Erich Wulff

Erich Wulff

Erich Wulff (* 6. November 1926 in Tallinn, Estland; † 31. Januar 2010 in Paris) war ein deutscher Psychiater und Professor für Sozialpsychiatrie.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Erich Wulff ist in der damaligen Republik Estland aufgewachsen und wurde von den Nazis mit seiner Familie als „Baltendeutscher“ nach Posen umgesiedelt. 1944/45 war er Kriegsteilnehmer mit anschließender Kriegsgefangenschaft. Er studierte von 1947 bis 1953 Medizin und Philosophie an der Universität zu Köln, gefolgt von einem Studienaufenthalt in Frankreich. Seine Ausbildung zum Psychiater machte er an den Universitäten von Marburg und Freiburg im Breisgau. Von 1961 bis 1967 erfüllte er einen Lehrauftrag an der medizinischen Fakultät der Universität Huế in Vietnam; unter dem Pseudonym Georg W. Alsheimer berichtete er in einem damals vielbeachteten Buch über seine Erlebnisse. In Deutschland engagierte er sich in der antiimperialistischen Vietnam- und Friedensbewegung. Als erster Psychiater in leitender Position öffnete er Ende der 60er Jahre, weit vor jeder Psychiatriereform, die Türen einer geschlossenen Abteilung. Früh unterhielt er Kontakte zu Franco Basaglia und einer internationalen Gruppe von Psychiatern, die eine Reformierung der Psychiatrie für dringend erforderlich hielten.

Von 1968 bis 1974 arbeitete er als Oberarzt der Psychiatrie-Klinik am Universitätsklinikum Gießen, wo er sich 1969 habilitierte, und wurde Professeur associé an der Universität Paris VIII. 1974 wurde er auf die neu geschaffene Professur für Sozialpsychiatrie an der Medizinischen Hochschule Hannover berufen.

Wulff ist einer der Mitbegründer der deutschen Psychiatriereform. Seine speziellen Interessensgebiete waren Ethnopsychiatrie und Strukturanalyse des Wahnsinns, angeregt von Georges Devereux. Er war Redaktionsmitglied der marxistischen Zeitschrift Das Argument und der Zeitschrift Sozialpsychiatrische Informationen. 1994 erfolgte seine Emeritierung. 2003 zog er mit seiner Frau nach Paris.

Schriften

Als Georg W. Alsheimer

  • Vietnamesische Lehrjahre. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1968
    • um einen Nachbericht von 1972 ergänzt: Suhrkamp (st 73), Frankfurt am Main 1972
  • Eine Reise nach Vietnam. Suhrkamp (st 628), Frankfurt am Main 1979

Als Erich Wulff

  • Psychiatrie und Klassengesellschaft. Zur Begriffs- und Sozialkritik der Psychiatrie und Medizin. Athenäum, Frankfurt am Main 1972
  • Der Arzt und das Geld. Argument (SH 11; Nachdruck aus Das Argument 69/1971), Berlin 1978
  • Transkulturelle Psychiatrie. Argument (SH 23; Nachdruck aus Das Argument 50/1969), Berlin 1979
  • Psychiatrie und Herrschaft. Argument (SH 34; Nachdruck aus Das Argument 110,111/1978), Berlin 1979
  • Psychisches Leiden und Politik. Ansichten der Psychiatrie. Campus, Frankfurt am Main 1981
  • Wahnsinnslogik. Von der Verstehbarkeit schizophrener Erfahrung. Psychiatrie-Verlag (Edition das Narrenschiff), Bonn 1995
  • Irrfahrten. Autobiographie eines Psychiaters. Psychiatrie-Verlag (Edition das Narrenschiff), Bonn 2001
  • Das Unglück der kleinen Giftmischerin und zehn weitere Geschichten aus der Forensik. Psychiatrie-Verlag (Edition Balance), Bonn 2005

Herausgeberschaft

  • Ethnopsychiatrie. Seelische Krankheit, ein Spiegel der Kultur? Akademische Verlagsgesellschaft, Wiesbaden 1978

Literatur

  • Wolfgang Fritz Haug (Hg.): Fremde Nähe. Zur Reorientierung des psychosozialen Projekts. Festschrift für Erich Wulff. Argument (AS 152), Berlin/Hamburg 1987
  • Sozialpsychiatrie im Wandel. Zur Emeritierung von Erich Wulff. Psychiatrie-Verlag (Sozialpsychiatrische Informationen, Jg. 23, Heft 4), Bonn 1993

Weblinks


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