- Philosophie des 20. Jahrhunderts
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Das 20. Jahrhundert ist durch eine starke Heterogenität der philosophischen Strömungen geprägt gewesen. Viele Philosophen gehören im Laufe ihres Lebens mehreren „Schulen“ an, so dass sie nicht immer klar einer philosophischen Richtung zuzuordnen sind.
Eine größere Zäsur in der Philosophie des 20. Jahrhunderts bildete der Zweite Weltkrieg.
Außerphilosophische Impulse
Das 20. Jahrhundert war Schauplatz mehrerer physikalischer Umwälzungen. Eine erste kam vom Atomphysiker Max Planck mit der Veröffentlichung seiner Entdeckung des Wirkungsquantums genau im Jahre 1900. Grundlegenden Einfluss auf das philosophische Denken im 20. Jahrhundert nahm aber vor allem die Relativitätstheorie Einsteins, die eine völlige Erneuerung des Weltbildes zur Folge hatte. Mit Einstein wurde klar, dass die als unumstößlich geltenden Naturgesetze, hier die Mechanik Newtons, die über 200 Jahre aller Physik zugrunde lag, durch neue Theorien ablösbar sind. Raum und Zeit waren auf einmal nicht mehr absolut und können erst mit der Entstehung der Materie, d. h. des Kosmos entstanden sein. Eine der Grundansichten Einsteins war es, dass Theorien bestimmen, was man beobachten kann.
Die Weiterentwicklung dieser umwälzenden neuen Weltsicht führte durch Werner Heisenbergs Quantenmechanik und seine Unbestimmtheitsrelation sowie die Quantentheorie von Niels Bohr über die Konstitution von Atomen und Molekülen, nach der mit sich ausschließenden Versuchsanordnungen ein und dasselbe Objekt erfasst werden kann, zu der Erkenntnis, dass physikalische Phänomene nur mit Wahrscheinlichkeiten berechnet werden können. Hiernach war auf einmal die von Planck und Einstein (Gott würfelt nicht) noch als sicher angenommene Frage der Determination der physikalischen Welt wieder offen, was u.a. für die Diskussion in der Philosophie des Geistes von Bedeutung ist.
Bemerkenswert ist, dass diese Naturwissenschaftler, zu denen auch noch Erwin Schrödinger (Wellenmechanik), Wolfgang Pauli (Theorien entstehen durch das Verstehen empirischen Materials, durch das Schauen innerer symbolischer Bilder) sowie Carl Friedrich von Weizsäcker (Grundbedingung jeder Erfahrung ist die Zeit) zu zählen sind, nicht nur über ihre erkenntnistheoretischen Implikationen zumeist von einem platonischen Standpunkt aus nachdachten, sondern auch die moralisch–politischen Konsequenzen in philosophischen Arbeiten bedachten und zum Teil gegen den Strom publizierten.
Auch im Bereich der Tiefenpsychologie riefen Sigmund Freud, Alfred Adler und Carl Gustav Jung radikale Änderungen im Denken hervor. Wenn auch diese Theorien im Sinne von Wissenschaftlichkeit erheblicher Kritik ausgesetzt sind, spielen Triebe, Prägung und das Unterbewusste im Denken der Gegenwart eine erhebliche Rolle. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts schälte sich immer mehr die Biologie als die prägende Naturwissenschaft heraus. Wichtige Stichwörter sind die Evolution, Molekularbiologie, Gentechnik und Neurowissenschaften, deren theoretische Grundlagen wiederum Verschiebungen im Selbstverständnis des Menschen bedeuten.
Vergleicht man die Welt am Beginn und am Ende des 20. Jahrhunderts, so zeigt sich ein Bild extremer Umwälzungen in technischer, gesellschaftlicher und politischer Hinsicht. Als Reaktion auf Kriege ungeheuren Ausmaßes und das Phänomen des Völkermordes scheint Kants Idee vom Völkerbund als überstaatlicher Vertragsgemeinschaft zumindest eine Chance zu haben, auch wenn die nationalstaatlichen Egoismen in vieler Hinsicht noch ungebrochen sind. Eine Bedrohung scheint das außerordentliche Bevölkerungswachstum zu sein, dessen Konsequenzen zu Beginn des neuen Jahrtausends noch gar nicht absehbar sind. Aus der Klassengesellschaft des 19. Jahrhunderts ist eine Massen- und Konsumgesellschaft geworden, wo in den Industriestaaten kaum noch Sorge um die persönliche Existenz besteht, aber viele Ängste durch Arbeitslosigkeit an den Rand der Gesellschaft gedrängt zu werden. Demgegenüber gibt es Hunger und Not in den sog. unterentwickelten Ländern, denen aus den reichen Ländern unverhohlenes Desinteresse und Egoismus gegenüberstehen.
Als Konsequenz haben die naturwissenschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts auch neue Diskussionen in der Ethik hervorgerufen, wie sie in Fragen der Technikfolgen, der Genethik oder der Umweltethik zum Ausdruck kommen. So sieht sich die Menschheit mit der Massenvernichtung des Nationalsozialismus, den Atombomben von Hiroshima und Nagasaki, der Konfrontation von Hunger und extremen Reichtum, Umweltkatastrophen wie Tschernobyl oder einer drohenden Klimakatastrophe konfrontiert. Diese Problemlage wurde im 20. Jahrhundert geschaffen, ohne dass konkrete Lösungen in Aussicht sind. Aus philosophischer Sicht ist festzustellen, dass es nur wenige Beiträge gibt, die Lösungswege anstreben. Das philosophische Gespräch schwankt mehr zwischen kommentierender Analyse und theoretischem Diskurs. Als unermüdliche Kämpfer gegen den Gleichmut des Alltäglichen ragen Bertrand Russell, Albert Einstein, Albert Schweitzer, Theodor W. Adorno und Hans Jonas heraus.
Sprache als Paradigma der Philosophie des 20. Jahrhunderts
Wenn man die Philosophie des 20. Jahrhunderts trotz ihrer Vielfalt und Gegensätzlichkeit unter einem Rubrum zusammenfassen will, so ist es die Sprache, die sich durch fast alle philosophischen Positionen als prägendes Element hindurch zieht. Dies begann bei Gottlob Frege (der Satz als die kleinste Einheit der Bedeutung) und wurde vor allem durch Ludwig Wittgenstein (Alle Philosophie ist Sprachkritik – Der Gedanke ist der sinnvolle Satz) zum „linguistic turn“ in der Sprachphilosophie. Gemeinsam mit dem Ansatz der analytischen Philosophie (Bertrand Russells Theorie der Kennzeichnungen) führte dies zu einem völlig neuen Blickwinkel auf die Philosophie. Doch auch schon bei Edmund Husserl ist die sprachliche Erschließung der untersuchten Gegenstände ein wesentlicher Baustein der Phänomenologie. Maurice Merleau-Ponty sieht in der Sprache eine besondere Gebärde. Die Philosophische Anthropologie befasst sich mit dem Menschen als sprachbegabtem Wesen (Max Scheler, Helmuth Plessner). Für Ernst Cassirer ist die Sprache als symbolische Form der Ausgangspunkt zur Erschließung der Kultur und des Menschen.
Martin Heidegger ist bekannt für seinen exaltierten Umgang mit der Sprache. Für ihn war die Rede das Existenzial des Sprechens. Die Hermeneutik wurde von Hans-Georg Gadamer zu einer eigenständigen Sprachphilosophie ausgebaut. Im Logischen Empirismus wurde versucht eine eigenständige Wissenschaftssprache mit logischer Konsistenz zu entwickeln (Rudolf Carnap). Karl Popper nahm in seinen Kritischen Rationalismus Grundelemente des Sprachforschers Karl Bühler auf. George Edward Moore hingegen prägte die Ordinary Language Philosophy, mit der er auch Einfluss nahm auf die pragmatische Wende Wittgensteins, der mit der Gebrauchssprache und dem Sprachspiel erneut ein neues Paradigma schuf, das von den Oxfordern Gilbert Ryle und John Langshaw Austin mit der Theorie der Sprechakte aufgenommen wurde. John Searle entwickelte hierzu eine Bündeltheorie der Referenz und Noam Chomsky trug zur Diskussion mit seiner Theorie der Generativen Grammatik bei.
In Frankreich erfolgte die linguistische Prägung durch den Strukturalismus (Saussure) und Poststrukturalismus (Jacques Derrida), den Michel Foucault in die ebenfalls textorientierte Postmoderne führte, die bis zur dekonstruktivistischen feministischen Philosophie bei Judith Butler reicht. Die analytische Sprachphilosophie findet ihre Fortsetzung in Fred Dretskes Erklärung der Repräsentation mit Hilfe des Informationsbegriffs, in Donald Davidsons Bedeutungstheorie der Wahrheitsbedingungen und in der Sprachpragmatik von Robert Brandom, Richard Rorty und Hilary Putnam.
In Deutschland findet man als eigenständige These die transzendentale Sprachpragmatik von Karl-Otto Apel, auf die die Diskursphilosophie von Jürgen Habermas ein Reflex ist. Zu nennen ist weiterhin die logische Propädeutik der Erlanger Schule (Paul Lorenzen). Sprache als symbolische Form erlebt eine Wiederbelebung und in eine ähnliche Richtung zielt der Interpretationismus von Hans Lenk und Günter Abel.
Philosophische Geschichts- und Kulturkritik
Oswald Spengler (1880–1936) war ein deutscher Geschichtsphilosoph und Kulturhistoriker, dessen Hauptthema die morphologische Sicht der Welt als Geschichte ist. Diese ist in seinem philosophischen Hauptwerk als monumental ausgearbeitete Theorie fokussiert. Zentrale Thesen sind dabei die Unfähigkeit seiner Zeit, kreativ zu wirken, die daraus folgende Verpflichtung des Bewahrens der von früheren Generationen geschaffenen Kultur, die Bewährung angesichts der politischen Herausforderungen in Zeiten des Verfalls, bei dem der „Blick über die Kulturen hin“ den Weg weisen soll. Erkenntnistheoretisch berief er sich dabei auf Goethe. Ein weiterer Vertreter der philosophischen Geschichts- und Kulturkritik war der spanische Philosoph, Soziologe und Essayist José Ortega y Gasset (1883–1955), der als Kulturphilosoph auf Friedrich Nietzsche, Wilhelm Dilthey und der Lebensphilosophie aufbaute.
Transzendental-Phänomenologie
Edmund Husserl (1859–1938) ist der Begründer der Phänomenologie, einer als „strenge Wissenschaft“ auftretenden Philosophie, die ihn zu einem der einflussreichsten Denker des 20. Jahrhunderts machte. Er forderte die Philosophen auf, sich der vorschnellen Weltdeutung zu enthalten und bei der analytischen Betrachtung der Dinge an das zu halten, was dem Bewusstsein unmittelbar erscheint. Dabei brach er mit dem um 1900 noch vorherrschenden Psychologismus, der die Gesetze der Logik als Ausdruck der psychischen Gegebenheiten sah, die eine Objektivität unmöglich machten.
Er glänzte weniger als akademischer Lehrer, sondern philosophierte in ungewöhnlich hohem Maße schreibend, ca. 40.000 Seiten, die mit seinen Analysen gefüllt sind, werden seit 1950 nach und nach als „Husserliana“ aus seinem Nachlass herausgegeben. Husserl-Schüler waren Edith Stein, Dietrich von Hildebrand, Ludwig Landgrebe und Roman Ingarden. Den größten Einfluss übte er auf die Existenzphilosophen und Phänomenologen Martin Heidegger, Emmanuel Levinas, Maurice Merleau-Ponty und Jean-Paul Sartre aus.
In der Soziologie wurden seine Gedanken vor allem in Arbeiten von Georg Simmel, Alfred Schütz, zuletzt auch von Heinrich Rombach fortentwickelt. Die Phänomenologie beeinflusste die materiale Wertethik als Wesensanalytik des Ethischen (Moritz Geiger, Hans Reiner, Max Scheler), fand Eingang in die Psychologie (Alexander Pfänder) und die Rechtswissenschaften (Adolf Reinach).
Kritischer Realismus
Vertreter des kritischen Realismus gehen von der erkenntnistheoretischen Position aus, dass eine reale Welt existiert, nehmen jedoch im Gegensatz zum naiven Realismus nicht an, dass diese sich objektiv so darstellt, wie sie dem Menschen erscheint. Vielmehr ist die Erkenntnis der realen Welt durch die Art und Weise der menschlichen Wahrnehmung bestimmt und begrenzt. Allerdings nähert sich das Wissen der Menschen im Laufe der Forschungsprozesse immer mehr der Realität an, jedoch ohne diese vollständig zu erreichen.
Prominenter Vertreter des kritischen Realismus war Nicolai Hartmann (1882–1950), ein deutscher Philosoph deutsch-baltischer Abstammung. Er war ursprünglich Neukantianer und Schüler von Hermann Cohen und Paul Natorp, doch entwickelte er bald seine eigene Philosophie. Er veröffentlichte eine Vielzahl von Arbeiten, in denen er ein großangelegtes philosophisches System (eine Ontologie) zur Überwindung des Gegensatzes von Materialismus und Idealismus erstellen wollte, das allerdings eindeutig objektiv-idealistische Züge trug. Weiterhin zu nennen sind Alois Riehl, Oswald Külpe, Hans Albert und George Santayana.
Philosophische Anthropologie
Max Scheler (1874–1928) war ein deutscher Philosoph und Soziologe. Im Jahre 1913 veröffentlicht er seine Arbeit zur materialen Wertethik. Er löst hierbei die kantsche Pflichtethik durch seine Wertethik ab, indem er zum Theoretischen und Praktischen das emotionale Wertgefühl einbringt. Das Sittliche baut nun bei ihm personalistisch auf einer konkreten Wertbestimmung auf. Damit führte er die phänomenologische Philosophie weiter, wichtige Momente der Zeit aufnehmend.
In seiner 1928 veröffentlichten Schrift „Die Stellung des Menschen im Kosmos“ teilt er die menschliche Psyche in vier Schichten nach dem Stufenbau der organischen Natur ein, in den Gefühlsdrang, den Instinkt, das assoziative Gedächtnis und die praktische Intelligenz. Diesen setzte er ein gänzlich andere Prinzip des Geistes entgegen, wodurch der Mensch dem Naturzusammenhang vollkommen „enthoben“ sei. Allerdings sei das Leben und der Geist aufeinander angewiesen: der Geist durchdringe das Leben mit Ideen, die dem Leben erst seine Bedeutung geben würde. Dagegen würde das Leben erst den Geist ermöglichen, ihm eine Tätigkeit zu geben und diese im Leben zu verwirklichen.
Helmuth Plessner (1892–1985) war ein deutscher Philosoph und Soziologe sowie ein Hauptvertreter der Philosophischen Anthropologie. Mit der postumen Herausgabe der zehnbändigen „Gesammelten Schriften“ (1981–1985) gehört sein Werk zu den meistdiskutierten Denkansätzen des 20. Jahrhunderts, vor allem sein Konzept einer „Philosophischen Anthropologie“. Arnold Gehlen (1904–1976) war ein deutscher Philosoph und Soziologe. Er ist bis heute ein einflussreicher Denker eines auf anthropologischem Skeptizismus gründenden Konservatismus. In den 1960er Jahren wurde er vor allem als Antipode der Frankfurter Schule, und hier insbesondere von Theodor W. Adorno bekannt.
Im Anschluss an die Dialogphilosophie von Martin Buber, Léopold Flam, Ernst Cassirer, Albert Camus, Wilhelm Kamlah, Peirce und Mead entwickelt Kuno Lorenz eine dialogische Anthropologie. Nur durch differenzierte Ausbildung von Ich und Du und damit die Rückbindung der Werke des Menschen an die in ihnen verkörperten Prozesse der Individuation und der Sozialisation können Menschen ihres Menschseins innewerden.
Neopositivismus / Logischer Empirismus
Der Experimentalphysiker Ernst Mach, für den in Wien der Lehrstuhl für die „Philosophie der induktiven Wissenschaften“ eingerichtet wurde, gilt aufgrund seiner positivistischen Auffassungen und seiner Theorie über die Empfindungen als Urvater des Wiener Kreises, der mit dem Begriff „Logischer Empirismus“ seine Grundauffassung zur Erkenntnistheorie beschrieb. Machs indirekter Nachfolger Moritz Schlick richtete auf Anregung von Friedrich Waismann und Herbert Feigl ein informelles Kolloquium zwischen Philosophen und Naturwissenschaftlern ein, an dem u.a. regelmäßig Otto Neurath, Victor Kraft, Felix Kaufmann und der Physiker Philipp Frank sowie später Rudolf Carnap und die Mathematiker Kurt Gödel und Karl Menger teilnahmen. Es gab eine gemeinsame programmatische Schrift über die „Wissenschaftliche Weltauffassung“ sowie die Zeitschrift „Erkenntnis“. Diskutiert wurden der analytische Ansatz Russels, die Logik Freges, das Verhältnis mathematischer zu physikalischer Geometrie und schnell auch die Auffassung Wittgensteins, dass Philosophie Sprachkritik sein müsse. Wittgenstein und auch Popper hatten Kontakt zum Wiener Kreis, waren aber keinesfalls Mitglieder, sondern hatten zum Teil abweichende Positionen.
Der Philosoph Rudolf Carnap (1891–1970) war einer der Hauptvertreter des logischen Empirismus. Für Carnap bestand die Aufgabe der Philosophie in der logischen Analyse der (Wissenschafts-)Sprache, wobei er als einer der ersten Theoretiker versuchte, die bahnbrechenden logischen Arbeiten von Gottlob Frege, Bertrand Russell und Alfred North Whitehead für erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Fragestellungen nutzbar zu machen.
Carnap versuchte zu zeigen, dass sich alle Begriffe, die sich auf die physische Außenwelt, die mentalen Zustände Anderer oder auf kulturell-soziale Vorgänge beziehen, letztlich auf eine eigenpsychische Basis zurückführen lassen, d. h. auf Begriffe, die den jeweiligen subjektiven Erlebnisstrom eines Beobachter betreffen. Er erhob auf der Grundlage einer verifikationistischen Semantik den Vorwurf der Sinnlosigkeit gegen die traditionellen Probleme der Metaphysik ebenso wie gegen ethische Aussagen.
Unter dem Einfluss von Otto Neurath entwickelte er später eine physikalistische Sprachauffassung, innerhalb derer nicht mehr eigenpsychische Phänomene, sondern intersubjektiv zugängliche physische Gegenstände die primären Bezugsobjekte sind. 1934 plädierte Carnap dafür, Philosophie durch Wissenschaftslogik – d. h. durch die logische Analyse der Wissenschaftssprache – zu ersetzen. Er hatte einen nachhaltigen Einfluss auf die Entwicklung der analytischen Philosophie.
Ideen einer wissenschaftlichen Philosophie auf der Grundlage des logischen Empirismus wurden auch in der Berliner Gruppe um Hans Reichenbach und Carl Gustav Hempel sowie von den Warschauer Logikern Jan Łukasiewicz und Alfred Tarski vertreten. Tarski wurde insbesondere durch die von ihm entwickelte Wahrheitstheorie bekannt.
Sozialphilosophie
Max Weber (1864–1920) war ein deutscher Jurist, Nationalökonom und Soziologe. Er gilt als Mitbegründer der deutschen Soziologie. Seine Begriffsbildungen werden bis heute in der Soziologie und der Politikwissenschaft oft als Grundlage genommen, z. B. seine Definitionen von Macht und Herrschaft, der Begriff des Idealtypus sowie die Einteilung des moralischen Handelns in Gesinnungs- und Verantwortungsethik. Ein weiterer soziologisch orientierte Philosoph war Georg Simmel (1858–1918), der häufig dem Kreis der Lebensphilosophie zugerechnet wird.
Walter Benjamin (1892–1940) war ein deutscher Philosoph, Gesellschaftstheoretiker, Literaturkritiker und Übersetzer. Durch die emphatische Beziehung der Philosophie auf die Sprache versuchte Benjamin, den herrschenden naturwissenschaftlich orientierten Erkenntnisbegriff derart umzubilden, dass dieser wieder der Erfahrungen der Theologie mächtig würde. Im Gegensatz zu dem positivistischen, an den Einzelwissenschaften orientierten Modell von Philosophie opponiert die Benjaminsche der ubiquitären Verdinglichung der Sprache zum bloßen Zeichensystem.
Gegenüber der Geschichtsphilosophie des Idealismus mit ihrer, vom Marxismus geteilten Fetischisierung des Fortschrittsbegriffs, demzufolge der immanente Verlauf der Geschichte ein bereits fortschreitender sein, selbsttätig und unaufhaltsam aus dem Grauen der „Vorgeschichte“ in menschliche Verhältnisse einmünden soll, fordert Benjamin eine Kopernikanische Wendung, die der jüdischen Lehre des „Eingedenkens“ zu ihrem Recht verhelfen würde. Philosophie habe den Blick auf die Trümmer der Geschichte und die geschichtlichen Katastrophen zu lenken, auf all das, was verraten, unterdrückt und vergessen wurde.
Der Soziologe Niklas Luhmann (1927–1998) war einer der Begründer der soziologischen Systemtheorie. Kleinste Elemente sozialer Systeme, postuliert Luhmann, sind nicht etwa handelnde Menschen, sondern Kommunikationen. Ein soziales System steuert sich selbst, indem es ständig Kommunikationen produziert und anschlussfähig hält. Psychische Systeme (Bewusstsein) können nicht kommunizieren, sie denken; nur soziale Systeme (Interaktion, Organisation, Gesellschaft) können sich kommunikativ anregen. Die Luhmannsche Systemtheorie hat eine teilweise heftige Debatte nicht nur in der Soziologie entfacht. Aus erkenntnistheoretischer Perspektive wird moniert, die Theorie laufe aufgrund ihres tautologischen, deskriptiven Ansatzes leer und sage uns nicht mehr über die Welt, als was wir aufgrund fachwissenschaftlicher Erkenntnisse ohnehin schon über sie wissen oder wissen könnten.
Analytische und Sprachphilosophie
Als Vorläufer der analytischen und Sprachphilosophie gilt der deutsche Mathematiker, Logiker und Philosoph Gottlob Frege (1848–1925), der vielfach als der größte Logiker nach Aristoteles bezeichnet wird. Mit ihm begann eine neue Epoche in der Geschichte der Logik, nachdem die aristotelische Syllogistik mehr als 2.000 Jahre lang als das Maß aller Dinge gegolten hatte. Im Bereich der Sprachphilosophie geht insbesondere die Unterscheidung zwischen Bedeutung (bei Frege: Sinn) und Bezug bzw. Referenz (bei Frege: Bedeutung) auf Frege zurück.
George Edward Moore (1873–1958) war ein englischer Philosoph. Er war gemeinsam mit Bertrand Russell und Ludwig Wittgenstein in der Nachfolge von Gottlob Frege einer der Väter der analytischen Philosophie. Ausgangspunkt für Moore war die kritische Auseinandersetzung mit dem seinerzeit in England vorherrschenden Idealismus, dem er das Grundverständnis des Common sense entgegenhielt und für dessen Sichtweise er mit der Methode der logischen Analyse sprachlicher Ausdrücke entgegentrat.
Moore hat den meisten anderen Philosophen, die im Bereich der Ethik gearbeitet haben, vorgehalten, dass sie einen grundlegenden Fehler, den sogenannten naturalistischen Fehlschluss begangen hätten. Man kann auch das Gute nicht gleichsetzen mit Glücklichkeit oder Freude, weil diese Begriffe auch immer einen nicht mit dem Guten übereinstimmenden Inhalt haben können. Moore zog den Schluss, dass das Gute mit keinem anderen Wert gleichgesetzt werden kann. Zur Unterstützung seiner Argumente lehrte Moore, dass man mit Hilfe der moralischen Intuition genau bestimmen könne, was genau gut sei.
Moore hat weiterhin als erster auf das nach ihm benannte Moores Paradoxon hingewiesen, dass in der Aussage liegt: „Es regnet, aber ich glaube nicht, dass es das tut.“
Wie Russell war Moore Lehrer und wesentlicher Gesprächspartner für Wittgenstein, dem er in Norwegen auch bei der Abfassung seiner Manuskripte mithalf.
Bertrand Russell und Alfred North Whitehead
Zusammen mit seinem Studienfreund George Edward Moore gilt Bertrand Russell als Begründer der analytischen Philosophie. Ausgehend von mathematisch-logischen Fragestellungen versuchte er gemeinsam mit Alfred North Whitehead die Mathematik auf die reine Logik zurückzuführen. Daneben entwickelte er einen Logischen Atomismus als erkenntnistheoretische Position. Russell versuchte im Gegensatz zu Moore eine auf reiner Logik beruhende Wissenschaftssprache zu entwickeln und war hierin wesentlicher Ideengeber für den Logischen Empirismus und die Arbeiten von Rudolf Carnap. Als Lehrer und Diskussionspartner hatte Russell auch wesentlichen Einfluss auf Ludwig Wittgenstein. Whitehead hingegen entwickelte in der Folgezeit eine auf Prozessen gegründete Metaphysik, die er in dem viel beachteten Werk Prozess und Realität veröffentlichte.
Ludwig Wittgenstein (1889–1951) war einer der wichtigsten Philosophen des 20. Jahrhunderts, unter dem Einfluss seiner Werke entstand die (sprach-)analytische Philosophie.
Wittgenstein entwirft ein völlig neues Verständnis von Sprache. Sprache wird von ihm und seinen Schülern verstanden als ein unüberschaubares Konglomerat von einzelnen „Sprachspielen“, die je eigenen Regeln gehorchen, sich aber dennoch durch ihre „Familienähnlichkeiten“ überschneiden (z. B. das Sprechen über Spiele mit dem Sprechen über Sport). Philosophische Probleme sind nichts anderes als „Scheinprobleme“ d.h. lediglich „Sprachverwirrungen“, die durch eine Rekurrierung auf die normale, also umgangssprachliche Verwendungsweise der Begriffe und Wörter aus der Welt geschafft werden können. Dies wird möglich, indem man die internen Spielregeln eines Sprachspiels, also die Regeln der Verwendungsweise der einzelnen Wörter und Sätze darin aufdeckt.
Nur wenige Philosophen haben so intensiv über das Wesen der „Philosophie“ und des „Philosophierens“ nachgedacht wie Wittgenstein besonders in seiner späteren Phase. Er hielt die meisten Probleme in der Philosophie für hausgemacht: Vor allem aufgrund oberflächlicher grammatischer Ähnlichkeiten lassen sich viele zu Schlussfolgerungen verleiten, die in theoretische Sackgassen enden. Zum Beispiel kann die grammatische Ähnlichkeit zwischen Sätzen wie „Ich habe einen Stuhl“ und „Ich habe eine Idee“ zu der Auffassung verleiten, dass man eine Idee auf gleiche Weise „hat“ wie einen Stuhl, was schließlich dazu führen kann, eine Idee als Gegenstand aufzufassen, wenn auch als „Gegenstand von besonderer Art“. Nach diesem besonderen Gegenstand wird dann häufig in Form von metaphysisch-erkenntnistheoretischen „Theorien“ oder durch introspektives Grübeln krampfhaft gesucht. Das Ziel Wittgensteins besteht darin, solche Verkrampfungen zu lösen.
Für Wittgenstein ist das Philosophieren keine „erklärende“ Tätigkeit, d. h. er stellt keine Theorien welcher Art auch immer auf, um diese dann zu vertreten und zu verteidigen. Sondern es handelt sich um eine „therapeutische“ Tätigkeit, die allein die Aufgabe hat, philosophische Probleme aufzulösen. Alles, was Wittgenstein in seinem Spätwerk zu vermitteln trachtete, sind Methoden und Techniken für das Lösen von philosophischen Problemen und intellektuellen Verkrampfungen.
Der britische Philosoph Gilbert Ryle (1900–1976) gilt zusammen mit John Langshaw Austin als Hauptvertreter der ordinary language philosophy („Philosophie der normalen Sprache“). Diese versuchte im Anschluss an Ludwig Wittgenstein philosophische Probleme durch Analyse des alltäglichen Sprachgebrauchs zu lösen.
In Ryles Hauptwerk wird die These entwickelt, dass die Philosophie seit René Descartes von dem Mythos eines „Gespensts in der Maschine“ gefangen sei: die Idee eines Geistes (oder einer Seele oder eines Ichs), der verschieden von dem physischen Körper sein soll. Wäre diese Annahme wahr, so könnte niemand wissen, ob in dem Anderen auch ein Geist vorhanden ist. Es wäre auch nicht verständlich, wie der immaterielle Geist mit einer materiellen Umwelt interagieren sollte. Schließlich ist nicht klar, wie ein nicht-räumlicher Geist sich in einem körperlichen (also räumlichen) Objekt befinden könnte. Ryle schlug vor, mentale Zustände mit Verhaltensdispositionen zu identifizieren.
Ryle fand auch die klassische Formulierung der Idee des Kategorienfehlers. Ein Kategorienfehler wird begangen, wenn man in einem bestimmten Kontext einen Begriff der falschen Kategorie verwendet.
Austin gilt als einer der Hauptvertreter des an den späten Wittgenstein anknüpfenden sprachanalytischen Phänomenalismus, der durch eine ausgeprägte Begriffsanalyse gekennzeichnet ist. Der sprachwissenschaftliche Aspekt kommt auch in der von Austin entwickelten Theorie der Sprechakte zum Ausdruck, in der er aufzeigte, dass Äußerungen nicht nur Aussagen beinhalten, sondern auch Handlungen, die nicht unter dem Maßstab wahr oder falsch fallen, beurteilt werden können.
Hare untersuchte insbesondere die Sprache der Moral, in der er einen abweichenden Modus gegenüber prädikativen Sätzen sah. Moralsprache ist weder die Beschreibung natürlicher Tatsachen (Naturalismus), noch dient sie der Erfassung intuitiver Aspekte (Intuitionismus), sondern sie ist vor allem präskriptiv, wie es insbesondere in Imperativen zum Ausdruck kommt. Während Imperative sich auf konkrete Einzelsituationen beziehen, beinhalten Werturteile eine Universalisierbarkeit, die einem rationalen Diskurs unterzogen werden können. Die Reflexion über Werturteile führte Hare weiterhin zu metaethischen Überlegungen wie der interpersonellen Vergleichbarkeit und einer Begründung des Utilitarismus.
Bei Strawson spielte die Kategorie des Einzeldings (particular) eine wesentliche Rolle, mit dem er den Begriff der Existenz verband, weil nur das Einzelding eine individuelle raum-zeitliche Bestimmung erfährt. Dem Einzelding steht die Person gegenüber, die die Identifizierung von materiellen Gegenständen, d.h. der Wirklichkeit vornimmt (ontologischer Realismus). Für Strawson ist Philosophie deskriptive Metaphysik insofern, als er auch abstrakten Entitäten wie Sachverhalten, Zahlen oder Mengen eine Existenz zugesteht, die Urteilssubjekte sein, also beschrieben werden können. Eine idealistische Begründung solcher Entitäten lehnte Strawson ebenso ab wie eine materialistische oder dualistische Auffassung der Person, weil sich dahinter Weltanschauung außerhalb des Gegebenen verbirgt.
Quine setzte zunächst an der Fortführung der formalen Logik aufgrund der Principia Mathematica von Russel und Whitehead an, deren Theorie Quine verallgemeinerte. In der Erkenntnistheorie ist die auf Duhem zurückgehende Behauptung, dass nicht einzelne Elemente einer Theorie, sondern nur eine Theorie als Ganzes zu widerlegen ist, von besonderer Bedeutung. Theorien müssen sich damit als Ganzes an der Erfahrung bewähren (Holismus). Quines Grundposition ist streng empiristisch in dem Sinne, dass ein Objekt dann existiert, wenn es für das Objekt eine akzeptierte Bezeichnungsweise gibt (wissenschaftlicher Realismus). Damit gibt es keine sprachunabhängige Wirklichkeit. In einer streng logischen Untersuchung kam Quine zu der „Widerlegung der zwei Dogmen des Empirismus“, wonach (1) eine Unterscheidung von analytischen und synthetischen Aussagen sachlich unbegründet ist und (2) eine Rückführung von Aussagen ausschließlich auf Begriffe der Erfahrung nicht möglich ist. Jedes Beobachtungselement ist theoriebeladen und jede theoretische Aussage ist empiriebeladen. Daraus ist zu schließen, dass selbst mathematische Aussagen durch Erfahrungen Veränderungen unterliegen können. Dies führt Quine zum sog. erkenntnistheoretischen Naturalismus, wonach wissenschaftstheoretische Grundlagen nur in der jeweiligen Wissenschaft selbst sinnvoll gemacht werden können.
Existenzphilosophie
Martin Heidegger
Wichtige Impulse für die Philosophie des 20. Jahrhunderts hat die Existenzphilosophie Martin Heideggers (1889–1976) gegeben. Heideggers gesamtes Werk ist bestimmt von der Seinsfrage oder Frage nach dem „Sinn von Sein“, also die Frage nach dem, was wir meinen, wenn wir „ist“, „bin“ etc. sagen. Heidegger zufolge kam diese Frage in der Geschichte der Ontologie (Seinslehre) bisher niemals zureichend in den Blick.
Heideggers frühe Philosophie baut auf der phänomenologischen Methode auf, die er zur so genannten Existentialontologie erweitert und dabei umdeutet. Dieser Versuch kulminiert in „Sein und Zeit“ (1927); er sucht den Zugang zur Seinsfrage im Dasein. So nennt Heidegger das Sein eines bestimmten Seienden, nämlich des Seienden, das „je ich bin“. Heidegger bricht mit der philosophischen Tradition, von der allgemeinen Kategorie „Mensch“ auszugehen, und beleuchtet stattdessen das „Dasein“, das jeder von uns selbst ist.
Die Absicht Heideggers in „Sein und Zeit“ ist es, zur Seinsfrage zu gelangen, indem er die Zeit als transzendentalen Horizont der Frage nach dem Sein anvisiert. Jedoch gelangt das Fragment gebliebene Werk nicht bis zu diesem Punkt. Das überlieferte Stück des Werkes beschränkt sich auf die ontologische Analyse des Daseins, die Freilegung der „Sorge“ als Sein des Daseins und die Herausstellung der „Zeitlichkeit“ als Sinn dieser „Sorge“.
Seine Arbeiten führen Heidegger ab Mitte der 30er Jahre in die sogenannte „Kehre“. Heidegger meinte erkannt zu haben, dass sein vorheriges Philosophieren durchaus noch im Rahmen der traditionellen Philosophie geblieben sei. Nach der Kehre führt Heideggers Denken weg von jeder „wissenschaftlichen“ Methodik hin zu einer Besinnung auf das „Sein als solches“ und die „Seinsgeschichte“, deren Gehalt bis heute keine zufriedenstellende Beurteilung gefunden hat.
Heidegger selbst verwahrte sich gegen die Bezeichnung „Existenzphilosophie“ für sein Denken, obwohl gerade von ihm die wichtigsten Impulse für diese Richtung der Philosophie ausgehen. Stattdessen spricht er vom Seins-Denken: Das Wesen des Menschen ist „Ek-sistenz“, das heißt „Aus-stand“ ins Sein, und nur vom Sein selbst her ganz zu verstehen.
Jean-Paul Sartre
Der vor allem als Erzähler, Dramatiker, Essayist und Philosoph tätige Autor Jean-Paul Sartre (1905–1980) gilt als der wohl bedeutendste und repräsentativste französische Intellektuelle des 20. Jahrhunderts.
Hauptpunkt seiner früheren Thesen ist, dass der Mensch zur Freiheit verurteilt sei: er trifft in jeder seiner Handlungen eine Wahl, und sei es nur die, zu leben oder zu sterben. Äußerliche Zwänge aufgrund äußerer gesellschaftlicher, natürlicher oder göttlicher Direktiven leugnet Sartre - dies sind Konstruktionen, die dem Menschen die Verantwortung für das, was er tut, nicht abnehmen. Er sagt: „Die Hölle, das sind die anderen“: die Erwartungen und Projektionen, die durch Mitmenschen an uns gerichtet werden, manipulieren unser Handeln, wenn wir ihnen gerecht zu werden versucht - aus Bequemlichkeit, weil wir der Verantwortung ausweichen, uns selbst stets neu erfinden zu müssen. Am bündigsten formuliert er seine These mit dem Satz „Die Existenz geht dem Wesen voraus“ („L'existence précède l'essence“) - einzig sein nacktes Dasein ist dem Menschen vorgegeben; was ihn am Ende ausmacht, muss er erfinden.
Die Lage des Menschen ist also durch absolute Freiheit gekennzeichnet oder: „Der Mensch ist dazu verdammt, frei zu sein“. Der Mensch ist das, wozu er sich macht. Daraus folgen einige Feststellungen: So ist der Mensch ist voll und ganz verantwortlich. Zunächst für seine Individualität, denn mit seinem Tun „zeichnet er sein Gesicht“. Dann aber zugleich für die ganze Menschheit, denn mit seinen Entscheidungen entwirft er ein Modell, einen „Typus“ des Menschen. Insofern ist er immer auch ein Gesetzgeber.
Albert Camus
Albert Camus (1913–1960) war ein französischer Schriftsteller und Philosoph, der sich selbst nicht zu den Vertretern des Existentialismus zählte, obwohl, insbesondere zu Beginn, sein Werk dieser philosophischen Strömung sehr nahe steht.
Für Camus ist die Sinnlosigkeit der Welt Fakt. Jedes große System, das vom Menschen geschaffen wurde, um der Welt einen Sinn zu geben, sei gescheitert. Insbesondere gilt dies für den Glauben an einen Gott. Zum einen könne für den Menschen nur Menschliches eine Rolle spielen und Über-menschliches von ihm nicht erkannt werden (Agnostizismus). Zum anderen beweise die Theodizee-Frage, auf die es keine befriedigende Antwort gäbe, dass bei dem Ablauf der Weltgeschichte keine metaphysische Kraft (z.B. ein Gott) im Spiel ist. Was bleibt ist eine von Zufall regierte, chaotische Welt.
Der Tod ist für Camus folgerichtig ein absolutes Ende, der, genau wie das Leben, keinen Sinn hat. Der Tod ist die einzige Fatalität, die schon vorgegeben ist und der man nicht entrinnen kann Der Mensch befindet sich in einer absurden Situation. Das Absurde besteht aus dem Spannungsverhältnis zwischen der absoluten Sinnlosigkeit des menschlichen Lebens (und des Todes) einerseits und der nie erfüllten Sehnsucht des Menschen nach einem Sinn bzw. sinnvollem Handeln. Es gibt zwar keinerlei „Ausweg“ aus der absurden Situation, dennoch kann das Absurde überwunden werden: Durch die Annahme der absurden Situation durch den Menschen. Sinnbild für diesen „absurden Mensch“ ist die mythologische Gestalt des Sisyphos
Karl Jaspers
Der deutsche Philosoph und Psychiater Karl Jaspers (1883–1969) gilt als herausragender Vertreter der Existenzphilosophie, die er strikt vom Existentialismus Sartres unterschied. Wichtige Quellen der Philosophie von Karl Jaspers sind Kierkegaard, Spinoza, Nietzsche und vor allem Kant, dem er aber vorhält, dass er die Dimension des Zwischenmenschlichen, insbesondere der Liebe, nicht erfasst.
Schlüsselbegriff für Jaspers ist das Umgreifende, das sich in der Existenz des Menschen sowie in der Transzendenz des Ganzen der Welt widerspiegelt, ohne dass der Mensch es je in seiner Ganzheit erfassen kann. Die Existenz des Menschen ist bestimmt durch die Freiheit, die sich weder beweisen noch widerlegen lässt, die aber den Menschen ständig in Entscheidungssituationen stellt und sich in seiner Praxis offenbart. Durch die Freiheit wählt der Mensch sich selbst. Zum Selbstsein gehört aber auch die Kommunikation in der Beziehung zum anderen. „Niemand kann allein selig werden.“ Auf dem Wege zu sich selbst stößt der Mensch auf Grenzsituationen. Er lernt, dass er mit den Fragwürdigkeiten der faktischen wissenschaftlichen Weltorientierung an den Abgrund des schlechthin Unbegreiflichen stößt. In Tod, Kampf, Leiden und Schuld zeigt sich die Ausweglosigkeit, ein Scheitern zu verhindern. Nur im Annehmen dieser Situation kann der Mensch zu seiner eigentlichen Existenz gelangen.
Hermeneutik
Hermeneutik kann man als die Erkenntnistheorie der Geisteswissenschaften bezeichnen, die im Gegensatz zum naturwissenschaftlichen abstrahierenden Erklären das Verstehen insbesondere von Texten in den Vordergrund stellt, weil ihr Thema nicht das Erkennen von Gesetzen sondern die Auseinandersetzung mit gegebenen, oft historischen Zuständen und Ereignissen ist.
Hans-Georg Gadamer nahm die von Schleiermacher als Theorie der auslegenden Sinnerschließung begründete und von Wilhelm Dilthey (Akt der Einfühlung = empathetisches Verstehen) und Wilhelm Windelband weiter entwickelte Hermeneutik auf und verband sie insbesondere mit dem von seinem Lehrer Heidegger aufgeworfenen Aspekt des hermeneutischen Zirkels, nach dem jedes Textverständnis immer einen Bezug auf den Interpreten beinhaltet, d.h. dem Interpreten ist ein Verstehen, das identisch mit dem Original ist, aufgrund seines eigenen Vorverständnisses nicht möglich. Nur mit diesem Vorverständnis erschließt der Interpret den Text für sich sinnhaft.
Gadamer fasste Sprache mit Bezugnahme auf Humboldt und Herder als „Weltansicht“ auf, mit der der Mensch sich die Welt erschließt. Im Gespräch mit dem Gegenstand erfolgt seine Rekonstruktion. Jeder Text hat – unabhängig von der Richtigkeit des Ausgesagten – einen Wahrheitsanspruch, den man normalerweise akzeptiert. Einen Text verstehen heißt, dessen Sinnganzes in Fragen des Interpreten und Antworten des Textes in sich aufzunehmen. Dieses bezeichnete Gadamer als Horizontverschmelzung. Diese Horizontverschmelzung, die ebenso im alltäglichen Geschehen wie in der Auseinandersetzung mit den Texten fremder Kulturen stattfindet, ist die Bedingung der Möglichkeit des Verstehens, also transzendentale Voraussetzung. Für Gadamer sind Verstehen und Verständigung Vollzugsformen menschlichen Lebens, die der Reflexion und damit der Philosophie und den (Natur)wissenschaften vorausgehen.
Gadamers Erweiterung der Hermeneutik hat nach Erscheinen seines grundlegenden Werkes „Wahrheit und Methode“ (1960) umfassende Beachtung vor allem auch in Italien und Frankreich gefunden und gilt nunmehr als maßgeblich für die Hermeneutik. Andererseits gibt es kritische Stimmen sowohl aus dem naturwissenschaftlichen Lager als auch z.B. von Karl-Otto Apel und Jürgen Habermas wie auch von Hans Albert, die sich vor allem gegen den Universalitätsanspruch Gadamers sowie die fehlende Lösung der Frage der Geltung wenden. Ein Naturalist wie Richard Rorty demgegenüber schätzte Gadamer, weil die Hermeneutik einen anderen als den rein behavioristischen Zugang zum Fremdpsychischen ermöglicht.
Neomarxismus und Kritische Theorie
Ernst Bloch (1885–1977) war der Philosoph der konkreten Utopien, des Prinzips Hoffnung. Im Zentrum seines Denkens steht der über sich hinausdenkende Mensch. Das Bewusstsein des Menschen ist nicht nur das Produkt seines Seins, es ist vielmehr mit „Überschuss“ ausgestattet. Dieser „Überschuss“ findet seinen Ausdruck in den sozialen, ökonomischen und religiösen Utopien, in der bildenden Kunst, in der Musik.
Als Marxist sieht Bloch im Sozialismus und Kommunismus die Instrumente, diesen „Überschuss“ in die Praxis umzusetzen. Untypisch für einen Marxisten ist seine starke Hinwendung zur Metaphysik. Im Zentrum seiner Überlegungen steht dabei das „Noch-Nicht-Sein“, das für unser Jetzt kennzeichnend ist. Der Mensch, die Gesellschaft ist „noch nicht bei sich angekommen“, weil wir noch Mangel fühlen, unser Nicht-Haben spüren. Alles Seiende umgibt jedoch ein „Bedeutungshof“ seiner unrealisierten Möglichkeiten, der uns „auf den Weg bringen“ kann, das Nicht-Haben in ein Haben umzuwandeln.
Herbert Marcuse
Herbert Marcuse (1898–1979) war ein deutsch-amerikanischer Soziologe und Philosoph. Die Jugendschriften von Karl Marx beeinflussen Marcuses Philosophie sehr. 1932 kritisiert er mit Marx den Kapitalismus als ultimative Krise des menschlichen Wesens. Unter kapitalistischen Verhältnissen treten Wesen und Existenz des Menschen auseinander, der Mensch ist entfremdet und kann sich nicht frei entfalten.
Später untersucht Marcuse die „Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft“. Er konstatiert sowohl in der Wissenschaft als auch im öffentlichen Diskurs ein „eindimensionales“ und „positives“ bzw. positivistisches Denken. Insbesondere die Wissenschaft flüchte sich aus Furcht vor Werturteilen oder politischer Einmischung in die Empirie und in quantitatives Denken. Grundsätzliche, qualitative Reflexion der gesellschaftlichen Probleme und Aufgabenstellungen fänden in dieser technokratischen Herrschaftswissenschaft nicht statt. Statt also die Ungleichheit im Kapitalismus und die nukleare Bedrohung anzugreifen und zu kritisieren, würden diese Probleme nur verwaltet und somit immer neu reproduziert. Marcuse setzt dem die „Negation“ entgegen: einerseits die Verneinung durch Kritik, andererseits die Weigerung, das Spiel mitzuspielen und die Suche nach dem qualitativ Anderen.
Theodor W. Adorno
Theodor W. Adorno (1903–1969) war ein deutscher Philosoph, Soziologe, Musiktheoretiker und Komponist. Nach 1945 nahm er die intellektuell führende Rolle im Frankfurter Institut für Sozialforschung ein, die zuvor Max Horkheimer (1895–1973) innehatte. Mit ihm zusammen publizierte er 1947 die Fragmentsammlung Dialektik der Aufklärung. In diesem Hauptwerk der Kritischen Theorie dieser Phase versuchten die beiden Autoren angesichts der Shoah, der industriell organisierten Vernichtung der europäischen Juden, eine Geschichtsphilosophie der Gesellschaft „nach Auschwitz“ zu entwickeln, die die in den 1930er Jahren von ihnen vertretene Version des Historischen Materialismus ablösen sollte.
Das Dritte Reich als welthistorisches Ereignis war für Adorno wie für Horkheimer der Zusammenbruch aller bisherigen Kultur. Philosophie konnte danach nicht länger betrieben werden wie bisher. So kulminiert die „Negative Dialektik“, Adornos erst nach seiner Rückkehr verfasstes Spätwerk, denn auch in der Aufstellung eines neuen kategorischen Imperativs, den „Hitler den Menschen aufgezwungen“ habe: „Ihr Denken und Handeln so einzurichten, daß Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts Ähnliches geschehe.“ Die Philosophie Adornos soll nun nur noch ein letztes Asyl des Geistes angesichts der Vorherrschaft auferstandener Metaphysiken sein.
Jürgen Habermas (* 1929) ist ein deutscher Soziologe und Philosoph. Die Habermas'sche Theorie von „System und Lebenswelt“ beinhaltet eine gerichtete Logik von Entwicklungsstufen der Menschheit. Drei Entwicklungsstufen werden unterschieden.
Zunächst bestehen traditionale Gesellschaften, in der die „Lebenswelt“ noch nicht vom „System“ getrennt ist, die ihre Reproduktion so gestalten, dass zum Beispiel die Arbeitsteilung nicht sehr vorangeschritten ist. In der zweiten Stufe entwickelt sich das „System“ aus der „Lebenswelt“ heraus. Der bürokratische Staat und der Markt verwenden die Steuerungsmedien „Macht“ und „Geld“ um den Menschen eine gewisse Handlungslogik aufzuzwingen („Kolonialisierung der Lebenswelt“). In der dritten Stufe, den industriellen Gesellschaften, treten die Konflikte zwischen „System“ und „Lebenswelt“ offen hervor: „Heute dringen die über die Medien Geld und Macht vermittelten Imperative von Wirtschaft und Verwaltung in Bereiche ein, die irgendwie kaputtgehen, wenn man sie vom verständigungsorientierten Handeln abkoppelt und auf solche mediengesteuerten Interaktionen umstellt.“
Kritischer Rationalismus
Sir Karl Popper (* 28. Juli 1902 in Wien; † 17. September 1994 in London) war ein österreichischer, später britischer Philosoph und Wissenschaftstheoretiker. Popper legte seine Ansichten zur Wissenschaftstheorie im Werk Logik der Forschung (1934) dar. Popper behauptet darin, dass wissenschaftlicher Fortschritt dadurch geschehe, dass Hypothesen beliebiger Herkunft sein dürfen (z. B. Geistesblitze, kreative Prozesse), aber strenger Prüfung unterzogen werden müssen. In einem evolutionsartigen Selektionsprozess setzen sich so diejenigen Theorien durch, die „wahrheitsnäher“ sind. Sicheres oder wahrscheinliches Wissen entsteht dabei allerdings nicht; alles Wissen ist unbegründet, und nur über seinen Grad der Bewährung, d.h. die Reichweite der Prüfungen, denen die Theorie unterzogen wurde und standhielt, lässt sich eine Aussage machen.
In seinem Werk „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ von 1945 rechnet er detailliert mit den Gedankenmodellen von Platon, Hegel und Marx ab, die seiner Meinung nach totalitäre Systeme befördert haben. Als Gegenbild dieser „geschlossenen Gesellschaften“ entwirft er eine „Offene Gesellschaft“, die nicht am Reißbrett geplant, sondern pluralistisch ist und sich in einem endlosen Prozess von Kritik und Verbesserungen fortentwickelt. Der Begriff „Offene Gesellschaft“ ist in die politische Sprache eingegangen.
Ein weiterer Vertreter des Kritischen Rationalismus ist Hans Albert (* 1921), ein deutscher Philosoph und Soziologe, in dessen Denken der Erkenntnistheorie eine wesentliche Bedeutung zukommt. Eine grundlegende Annahme seiner philosophischen Auffassung besagt, dass keine Behauptung bzw. Aussage (Proposition), egal welchen Ursprung eine Aussage auch immer haben mag, auf eine sichere Begründung zurückzuführen sei. Es ist nicht möglich, für irgendeine Aussage Letztbegründung zu beanspruchen. Somit ist die Garantie sicheren Wissens nicht gegeben. Hans Albert stellt mit Hilfe seines Münchhausen-Trilemmas die These auf, dass jeder Versuch, eine Behauptung zu einer letztbegründeten und damit vollkommen unkritisierbaren Wahrheit zu erheben, scheitern muss. Alle Menschen irren - niemand ist unfehlbar.
Wissenschaftstheorie
Thomas Samuel Kuhn (1922–1996) war ein US-amerikanischer Physiker, Wissenschaftstheoretiker und -historiker. Nach Kuhn ist eine jeweils herrschende allgemeine wissenschaftliche Leitidee (Paradigma) in der Wissenschaft eng mit einer soziologisch relativ eindeutig abgrenzbaren Wissenschaftlergemeinschaft (scientific community) verknüpft. Diese Gemeinschaft verteidige und propagiere ihr zugehöriges Paradigma. Normale Wissenschaft, nach Kuhn, ist Problemlösen. Häufen sich bei dieser Arbeit Schwierigkeiten und Widersprüche, so nehmen Konflikte und Diskussionen zu (Krisen) und schließlich kommt es zu Paradigmenwechseln, bei denen bestehende Paradigmen verworfen und durch andere ersetzt werden. Die Ablösung von Paradigmen ereignet sich nach Kuhn nicht auf dem Wege der logischen Widerlegung der alten Theorie, sondern auf dem Wege der Konfrontation mit einer neuen Theorie, um die sich eine neue scientific community bilde. Die Kuhnsche Unterscheidung von vorparadigmatischen Phasen der Wissenschaftsentwicklung, von Phasen der Formierung eines Paradigmas sowie von Phasen des Übergangs zu einem neuen Paradigma weisen auf das wichtige Problem von Rhythmen der Theorienentwicklung hin.
Der österreichische Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Paul Karl Feyerabend (1924–1994) sah Wissenschaft, neben beispielsweise Religion oder Kunst, nur als eine von vielen Möglichkeiten, Erkenntnis zu gewinnen. Für Feyerabend lässt sich aus der Ideengeschichte der Schluss ziehen, dass die Praxis der Erkenntnisgewinnung und Erkenntnisveränderung in oftmals irrationaler und anarchischer Weise bestehende wissenschaftstheoretische Grundsätze verletzt hat und eben darum erfolgreich war. Feyerabend betont die Bedeutung von Intuition und Kreativität als Voraussetzung des Erkenntnisgewinns und Erkenntnisfortschritts, beide dürfen nicht durch eine bestimmte dogmatische Rationalität und wissenschaftstheoretisch-methodologische Regeln und Zwänge, die ihrerseits nicht sakrosankt sind, sondern vielmehr im Erkenntnisprozess einem Wandel unterliegen, nutzlos und in irreführender Weise eingeschränkt werden.
Der Konstruktivismus der Erlanger Schule (oder Methodischer Konstruktivismus), ist ein wissenschaftstheoretischer Ansatz. Mit der Logischen Propädeutik wurde von Wilhelm Kamlah und Paul Lorenzen ein sprachphilosophischer Neuansatz versucht. Die Erlanger Schule suchte eine aufklärerische Neubegründung der Vernunft zwischen dem Kritischen Rationalismus Poppers und der von der Transzendentalpragmatik Karl-Otto Apels intendierten Letztbegründung und fand einen Koalitionspartner in der Frankfurter Schule („Große Koalition“). Mit der Dialogischen Logik, der Protophysik, der Konstruktiven Mathematik, der Theorie ethisch-politischer und technischer Kultur wurde eine teilweise umstrittene konstruktive Wissenschaftstheorie entworfen.
Strukturalismus
Der Strukturalismus ist eine Forschungs-Methode der Geisteswissenschaft und eine wichtige Strömung in Kunst und Architektur, insbesondere in den 1950er bis frühen 1970er Jahren. Er beruht auf der Grundannahme, dass Phänomene nicht isoliert auftreten, sondern in Verbindung mit anderen Phänomenen stehen. Diese Verbindungen gilt es aufzudecken; genauer gesagt bilden die Phänomene einen strukturierten (strukturierbaren) Zusammenhang. Dabei wird die Struktur jedoch durch den Beobachter in einem Modell konstruiert. Die Struktur existiert also nicht auf der Ebene der Wirklichkeit, sondern nur auf der Ebene des Modells.
Die strukturalistische Methode ist in Disziplinen wie der Linguistik oder der Anthropologie weithin anerkannt. Dagegen waren und sind Versuche umstritten, die Methode auf alle kulturwissenschaftlichen Disziplinen auszuweiten. Der Strukturalismus erhebt tatsächlich den provozierenden Anspruch, Sprach-, Zeichen- und Kulturphänomene mit naturwissenschaftlicher Exaktheit zu beschreiben.
Das Gründungswerk des Strukturalismus ist allerdings nicht direkt, wie oftmals zu lesen ist, von dem Sprachwissenschaftler Ferdinand de Saussure (1857–1913) verfasst worden, sondern wurde von zwei seiner Kollegen geschrieben, die anhand mehrerer Vorlesungsmitschriften versuchten, das Sprachdenken Saussures zu rekonstruieren.
Claude Lévi-Strauss
Als eigentlicher Begründer des Strukturalismus gilt der französische Ethnologe und Anthropologe Claude Lévi-Strauss (1908–2009). Lévi-Strauss vergleicht die Beziehung zwischen der Linguistik und der Sprache mit dem Verhältnis zwischen Anthropologie und der Kultur und postuliert die Übertragbarkeit von linguistischen Konstrukten auf die Ethnologie. Er argumentierte, dass die Kultur wie die Sprache sei: Nur ein Außenstehender könne die ihr zugrundeliegenden Regeln und Strukturen erkennen und interpretieren.
Alle Menschen haben kulturübergreifend die Tendenz, ihre Umwelt zu klassifizieren. Die dabei verwendeten Schemata sind interkulturell übertragbar und beweisen die Uniformität der Strukturen des menschlichen Denkens. Eines dieser universalen Denksysteme sei die binäre Opposition, das heißt das Denken in Gegensatzpaaren. Laut ihm ist der grundlegendste Grundgegensatz die Opposition zwischen „Natur“ und „Kultur“. Über die Analyse der Mythen der Völker kann der Forscher, so vermutet Lévi-Strauss, bis zu den universalen, das heißt für alle Menschen geltenden Denkstrukturen vorstoßen.
Jacques Lacan
Jacques Lacan (1901–1981) war ein französischer Psychoanalytiker, der die Schriften Sigmund Freuds neu interpretierte und radikalisierte. Eine seiner wichtigen Thesen ist, dass das Unbewusste eine symbolische Struktur hat - die der Sprache. Allgemein kreisen seine Theorien um den Versuch, das Abwesende im Anwesenden mitzudenken und dialektisch zu denken. Er baut damit auf den Arbeiten des Linguisten Ferdinand de Saussure, von dem er die Terminologie übernimmt (Signifikant, Signifikat, Zeichen, Opposition und Differenz).
Lacan beschreibt das Universum des Subjekts bestehend aus den Bereichen des Imaginären und des Symbolischen - ergänzt werden diese Bereiche noch durch den Bereich des Realen. Das Reale ist nicht mit der Realität zu verwechseln, sondern bildet den für das Subjekt völlig unzugänglichen Grund seiner Ex-sistenz.
Von der Psychoanalyse Jacques Lacans beeinflusst war der französische Philosoph Louis Althusser (1918–1990), der das Werk von Karl Marx einer strukturalistischen Lesart unterzog.
Roland Barthes (1915–1980) war ein berühmter französischer Literaturkritiker, Schriftsteller, Philosoph und Semiotiker des 20. Jahrhunderts. Sein Werk umspannt Strukturalismus ebenso wie Poststrukturalismus. Barthes Buch S/Z wird oftmals das Meisterwerk des literaturwissenschaftlichen Strukturalismus genannt. Hier wird in der Analyse einer Erzählung von Honoré de Balzac Satz für Satz und Wort für Wort unterschiedlichen Codesystemen und Bedeutungsebenen zugewiesen.
Poststrukturalismus
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, insbesondere in Folge des Strukturalismus und der sog. 68er-Bewegung entstehen mit dem Poststrukturalismus sehr offene (für Kritiker auch: beliebige) Strömungen der Philosophie. Sie möchten, wie bei Jacques Derrida (Différance, Dekonstruktion) oder Gilles Deleuze (Rhizom (Philosophie), Virtualitäten) das Instabile, Fragile, sich im Fluss Befindliche an der Welt untersuchen und begreifen, was entsprechend auch die Kritik an Mythen und Festschreibungen und an Politik mit sich bringt. Jean-François Lyotard ruft das Zeitalter der Postmoderne aus, Jean Baudrillard sieht die Welt in die Hyperrealität gleiten. Als weiterhin aktuelle Strömung der Philosophie ist der Poststrukturalismus und sein Stellenwert oft noch Gegenstand erbitterter Debatten (Philosophie der Gegenwart).
Literatur
- Andreas Graeser: Positionen der Gegenwartsphilosophie. In: Vom Pragmatismus bis zur Postmoderne. Beck, München 2002.
- Anton Hügli/Poul Lübcke (Hg.): Philosophie im 20. Jahrhundert. 2 Bände. Reinbek (Rowohlt) 1992/1993.
- Bernd Lutz: Die großen Philosophen des 20. Jahrhunderts. München 1999.
- Dermot Moran (Hrsg.): The Routledge Companion to Twentieth-Century Philosophy. Taylor & Francis 2010, ISBN 9780415429580.
- Julian Nida-Rümelin (Hg.): Philosophie der Gegenwart in Einzeldarstellungen von Adorno bis v. Wright. Kröner, 2. Aufl. Stuttgart 1999.
- Norbert Schneider: Erkenntnistheorie im 20. Jahrhundert. In: Klassische Positionen. Reclam-Verlag, Stuttgart 1998.
- Wolfgang Stegmüller: Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie. Bd. I-IV, Kröner, 7. Auflage (1989). ISBN 3-520-30807-X.
- Pirmin Stekeler-Weithofer: Gegenwart. In: „Geschichte der Philosophie in Text und Darstellung“, Band 9. Reclam-Verlag, Stuttgart 2004.
- Reiner Wiehl: 20. Jahrhundert. In: „Geschichte der Philosophie in Text und Darstellung“, Band 8. Reclam-Verlag, Stuttgart.
- Kurt Wuchterl: Bausteine zu einer Geschichte der Philosophie des 20. Jahrhunderts. Haupt, Bern/Stuttgart/Wien 1995.
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