Französische Philosophie

Französische Philosophie

Inhaltsverzeichnis

Renaissance

Von einer nationalen Identität der Philosophie kann man auch in Frankreich erst mit der Bindung an einen Nationalstaat und der Bindung an eine eigene Sprache in etwa mit der Zeit der Renaissance reden. Prominente frühe Vertreter waren Jean Bodin, ein früher Denker des Staatsrechts, sowie Michel de Montaigne, der mit seinen Essais einen neuen literarischen Stil in die Philosophie einbrachte, der bis in die Gegenwart – vor allem in Frankreich – wirksam ist. Seine Themen waren der Mensch und die Moral.

17. Jahrhundert

Descartes

René Descartes in einem Porträt von Frans Hals, 1648

Einen grundlegenden Anstoß für die Philosophie überhaupt gab René Descartes, den man als den Begründer der Bewusstseinsphilosophie und des Rationalismus bezeichnen kann. René Descartes gilt oft als der wichtigste französische Philosoph überhaupt, so dass die Franzosen sich selbst oft als "cartésien" (cartesianisch) bezeichnen. Descartes ist ursprünglich ein Mathematiker, der die sog. analytische Geometrie begründet hat. Er hat dann aufgrund seiner Praxis als Mathematiker und seinen Reflexionen über die mathematische Arbeitsweise (in Reguluae ad directionem ingenii und im Discours de la méthode) eine neue Methode entwickelt, die er in vier Regeln im Discours zusammengefasst hat.

Pascal

Blaise Pascal

Blaise Pascal war ebenfalls ein Mathematiker ersten Ranges, der die Grundlagen der Wahrscheinlichkeitsrechnung entwickelte. Pascal sprach in Les Pensées dem Rationalismus ab, die Stellung des Menschen in der Welt erklären und zum Seelenfrieden beitragen zu können. Dies war für ihn nur in einer kontemplativen Ausrichtung auf den Glauben möglich.

Aufklärung

Der Schriftsteller und Astronom Pierre Bayle, der mit dem Dictionnaire historique et critique ein weit verbreitetes Wörterbuch schuf, Voltaire, mit seinen Schriften gegen Feudalismus und Absolutismus, Montesquieu als Begründer der Gewaltenteilung, der Mediziner La Mettrie als Vordenker des Materialismus, der Enzyklopädist Diderot, Condillac, der in Frankreich den Lockeschen Sensualismus vertrat, und Rousseau, der vor allem mit dem Bildungsroman Émile und der staatstheoretischen und religionskritischen Schrift Le Contrat social (=der Gesellschaftsvertrag) bekannt wurde, sind die herausragenden Vertreter der französischen Aufklärung.

19. Jahrhundert

Im 19. Jahrhundert entfaltete besonders Auguste Comte als Begründer des Positivismus und Impulsgeber für die Soziologie erhebliche Wirkung. Als eigentlicher Urvater der empirischen Sozialwissenschaften ist allerdings Emile Durkheim anzusehen. Die frühe, für die französische Philosophie traditionell werdende sozialistische Denkrichtung vertraten Henri de Saint-Simon, Charles Fourier und Pierre Joseph Proudhon. Im Bereich der Logik und der Erkenntnistheorie sind der herausragende Mathematiker Henri Poincaré sowie der Physiker Pierre Duhem als Begründer des Konventionalismus hervorzuheben. Eine hohe Wirkung entfaltete die Lebensphilosophie von Henri Bergson, die noch bis in die Gegenwart Motive für Positionen liefert, die sich kritisch mit der Rationalität der modernen Gesellschaft auseinandersetzen, insbesondere im Zeitbegriff der Dauer im Gegensatz zur empiristisch analytischen Zeit als Abfolge.

20. Jahrhundert

Im 20. Jahrhundert ist die französische Philosophie sehr stark geprägt durch Bezüge auf Edmund Husserl und Martin Heidegger, aber auch eine neue Rezeption von Friedrich Nietzsche. Ausgewiesene Phänomenologen waren Emmanuel Levinas, der eine Philosophie des Anderen, durch den das Selbstverhältnis bestimmt wird, entwickelte, ebenso wie Paul Ricoeur, der eine umfassende Analyse des Willens erarbeitete und neben Einflüssen auf die Existenzphilosophie vor allem die Hermeneutik in Frankreich hoffähig machte. Im Mittelpunkt der Phänomenologie von Merleau-Ponty standen Untersuchungen zur Wahrnehmung, Leiblichkeit, Sprache und Geschichte. Alexandre Koyre verband die Phänomenologie mit der Dialektik Hegels und einer existentialistischen Sichtweise und war so prägend für seinen Schüler Jean-Paul Sartre, der ausgehend von der Phänomenologie sein Konzept eines atheistischen Existentialismus begründete. Wie Sartre war Albert Camus Schriftsteller mit einer existentialistischen Grundhaltung.

Epistemologie und Wissenschaftsgeschichte

Es gibt eine spezifisch französische Tradition der historischen Epistemologie, für die neben Koyré und Duhem vor allem die Namen Gaston Bachelard und Georges Canguilhem stehen. An deren Arbeiten knüpfen später Althusser und Foucault an.

Der Einfluss des Strukturalismus

In der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts kamen wesentliche Anstöße für die französische Philosophie aus dem in der Linguistik von Ferdinand de Saussure entwickelten Strukturalismus, einem wissenschaftsorientierten Gegenkonzept zur Hermeneutik und der Sprachanalytischen Philosophie, der vor allem Anwendung in der ethnologischen Anthropologie von Claude Lévi-Strauss fand. Der Psychoanalytiker Jacques Lacan, der Freud radikalisierte und auch im Unbewussten eine symbolische Struktur sah, übernahm von Saussure und Roman Jakobson Begrifflichkeiten und deutet sie um. Louis Althusser, dem auch Bedeutung als Lehrer Foucaults zukommt, unterzog als bedeutender Vertreter der marxistischen Theorie die Texte von Marx einer strukturalistischen Lektüre. Er trug zur Theorie der Ideologie bei.

Poststrukturalismus

Vor allem ist der Strukturalismus Bezugspunkt für den Poststrukturalismus, der sich von der abstrakten und ahistorischen Sprachuntersuchung abwendet. Als einer der Begründer dieser Bewegung gilt Jacques Derrida, der stark von Georges Bataille und Maurice Blanchot beeinflusst wurde. Derridas Strategie der Dekonstruktion liegt eine erweitertes Verständnis von Text als allgemeiner Verweisungszusammenhang zugrunde. Sie verfolgt die Umkehrung und Verschiebung der Oppositionen, die die Metaphysik strukturieren. Als Lektüre von Texten (im engeren Sinn) geht sie mit "gleichschwebender Aufmerksamkeit" (Freud) vor, d.h. sie interessiert sich nicht nur für den Gang der Argumentation, sondern auch für scheinbar Nebnsächliches, das der sozusagen offiziellen These eines Textes widerspricht. Dabei ist das Ergebnis der Untersuchung wie in der Hermeneutik niemals abgeschlossen; im Gegensatz zur Hermeneutik geht es aber gerade nicht darum, einen Text auf das, was er sagen 'will', zu reduzieren.

Roland Barthes, der als Mitbegründer der Semiologie gilt, setzte die Dekonstruktion in den Bereichen Film und Mode ein. Jean Baudrillard setzte sich vor allem mit Fragen der modernen Medien, des Cyberspace, des Fundamentalismus und der Globalisierung auseinander.

Foucault

Neben Derrida war Michel Foucault eine der prägenden Figuren der modernen französischen Philosophie. Auch er wird dem Poststrukturalismus, aber auch der Postmoderne zugerechnet. Einer seiner Schlüsselbegriffe ist der Diskurs, unter dem er die Sprachregelung der Gesellschaft zu jeweils bestimmten Sachverhalten verstand. Von einem solchen Diskurs geht eine normierende Macht aus, die oftmals in der Ausgrenzung und Benachteiligung von Minderheiten wie Asylanten, psychisch Kranken oder Strafgefangenen gipfelt. Auch in der Philosophie der Vernunft, der Rationalität sah Foucault einen solchen ausgrenzenden Diskurs, der z.B. aufgrund nicht rationaler Verhaltensweisen aus dem Narren des Mittelalters einen psychisch Kranken macht, der nicht mehr in der Mitte der Gesellschaft steht, sondern in einer besonderen Einrichtung von der Gesellschaft ferngehalten wird. Gilles Deleuze war mit Foucault befreundet und hat keinen phänomenologischen oder strukturalistischen Hintergrund. Als Kritiker des Rationalismus befasste er sich intensiv mit Nietzsche und veröffentlichte zusammen mit Félix Guattari Arbeiten über „Kapitalismus und Schizophrenie“. Der Begriff der Postmoderne wurde eigentlich von Jean-Francois Lyotard geprägt, der sich für die Anerkennung eines radikalen gesellschaftlichen Pluralismus einsetzte. Als weitere Vertreter der Postmoderne sind zu nennen André Glucksmann, Bernard-Henri Lévy, Luce Irigaray, Julia Kristeva und Jean-Luc Nancy.

Institutionen

Die Philosophie profitiert in Frankreich von einer starken institutionellen Verankerung. So ist der Philosophieunterricht an den Gymnasien viel stärker verbreitet als in Deutschland. Auf avanciertem Niveau wird die Philosophie nicht nur an den Universitäten unterrichtet, sondern z.B. auch an der École normale supérieure und der École des Hautes Études en Sciences Sociales, wo Derrida unterrichtete, und an eigens dafür gegründeten Institutionen wie dem Collège international de philosophie. Auch Wissenschaftler anderer Disziplinen wie z.B. Claude Lévi-Strauss und Pierre Bourdieu hatten eine philosophische Ausbildung, was die transdisziplinäre Kommunikation erleichtert.

Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse

Ein wichtiges Merkmal der französischen Philosophie im 20. Jahrhundert ist die sehr intensive Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse. Dies gilt für so unterschiedliche Philosophen wie Althusser, Cornelius Castoriadis, Derrida, Foucault, Deleuze, Paul Ricoeur, Luce Irigaray u.a.

Literatur

  • Vincent Descombes: Das Selbe und das Andere. Fünfundvierzig Jahre Philosophie in Frankreich (1933-1978), Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1982
  • Die französische Philosophie im 20. Jahrhundert: Ein Autorenhandbuch, hrg. von Thomas Bedorf und Kurt Röttgers, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2009, ISBN 3534205510

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужно решить контрольную?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • französische Philosophie — französische Philosophie,   die Philosophie des französischen Sprachraums, insbesondere Frankreichs, der französisch sprachigen Schweiz und Belgiens, deren Träger im Mittelalter wegen der zentralen europäischen Bedeutung der Universität Paris zu… …   Universal-Lexikon

  • Französische Philosophie — Französische Philosophie, genauer die Franzosen, welche sich im Gebiete der Philosophie auszeichneten, zählen epochemachende Namen. Die Armuth an speculativen Köpfen wird unter ihnen durch einen großen Reichthum an Popularphilosophen aufgewogen,… …   Herders Conversations-Lexikon

  • Französische Philosophie — Französische Philosophie. Schon vom 12. Jahrh. an beeinflußten die Franzosen die abendländ. Philosophie, bis zur Mitte des 14. war Paris der Kampfplatz zwischen Scholastik und Mystik, zwischen Kirchenglauben und freier Forschung, und deren… …   Kleines Konversations-Lexikon

  • Französische Philosophie — Französische Philosophie, s.u. Französische Literatur …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Französische Literatur — Französische Literatur. Die s. L. hat zu zwei verschiedenen Zeiten ihren Einfluß über das ganze gebildete Abendland ausgedehnt. Zuerst geschah es im 12. und einem Teil des 13. Jahrh., als sie die europäischen Literaturen mit Stoffen der Erzählung …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Philosophie in der Schweiz — Philosophie gibt es in der Schweiz seit dem Mittelalter. In der frühen Neuzeit war Basel ein intellektuelles Zentrum. Zur Zeit der Aufklärung haben zweisprachige Schweizer Gelehrte eine Vermittlerrolle gespielt. Die Frage nach einer… …   Deutsch Wikipedia

  • Philosophie — Philosophīe (grch., »Liebe zur Weisheit«), auch Weltweisheit, die Wissenschaft von den Prinzipien des Erkennens und des Seins, erstrebt die Vereinigung alles menschlichen Wissens zur Weltauffassung; im Altertum in Dialektik, Physik und Ethik,… …   Kleines Konversations-Lexikon

  • Philosophie — Philosophie, griech., Liebe zur und Streben nach Weisheit, näher die denkende Betrachtung der Dinge, um dieselben in ihren letzten Gründen zu erklären oder Wissenschaft vom Absoluten, insofern die P. die höchsten Principien alles Seins und Lebens …   Herders Conversations-Lexikon

  • Französische Literatur — Französische Literatur. Obgleich auch die F. L. dem allgemein gültigen Gesetze, daß die Literatur eines Volkes nur das geistig durch Rede u. Schrift objectirte Nationalbewußtsein modificirt durch den Zeitgeist, also das Ergebniß des… …   Pierer's Universal-Lexikon

  • französische Literatur — französische Literatur,   die Literatur Frankreichs und die französisch sprachige Literatur Belgiens. Nach der Gliederung der französischen Sprachgeschichte unterscheidet man zwischen altfranzösischen (9. 14. Jahrhundert), mittelfranzösischen (14 …   Universal-Lexikon

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”