Forensische Psychiatrie

Forensische Psychiatrie

Die Forensische Psychiatrie ist ein Teilgebiet der Psychiatrie, welches sich mit der Behandlung, der Begutachtung und mit der Unterbringung von psychisch kranken Straftätern befasst.

Im engeren Sinn befasst sich die Forensische Psychiatrie mit den Fragen, die von Gerichten und Behörden im Gebiet der Psychiatrie gestellt werden. Aus diesem Grund hat die Begutachtungskunde in der Forensischen Psychiatrie eine wesentlich größere Bedeutung als in anderen medizinischen Fachgebieten. Die gutachterliche Beurteilung umfasst z. B. die Beurteilung der Schuldfähigkeit von Straftätern.

Fehlt den Richtern die entsprechende Sachkenntnis in einem Fachgebiet, so beauftragen sie Gutachter zur Feststellung eines Sachverhalts, z. B. ob ein mutmaßlicher Täter zum Tatzeitpunkt in der Lage war, das Verwerfliche an seinem Handeln zu erkennen und nach dieser Erkenntnis zu handeln. Sofern diese Fragen von dem Gutachter verneint werden, entscheidet sich der Richter (Letztentscheidungsbefugnis) nach einer Prüfung des Gutachtens auf Plausibilität und abhängig von der Schwere der Schuld für eine Verurteilung zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Diese Maßnahme nennt man Maßregelvollzug in Abgrenzung zum Strafvollzug. Zurzeit sind in Deutschland über 10.000 Personen[1] in Krankenhäusern des Maßregelvollzuges untergebracht.

Das deutsche Strafgesetzbuch sieht drei Arten der Unterbringung vor: §63, §64 und §66 StGB. Die Unterbringung stellt eine präventive Maßnahme durch den Gesetzgeber dar und steht weder mit der Behandlungsprognose des Untergebrachten noch mit den Behandlungsmöglichkeiten innerhalb der Maßregelvollzugsanstalt in einer Beziehung. Die Behandlung von Patientinnen und Patienten, welche nach §63 und §64 StGB in fachpsychiatrischen Krankenhäusern untergebracht sind, unterscheidet sich grundsätzlich nicht von einer Behandlung von psychisch kranken Patientinnen und Patienten in der Normalversorgung.

Inhaltsverzeichnis

Begutachtungskunde

In den von ihnen erstellten Gutachten beantworten forensische Psychiater Fragen aus dem Gebiet der Rechtsprechung. Der Auftraggeber des Gutachtens (zum Beispiel ein Richter oder ein Staatsanwalt) kommt also aus einem anderen Fachgebiet. Aus diesem Grund sind Verständlichkeit und Transparenz der Ausführungen im Gutachten eines forensischen Psychiaters von besonderer Bedeutung.

Die Gutachtertätigkeit des Psychiaters in bedeutenden Strafprozessen wird von den Medien und der Öffentlichkeit häufig mit großem Interesse verfolgt. Gegenüber dem psychiatrischem Gutachter entsteht dabei oft eine Erwartungshaltung, sein Gutachten solle die Motive des Täters oder die psychodynamischen Zusammenhänge einer Tat erklären und allgemeinverständlich darstellen.

Kriminalprognose

Neben der Beurteilung der Schuldfähigkeit kommt den prognostischen Aussagen des forensischen Psychiaters eine wichtige Bedeutung zu. Im Rahmen von kriminalprognostischen Gutachten wird auf der Grundlage aller vorhandener Informationen über eine Person, benannt, mit welcher Wahrscheinlichkeit dieser bestimmte, bereits straffällig gewordene Mensch in Zukunft erneut bestimmte rechtswidrige Handlungen begehen wird. Hierbei ist zu unterscheiden zwischen prognostischen Aussagen im erkennenden Verfahren (also etwa während eines Strafprozesses) und einer prognostischen Begutachtung in der Strafvollstreckung (etwa um zu klären, inwieweit die Voraussetzungen für eine nachträgliche Sicherungsverwahrung vorliegen).

Behandlung

Das Ziel einer Behandlung im Rahmen der forensischen Psychiatrie liegt in einer Minimierung des Risikos zukünftiger Straftaten. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass viele Patienten im Maßregelvollzug nicht nur bedingt durch ihre psychiatrische Erkrankung, sondern z. B. auch durch Entwicklungs- und Bildungsdefizite in ihrer Fähigkeit ein deliktfreies Leben zu führen eingeschränkt sind. Das Behandlungsangebot in einer forensischen Institution sollte daher ein breites Spektrum abdecken und etwa auch sozial-edukative Maßnahmen umfassen. Eine Therapie im forensischen Rahmen findet stets auch unter dem Aspekt der Risikoerfassung statt. Dies bedeutet, dass vom Patienten ausgehende Gefährdungsaspekte stets im Auge behalten werden müssen. Insofern bleiben Behandlung und Prognose in der forensischen Psychiatrie oft miteinander verbunden, da prognostische Fragestellungen, etwa bei Lockerungen oder Entlassungen, zwingend berücksichtigt werden müssen.

Diese Konstellation ist nicht unproblematisch, so besteht etwa die Gefahr, dass Unterbringungsbedingungen bzw. Lockerungsmaßnahmen zum Zweck der Therapiemotivation zweckentfremdet werden. Auch ist sowohl die Aufnahme einer psychiatrischen Therapie wie auch eine objektive Prognostik kaum zu gewährleisten, wenn sich der Therapeut eines bestimmten Patienten gegenüber der Aufsichtsbehörde regelmäßig auch zur Prognose dieses Patienten äußern soll.

Stellungnahmen nach §67 e StGB, welche von der Strafvollstreckungskammer eingefordert werden, sollen dann auch in erster Linie den vorhandenen Therapiefortschritt darstellen und beinhalten nicht die ausdrückliche Frage, ob bei einer Bewährungsentlassung mit erneuter Straffälligkeit zu rechnen ist.

Die Verantwortung für die Durchführung von Lockerungsmaßnahmen obliegt zwar vorwiegend der Maßregeleinrichtung. Die zuständigen Aufsichtsbehörden, wie die Staatsanwaltschaft, sind aber vor Durchführung zu informieren.

In Zweifelsfällen kann vor geplanten Lockerungsmaßnahmen die Maßregelvollzugsanstalt ein externes Gutachten zur gegenwärtigen Gefährlichkeitsprognose in Auftrag geben.

Lehrstühle für Forensische Psychiatrie

Kritik

Der frühere Präsident des Oberlandesgerichts Wien, Harald Krammer, sagte zur Presse: „Die Allmacht des Sachverständigen ist ein notwendiges Übel.“ Und: „Der Sachverständige stellt Augen und Ohren des Richters dar. Dort, wo das Wissen des Richters versagt, schaut er durch die Augen des Sachverständigen. Doch wie uns unsere Augen manchmal täuschen, täuschen uns die geliehenen Augen. Das ist fatal.“[2] B. WAGER (1989)[3] spricht von einer janusgesichtigen Anstaltspsychiatrie. Damit werde einerseits die Frage aufgeworfen, ob die Methoden Erfolg versprechen oder Scharlatanerie sind, und andererseits, ob sie eine gerechte oder einer ungerechte Behandlung darstellen. POLLÄHNE (1992)[4] beklagt, dass sich die therapeutischen Behandlungsmodelle der forensischen Psychiatrie in einem fortdauernden Experimentierstadium befänden. Es gäbe keine objektivierbaren Behandlungsmethoden. Die im Bereich der sonstigen Medizin verbreitete Behandlung „lege artis“ suche man besonders in der forensischen Psychiatrie vergebens.

Siehe auch

Literatur

  • Ulrich Venzlaff, Klaus Foerster: Psychiatrische Begutachtung. 5. Auflage. Urban & Fischer, 2008, ISBN 978-3-437-22901-5.
  • G. Stolpmann: Psychiatrische Maßregelbehandlung. Hogrefe Verlag, 2001.
  • Maren Lorenz: Kriminelle Körper - Gestörte Gemüter. Die Normierung des Individuums in Gerichtsmedizin und Psychiatrie der Aufklärung. Hamburg 1999, ISBN 3-930908-44-1.
  • T. Müller: Störungen der Impulskontrolle – Alter Wein in neuen Schläuchen? In: R. Baer (Hrsg.): Wege psychiatrischer Forschung. Festschrift zum 60. Geburtstag von Prof. Dr. Eberhard Lungershausen. Erlangen 1990, ISBN 3-88429-390-7.
  • Norbert Nedopil: Forensische Psychiatrie. Klinik, Begutachtung und Behandlung zwischen Psychiatrie und Recht. 3., überarb. und erw. Aufl. Stuttgart 2007, ISBN 978-3-13-103453-3.
  • Cornelia Schaumburg: Maßregelvollzug (Basiswissen). 2. Aufl. Psychiatrie-Verlag, Bonn 2005, ISBN 3-88414-334-4.
  • Friedhelm Schmidt-Quernheim, Thomas Hax-Schoppenhorst: Professionelle forensische Psychiatrie. Behandlung und Rehabilitation im Maßregelvollzug. 2. Aufl. Bern 2008, ISBN 978-3-456-84582-1.
  • Tondorf/Tondorf: Psychologische und psychiatrische Sachverständige im Strafverfahren. 3. Auflage. C.F. Müller Heidelberg 2011. ISBN 978-3-8114-3655-8.
  • Erich Wulff: Das Unglück der kleinen Giftmischerin und zehn weitere Geschichten aus der Forensik. 2. Aufl. Psychiatrie-Verlag, Bonn 2006, ISBN 3-88414-390-5.
  • Die Zentren für Psychiatrie in Baden-Württemberg (Hrsg.): Forensik-Fibel. Kleines ABC des Maßregelvollzugs. 2. Auflage. 2003.
  • SCHWERPUNKT "FORENSISCHE PSYCHIATRIE" (WEITERBILDUNGSORDNUNG FÜR ÄRZTE). In: Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie.
  • Kröber, Dölling, Leygraf, Sass: "Handbuch der Forensischen Psychiatrie" Band 3, Psychiatrische Kriminalprognose und Kriminaltherapie, Steinkopff Verlag Darmstadt 2006. ISBN 3-7985-1442-9

Quellenangaben

  1. http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Publikationen/Fachveroeffentlichungen/Rechtspflege/KrankenhausMassregelvollzug,property=file.pdfin
  2. Die Presse, Tageszeitung für Österreich
  3. Wagner, Bernd; Sind psychiatrische Therapiemethoden gerecht? R&P 1989; Zweifelhafter Rechtschutz gegen zweifelhafte Therapiemaßnahmen R&P 1990
  4. Pollähne, Helmut: „Positive Rechte gegen negative Verstärker“, Recht & Psychiatrie, 1992

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