig der Fromme regulierte 818/19 das Eigenkirchenwesen derart, dass das volle Eigentumsrecht des Grundherrn verlorenging, und er seine Eigenkirche nicht mehr vollständig von ihrem Vermögen entblößen konnte.

Der Streit um die Besetzung der Bistümer und Reichsabteien verschärfte sich im 11. Jahrhundert im Investiturstreit zwischen König und Papst. Durch Papst Alexander III. und durch das 3. Laterankonzil im Jahre 1179 wurde das Eigenkirchenrecht der Laien in ein Patronatsrecht umgewandelt. Den Grundherren wurde das Vorschlagsrecht des zu bestellenden Geistlichen eingeräumt, das Amt verlieh der Bischof.

Obwohl das Eigenkirchenwesen seit den Reformen des 11. Jahrhunderts meist negativ beurteilt wird, ermöglichte es aufgrund der rudimentären Entwicklung der diözesanen Kirchenorganisation oftmals erst die seelsorgerische Betreuung der Landbevölkerung.

Reste des Eigenkirchenwesens finden sich bis heute im Kirchenpatronat sowie in den königlichen Kirchen und Kapellen in Großbritannien ("royal peculiars"), von denen Westminster Abbey am bedeutendsten ist.

Literatur

  • Ulrich Stutz: Ausgewählte Kapitel aus der Geschichte der Eigenkirche und ihres Rechtes. Böhlau, Weimar 1937
  • Ulrich Stutz: Die Eigenkirche als Element des mittelalterlich-germanischen Kirchenrechts. Wissenschaftl. Buchgesellschaft, Darmstadt 1964
  • Ulrich Stutz, Hans Erich Feine: Forschungen zu Recht und Geschichte der Eigenkirche. Gesammelte Abhandlungen. Scientia, Aalen 1989, ISBN 3-511-00667-8
  • Ulrich Stutz: Geschichte des kirchlichen Benefizialwesens. Von seinen Anfängen bis auf die Zeit Alexanders III. Scientia, Aalen 1995, ISBN 3-511-00091-2 (Ergänzt von Hans Erich Feine)
  • Peter Landau: Eigenkirchenwesen. In: Theologische Realenzyklopädie 9 (1982), S. 399-404

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