- Fanny Hensel
-
Fanny Hensel (* 14. November 1805 in Hamburg; † 14. Mai 1847 in Berlin; gebürtig Fanny Zippora Mendelssohn; getauft Fanny Cäcilie Mendelssohn Bartholdy) war eine Komponistin der deutschen Romantik.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Fanny Hensel wurde am 14. November 1805 als Tochter von Lea, geb. Salomon (1777–1842) und Abraham Mendelssohn (1776–1835) in Hamburg geboren. Sie war die ältere, gleichermaßen musikalisch hochtalentierte Schwester des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy (1809–1847). Fanny Hensel war Enkelin des berühmten jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn und entstammte mütterlicherseits einer hochtalentierten Musikerinnenfamilie. Die Frauen der Familie Itzig, deren Nachfahrin Fannys Mutter Lea Mendelssohn war, konzertierten als Pianistinnen, waren Mitglieder der Sing-Akademie zu Berlin und mit Ludwig van Beethoven bekannt.
Die ersten Jahre ihrer Kindheit verbrachte Fanny in ihrer Geburtsstadt Hamburg. Im Jahre 1811 zog die Familie nach Berlin zurück, um den Repressionen der französischen Besatzung unter Marschall Louis-Nicolas Davout zu entgehen. Die jüdische Familie Mendelssohn ließ ihre Kinder am 21. März 1816 von Johann Jakob Stegemann, dem Pfarrer der Reformierten Gemeinde der Berliner Jerusalems- und Neuen Kirche, in einer Haustaufe evangelisch taufen. Dabei wurde Fannys zweiter Vorname in Cäcilie geändert, und ihrem Familiennamen wurde der Zusatz Bartholdy beigefügt, den die Eltern später ebenfalls annahmen.
Fanny erhielt ersten Klavierunterricht von ihrer Mutter. So konnte sie dreizehnjährig im Jahre 1818 dem Vater zum Geburtstag bereits 24 Präludien aus dem „Wohltemperierten Klavier“ von Johann Sebastian Bach auswendig vortragen. In Paris studierte sie eine kurze Zeit bei der Pianistin Marie Bigot und anschließend bei Ludwig Berger. 1820 trat Fanny mit ihrem Bruder Felix in die von Carl Friedrich Zelter geleitete Sing-Akademie zu Berlin ein. In einem Brief an Goethe vom 18. Februar 1831 lobte Zelter ihre Fähigkeiten als Pianistin, ganz dem damaligen Zeitgeist entsprechend, mit den Worten: „Sie spielt wie ein Mann.“ Schon 1819 erhielten Fanny und Felix Kompositions- und Tonsatzunterricht bei Carl Friedrich Zelter. Die ersten bekannten Kompositionen der beiden Geschwister waren zwei Liedvertonungen, die sie ihrem Vater zum Geburtstag am 10. Dezember 1819 schenkten.
Anders als ihrem Bruder Felix gestattete es der Vater dem musikalisch und pianistisch sehr begabten jungen Mädchen nicht, aus ihrem Talent einen Beruf zu machen. Der Fünfzehnjährigen schrieb er in einem Brief: „Die Musik wird für ihn (Felix) vielleicht Beruf, während sie für Dich stets nur Zierde, niemals Grundbaß Deines Seins und Tuns werden kann und soll.“ Ebenso wie der Vater sprach sich Bruder Felix gegen eine Drucklegung von Hensels Werken aus. Diese Haltung beruhte auf der Einstellung der bürgerlich-akademischen Kreise, dass es für eine Frau von ihrem Stand nicht schicklich war, überhaupt Geld zu verdienen. Konzertiert werden durfte sehr wohl, jedoch nicht in der Öffentlichkeit und keineswegs für Geld. Auch dem Notendruck haftete nicht nur Ruhm und Ehre an, sondern in erster Linie das Bestreben, Geld zu verdienen. Hensel schrieb sechs Jahre vor ihrem Tod an einen Freund in England:
„Komponiert habe ich in diesem Winter rein garnichts. Was ist auch daran gelegen, kräht ja doch kein Hahn danach und tanzt niemand nach meiner Pfeife.“
– nach Blankenburg, 1987.
Im Jahre 1823 begannen bei der Familie Mendelssohn die bald berühmt gewordenen „Sonntagsmusiken“. Dort wurden im nichtöffentlichen Rahmen – manchmal betrug die Anzahl der Gäste jedoch fast 200 – Werke der Meister Bach, Beethoven, aber genauso gut damalige zeitgenössische Musik sowie die Werke Felix Mendelssohn Bartholdys aufgeführt. Im Jahr 1831, nach dem Weggang ihres Bruders Felix, übernahm Fanny Hensel vollständig die Programmgestaltung, Spiel, Komposition und Chor- bzw. Orchesterleitung.
Nach Fanny Mendelssohn Bartholdys Heirat am 3. Oktober 1829 mit Wilhelm Hensel, dem berühmten Hofmaler an der Akademie der Künste zu Berlin, wurde ihr Sohn Sebastian Hensel (1830–1898) am 16. Juni geboren. Er schrieb später die Familiengeschichte der Mendelssohns anhand zahlreicher Brief- und Tagebuchquellen seiner Mutter.
Als Pianistin trat sie nur einmal in öffentlichem Rahmen auf. Die über 470 eigenen Werke Fanny Hensels reflektieren jedoch ihr herausragendes pianistisches Können, das sie in ihrer späten Italienreise im Jahre 1839 dem französischen Komponisten Charles Gounod mit Werken Beethovens und Bachs präsentierte. Der Schwerpunkt ihres Oeuvres liegt auf den Sololiedern für Singstimme und Klavier, von denen sie etwa 250 verfasste. Nur ein Bruchteil dieser Literatur wurde bislang veröffentlicht. Einige wenige erschienen unter dem Namen ihres Bruders. Erst kurz vor Lebensende fasste sie mit Hilfe eines neuen guten Freundes, des jungen Robert Keudell, den für sie erfreulichen Entschluss, einige Werke ohne die Erlaubnis ihres Bruders und entgegen dem Familiendogma zu veröffentlichen. Unter den gesamten Werken Fanny Hensels finden sich auch anspruchsvolle Klavierwerke, Übungsstücke, Chöre, christliche Kantatenkompositionen, szenische Werke und Orchestermusik.
Am Nachmittag des 14. Mai 1847 verstarb Fanny plötzlich an den Folgen eines Schlaganfalls. Sie leitete gerade die Probe zu einer ihrer Sonntagsmusiken, es wurde Felix Mendelssohn Bartholdys „Die erste Walpurgisnacht“ einstudiert.
Nach dem Tod seiner Frau bat Wilhelm Hensel, der die kompositorische Begabung Fannys immer außerordentlich gefördert und unterstützt hatte, seinen Schwager um die Veröffentlichung weiterer Werke postum. Felix überlebte seine Schwester etwa um ein halbes Jahr. Zeit ihres Lebens hatten sie in engem musikalischen, brieflichen und persönlichen Austausch gestanden.
Fanny Hensel und ihr Bruder wurden im Familiengrab auf dem Dreifaltigkeitskirchhof I, Feld 1 in Berlin-Kreuzberg beigesetzt.
Ehrungen
Die Grabstätte ist ein Ehrengrab der Stadt Berlin. Fanny Hensel zu Ehren trägt heute die Musikschule Berlin ihren Namen. Der Fanny-Hensel-Weg und die Fanny-Hensel-Grundschule in Berlin-Kreuzberg erinnern ebenfalls an sie.
Am 20. März 2002 enthüllte der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, die Gedenktafel für Fanny Hensel und Felix Mendelssohn Bartholdy am heutigen Bundesratsgebäude, Leipziger Straße, wo einst das Wohnhaus der Familie Mendelssohn Bartholdy stand. Sie wurde auf Initiative der Mendelssohn-Gesellschaft dort angebracht.
In der Geburtsstadt Hamburg wurden 1997, zum 150. Todesjahr, in der Nähe des im Kriege zerstörten Geburtshauses (Große Michaelisstraße 14) zwei Gedenkplatten mit Portraitreliefs von Felix Mendelssohn Bartholdy und Fanny Hensel in einer kleinen Grünanlage an der Ludwig-Ehrhardt-Straße aufgestellt.[1]
Der am 16. August 1990 von dem belgischen Astronomen Eric W. Elst entdeckte Kleinplanet Nr. 9331 trägt den Namen Fannyhensel.[2]
Werk
Die musikwissenschaftliche Forschung hat sich seit den 1970er Jahren verstärkt wieder Fanny Hensel zugewandt. Jedoch steht die vollständige Entdeckung, Bearbeitung, Interpretation und historisch-kritische Publikation ihrer Kompositionen[3] und Schriften noch aus. So ist es der Dirigentin und Musikjournalistin Elke Mascha Blankenburg zu verdanken, dass einige der Werke Hensels zwischen 1984 und 1987 ihre Welturaufführung erlebten, u.a. die Ouvertüre in C-Dur durch das Clara-Schumann-Orchester unter Leitung Blankenburgs am 7. Juni 1986 in der Frankfurter Alten Oper.
Die frühesten ihrer gedruckten Kompositionen erschienen unter dem Namen des Bruders Felix, nämlich die Nos. 2, 3 u. 12 aus dessen Liederheft op. 8 (1827) und die Nos. 7, 10 u. 12 aus dessen zweibändigem Liederheft Der Jüngling und Das Mädchen op. 9 (1830).
1834 erschien in der Londoner Musikzeitschrift The Marmonicon mit dem Lied Ave Maria über Worte von Sir Walter Scott das erste gedruckte Werk unter ihrem eigenen Namen, es trägt die Autorenangabe Mad.elle Mendelssohn Bartholdy, now Madame Hensel.
Die Autographen ihrer Werke befinden sich im Mendelssohn-Archiv der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Berlin sowie in Privatbesitz.
Werke mit Opuszahl
Im Berliner Verlag Bote & Bock erschienen zu Weihnachten 1846 drei Hefte mit ausgewählten Werken:
- Sechs Lieder für eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte, op. 1
- Vier Lieder für das Pianoforte, vol. 1, op. 2
- Gartenlieder. Sechs Gesänge für Sopran, Alt, Tenor und Baß, op. 3
1847 folgte die Veröffentlichung weiterer drei Hefte im Verlag A. M. Schlesinger (op. 4 u. 5) und Bote & Bock (op. 6).
- Six Mélodies pour le Piano, vol. 1, op. 4
- Six Mélodies pour le Piano, vol. 2, op. 5
- Vier Lieder für das Pianoforte, vol. 2, op. 6
Nach ihrem plötzlichen Tod erschienen 1850 postum im Leipziger Verlag Breitkopf & Härtel noch vier Bände nachgelassener Werke:
- Vier Lieder für das Pianoforte, op. 8
- Sechs Lieder mit Begleitung des Pianoforte, op. 9
- Fünf Lieder mit Begleitung des Pianoforte, op. 10
- Trio für Pianoforte, Violine und Violoncell, op. 11
Werke ohne Opuszahl
- Vokalmusik
Zahlreiche Lieder, Duette und andere Solobesetzungen. Chorwerke mit und ohne Begleitung durch Klavier bzw. Orchester, insb. Kantaten (Lobgesang, Hiob, Choleramusik), Dramatisches Szene Hero und Leander nach Goethe, Szene aus Faust II für Frauenchor und Sopransolo mit Klavierbegleitung.
Zahlreiche einzelne Klaviersätze, sowie zwei vollständige Klaviersonaten c-moll und g-moll; Klavierzyklus Das Jahr.
- Kammermusik
Einige Stücke für Violine bzw. Violoncello mit Klavierbegleitung, Klavierquartett As-Dur, Klaviertrio d-moll, Streichquartett Es-Dur.
- Orchesterstücke
Ouvertüre für Orchester C-Dur.
Literatur
- Aloysia Assenbaum: Nach Süden, Ein Briefwechsel und 11 Lieder. Ein Hörbuch über die Familie Hensel. O-Ton-Produktion, Berlin 2005, ISBN 3-9810256-1-x. (Textfassung)
- Cornelia Bartsch: Fanny Hensel. Musik als Korrespondenz. Kassel 2007, ISBN 978-3-927327-60-3.
- Elke Mascha Blankenburg: Fanny Mendelssohn-Hensel. In: Helma Mirus, Erika Wisselinck (Hrsg.): Mit Mut und Phantasie. Frauen suchen ihre verlorene Geschichte. Sophia Verlag Erika Wisselinck, Straßlach 1987, ISBN 3-925109-01-3. S. 92f.
- Ute Büchter-Römer: Fanny Mendelssohn-Hensel. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2001, ISBN 3-499-50619-X.
- Thea Derado: Fanny Mendelssohn Hensel – Aus dem Schatten des Bruders. Romanbiographie. Kaufmann, Lahr 2005, ISBN 3-7806-5304-4.
- Peter Härtling: Liebste Fenchel! Das Leben der Fanny Hensel-Mendelsohn in Etüden und Intermezzi. Kiepenheuer und Witsch, Köln 2011, ISBN 978-3-462-04312-9
- Martina Helmig: Fanny Hensel, geb. Mendelssohn Bartholdy. Das Werk. edition text + kritik, München 1997, ISBN 3-88377-574-6.
- Sebastian Hensel (Hrsg.): Die Familie Mendelssohn. 1729 bis 1847. Nach Briefen und Tagebüchern. B.Behrs Buchhandlung, Berlin 1879; Insel, Frankfurt am Main 2002, ISBN 3-458-33371-1.
- Karl August Horst (Hrsg.): Sebastian Hensel, Die Familie Mendelssohn. München 1959.
- Hans-Günter Klein, Rudolf Elvers (Hrsg.): Fanny Hensel. Tagebücher. Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2002, ISBN 3-7651-0369-1.
- Hans-Günter Klein (Hrsg.): O glückliche, reiche einzige Tage. Fanny und Wilhelm Hensels italienische Reise. Mit dem Faksimile der Bildseiten aus dem „Reise-Album 1839–1840“. Reichert, Wiesbaden 2006, ISBN 3-89500-482-0.
- Hans-Günter Klein (Hrsg.): Fanny Hensel. Briefe aus Paris. Nach den Quellen zum ersten Mal herausgegeben. Reichert, Wiesbaden 2007. ISBN 3-89500-480-4
- Hans-Günter Klein: Fanny Hensel in Rom. Erlebnisse der Selbstfindung, des Aufbruchs und der Befreiung aus gesellschaftlichen Fesseln. In: Christina Ujma: Wege in die Moderne – Reiseliteratur von Schriftstellerinnen und Schriftstellern des Vormärz. Bielefeld 2009, ISBN 978-3-89528-728-2.
- Thomas Lackmann: Das Glück der Mendelssohns – Geschichte einer deutschen Familie. Aufbau, Berlin 2005, ISBN 3-351-02600-5.
- Cécile Lowenthal-Hensel, Rudolf Elvers, Hans-Günter Klein und Christoph Schulte (Hrsg.): Mendelssohn-Studien. Mendelssohn-Gesellschaft, Berlin 1972 bis Hannover 2007
- Jutta Rebmann: Fanny Mendelssohn. Biographischer Roman. dtv, München 1997, ISBN 3-423-20081-2.
- Nancy B. Reich: The Power of Class – Fanny Hensel. In: R. Larry Todd, Mendelssohn and his World. University Press, Princeton 1991, ISBN 0-691-09143-9.
- Peter Schleuning: Fanny Hensel. Musikerin der Romantik. Köln u. a. 2007.
- Danielle Roster: Die großen Komponistinnen. Lebensberichte. Insel, Frankfurt am Main 1998, ISBN 3-458-33816-0. S.181–200.
- Monika Schwarz-Danuser: Fanny Hensel. In: Ludwig Finscher (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart.. Personenteil. Bd 11. Bärenreiter, Kassel 2004. Sp. 1538–1540.
- Sulamith Sparre: Eine Frau jenseits des Schweigens. Die Komponistin Fanny Mendelssohn-Hensel. Edition AV, Lich 2006, ISBN 3-936049-60-2.
- Françoise Tillard: Die verkannte Schwester. Die späte Entdeckung der Komponistin Fanny Mendelssohn Bartholdy. Knaur, München 1996, ISBN 3-426-75095-3
- R. Larry Todd: Fanny Hensel: The other Mendelssohn. Oxford University Press, Oxford 2010, ISBN 978-0-19-518080-0.
- Eva Weissweiler: Komponistinnen aus 500 Jahren – Eine Kultur- und Wirkungsgeschichte in Biographien und Werkbeispielen. Frankfurt am Main 1981, ISBN 3-596-23714-9.
- Eva Weissweiler (Hrsg.): Fanny Mendelssohn. Italienisches Tagebuch. Frankfurt am Main 1983, ISBN 3-7973-0392-0.
- Eva Weissweiler (Hrsg.): Fanny und Felix Mendelssohn. Briefwechsel. Berlin 1997, ISBN 3-549-05528-5
- Verzeichnisse
- Renate Hellwig-Unruh: Fanny Hensel geb. Mendelssohn Bartholdy. Thematisches Verzeichnis der Kompositionen. Dissertation TU Berlin 1999. Kunzelmann, Adliswil 2000, ISBN 3-9521049-3-0.
Weblinks
Commons: Fanny Mendelssohn – Album mit Bildern und/oder Videos und Audiodateien- Werke von und über Fanny Hensel im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Noten, Partituren und Auszüge zu Kompositionen von Fanny Hensel im International Music Score Library Project
- Informationen zu Fanny Hensel im BAM-Portal
- Fanny Hensel beim Projekt MUGI – Musik und Gender im Internet, Hochschule für Musik und Theater Hamburg
- Dokumentationen zu Fanny Hensel beim Furore-Musikverlag
- Datenblatt und Werkverzeichnis bei klassika.info
- Biographie Fanny Hensel bei FemBio
Einzelnachweise
- ↑ Bilder des Hamburger Denkmals. Abgerufen am 10. Februar 2011.
- ↑ Der Kleinplanet Fannyhensel beim Jet Propulsion Laboratory. Abgerufen am 9. Februar 2011.
- ↑ Vollständiges Verzeichnis
Wikimedia Foundation.