Römisches Recht

Römisches Recht

Als römisches Recht bezeichnet man zunächst das Recht, das in der Antike in der Stadt Rom und später im ganzen römischen Weltreich galt. Die im Corpus Iuris Civilis gesammelten Quellen des antiken römischen Rechts wurden im Mittelalter vornehmlich in Bologna wiederentdeckt und bis ins 19. Jahrhundert in den meisten Staaten Europas als maßgebliche Rechtsquellen betrachtet. Daher kann man auch die Rechtsordnung, die im Mittelalter und in der frühen Neuzeit auf dem europäischen Kontinent galt, als römisches Recht bezeichnen.

Während viele andere Errungenschaften der Antike ursprünglich von den Griechen stammen und von den Römern nur übernommen wurden, ist das römische Recht eine originäre Schöpfung der Römer ohne griechische Vorbilder. Allerdings hat die Übernahme von Begriffen und Argumentationsmustern aus der griechischen Philosophie bei der Herausbildung der römischen Rechtswissenschaft eine Rolle gespielt. Die Wissenschaft vom römischen Recht wird – ebenso wie die romanische PhilologieRomanistik genannt.

Inhaltsverzeichnis

Römisches Recht unter besonderer Beachtung der InstituteEigentum“ und „Besitz

Das römische Recht war zunächst ein aus langjähriger Übung entstandenes Recht (sogenanntes Gewohnheitsrecht) ohne geschriebene Gesetze. Die frühen Rechtsgeschäfte entsprangen wohl dem sakralen Bereich und lehnten sich stark an die religiöse Praxis der Auguren, den Priestern der altrömischen Religion, an. Sie trugen daher kultische Züge, waren ritualisiert und basierten auf Spruchformeln.

Den Machtkämpfen zwischen den Patriziern und Plebejern entsprang schließlich eine durch die sog. Dezemvirn („Zehnmänner“) erfolgte Aufzeichnung einer allgemein gültigen Regel, die ausschließlich „Quiriten“, die römischen Vollbürger, schützte. Diese Regel ging als Zwölftafelgesetz oder ius civile in die Geschichte ein. Die Aufzeichnungen erfolgten in der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. und wurden in Form von zwölf Holztafeln (nach anderen Quellen: 12 Kupfertafeln) auf dem forum romanum aufgestellt. Der Originaltext ist nicht überliefert. Einige Fragmente findet man bei Ulpian, Gaius und Cicero.

Das ius civile trennte die Güter in zwei Kategorien, in res mancipi (Sachen, an denen das Eigentum nur durch mancipatio übertragen werden konnte) und res nec mancipi, also Sachen, bei denen es bei Übertragung des Eigentums der mancipatio nicht bedurfte. Zu den res mancipi gehörten z. B. Grundeigentum in Italien, Vieh, Sklaven und ländliche Grunddienstbarkeiten, also vergleichsweise hochwertige Güter. In die Zeit der Entstehung der genannten Gesetze fällt auch die Herausbildung des Begriffes des unbeschränkten quiritischen Eigentums (dominium ex iure Quiritium), welches nur römische Bürger erwerben durften und konnten.

Die Priester (pontifices) legten das Recht der zwölf Tafeln sehr am Wortlaut orientiert aus, man spricht deshalb auch von pontifikalem Rigorismus. Dies konnte dazu führen, dass schon das falsche Benutzen eines Wortes vor Gericht die Niederlage bei einem Prozess bedeutete. Dabei waren die beiden Formen des Eigentumserwerbes an res mancipi kompliziert und zeitaufwändig, formale Fehler gab es häufig. Im Gegensatz dazu erfolgte ein Eigentumswechsel an res nec mancipi durch die bloße formale Übergabe (traditio), also formlos.

Die bekannteste Form der Übertragung quiritischen Eigentums an mancipierbaren Objekten war die Mancipatio. Dafür mussten fünf Römische Bürger als Zeugen und ein weiterer mit einer Kupferwaage hinzugezogen werden. Wer durch mancipatio erwarb, hatte dann die rituellen Worte zu sprechen: „Ich behaupte, dass dieser Sklave nach dem Recht der Römischen Bürger mein Eigentum ist und dass er um dieses Kupfer von mir gekauft sei.“ Dabei legte er einen Kupferbarren auf eine Waagschale. Die eigentliche Bezahlung erfolgte dann außerhalb dieser Zeremonie.

Außer durch Mancipatio konnte auch durch den sogenannten Scheinprozess (in iure cessio) quiritisches Eigentum an res mancipi entstehen. Dieser Prozess lief etwa so ab:

Der Verkäufer und der Erwerber erschienen vor dem Magistrat (praetor) und der Käufer behauptete, eine bestimmte res mancipi gehöre ihm. Der Prätor fragte dann nach Einwänden des bisherigen Eigentümers. Schwieg dieser auf die Frage oder verneinte sie, war der Eigentumsübergang vollzogen.

Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. entwickelte sich in Rom unter dem Einfluss griechischer Philosophenschulen eine eigene Rechtswissenschaft, womit auch das Monopol der Pontifices auf die Rechtsauslegung fiel. Unter den römischen Juristen gab es im Groben zwei Gruppen: Die einen waren mehr von der Stoa beeinflusst und damit von der Idee eines überpositiven Rechts, die anderen eher vom Skeptizismus.

Im Jahr 242 v. Chr. wurde, wegen der zunehmenden Bedeutung des Außenhandels für Rom, der so genannte praetor peregrinus eingeführt. Dieser war für Rechtsstreitigkeiten zwischen zwei Nichtrömern oder zwischen einem Nichtrömer und einem Römer zuständig. Er urteilte nicht nach dem ius civile, das ja nur für römische Bürger galt, sondern nach einem ius gentium. Dies war kein Völkerrecht im heutigen Sinne, vielmehr ein kommerzielles Recht zwischen den Völkern. Der praetor peregrinus konnte nun selbst entscheiden, welche Klageformen er zuließ. Dieses Verfahren setzte sich mit der Zeit durch und war schließlich auch vor dem praetor urbanus möglich. Eine neue Rechtsform war entstanden, das „Prätorische Edikt“. Darunter verstand man eine Verordnung, die der jeweilige Prätor zu Beginn seiner Amtsperiode veröffentlichte und in der er bekanntgab, welche Prinzipien in der Rechtsprechung eingehalten werden sollen (z. B. welche Klagen und welche Einwände zugelassen waren).

Durch das neu entstandene ius gentium konnte kein quiritisches Eigentum erworben werden. Es blieb an römische Bürger gebunden und eine Übertragung war bei res mancipi ausschließlich durch die beiden beschriebenen formalen Akte möglich. Die Prätoren erweiterten die Verfahrensweisen zum Erwerb von quritischem Eigentum nicht. Sie begannen vielmehr, in einer Reihe von Fällen den Besitzer wie einen Eigentümer zu schützen.

Das Rechtsinstitut des „Besitzes“ (possessio) verdankte seine Entstehung erfolgreichen Kriegen, der damit verbundenen Eroberung neuer Landflächen sowie der wachsenden Zahl neuer Sklaven. Es wurde schlicht unmöglich, an jedem einzelnen Sklaven die mancipatio zu vollziehen, um formal Eigentum zu erwerben. Behauptete der Verkäufer, das Eigentum an einem Sklaven sei mangels mancipation nicht übergegangen, gewährte der Prätor dem Käufer die sogenannte Einrede (exceptio). Sie war ein Mittel zum Schutz des Beklagten im Formularprozess, mit deren Hilfe Ansprüche des Klägers abgewiesen werden konnten, die auf den ersten Blick juristisch stichhaltig gewesen wären (wie z. B. eine nicht vollzogene mancipatio), aber den Beklagten dennoch in unbilliger Weise geschädigt hätten.

Schützenswerter Besitzer (Possessor) war zunächst, wer eine Sache tatsächlich in seiner Gewalt hatte (corpus), mit dem Willen, sie für sich zu behalten (animus). Der Besitz genoss fortan einen eigenen Rechtsschutz durch den Prätor (interdicta) gegen jede eigenmächtige Entziehung oder Störung. Die Rechte des Eigentümers einer Sache, die unberechtigt in Besitz genommen wurde (bonae fidei possessor), blieben durch eine mögliche Eigentumsklage und ähnliche Institute gewahrt.

Bei den vom Prätor erlassenen possessorischen Interdikten (interdicta) lassen sich drei Gruppen unterscheiden:

1. Interdikte, die erteilt wurden, um Besitz zu erlangen (z. B. quorum bonorum), 2. Interdikte die dazu dienten, bestehenden Besitz zu erhalten (z. B. uti possidetis) und 3. Interdikte, durch welche verlorener Besitz wieder erlangt werden konnte (z. B. unde vi).

Die Institution des Besitzes bildete aber lediglich eine Zwischenstufe. Letztlich führte sie zur Herausbildung des Begriffes vom „bonitarischen Eigentum“.

Die römische Rechtswissenschaft erreichte ihre höchste Blüte in den ersten Jahrhunderten der Kaiserzeit (1.–3. Jahrhundert). In der Spätantike drohten die Lehren dieser klassischen Jurisprudenz in Vergessenheit zu geraten. Um dieser Tendenz entgegenzuwirken, ließ Kaiser Justinian I. ältere Rechtstexte sammeln. Sein Gesetzgebungswerk, das später unter der Bezeichnung Corpus Iuris Civilis bekannt wurde, umfasst die Institutionen des Justinian (verkündet 533), die Pandekten (lat. Digesten, ebenfalls 533 verkündet), den Codex Iustinianus (verkündet 534) und die zugehörigen Novellen. Die größte Bedeutung für die Entwicklung des neuzeitlichen Rechtswesens haben davon die Pandekten oder Digesten erlangt. Der Codex Iustinianus enthielt dagegen alle noch gültigen Gesetze, die seit Hadrian erlassen worden waren, und ist daher eine der wichtigsten Quellen zum römischen Recht. Als bald nach Justinians Tod die Antike endgültig ausklang, geriet auch das Corpus Iuris zunächst in Vergessenheit, bis es im Hochmittelalter in Italien wiederentdeckt wurde und eine Renaissance des römischen Rechts einleitete.

Römisches Recht im Mittelalter und in der Neuzeit

Im Byzantinischen Reich blieb die justinianische Kodifikation Grundlage der Rechtspraxis. Im 9. Jahrhundert ließ Kaiser Leo VI. (886–912) eine Sammlung des byzantinischen Rechts erstellen. Diese „Basiliken“ bestanden im Wesentlichen aus einer griechischen Übersetzung des justinianischen Codex und der Digesten.

In Westeuropa gerieten die justinianische Kodifikation und das römische Recht insgesamt während des frühen Mittelalters weitgehend in Vergessenheit. Insbesondere die Digesten waren bald nicht mehr bekannt. Um 1050 wurde dieser wichtige Text jedoch wiederentdeckt (s. auch Littera Florentina). Von diesem Zeitpunkt an haben zuerst italienische Juristen – deren Rechtsschule von Bologna sich zu einer der ersten Universitäten Europas entwickelte – das römische Recht wieder aufgegriffen. Sogenannte Glossatoren erläuterten und überarbeiteten die bestehenden Texte nach den Bedürfnissen und Methoden der Zeit. Die Kommentatoren (auch Postglossatoren genannt) arbeiteten sodann die Rechtstexte zu praxisbezogenen Werken aus.

Da in Deutschland im Mittelalter kein einheitliches Rechtssystem bestand, wurde ab Mitte des 15. Jahrhunderts das römische Recht auch hier rezipiert (siehe: Rezeption des römischen Rechts). Durch die besondere Bedeutung des römischen Rechts wurden die Rechtsfakultäten der Universitäten sehr einflussreich. Die Art der Anwendung des Corpus iuris civilis bezeichnet man als usus modernus pandectarum, also zeitgemäßer Gebrauch der Pandekten.

Mit dem Beginn des Absolutismus und der Aufklärung trat das Naturrecht bzw. Vernunftrecht in den Vordergrund.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts setzte jedoch mit der historischen Rechtsschule, deren herausragender Vertreter Friedrich Carl von Savigny war, eine Rückbesinnung auf das römische Recht ein. Mit der geschichtlichen Rechtswissenschaft und der Pandektistik erreichte die wissenschaftliche Durchdringung und Systematisierung des römischen Rechts, das als gemeines Recht in Deutschland bis zum 1. Januar 1900 galt, einen Höhepunkt.

Auch das moderne bürgerliche Recht ist nach wie vor in besonderem Maße vom römischen Recht geprägt. Dies gilt vor allem für das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch (BGB). Dieses beruht auf der geschichtlichen Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts. Hingegen wurde das österreichische Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) stärker vom Vernunftrecht des 18. Jahrhunderts beeinflusst. Auch im ABGB sind jedoch römische Wurzeln deutlich erkennbar.

Die Geschichte des römischen Rechts ist bis heute (Wahl-)Bestandteil der universitären Juristenausbildung.

Siehe auch

Literatur

Juristisches

Historisches

Weblinks


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