Flächenkonkurrenz

Flächenkonkurrenz

Als Flächenkonkurrenz wird allgemein die Konkurrenz um Fläche durch verschiedene Nutzungsformen bezeichnet, insbesondere in Bezug auf landwirtschaftliche Nutzflächen. Im Mittelpunkt steht die Konkurrenz zwischen dem Anbau von Energiepflanzen zur Erzeugung von Bioenergie und dem Anbau von Nahrungs- und Futtermitteln.

Inhaltsverzeichnis

Kritikpunkte in den 2010er Jahren

In den Jahren 2007/2008 stiegen die Weltmarktpreise für Grundnahrungsmittel sprunghaft an (Nahrungsmittelpreiskrise 2007–2008). Verschiedene Stimmen führten die Preissteigerung auf die erhöhte Bioenergie-Nachfrage durch Europa und die USA zurück. [1][2][3] In mehreren Ländern kam es zu Hungeraufständen. In Mexiko führten die steigenden Maispreise zu Massendemonstrationen (Tortilla-Krise). Die stark gestiegene Verwendung von Mais zur Bioethanolerzeugung in den USA galt als wichtiger Grund für den starken Anstieg des Tortilla-Preises in Mexiko.[4] [5] Kritiker sprachen von einer Konkurrenz zwischen "Tank" und "Teller" (also zwischen Biokraftstoffen und Nahrungsmitteln).[6] [7]

Der Preisanstieg war durch mehrere Faktoren bedingt. Neben der erhöhten Bioenergie-Nachfrage spielten weitere Faktoren eine Rolle: das Wachstum der Weltbevölkerung, der stark ansteigende Fleischkonsum insbesondere in bevölkerungsreichen Schwellenländern wie China und Indien, eine Folge von Missernten und Dürren, die Verteuerung von Düngemitteln (infolge hoher Erdölpreise), sowie Spekulationen an den Warenterminbörsen.[8][9][2] Laut einem IFPRI-Modell war die verstärkte Produktion von Biokraftstoffen für etwa 30 % des Preisanstiegs bei Getreide (insbesondere Mais) zwischen 2000 und 2007 verantwortlich.[10] Ähnliche Zahlen legte die Weltbank vor.[11]

Der UN-Sondergesandte für das Recht auf Nahrung, Jean Ziegler, bezeichnete die Herstellung von Bioethanol in einem Interview des Bayerischen Rundfunks als Verbrechen gegen die Menschheit (wörtlich: „Die Bio-Treibstoff-Fabrikation heute ist ein Verbrechen gegen die Menschheit.“) und hat den Anbau von Energiepflanzen als drohendes Massaker an den Menschen in Entwicklungsländern kritisiert. Gleichzeitig warnte er angesichts von rund 850 Millionen hungernden Menschen vor Unruhen und Aufständen. Der Anbau von Energiepflanzen wurde auch beim Frühjahrstreffen des Internationalen Währungsfonds als Gefahr für die Ernährung der Weltbevölkerung bezeichnet. Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul erklärte am Rande der Konferenz, dass die Erhöhung des Lebensmittelpreises um einen Prozentpunkt ungefähr 16 Millionen Menschen zusätzlich der Gefahr des Hungers aussetze. Weiter forderte sie eine Aussetzung der Bioethanolbeimischung.[12] Der Politikberater Wolfgang Gründinger betont hingegen, es sei überzogen und nicht korrekt, Biotreibstoffe für alle Fehlentwicklungen in der internationalen Landwirtschaft verantwortlich zu machen. Der Biosprit „kann gar nichts dafür, dass er an allem schuld ist. [Es gebe] keine richtigen Biokraftstoffe in einem falschen Weltwirtschaftssystem“.[13]

Potenziale

Laut dem von der Agentur für Erneuerbare Energie[14] im Januar 2010 vorgelegten Potenzialatlas Erneuerbare Energie[15] wird der für Bioenergie benötigte Flächenbedarf in Deutschland von heute 1,6 Millionen Hektar auf 3,7 Millionen Hektar im Jahr 2020 ansteigen, wobei 15 % des gesamten deutschen Strom-, Wärme- und Kraftstoffbedarfs durch Bioenergie gedeckt werden kann. Die Versorgung mit Lebensmitteln sei dabei zu keinem Zeitpunkt gefährdet. "Trotz des steigenden Anteils der Bioenergie gibt es jedes Jahr deutliche Überschüsse bei der Getreideernte in Deutschland und der EU", so Daniela Thrän vom Deutschen Biomasseforschungszentrum (DBFZ). "Die Produktivität in der Landwirtschaft steigt im Schnitt weiter an. Hinzu kommen Reststoffe wie Stroh, Gülle oder Restholz sowie brachliegende Flächen – das Potenzial bei Bioenergie ist also immer noch sehr groß."[16]

Weltweit werden nach Schätzungen der Welternährungsorganisation FAO auf rund 30 Millionen Hektar (ca. 2 % der weltweiten Ackerfläche) Energiepflanzen angebaut. Gegenwärtig werden lediglich 5 % der globalen Getreideernte zur Herstellung von Biokraftstoffen genutzt.[17] Von der europäischen Getreideernte werden nur 1,6 % für Biokraftstoffe genutzt. Der überwiegende Teil (58 %) wird für Viehfutter verwendet.[18] Angesichts dieser Größenverhältnisse ist die Nutzungskonkurrenz zwischen Nahrungs- und Energiepflanzenanbau derzeit nicht akut. Verschiedene Agrarwissenschaftler betonen, die primäre Nutzungskonkurrenz bestehe momentan nicht zwischen „Teller und Tank,“ sondern zwischen „Teller und Trog“. „Bei beispielsweise 8 kg Getreide, die zur Erzeugung von 1 kg Rindfleisch verwendet werden, spitzt sich dabei insbesondere die Konkurrenz zwischen Teller und Trog immer mehr zu“, so etwa Wilfried Bommert, Autor des Buches Kein Brot für die Welt.[19]

Bei anhaltend starkem Ausbau ist zukünftig jedoch mit einer wachsenden Nutzungskonkurrenz zu rechnen.[2][20] Dies hätte möglicherweise erhöhte Nahrungsmittelpreise zur Folge. Höhere Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse werden aber mittelfristig als positiv für die Landwirtschaft – insbesondere in Entwicklungsländern – gesehen. Derzeit sind die heimischen Erzeugnisse oft nicht konkurrenzfähig gegenüber den subventionierten und somit billigeren Agrarimporten aus Industrieländern, so dass Landwirte erwerbslos werden und Agrarflächen nicht wirtschaftlich genutzt werden können.[21][2]

Durch Nutzung von degradierten Flächen sowie durch Nutzung von landwirtschaftlichen Reststoffen ist eine Verringerung der Flächenkonkurrenz möglich.[22] Auch bei der perspektivischen Herstellung von Treibstoffen aus pflanzlichen Abfällen (Cellulose-Ethanol, BtL-Kraftstoff) ist die Nutzungskonkurrenz deutlich geringer.

Folgen in Deutschland

Die Nutzungskonkurrenz führt auch in Deutschland zu einem Preisanstieg für diese Produkte. Auch stark steigende Pacht- oder Kaufpreise für landwirtschaftliche Flächen sind ebenfalls häufig zu beobachten, wie in einzelnen Regionen Deutschlands, in denen der Anbau von Energiemais stark zugenommen hat. [23]

Wird für Palmölplantagen Urwald gerodet ist der PME 2,5-mal so klimaschädlich wie Diesel aus fossilem Erdöl. Waxchsen die Palmen auf vorher nicht genutztem Grasland verbessert sich die Klimabilanz[24]

Strategien zur Entschärfung

Koppel- und Kaskadennutzung

Kann ein Erzeugnis mit seinen Nebenprodukten verschiedenen Nutzungen parallel zugeführt werden, so bezeichnet man dies als Koppelnutzung. Ein Beispiel ist die Verwendung von Rapsöl als Lebensmittel oder Energieträger und die Nutzung des Rapskuchens oder des Rapsextraktionsschrotes als Futtermittel. Unter Kaskadennutzung versteht man dagegen eine hintereinander geschaltete stoffliche und energetische Nutzung, wobei die energetische Nutzung (Verbrennung) erst am Ende des Produktzyklus steht. Beide Strategien führen zu einer Erhöhung der Wertschöpfung je Fläche und damit zu einer Entschärfung der Flächen- bzw. Nutzungskonkurrenz. Angewandte Forschung auf diesem Gebiet wird daher vom BMELV im Rahmen des Förderprogramms Nachwachsende Rohstoffe der Bundesregierung gefördert.[25]

Zertifizierung

Um die Inanspruchnahme und Zerstörung natürlicher Ökosysteme zu begrenzen wurde in der EU-Richtlinie 2009/28/EG (Erneuerbare-Energien-Richtlinie) der Europäischen Union gefordert, dass Biomasse zur Nutzung als Biokraftstoff und zur Erzeugung von Bioenergie künftig bestimmte Nachhaltigkeitskriterien erfüllen müsse, wie ein Mindesteinsparpotential für Treibhausgase, Erhaltung der Biodiversität, Einhaltung von Sozialstandards. In Deutschland wurde diesen Vorgaben für den Bereich der Stromherstellung durch die Biomassestrom-Nachhaltigkeitsverordnung vom 29. Juli 2009 entsprochen. Analog dazu wurde die Biokraftstoff-Nachhaltigkeitsverordnung vom 30. September 2009 (BGBl. I 3182) erlassen.[26] Darüber hinausgehend fordert der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen einen globalen Landnutzungsstandard, d.h. einen Standard zur Nachhaltigkeit der Landnutzung der sämtliche Nutzungsarten (Nahrungs- und Futtermittel, energetische und stoffliche Nutzung) einschließt.[27] [28]

Literatur

Einzelnachweise

  1. http://www.nachhaltigkeitsrat.de/index.php?id=3520
  2. a b c d OECD: Growing bio-fuel demand underpinning higher agriculture prices, says joint OECD-FAO report, 4. Juli 2007; bezogen auf OECD-FAO: OECD-FAO Agricultural Outlook 2007-2016 (PDF; 779 KB)
  3. Mitchell, Donald: A Note on Rising Food Prices. April 8, 2008
  4. - Bericht zur Tortilla-Krise, Heise Online, 29. Januar 2007
  5. Hildegard Stausberg: Ethanol-Durst der USA löst Tortilla-Krise aus. In: Die Welt Online. 5. Februar 2007
  6. Viktoria Thumann: Agro-Sprit: Antriebsmittel für den Welthunger. Auf Greenpeace.de, 16. Oktober 2007
  7. Sigrid Totz: Nein, Agrosprit ist nicht bio. Greenpeace, 10. März 2008
  8. Themenheft "Anbau von Energiepflanzen"
  9. Meldung des Nachhaltigkeitsrates
  10. [1]
  11. Silvia Liebrich: Die Weltbank und der Streit um Biosprit. In: Süddeutsche Zeitung. 4. Juli 2008
  12. Hungerkrisen durch Lebensmittel-Verteuerung? BR-Online, 13. April 2008
  13. Rede von Wolfgang Gründinger beim Bioenergie-Symposium 2011 in Düsseldorf
  14. http://www.unendlich-viel-energie.de
  15. erster-potenzialatlas-erneuerbare-energien
  16. Potenzialatlas Erneuerbare Energien
  17. FAO/Töpfer zitiert nach Agentur für Erneuerbare Energien: Der volle Durchblick in Sachen Bioenergie. Berlin 2008, S. 6
  18. EU Cereal Management Committee 2008
  19. Grüner Runder Tisch für artgerechte Tierhaltung
  20. UN-Energy: Sustainable Bioenergy. A Framework for Decision Makers (S. 36 PDF; 1,01 MB)
  21. n-tv.de: Ohne Biosprit geht es nicht, Interview mit Uwe Lahl, 2. April 2009
  22. Agentur für Erneuerbare Energien: Globale Bioenergienutzung – Potenziale und Nutzungspfade. Berlin 2009, S. 9
  23. D. Breuer 2007: Der Wettbewerb um die Nutzung landwirtschaftlicher Flächen: Nachwachsende Rohstoffe zur energetischen Nutzung contra Veredlungswirtschaft, ISN - Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands e.V.
  24. VDI-nachrichten: Biokraftstoffe sind weltweit ein Hit. 9. September 2011, Heft 36, S.10.
  25. Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV): Bekanntmachung über die Förderung der angewandten Forschung auf dem Gebiet der nachwachsenden Rohstoffe im Rahmen des Förderprogramms „Nachwachsende Rohstoffe“ der Bundesregierung zum Schwerpunkt „Innovative Mehrfachnutzung von nachwachsenden Rohstoffen, Bioraffinerien“ vom 24. April 2008, Online.
  26. Verordnung über Anforderungen an eine nachhaltige Herstellung von Biokraftstoffen (Biokraftstoff-Nachhaltigkeitsverordnung - Biokraft-NachV) vom 30. September 2009 BGBl. I 3182
  27. Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) 2008: Zukunftsfähige Bioenergie und nachhaltige Landnutzung
  28. Film zur Nachhaltigkeitsverordnung

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужен реферат?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Nutzungskonkurrenz — Als Flächenkonkurrenz wird allgemein die Konkurrenz um die Ressource Fläche bei verschiedenen Nutzungsformen bezeichnet, insbesondere in Bezug auf landwirtschaftliche Nutzflächen. Flächenkonkurrenz entsteht zwangsläufig durch die Knappheit des… …   Deutsch Wikipedia

  • Tortilla-Krise — Als Flächenkonkurrenz wird allgemein die Konkurrenz um die Ressource Fläche bei verschiedenen Nutzungsformen bezeichnet, insbesondere in Bezug auf landwirtschaftliche Nutzflächen. Flächenkonkurrenz entsteht zwangsläufig durch die Knappheit des… …   Deutsch Wikipedia

  • Bioethanol — Andere Namen Ethanol, Äthanol, Äthylalkohol, Ethylalkohol, Alkohol, Agraralkohol, Agro Ethanol, Spiritus, Kartoffelsprit, Weingeist, E100 …   Deutsch Wikipedia

  • Bioenergie — Als Bioenergie bezeichnet man Energie, die aus Biomasse gewonnen wird. Dabei werden verschiedene Energieformen wie Wärme, elektrische Energie oder auch Kraftstoff für Verbrennungsmotoren eingeschlossen. Meist wird auch Biomasse, in der die… …   Deutsch Wikipedia

  • Bio-Ethanol — Ethanol Andere Namen Bio Ethanol, Äthanol, Äthylalkohol, Ethylalkohol, Alkohol, Agraralkohol, Spiritus, Kartoffelsprit, Weingeist, E100 Kurzbeschreibung Kraftstoff für angepasste Otto Motoren Herkunft biosynthetisch[1] Charakteristische Bes …   Deutsch Wikipedia

  • Biogasmais — Mais (Zea mays) Als Energiemais wird Mais bezeichnet, der zur Energieerzeugung in Biogasanlagen angebaut wird. Da Mais als C4 Pflanze einen geringen Wasserbedarf hat und nur mäßige Ansprüche an den Boden stellt, ist sie in Deutschland eine… …   Deutsch Wikipedia

  • Biokraftstoff — Rapsfelder, in Deutschland ist Rapsöl für die Biokraftstoffherstellung bedeutend …   Deutsch Wikipedia

  • Biomasse — Tropischer Regenwald in Amazonien, Brasilien; Biomasse entsteht hier sowohl im Wald als auch im Gewässer …   Deutsch Wikipedia

  • DIN 51625 — Ethanol Andere Namen Bio Ethanol, Äthanol, Äthylalkohol, Ethylalkohol, Alkohol, Agraralkohol, Spiritus, Kartoffelsprit, Weingeist, E100 Kurzbeschreibung Kraftstoff für angepasste Otto Motoren Herkunft biosynthetisch[1] Charakteristische Bes …   Deutsch Wikipedia

  • E5-Kraftstoff — Ethanol Andere Namen Bio Ethanol, Äthanol, Äthylalkohol, Ethylalkohol, Alkohol, Agraralkohol, Spiritus, Kartoffelsprit, Weingeist, E100 Kurzbeschreibung Kraftstoff für angepasste Otto Motoren Herkunft biosynthetisch[1] Charakteristische Bes …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”