- Entkolonisation
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Dekolonisation bedeutet die Beendigung des Kolonialstatus oder die Auflösung kolonialer Herrschaft. Gleichbedeutend werden die Begriffe Entkolonialisierung und Entkolonisierung sowie Dekolonialisierung und Dekolonisierung gebraucht.
Zumeist bezieht sich der Begriff auf die Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg, in der Indien (1947), Indonesien (1949) und später die Kolonien in Afrika ihre Selbständigkeit erlangten. Im Zuge dieser Entwicklung wurden zwischen 1943 und 2002 120 ehemalige Kolonien (oder Territorien) unabhängig.
Dieser Prozess hatte seine Wurzeln aber bereits in der Zeit des Ersten Weltkrieges. Die Entwicklung begann in Asien, insbesondere in Indien. Dort hatte sich bereits früh eine Nationalbewegung gebildet, die sich zunehmend als progressiv-antikolonial verstand. Nach dem Ersten Weltkrieg setzte sich mit Mahatma Gandhi eine charismatische Leitfigur an deren Spitze. Als organisatorische Klammer gelangte der bereits 1885 gegründete Indische Nationalkongress in den 1920er Jahren zu mehr Einfluss. Dass diese hinduistische Nationalbewegung weder ein Konzept für den Umgang mit anderen Religionen noch mit der britischen Kolonialverwaltung hatte, führte zu Konflikten auch innerhalb der Bewegung, die sich ab Ende 20er Jahre verschärften. Nach anfänglichen Versuchen der Unterdrückung verlegte sich die britische Kolonialverwaltung auf das Unterstützen kooperationsbereiter Fraktionen. Die Nationalbewegung reagierte darauf, indem sie Strömungen in ihren Reihen unterdrückte, die nicht zu Kompromissen mit den Briten bereit waren. Außerdem verstärkten sich die Intoleranz des Nationalkongresses gegenüber Moslems sowie der Personenkult um Gandhi.
In Südostasien konnten die Bewegungen an die vorkoloniale Staatlichkeit anknüpfen und die Religionen als Identifikationskerne nutzen. Zunächst verfolgten nur kleinere Gruppen Gebildeter die nationale Idee. 1920 bis 1930 erfolgte in allen südostasiatischen Staaten der Aufstieg Nationalbewegungen zu größeren Organisationen, die zunächst meist auf Kooperation mit den Kolonialbehörden ausgerichtet waren. Nach der Weltwirtschaftskrise erfolgte eine Radikalisierung, die zu Aufständen, Revolten, Parteigründungen und schließlich zu Kolonialkrisen führte.
In Afrika verlief die Entwicklung ähnlich wie in Asien, aber später. Eine Politisierung und Formierung in Verbänden und Parteien erfolgte erst nach 1945. Ihre Führer traten zwar traditionell auf, stützen sich aber auf westliche Ideologien. Die Eliten waren viel kleiner als in Asien und fester mit den Institutionen des Kolonialsystems verbunden. Eine der frühesten Bewegungen dieser Art bildete sich ab 1947 in Ghana unter Kwame Nkrumah. Der britische Versuch, ähnlich wie in Indien kooperationsbereite Kräfte einzubinden, führte zu einer Stärkung Nkrumahs gegen innere Gegner. In Nigeria entwickelte sich keine Sammlungsbewegung, sondern verschiedene streitende Regionalnationalismen, wie es in den meisten afrikanischen Ländern typisch für den Nationalismus war. Vielfach formierten sich Stammesverbände erst während der Dekolonisation. Ausnahmen gab es nur dort, wo charismatische Figuren (Ghana, Kenia) oder der Bezug auf europäische Ideologien (Tanganjika) hervortraten. Das Jahr 1960, in dem die meisten afrikanischen Staaten die Unabhängigkeit erlangten, gilt als das Schlüsseljahr der Dekolonisation Afrikas.
Innerhalb der zwei Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg wurden 50 Kolonien in die formale Unabhängigkeit entlassen. Der Grundstein dafür war während des Krieges gelegt worden, als die Kolonialmächte weder finanziell noch politisch oder militärisch ihre Kontrolle über die Kolonien sichern konnten. Dazu kamen die während des Krieges versprochenen "Belohnungen" in Form größerer Selbstbestimmung für die Kriegsbeteiligung von einheimischen Truppen aus den Kolonien.
Soziale Träger der Entkolonialisierung waren meist lokale Eliten, die untere Funktionen in der Kolonialverwaltung besetzten und durch fehlende Aufstiegschancen frustriert waren. Das häufige fehlen einer territorialen Identität, vor allem in den Stammeskulturen Afrikas, führte dazu, dass meist die Grenzziehungen der Kolonialmächte übernommen wurden.
Nach dem Rückzug der Kolonialstaaten kam es in vielen ehemaligen Kolonien zu heftigen, oft kriegerischen Auseinandersetzungen innerhalb der Nationalbewegungen oder zwischen verschiedenen Ethnien. Wo die Nationalbewegung eine charismatische Führerfigur hatte, entwickelte sich häufig ein Personenkult. Eine institutionelle Trennung zwischen Staat und Führungspersonal blieb meist aus. Anfängliche Mehrparteiensysteme wandelten sich oft zu Einparteienherrschaften, die den Alleinherrscher stützten. Wichtigster Machtfaktor war meist das Militär, das sich auf ein europäisch ausgebildetes Offizierskorps stützte und in vielen Fällen von einer Ethnie dominiert wurde.
Oft blieben politische, soziokulturelle und ökonomische Bindungen zur ehemaligen Kolonialmacht weitestgehend bestehen. Bis heute fühlen sich die ehemaligen Kolonialmächte ihren Kolonien eng verbunden und beanspruchen ein besonderes Mitspracherecht für diese Staaten auf der internationalen Ebene. Zugleich bleiben viele ehemalige Kolonien als Entwicklungsland in Abhängigkeit von der ehemaligen Kolonialmacht.
In einer erweiterten Betrachtung ist Dekolonisation ein Prozess, der bereits lange vor dem Höhepunkt der Aufteilung der Welt unter den Kolonialmächten in der Zeit des Imperialismus stattfand, insbesondere mit dem Unabhängigkeitskrieg der Vereinigten Staaten von Amerika 1775-1783 und der Kolonien Südamerikas 1813-1824.
Literatur
- Gerhard Altmann: Abschied vom Empire. Die innere Dekolonisation Großbritanniens 1945-1985, Göttingen 2005.
- Markus Schmitz: Kulturkritik ohne Zentrum. Edward W. Said und die Kontrapunkte kritischer Dekolonisation, Bielefeld: transcript 2008, ISBN 978-389942-975-6.
- Rainer Tetzlaff, Ulf Engel, Andreas Mehler (Hrsg.) - Afrika zwischen Dekolonisation, Staatsversagen und Demokratisierung. Hamburg 1995, Band 45, ISBN 3-928049-30-5, ISSN 0440-1670, 298 S
- Johannes Winter: Die Entwicklungspolitik im Wandel der Zeit
Siehe auch
Weblinks
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