Ersitzung

Ersitzung

Ersitzung (lat. usucapio) ist der Erwerb an Sachen im Sinn des bürgerlichen Rechts durch Zeitablauf.

Inhaltsverzeichnis

Allgemeines

Ersitzung (lat. usucapio) ist Eigentumserwerb durch qualifizierten Besitz während einer bestimmten Zeit. Hat etwa der Veräußerer weder Eigentum noch Verfügungsbefugnis, so kann der Erwerber am Gegenstand zwar Besitz erlangen, nicht aber Eigentum. Ist also ein derivativer (vom Recht des Vorgängers abhängiger) Eigentumserwerb misslungen, dann kann unter besonderen Voraussetzungen die originäre (eigenständige; vom Recht des Vorgängers unabhängige) Erwerbsart der Ersitzung dem Empfänger zustatten kommen. Nach Ablauf der Ersitzungsfrist gehört die Sache dem Ersitzenden. Der bisherige Eigentümer verliert sein Recht ohne einen Wertersatzanspruch.

Deutsches Recht

Die Ersitzung ist eine Art des Rechtserwerbs, insbesondere des Eigentumserwerbs an Rechtssachen. Ihre Bedeutung ist im deutschen Recht im Vergleich zu anderen Rechtsordnungen herabgesetzt, weil das deutsche Recht den gutgläubigen Erwerb beweglicher Sachen kennt, siehe auch Übereignung. Der Anwendungsbereich der Ersitzung beschränkt sich daher nahezu auf dem Eigentümer abhanden gekommene bewegliche Sachen. So kann der gutgläubige Besitzer auch das Eigentum an gestohlenen Sachen erwerben[1]. Dies war nach den Zwölftafelgesetzen im Römischen Recht nicht möglich, wie bei den Institutionen des Gaius, 2.45 Tafel XII 8.17, nachgewiesen.

Bewegliche Sachen (§§ 937-945 BGB)

Wer eine bewegliche Sache zehn Jahre lang redlich in Eigenbesitz (§ 872 BGB) hat, erwirbt nach deutschem Recht das Eigentum (§ 937 BGB). Die Ersitzung verschafft also demjenigen, der sich innerhalb eines bestimmten Zeitraumes redlich für den Eigentümer hält, ohne dies wirklich zu sein, etwa weil die erworbene Sache beispielsweise einem anderen abhanden gekommen war, das Eigentum, wenn er die Sache die ganze Zeit als ihm gehörig besessen hat. Das Gesetz beseitigt damit nach dem Ablauf der Ersitzungsfrist die Diskrepanz zwischen vermeintlicher und wahrer Rechtslage und trägt der Tatsache Rechnung, dass nach Ablauf langer Zeit erhebliche Beweisschwierigkeiten bestehen werden, die Umstände des Besitzverlustes beim früheren Eigentümer noch aufzuklären. Redlich handelt der Ersitzer nur, wenn er sowohl beim Erwerb des Besitzes als auch während der Ersitzungsfrist in gutem Glauben an sein Eigentum war. Dabei schadet beim Besitzerwerb schon die grob fahrlässige Unkenntnis, dass er kein Eigentum erworben hat.

Immobilien

Das Eigentum an einem Grundstück kann ebenfalls ersessen werden. Nach deutschem Recht (§ 900 BGB) ist dazu notwendig, dass die Person, zu deren Gunsten die Ersitzung wirksam werden soll, 30 Jahre lang

  • im Grundbuch – allerdings unberechtigt – als Eigentümer eingetragen ist,
  • das Grundstück auch tatsächlich in Besitz hat (sogenannte Buch- oder Tabularersitzung). Auf einen guten Glauben kommt es dabei – anders als bei beweglichen Sachen – nicht an. Unter gleichen Voraussetzungen ist eine Ersitzung bei zum Besitz berechtigenden Grundstücksrechten möglich (z. B. Grunddienstbarkeit).

Nach § 927 BGB kann ein Eigenbesitzer im Aufgebotsverfahren ein Ausschlussurteil erwirken, das den Eigentümer aus seinem Recht ausschließt, und es sich durch Eintragung im Grundbuch aneignen (Kontratabularersitzung).

Österreichisches Recht

Die Ersitzung ist im österreichischen Recht sowohl eine Art des originären Eigentumserwerbs als auch eine Möglichkeit des Rechtserwerbs an einer Servitut.

Die Ersitzung kommt in folgenden Formen vor:

Eigentliche Ersitzung

Sie ist die „klassische“ Form der Ersitzung, die „Ersitzungsbesitz“ (also rechtmäßigen, redlichen und echten Besitz) erfordert. Sie ist dadurch charakterisiert, dass sie das fehlende Eigentum des Vormannes durch den Ablauf der Zeit ersetzt. Die Ersitzungsfrist ist für bewegliche Sachen 3 Jahre, für unbewegliche 30 Jahre.

Der durch Rechtmäßigkeit, Redlichkeit und Echtheit qualifizierte Besitz ist durch die Actio Publiciana besonders geschützt.

Uneigentliche Ersitzung

Sie erfordert bloß redlichen und echten Besitz. Ein Titel (beispielsweise Kauf, Tausch, Schenkung), also rechtmäßiger Besitz, ist nicht erforderlich. Die Ersitzungsfrist beträgt hier, unabhängig von der Beweglichkeit der Sache, 30 Jahre.

Auf diese Art können auch Servituten, wie beispielsweise Wege- oder Fahrrechte, ersessen werden. Verhindert der Eigentümer einer Liegenschaft 30 Jahre hindurch nicht beispielsweise die Benützung eines Weges durch den Nachbarn, so kommt es zum (außerbücherlichen) Rechtserwerb an der Servitut. Um gutgläubigen lastenfreien Erwerb entsprechend dem negativen Publizitätsprinzip – was nicht eingetragen ist, gilt nicht – zu verhindern, ist hier eine möglichst baldige Eintragung zu empfehlen.

„Freiheitsersitzung“

Wenn eine Dienstbarkeit („Servitut“) im obigen Sinn ersessen worden ist, der Eigentümer des dadurch belasteten („dienenden“) Grundstücks aber die Ausübung der Dienstbarkeit tatsächlich behindert (indem er zum Beispiel den Servitutsweg absperrt oder unbefahrbar macht), erlischt diese Dienstbarkeit nach drei Jahren. Um das zu verhindern, muss vor Ablauf der Frist eine Klage bei Gericht einlangen.

Auch Dienstbarkeiten, die nicht durch Ersitzung erworben wurden, erlöschen durch Freiheitsersitzung. Wenn die Dienstbarkeit im Grundbuch eingetragen ist, wird nach Ablauf von drei Jahren ab Errichtung des Hindernisses der Grundbuchsstand unrichtig (weil die eingetragene Dienstbarkeit durch Freiheitsersitzung untergegangen ist). Der Eigentümer des dienenden Grundstücks kann auf Löschung der unrichtig gewordenen Eintragung klagen.

Solange eine erloschene Dienstbarkeit im Grundbuch noch eingetragen ist, kann sie im Vertrauen auf den Grundbuchsstand gutgläubig erworben werden. Gutgläubigkeit setzt aber voraus, dass für den Erwerber nicht erkennbar ist, dass der Ausübung tatsächlich ein Hindernis entgegensteht.

Praktische Bedeutung

Da die eigentliche Ersitzung rechtmäßigen Besitz, also einen Titel wie Kauf, Tausch oder Schenkung erfordert, ist sie da von Bedeutung, wo ein gutgläubiger Erwerb vom Nichtberechtigten nicht erfolgen konnte (beispielsweise weil nicht vom Gewerbsmann erworben wurde): Der beispielsweise Käufer einer beweglichen Sache hat weder primär derivativ erworben, noch sekundär gutgläubig erworben, kann aber letztlich doch – Redlichkeit während der gesamten Frist freilich vorausgesetzt – nach Ablauf der 3 Jahre durch Ersitzung Eigentum erwerben.

Bei Liegenschaften kann es vorkommen, dass die Liegenschaft zwar übergeben wird, die Einverleibung ins Grundbuch jedoch unterbleibt. Dadurch hat der Übernehmer zwar Besitz (Naturalbesitz), jedoch noch kein Eigentum erworben. Nach Ablauf der 30-jährigen Frist wird er durch Ersitzung (außerbücherlich) Eigentümer. In der Zwischenzeit ist er, vorausgesetzt er ist rechtmäßiger Besitzer, durch die Actio Publiciana vindikatorisch wie negatorisch geschützt.

Schweizer Recht

Die Ersitzung beweglicher Sachen ist in Artikel 728 des Zivilgesetzbuches geregelt, dieser hält fest:

1 Hat jemand eine fremde bewegliche Sache ununterbrochen und unangefochten während fünf Jahren in gutem Glauben als Eigentum in seinem Besitze, so wird er durch Ersitzung Eigentümer. (…)

Für Haustiere ist eine Ersitzungsfrist von zwei Monaten festgelegt, für bestimmte Kulturgüter 30 Jahre.

Die Ersitzung von Grundeigentum regeln die Artikel 661-663 des ZGB, welches dabei zwischen der Ordentlichen Ersitzung und der Ausserordentlichen Ersitzung unterscheidet:

5. Ersitzung
a. Ordentliche Ersitzung
Ist jemand ungerechtfertigt im Grundbuch als Eigentümer eingetragen, so kann sein Eigentum, nachdem er das Grundstück in gutem Glauben zehn Jahre lang ununterbrochen und unangefochten besessen hat, nicht mehr angefochten werden.
b. Ausserordentliche Ersitzung
1 Besitzt jemand ein Grundstück, das nicht im Grundbuch aufgenommen ist, ununterbrochen und unangefochten während 30 Jahren als sein Eigentum, so kann er verlangen, dass er als Eigentümer eingetragen werde. (…)

Diese Fälle der Ersitzung von Grundeigentum (inklusiver der Ersitzung von dauernden und selbstständigen Rechten gem. Art. 655 II 2 ZGB und Dienstbarkeiten gem. Art. 731 III ZGB) sind abschließend aufgeführt. Das Schweizer Recht sieht also im Gegensatz zum Deutschen Recht keine Kontratabularersitzung von Grundeigentum vor.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Hans Josef Wieling: "Sachenrecht - Band 1 - Sachen, Besitz und Rechte an beweglichen Sachen" S. 422 [1]

Weblinks

Deutsches Recht:

Schweizer Recht:

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