Einäuglein, Zweiäuglein und Dreiäuglein

Einäuglein, Zweiäuglein und Dreiäuglein

Einäuglein, Zweiäuglein und Dreiäuglein ist ein Märchen (ATU 511). Es steht in den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm ab der Zweitauflage von 1819 an Stelle 130 (KHM 130) und stammt aus Johann Gustav Büschings Zeitschrift Wöchentliche Nachrichten für Freunde der Geschichte, Kunst und Gelahrtheit des Mittelalters, wo Theodor Pescheck es 1816 veröffentlichte.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Eine Frau hat drei Töchter: Einäuglein hat nur ein Auge, Zweiäuglein zwei, und Dreiäuglein hat drei Augen. Zweiäuglein wird von den anderen schlecht behandelt, weil es aussieht wie andere Menschen. Als es einmal beim Hüten der Ziege hungrig auf einem Hain sitzt und weint, erscheint ihm eine weise Frau, die ihm verrät, wie es zur Ziege einen Spruch sagen und feines Essen bekommen kann. Der Spruch lautet: „Zicklein, meck, Tischlein, deck!“ Sobald sie satt sei, solle sie aber sagen „Zicklein, meck, Tischlein, weg!“

Als Zweiäuglein, so gesättigt, daheim nichts isst, geht Einäuglein mit ihr zum Hüten, um den Grund herauszufinden. Es gelingt Zweiäuglein zwar, Einäuglein in den Schlaf zu singen, bevor es seinen Spruch sagt, dasselbe misslingt ihm aber Tags darauf bei Dreiäuglein, denn sie vergisst, auch das dritte Auge in den Schlaf zu singen. Dreiäuglein verrät das Geheimnis der Mutter, und diese bringt aus Neid die Ziege um. Als Zweiäuglein ob des Verlusts weint, erscheint wieder die weise Frau und rät ihr, die Eingeweide der Ziege vor der Haustür zu vergraben. Am nächsten Morgen ist an dieser Stelle ein Baum mit silbernen Blättern und goldenen Äpfeln gewachsen. Zweiäuglein kann als einziges die Äpfel vom Baum pflücken, aber die Mutter dankt es ihr nicht, nimmt sie ihr ab und behandelt sie noch härter als zuvor.

Ein junger Ritter kommt zu dem Baum, aber die Schwestern verstecken Zweiäuglein in einem Fass. Als der Ritter sie fragt, wem der Baum gehöre, behaupten sie, es sei ihrer. Es gelingt ihnen aber nicht, dem Ritter Früchte oder Zweige davon zu brechen. Aus ihrem Gefängnis rollt Zweiäuglein goldene Äpfel vor die Füße des Ritters. Dieser bemerkt es, lässt es hervorholen, und bezaubert von Zweiäugleins Schönheit nimmt er es mit und heiratet es. Mit Zweiäuglein verschwindet auch der Baum.

Als lange Zeit später zwei Bettlerinnen vor dem Schloss erscheinen, erkennt Zweiäuglein in ihnen ihre bösen Schwestern. Trotz allem Bösem, das sie ihm angetan haben, nimmt sie sie auf, worauf die beiden Schwestern ihre bösen Taten bereuen.

Herkunft

Theodor Pescheck veröffentlichte das Märchen 1816 in Johann Gustav Büschings Zeitschrift Wöchentliche Nachrichten für Freunde der Geschichte, Kunst und Gelahrtheit des Mittelalters (Bd. 2, S. 17-26) unter dem Titel Die Geschichte vom Einäuglein, Zweiäuglein und Dreiäuglein. (Ein Oberlausitzisches Kindermährchen.) Darauf beziehen sich die Brüder Grimm in ihrer Anmerkung. Ihr Text ist sprachlich etwas anschaulicher mit mehr wörtlichen Reden, ändert aber den Inhalt kaum. In Varianten am Rhein (Wilhelm Grimms handschriftliche Notiz: bei Coblenz) seien es acht Schwestern. Sie vergleichen zu der Tochter mit weiser Frau und Goldbaum KHM 21 Aschenbrödel, zu den Ziegeneingeweiden das Vogelherz in KHM 60 Die zwei Brüder und KHM 122 Der Krautesel, zur Einäugigkeit Polyphem und Odin, zur Dreiäugigkeit Jupiter.

Martin Montanus' besonders frühe Veröffentlichung des Märchens vom Erdkühlein (1560) kannten die Brüder Grimm nicht.[1] Die Ziege kann Muttersymbol sein (Heidrun), wie auch die weise Frau, und ersteht als Baum des Lebens neu, dessen Silber und Gold auf Metall und Feuer der Erdmutter hinweisen, während das Fass die böse Mutter verkörpert.[2] Friedel Lenz deutet Zweiäuglein als moderne Verstandesseele, die über die Traumwelt hinauswachsen muss, die sie nicht mehr nährt.[3]

Literatur

  • Grimm, Brüder: Kinder- und Hausmärchen. Vollständige Ausgabe. Mit 184 Illustrationen zeitgenössischer Künstler und einem Nachwort von Heinz Rölleke. S. 612-619. Düsseldorf und Zürich, 19. Auflage 1999. (Artemis & Winkler Verlag; Patmos Verlag; ISBN 3-538-06943-3)
  • Grimm, Brüder: Kinder- und Hausmärchen. Ausgabe letzter Hand mit den Originalanmerkungen der Brüder Grimm. Mit einem Anhang sämtlicher, nicht in allen Auflagen veröffentlichter Märchen und Herkunftsnachweisen herausgegeben von Heinz Rölleke. Band 3: Originalanmerkungen, Herkunftsnachweise, Nachwort. Durchgesehene und bibliographisch ergänzte Ausgabe, Stuttgart 1994. S. 225, S. 494-495. (Reclam-Verlag; ISBN 3-15-003193-1)
  • Rölleke, Heinz (Hrsg.): Grimms Märchen und ihre Quellen. Die literarischen Vorlagen der Grimmschen Märchen synoptisch vorgestellt und kommentiert. 2., verb. Auflage, Trier 2004. S. 132-151, 560-561. (Wissenschaftlicher Verlag Trier; Schriftenreihe Literaturwissenschaft Bd. 35; ISBN 3-88476-717-8)
  • Hans-Jörg Uther: Handbuch zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm. de Gruyter, Berlin 2008. ISBN 978-3-11-019441-8, S. 281-282.
  • Sigrid Schmidt: Einäuglein, Zweiäuglein, Dreiäuglein. In: Enzyklopädie des Märchens. Band 3. S. 1197-1203. Berlin, New York, 1981.
  • Walter Scherf: Das Märchenlexikon. Erster Band A-K. C. H. Beck, München 1995. ISBN 3-406-39911-8, S. 248-251.
  • Hedwig von Beit: Symbolik des Märchens. A. Francke, Bern 1952, S. 171-172.
  • Lenz, Friedel: Bildsprache der Märchen. 8. Auflage. S. 84-96, 251. Stuttgart, 1997. (Verlag Freies Geistesleben und Urachhaus GmbH; ISBN 3-87838-148-4)
  • Ortrud Stumpfe: Die Symbolsprache der Märchen. 7., verbesserte und erweiterte Auflage. Aschendorffsche Verlagsbuchhandlung, Münster 1992. ISBN 3-402-03474-3, S. 13, 42, 44.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Grimm, Brüder: Kinder- und Hausmärchen. Ausgabe letzter Hand mit den Originalanmerkungen der Brüder Grimm. Mit einem Anhang sämtlicher, nicht in allen Auflagen veröffentlichter Märchen und Herkunftsnachweisen herausgegeben von Heinz Rölleke. Band 3: Originalanmerkungen, Herkunftsnachweise, Nachwort. Durchgesehene und bibliographisch ergänzte Ausgabe, Stuttgart 1994. S. 494-495. (Reclam-Verlag; ISBN 3-15-003193-1)
  2. Hedwig von Beit: Symbolik des Märchens. A. Francke, Bern 1952. S. 171-172.
  3. Lenz, Friedel: Bildsprache der Märchen. 8. Auflage. S. 84-96, 251. Stuttgart, 1997. (Verlag Freies Geistesleben und Urachhaus GmbH; ISBN 3-87838-148-4)

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужно сделать НИР?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Kinder- und Hausmärchen — Die „Kinder und Hausmärchen“ (KHM), volkstümlich „Grimms Märchen“ genannt, sind eine berühmte deutsche Anthologie von Märchen, die Jacob Ludwig Carl Grimm und sein Bruder Wilhelm Karl Grimm, bekannt als die „Brüder Grimm“, herausgegeben haben.… …   Deutsch Wikipedia

  • Des Herrn und des Teufels Getier — ist ein Märchen (ATU 773, 1184). Es steht in den Kinder und Hausmärchen der Brüder Grimm an Stelle 148 (KHM 148) und entspricht Hans Sachs Versschwank Der Teufel hat die Geiß erschaffen von 1557. Inhaltsverzeichnis 1 Inhalt 2 Herkunft 3 …   Deutsch Wikipedia

  • KHM 130 — Einäuglein, Zweiäuglein und Dreiäuglein ist ein Märchen (Typ 511 nach Aarne und Thompson), das in den Kinder und Hausmärchen der Brüder Grimm die Nummer 130 hat. Inhaltsverzeichnis 1 Inhalt 2 Quellen 3 Literatur 4 Weblinks …   Deutsch Wikipedia

  • AaTh — Der Aarne Thompson Index (AaTh) ist eine von Antti Aarne für die internationale Erzählforschung entwickelte und von Stith Thompson ergänzte Klassifikation von Märchen und Schwankgruppen. Die englische Abkürzung lautet „AT“, was im Deutschen zur… …   Deutsch Wikipedia

  • Der liebste Roland — ist ein Märchen (Typ 313 B und C nach Aarne und Thompson). Es ist in den Kinder und Hausmärchen der Brüder Grimm seit der Erstauflage von 1812 an Stelle 56 enthalten (KHM 56). Inhaltsverzeichnis 1 Inhalt 2 Grimms Anmerkung 3 Vergleiche 4 …   Deutsch Wikipedia

  • Einäugig — Einäugigkeit (auch: Monophthalmie, Zyklopie, einseitige Anophthalmie) bedeutet im engeren Sinne das angeborene oder erworbene Fehlen des Augapfels auf einer Seite, im weiteren auch das Fehlen des Sehvermögens auf einem Auge (funktionelle… …   Deutsch Wikipedia

  • KHM 56 — Der liebste Roland ist ein Märchen (Typ 313 B und C nach Aarne und Thompson). Es ist in den Kinder und Hausmärchen der Brüder Grimm seit der Erstauflage von 1812 an Stelle 56 enthalten (KHM 56). Inhaltsverzeichnis 1 Inhalt 2 Grimms Anmerkung 3… …   Deutsch Wikipedia

  • KHM 9 — Die zwölf Brüder ist ein Märchen (Typ 451 nach Aarne und Thompson), das in den Kinder und Hausmärchen der Brüder Grimm an Stelle 9 enthalten ist (KHM 9). Inhaltsverzeichnis 1 Inhalt 2 Interpretation 3 Herkunft und Verwandtschaft 4 …   Deutsch Wikipedia

  • Liste der Märchen — Inhaltsverzeichnis 1 Liste von bekannten Märchen bzw. Märchen Sammlungen 1.1 Grimms Märchen 1.2 Hans Christian Andersen 1.3 Ernst Moritz Arndt 1.4 Wilhelm Hauff …   Deutsch Wikipedia

  • Monophthalmie — Einäugigkeit (auch: Monophthalmie, Zyklopie, einseitige Anophthalmie) bedeutet im engeren Sinne das angeborene oder erworbene Fehlen des Augapfels auf einer Seite, im weiteren auch das Fehlen des Sehvermögens auf einem Auge (funktionelle… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”