Ethnopluralismus

Ethnopluralismus

Ethnopluralismus ist eine neurechte Ideologie, die für die kulturelle Homogenisierung von (Staats-)Gemeinschaften eintritt. Entgegen biologistischen Arten von Identitätskonstruktionen, die das Abstammungsprinzip für die Identifizierung von „Fremden“ verwenden, wird hier eine Differenzierung anhand kultureller Merkmale vorgenommen. Einflüsse der als „anders“ begriffenen Gesellschaften werden als Gefährdung der „eigenen Identität“ verstanden. Statt belasteter Begriffe wie „Lebensraum“ ist die Rede von „angestammten Territorien der Völker“ oder „Ethnien“.

Über Henning Eichberg wurde der Begriff erstmals 1973 als ein eigenes Konzept der Neuen Rechten in die Debatte eingebracht. Eichberg wollte unter dem Begriff das Gebot der Bewahrung der kulturellen Verschiedenheit der über ein eigenes Existenzrecht verfügenden „Rassen“ verstanden wissen.[1]

Inhaltsverzeichnis

Ideologie

Hinter der beschworenen „kulturellen Identität“ der unterschiedlichen Völker verbergen sich sozialdarwinistische Sichtweisen und ein ausgeprägter, allerdings „modernisierter“ Rassismus, bei dem lediglich der Begriff Rasse bewusst vermieden wird. (siehe Rassismus ohne Rassen).[2][3] Das Wort „Rasse“ wird hier, da heutzutage meist negativ konnotiert, häufig durch „Kultur“ (auch „Ethnie“, „Volk“, „Nation“ oder andere Begriffe) ersetzt. Da der Begriff „Rasse“ in diesen Argumentationen in der Regel nicht vorkommt, werden diese als „Rassismus ohne Rassen“ bezeichnet, der den Begriff „Rasse“ aufgibt, ohne dass in ihm die Abwertung und Ausgrenzung des ›Anderen‹ an Schärfe verloren gingen.[4] Im Unterschied zum „klassischen“ Rassismus postuliert der Ethnopluralismus aber nicht unbedingt eine Höherwertigkeit eines Volkes, wobei die meisten Vertreter dennoch die Forderung nach der Vorherrschaft der europäischen Völker bzw. des „Abendlandes“ bzw. West- oder Mitteleuropas in der Welt erheben.

Im Wesentlichen soll jedem „Volk“ das gleiche Recht und der gleiche Anspruch auf seine nationale und kulturelle Identität zugestanden werden, allerdings ausschließlich „an seinem Platz“.

Da die Migration als Bedrohung der Kultur betrachtet wird, beziehen sich die Vertreter ethnopluralistischer Konzepte einzig auf ihre Nachteile. Auch in der globalisierten Welt sei eine Trennung der Völker vorzuziehen.

Dies kann verstanden werden als eine intellektuelle Überhöhung der erstmals von der NPD im Bundestagswahlkampf 1980 („Ausländerstopp - Deutschland den Deutschen“) und später von Franz Schönhubers Partei Die Republikaner in den frühen 80er Jahren verwendeten Schlagworte („Deutschland den Deutschen, die Türkei den Türken“). Letztlich gilt Ethnopluralismus als ein in Weltmaßstab umgesetzter Ethnozentrismus, der ein weltweites System der Apartheid herbeiführen möchte und jede Durchmengung als Bedrohung der eigenen Gruppe versteht.[5][6][7]

Entstehungsgeschichte

Historische Wurzeln können bereits bei Carl Schmitt gesehen werden, der von einem Pluriversum gleichberechtigter, in sich (relativ) homogener Völker ausging.[8] In den Betrachtungen zur „geistesgeschichtlichen Lage des heutigen Parlamentarismus“, hatte Schmitt 1923 argumentiert, zur Demokratie gehöre innere Homogenität und gegebenenfalls die Ausschaltung des Heterogenen.[9]

Begriff und Konzept des Ethnopluralismus gehen im Wesentlichen auf Henning Eichberg zurück, der als einer der führenden Köpfe der Neuen Rechten beide in den 1970er Jahren im Zusammenhang mit einer nationalrevolutionären Befreiungsphilosophie entwickelte.[10] Es handelt sich um ein griechisch-lateinisches Kunstwort, das soviel wie „Völkervielfalt“ bedeutet. Einer der bekanntesten internationalen Vertreter des Ethnopluralismus ist der Rechtsintellektuelle, Alain de Benoist, der wichtigste Denker der französischen „Nouvelle Droite“.[11] Von Alain Benoist wurde der Ethnopluralismus damit begründet, dass „jedes Volk, jede Kultur ihre eigenen Normen habe, dass „jede Kultur eine sich selbst genügende Struktur“ bildet und dass jedes Individuum primär durch seine „kulturelle“ und „völkische“ Zugehörigkeit bestimmt sei.[12] Menschenrechte versteht Benoist als Ausdruck westlichen Denkens ohne universelle Gültigkeit.[13] In Deutschland wird der Ethnopluralismus z.B von Pierre Krebs vom rechtsextremen „Thule-Seminar“ vertreten.[14] Nach dem Bundestagswahlkampf der NPD von 1980 bildete 1982 das sogenannten Heidelberger Manifest den nächsten Meilenstein in der öffentlichen Wahrnehmung des Konzeptes Ethnopluralismus.[15] Bei diesem medienwirksamen Aufruf handelte es sich um einen Appell deutscher Universitätsprofessoren gegen „Überfremdung“. In der Juli/August Ausgabe 1989 der rechtsgerichteten Wochenzeitung Junge Freiheit wurde eine eigene Rubrik „Ethnopluralismus“ eingeführt, die bis zur Dezember-Ausgabe 1991 bestand hatte und ab 1992 in „Nationalitätenfragen“ umbenannt wurde.[16] Die NPD berief sich in einem 2002 veröffentlichten Positionspapier auf den Ethnopluralismus.[17]

Zur wissenschaftlichen Fundierung wurden die Arbeiten einiger Verhaltensforscher aus der Nachkriegszeit wie etwa Irenäus Eibl-Eibesfeldt herangezogen, der auch selbst an der Politisierung seiner Ideen arbeitet. Die Scheu vor „Fremden.“ beziehungsweise Fremdenfurcht ist nach Eibl-Eibesfeldt demnach stammesgeschichtlich vorprogrammiert, aber auch durch Erziehung beeinflussbar:

„Offensichtlich bildet die Xenophobie einen wichtigen Bestandteil des menschlichen Verhaltensrepertoires. Sie liegt als stammesgeschichtliche Anpassung vor, kann aber durch Erziehung stark moduliert werden. [...] Mütter nützen diese Furcht gelegentlich, um unfolgsame Kinder mit der Möglichkeit zu schrecken, ein Fremder würde sie mitnehmen. Das bekräftigt unter anderem die Fremdenfurcht. Sie entwickelt sich jedoch zunächst einmal unabhängig von erzieherischer Einwirkung aufgrund eines vorgegebenen Programms.[18]

Vertreter des Ethnopluralismus berufen sich dabei neben der kulturellen Argumentation unter anderem auch auf genetische Unterschiede zwischen den Völkern,[19] was von der Soziologie zumeist als biologistisch angesehen und zurückgewiesen wird.[20]

Rezeption

Das Konzept des Ethnopluralismus ermöglicht neben der Legitimationsfunktion für die Trennung von „Rassen“, „Völkern“ und „Kulturen“ einen weiteren entscheidenden Schritt der rechtsextremen Theoriebildung. Wenn es tatsächlich unterschiedliche gleichwertige Kulturen im Sinne dieses Theorems geben sollte, dann wären auch die zugehörigen Moral- und Rechtsvorstellungen gesondert zu betrachten. Die Menschenrechte wären nicht länger allgemein gültig, sondern ein von einer Minderheit entwickeltes Konstrukt, das anderen aufgezwungen wird.[21][22]

Kritiker des Theorems sagen, dass die Definition eines Volkes schwer fällt. So könne nicht von einer Identität eines Volkes gesprochen werden. Auch weisen Kritiker des Ethnopluralismus wie insbesondere auch die Vertreter der Cultural Studies darauf hin, dass sich Kulturen in der Vergangenheit unter Anderem durch den Austausch mit anderen Kulturen weiterentwickelten. So habe sich zum Beispiel die griechische Philosophie in den Küstenregionen am schnellsten entwickelt, da dort der Austausch mit anderen Kulturen am stärksten gewesen sei.

Im Zusammenhang mit Ethnopluralismus wird immer wieder Bezug auf die ehemalige Apartheidpolitik in Südafrika mit ihren Homelands oder die historische Rassentrennung in den Südstaaten der USA (separate but equal) genommen. So schrieb Gero Fischer 1998: „Ethnopluralismus führt konsequent gedacht zur Apartheid als neuer Weltordnung“.[6] Michael Minkenberg schrieb: „der Ethnopluralismus ist nur scheinbar pluralistisch und liberal. Global fordert er eine Segregation der Ethnien nach geographischen Gesichtspunkten, eine weltweite Apartheid“.[7]

Belege

  1. Richard Stöss, Rechtsextreme Parteien in Westeuropa, In: Oskar Niedermayer, Richard Stöss, Melanie Haas, Die Parteiensysteme Westeuropas, VS-Verlag 2006, S.525
  2. Kurt Lenk, Rechtsextreme „Argumentationsmuster“ online einsehbar
  3. Stefan Borrmann, Soziale Arbeit mit rechten Jugendcliquen, VS Verlag 2005 S.43
  4. Vgl. u.a. bei Angelika Magiros (2004): Kritik der Identität. 'Bio-Macht' und 'Dialektik der Aufklärung' - Werkzeuge gegen Fremdenabwehr und (Neo-)Rassismus. Münster 2004, insbes. S. 166 ff. / Weitere Autoren: Barker, Caglar, Taguieff, Balibar, Bielefeld, Jaschke, Terkessidis, Prehn s. u. „Literatur“.
  5. Begriff des Rechtsextremismus, Artikel des DÖW, 30. April 2001
  6. a b Gero Fischer, Ethnopluralismus, Multikulturalismus und interkulturelle Erziehung, In: Helmut Reinalter, Franko Petri, Rüdiger Kaufmann, Das Weltbild des Rechtsextremismus: die Strukturen der Entsolidarisierung, Studien Verlag, 1998, S. 243
  7. a b Michael Minkenberg, Die neue radikale Rechte im Vergleich: USA, Frankreich, Deutschland, Westdeutscher Verlag 1998, S. 364
  8. Carl Schmitt: Der Begriff des Politischen 1927
  9. Vgl. Carl Schmitt: Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus; Berlin 1985, S.12ff.
  10. Richard Stöss, Rechtsextreme Parteien in Westeuropa, In: Oskar Niedermayer, Richard Stöss, Melanie Haas, Die Parteiensysteme Westeuropas, VS-Verlag 2006, S.525
  11. Eckhard Jesse, Hans-Peter Niedermeier, Politischer Extremismus und Parteien, Duncker & Humblot, Berlin 2007, S.23
  12. Vgl. Christoph Schütte, Intellektuellendämmerung und Völkererwachen. Die Rezeption der Nouvelle Droite in Deutschland, in: Vorgänge 31 (1992), S. 51 -60.
  13. Kritik der Menschenrechte, Verlag Junge Freiheit, Berlin 2004
  14. Wilfried Schubarth/Richard Stöss: Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland: eine Bilanz, Leske & Budrich 2001, S.118
  15. Brigitte Kossek: Gegen-Rassismen. Konstruktionen, Interaktionen, Interventionen, Argument Verlag 1999, S.62
  16. Klaus Kornexl, Das Weltbild der Intellektuellen Rechten in der Bundesrepublik Deutschland. Dargestellt am Beispiel der Wochenzeitschrift Junge Freiheit, im Kapitel 2.5. Ethnopluralismus - «ein ideologisches Gespenst», Herbert Utz Verlag 2008, S. 175
  17. Verfassungsschutzbericht 2002 von Hessen, S.56. Dort wiederum Bezug auf die Primärquelle: Profil – Nationaldemokratische Schriftenreihe, Folge 12, Strategische Leitlinien zur politischen Arbeit der NPD, NPD-Parteivorstand (Hrsg.), Berlin 2002, S.17
  18. Irenäus Eibl-Eibesfeldt: Die Biologie des menschlichen Verhaltens - Grundriß der Humanethologie, Piper, München 1984, S. 223 und S. 476
  19. Margret Feit, Die "Neue Rechte" in der Bundesrepublik: Organisation, Ideologie, Strategie, Campus 1987, S.106
  20. Dieter Staas: Migration und Fremdenfeindlichkeit als politisches Problem, LIT Verlag, Münster 1994. ISBN 382582330X, S. 100.
  21. Jens Urbat: Rechtspopulisten an der Macht: Silvio Berlusconis Forza Italia im neuen italienischen Parteiensystem, LIT Verlag 2007, S. 39, Abschnitt Ethnopluralismus
  22. Wolfgang Gessenharter, Thomas Pfeiffer, Die neue Rechte: eine Gefahr für die Demokratie?, VS Verlag 2004, S. 40f, Kapitel 4.3. Ethnopluralismus statt universale Menschenrechte

Literatur

  • Frank Teichmann: Kapitel B.4 Der Ethnopluralismus oder wohin die völkische Vielfalt führt. S. 157-199 In: Henning Eichberg: Nationalrevolutionäre Perspektiven in der Sportwissenschaft, Europäische Hochschulschriften Bd.211, Peter Lang Verlag 1991
  • Patrick Moreau: Die neue Religion der Rasse. Der neue Biologismus und die kollektive Ethik der Neuen Rechten in Frankreich und Deutschland. In: Fetcher 1983, S.119
  • Wolfgang Gessenharter: Intellektuelle Strömungen und Vordenker in der deutschen Neuen Radikalen Rechten, in: Thomas Grumke/Bernd Wagner, Handbuch deutscher Rechtsradikalismus, Opladen: Leske + Budrich, 2002, S.189-201; siehe insbes. Kapitel „Ethnopluralismus“, S.194f. ISBN 3810033995.
  • Gero Fischer: Ethnopluralismus, Multikulturalismus und interkulturelle Erziehung. In: Reinalter, Petri, Kaufmann (Hg): Das Weltbild des Rechtsextremismus, Wien 1998, S.243-259.
  • Ulrich Prehn: Die wechselnden Gesichter eines „Europa der Völker“ im 20. Jahrhundert. Ethnopolitische Vorstellungen bei Max Hildebert Boehm, Eugen Lemberg und Guy Héraud. In: Heiko Kauffmann, Helmut Kellershohn, Jobst Paul (Hg.): Völkische Bande. Dekadenz und Wiedergeburt – Analysen rechter Ideologie. Münster, 2005. ISBN 3-89771-737-9
  • Mark Terkessidis: Kulturkampf. Volk, Nation, der Westen und die Neue Rechte. Köln 1995.

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