- Fermis Goldene Regel
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Fermis Goldene Regel, benannt nach dem Physiker Enrico Fermi, ist ein Begriff der zeitabhängigen quantenmechanischen Störungstheorie. Die Regel beschreibt die Übergangsrate (Übergangswahrscheinlichkeit pro Zeit) eines Zustandes in einen anderen Zustand unter einer äußeren Störung. Wird ein Anfangszustand einer äußeren Störung V ausgesetzt, so ist die Wahrscheinlichkeit pro Zeiteinheit in den Endzustand in einem Energiekontinuum überzugehen, in erster Näherung durch
gegeben. Gleichzeitig gibt sie die mittlere Anzahl der Übergänge pro Sekunde an (Übergangsrate). Dabei ist das reduzierte plancksche Wirkungsquantum, ρ(Ef) die Zustandsdichte der Endzustände und Vfi das zu diesem Übergang gehörende Matrixelement des Störoperators.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Der störungstheoretische Formalismus der „Goldenen Regel“ wurde schon 1927 von Gregor Wentzel in einer Arbeit zur Berechnung der Übergangswahrscheinlichkeit für den (strahlungslosen) Auger-Meitner-Effekt in Atomen verwendet[1], also bei einem Übergang zunächst von diskreten Zuständen im Atom in den kontinuierlichen Bereich des Spektrums.[2] Nach Fermi ist die Regel benannt, da er sie 1950 in einem Kernphysik-Lehrbuch als „Second Golden Rule“[3] aufführte. Für eine ausführliche Darlegung verwies Fermi auf das Lehrbuch Quantum Mechanics von Leonard Schiff (1949), der die entsprechende Formel[4] aus der zeitabhängigen Störungstheorie nach Paul Dirac entwickelte und damals noch nicht nach Fermi benannt hatte, was er aber in späteren Auflagen nachholte.[5][6] In der Literatur finden sich aber manchmal auch die Bezeichnungen Wentzel-Fermi Golden Rule und Fermi-Wentzel Golden Rule.
Als Golden Rule Nr.1 wird bei Fermi[7] der Einsatz des Terms 2. Ordnung Störungstheorie für Übergänge bezeichnet, die direkt unterdrückt sind.
Anwendungen
Auf Grund ihrer allgemeinen Gültigkeit können für Fermis Goldenen Regel vielfältige Anwendungen gefunden werden, z. B. in der Atomphysik, Kernphysik und Festkörperphysik bei der Absorption und Emission von Photonen, Phononen oder Magnonen.
Herleitungsskizze
Die hier dargestellte Herleitung benutzt einen Störoperator, der ab einem bestimmtem Zeitpunkt einen konstanten Wert annimmt. Fermis Goldene Regel gilt allerdings auch allgemein für andere zeitabhängige Störoperatoren. Als Grundannahme wird ein zeitlich konstantes System mit exakt lösbarem Hamiltonoperator H0 durch einen zeitabhängigen Störoperator V erweitert:
- H(t) = H0 + VΘ(t)
Die Funktion Θ(t) ist dabei die Heaviside-Funktion die den Zeitpunkt der Störung festlegt. Dies nennt man auch sudden approximation. Für diesen Hamiltonoperator muss nun die zeitabhängige Schrödingergleichung
gelöst werden. Als Lösungsansatz wählt man ein , entwickelt nach den Eigenfunktionen des ungestörten Hamiltonoperators (mit Energie-Eigenwerten En) mit zeitabhängigen Koeffizienten
- .
Einsetzen von Hamiltonoperator und Ansatz für die Wellenfunktion in die Schrödingergleichung liefert nach einer Reihe von mathematischen Umformungen den Ausdruck
- ,
wobei ωfn eine Kurzschreibweise für darstellt. Diese Gleichung beschreibt, wie sich die Koeffizienten af(t) zeitlich ändern. Um diese Gleichung zu lösen wird eine lineare Näherung durchgeführt. Der Koeffizient af(t) des Endzustandes wird in erster Ordnung genähert. Außerdem wird angenommen, dass sich das System vollständig in einem bestimmten Anfangszustand befindet: an(t) = ai(t) = 1 und Vfn = Vfi. Die Summe ist nun nichtmehr von n abhängig und verschwindet. Nun kann die Gleichung integriert werden:
Dabei wurde benutzt, dass V für t < 0 gleich Null ist und für konstant. Als Ergebnis erhält man
- .
Die Wahrscheinlichkeit für einen Übergang von nach ist das Betragsquadrat . Durch die Zeit geteilt gibt es die Rate des Überganges an:
Um nun die totale Übergangsrate zu erhalten, muss man alle möglichen ωfi aufintegrieren, da es unendlich viele mögliche Endzustände gibt. Dies wird durch die Zustandsdichte
ausgedrückt. Das Integral über die Übergangsrate multipliziert mit der Zustandsdichte ergibt die totale Übergangsrate, dabei wird zusätzlich die Beziehung benutzt:
- .
Der Wert des Integrals ist π / 2 und somit ergibt sich schließlich Fermis Goldene Regel:
Literatur
Auf Grund ihrer Wichtigkeit für die quantenmechanische Störungstheorie wird Fermis Goldene Regel in den meisten einführenden Büchern zur Quantenmechanik behandelt.
- J.J. Sakurai: Modern Quantum Mechanics. Addison-Wesley, 1994, ISBN 0-201-53929-2.
- W. Greiner: Quantenmechanik Teil I - Eine Einführung. 4. Auflage. Harry Deutsch, Thun 1989, ISBN 978-3-81711-064-3.
Weblinks
- Transition Probabilities and Fermi's Golden Rule
- Ausführliche Herleitung (PDF, engl.)
- Freier Matlab-Code zur Visualisierung der Regel
Einzelnachweise
- ↑ Sie findet sich auch in Wentzel Quantum theory of radiation, Oxford University Press 1936, 1944, S. 90, Gleichung (42)
- ↑ Gregor Wentzel: Über strahlungslose Quantensprünge. In: Zeitschrift für Physik. 43, Nr. 8, 1927, S. 524–530, doi:10.1007/BF01397631.
- ↑ Enrico Fermi: Nuclear Physics. University of Chicago Press, 1950, S. 142.
- ↑ Schiff Quantum Mechanics, McGraw Hill 1968, S. 285, Gleichung (35.14)
- ↑ Die Behandlung findet sich auch in Wolfgang Pauli The General Principles of Quantum Mechanics, Springer 1980, Gleichung (10.21), S.85, der Übersetzung des Artikels von Pauli 1958 in der von Siegfried Flügge herausgegebenen Enzyklopädie der Physik (dort S. 81), die wiederum auf dem Artikel Paulis über Wellenmechanik in Geiger, Scheel Handbuch der Physik von 1933 beruht. Pauli verweist in diesem Zusammenhang nur auf Dirac 1926/27 (für die allgemeine Methode der Variation der Konstanten in der Störungstheorie) und nicht auf Fermi.
- ↑ In Dirac Quantum Mechanics, Clarendon Press 1958 (zuerst 1930), findet sich die Goldene Regel in Paragraph 46, S. 180, Gleichung (39), wobei ein Faktor der der Energie-Dichte der Endzustände entspricht implizit in der Gleichung ist
- ↑ Fermi, loc. cit. S. 136
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