Erwählung

Erwählung

Erwählung ist ein zentraler Ausdruck der jüdischen, christlichen und islamischen Glaubenssprache. In nichtreligiösen Zusammenhängen ist das Wort ungebräuchlich (s. Wahl, Auswahl).

Inhaltsverzeichnis

Erwählung im Alten Testament

In den biblischen Religionen ist Erwählen eine Handlung Gottes, die diesem eigentümlich ist und ihn als Gott der personalen Beziehung und der Geschichte kennzeichnet. Durch Erwählung entscheidet sich Gott für einen Menschen/ein Volk aus vielen, bindet sich an diesen/dieses und definiert sich als "dessen" Gott auch auf die Gefahr hin, dass die Erwählten untreu werden und Gott um sie eifern und Leid tragen muss. Göttliche Erwählung ist in dieser Sicht Ursache und Anfang der Geschichte von Welt, Gottesvolk und Einzelnen - und Ursache und Anfang des Geschichtsbewusstseins, das Judentum und Christentum kennzeichnet.

Denn du bist ein heiliges Volk dem HERRN, deinem Gott. Dich hat der HERR, dein Gott, erwählt zum Volk des Eigentums aus allen Völkern, die auf Erden sind. Nicht hat euch der HERR angenommen und euch erwählt, weil ihr größer wäret als alle Völker - denn du bist das kleinste unter allen Völkern -, sondern weil er euch geliebt hat und damit er seinen Eid hielte, den er euren Vätern geschworen hat. (5. Mose 7,6-8)

Schon die Erschaffung der Welt kann als Erwählung gedeutet werden: Wahl des geordneten Seins aus der Grenzenlosigkeit des Chaos; Wahl des Menschen als Entscheidung Gottes gegen seine eigene "Einsamkeit".

Die Erwählungsgeschichte Israels, die dann auch von Christen und Muslimen als eigene übernommen wurde, beginnt mit dem Ruf an Abraham, aus seiner Heimat wegzuziehen und sich auf den Weg ins Land der Verheißung ("Gelobtes Land") zu machen, wo seine Nachkommenschaft ein großes Volk der Erwählung und ein Segen für alle Völker sein werde.

Von individueller Erwählung schon im Mutterleib sprechen mehrere Propheten und Psalmen.

Die (nicht in Frage gestellte) Erwählung Israels wird zum Grund schärfster prophetischer Kritik am sozialen und religiösen Gemeinschaftsleben ihrer Zeit.

Im Babylonischen Exil wird Israel sich seiner Besonderheit in der Situation der Diaspora bewusst und vertieft den Erwählungsglauben.

Erwählung im Neuen Testament

Das Christentum konzentriert den Erwählungsglauben einerseits exklusiv auf Jesus Christus (z. B. Mt 17,5),

Als er noch so redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören!

dehnt ihn andererseits aber über die Grenzen des Bundesvolkes hinaus auf alle aus, die durch Christus in die Glaubensgeschichte Abrahams hineingenommen werden (Röm 4).

Er hat geglaubt auf Hoffnung, wo nichts zu hoffen war, daß er der Vater vieler Völker werde, wie zu ihm gesagt ist (1. Mose 15,5): «So zahlreich sollen deine Nachkommen sein.» Und er wurde nicht schwach im Glauben, als er auf seinen eigenen Leib sah, der schon erstorben war, weil er fast hundertjährig war, und auf den erstorbenen Leib der Sara. Denn er zweifelte nicht an der Verheißung Gottes durch Unglauben, sondern wurde stark im Glauben und gab Gott die Ehre und wußte aufs allergewisseste: Was Gott verheißt, das kann er auch tun. Darum ist es ihm auch «zur Gerechtigkeit gerechnet worden» (1. Mose 15,6). Daß es ihm zugerechnet worden ist, ist aber nicht allein um seinetwillen geschrieben, sondern auch um unsertwillen, denen es zugerechnet werden soll, wenn wir glauben an den, der unsern Herrn Jesus auferweckt hat von den Toten, welcher ist um unsrer Sünden willen dahingegeben und um unsrer Rechtfertigung willen auferweckt. (Römer 4,18-25)


Als erwählte Einzelne erscheinen im Neuen Testament v.a. Johannes der Täufer, Maria und Paulus (Selbstaussagen im Galaterbrief).

Erwählung theologisch

In der Theologiegeschichte wurde Erwählung aus einer Erzählfigur mehr und mehr zu einem Begriff der Lehre. Schon bei Paulus, deutlicher dann bei Augustinus und den ihm folgenden christlichen Denkern taucht die Unvereinbarkeit von göttlicher, d.h. unwiderstehlicher und unwiderruflicher Erwählung (nun als praedestinatio - Vorherbestimmung bezeichnet) einerseits und menschlicher Mitwirkung, Antwort und Schuld andererseits auf, ein Problem, das logisch-theoretisch nicht lösbar ist, sich vielmehr nur paradoxal oder narrativ ausdrücken lässt.

Im 16. und 17. Jahrhundert wurde der unterschiedliche Umgang mit diesem Thema zu einem konfessionellen Unterscheidungsmerkmal zwischen Lutheranern und Calvinisten.

In der Entstehung und im Selbstbewusstsein der Vereinigten Staaten von Amerika spielen religiöse Motive, die sich um die alttestamentliche Erwählungsvorstellung gruppieren ("God's own country"), eine zentrale Rolle.

In der Theologie Karl Barths ist Erwählung ein Schlüsselbegriff.

Siehe auch

Literatur

  • Horst Seebaß, Ferdinand Dexinger, Jost Eckert, Traugott Koch: Erwählung I. Altes Testament II. Judentum III. Neues Testament IV. Dogmatisch. In: Theologische Realenzyklopädie 10 (1982), S. 182-205 (umfassender wiss. Überblick)
  • Nestvogel, Wolfgang: Erwählung und/oder Bekehrung? Die Souveränität Gottes und die Verantwortlichkeit des Menschen als homiletische Aufgabe, 2000.

Weblinks


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