Gabelbock

Gabelbock
Gabelbock
Männlicher Gabelbock (Antilocapra americana)

Männlicher Gabelbock (Antilocapra americana)

Systematik
Überordnung: Laurasiatheria
Ordnung: Paarhufer (Artiodactyla)
Unterordnung: Wiederkäuer (Ruminantia)
Familie: Gabelhornträger (Antilocapridae)
Gattung: Antilocapra
Art: Gabelbock
Wissenschaftlicher Name
Antilocapra americana
(Ord, 1815)

Der Gabelbock (Antilocapra americana), auch als Gabelhornantilope, Gabelantilope, Gabelhorntier, Gabelhornträger oder Pronghorn bekannt, ist ein nordamerikanischer Wiederkäuer der Prärie. Obwohl seine Gestalt an die Antilopen Afrikas und Asiens erinnert, gehört er nicht zu deren Familie der Hornträger. Er bildet die monotypische Familie der Gabelhornträger (Antilocapridae) als ihr einziger heute lebender Vertreter.

Inhaltsverzeichnis

Merkmale

Der Gabelbock ist etwas größer als ein Reh. Er hat eine Kopfrumpflänge von bis zu 150 Zentimetern (der Schwanz ist 8 bis 15 cm lang), eine Körperhöhe von 90 Zentimetern und ein Gewicht von 50 bis 70 Kilogramm. Die Männchen sind etwas größer als die Weibchen (Sexualdimorphismus). Das Fell ist oberseits gelb- bis rotbraun und unterseits bis zu den Flanken weiß gefärbt; weiße Bänder finden sich zudem auf der Vorderseite des Halses und um den Mund herum. Die Männchen haben außerdem eine schwarze Zeichnung im Gesicht und am Hals. Ein Gabelbock kann seine Körperhaare aufrichten. Durch das Aufstellen der weißen Rumpfhaare gibt er ein weithin sichtbares Signal, das in einer Herde als Warnung wahrgenommen wird.

Unterscheidbar sind die Geschlechter auch durch die Hörner. Beim Männchen können sie bis zu 25 cm lang werden (meist sind sie doppelt so lang wie die Ohren) und gabeln sich in ein kurzes nach vorne gerichtetes und ein langes nach oben gerichtetes und etwas zurückgebogenes Ende – von dieser Eigenschaft leitet sich ihr deutscher Name ab. Die knöcherne Grundlage des Horns gabelt sich hingegen nicht. Weibchen haben oft gar keine Hörner; falls doch, dann sind diese niemals länger als die Ohren. Jedes Jahr werden die Hornscheiden nach der Brunft gewechselt. Nur die Knochenzapfen bleiben zeitlebens bestehen, während die Hornscheide sich ablöst und zu Boden fällt. Darunter hat sich zu diesem Zeitpunkt bereits neue Hornmasse gebildet, die noch mit einem pelzigen Überzug bedeckt ist.

Unter den Sinnesorganen des Gabelbocks kommt dem Auge die größte Bedeutung zu. Durch die Lage der Augen an den Kopfseiten hat ein Gabelbock die Möglichkeit, ein Blickfeld von nahezu 360° zu beobachten. Gehör- und Geruchssinn sind von etwas geringerer Bedeutung, beide sind aber dennoch gut entwickelt. Die Ohren können aufgestellt und in verschiedene Richtungen gewendet werden. Die Nase spielt vor allem beim Erkennen von Reviergrenzen eine Rolle.

Anders als bei anderen Paarhufern fehlen die Afterklauen vollständig, die Gliedmaßen tragen also nur die dritte und die vierte Zehe.

Gabelböcke zeichnen sich durch eine außergewöhnliche Sprungkraft aus. So können sie mit einem einzigen Sprung bis zu sechs Meter vorwärts schnellen.

Verbreitung

Zwei Gabelbockweibchen

Der Gabelbock war einst weit über die nordamerikanische Prärie und auch in den Wüsten und Halbwüsten der südwestlichen USA sowie des nordwestlichen Mexiko verbreitet. In den Rocky Mountains steigen sie manchmal in Höhen bis zu 3500 Metern auf; hauptsächlich sind sie allerdings Tiere des Flachlands. (Siehe auch: Bedrohung und Schutz.)

Lebensweise

Gabelböcke können zu allen Tages- und Nachtzeiten aktiv sein, sind dies jedoch überwiegend während der Dämmerung. Wo die Umstände es erforderlich machen, führen sie jahreszeitliche Wanderungen durch, die über Strecken von bis zu 260 Kilometern[1] führen können. Dies ist beispielsweise in Wüsten notwendig, um Wasserläufe zu suchen, oder in felsigen Gegenden, die im Winter kein ausreichendes Nahrungsangebot haben. Die weitesten untersuchten Wanderungen führen aus dem Grand-Teton-Nationalpark über die Gros Ventre Range zum Oberlauf des Green Rivers in Wyoming. Gabelböcke sind Grasfresser, die sich nebenher auch von Blättern und Kräutern ernähren.

Im Sommer werden ältere Männchen zu Einzelgängern und versuchen, durch Kämpfe ein Territorium zu erstreiten. In diesem sammeln sie einen Harem um sich. Ein Territorium kann vier Quadratkilometer umfassen und wird durch Urin markiert und somit abgesteckt. Das Männchen ist fortan damit beschäftigt, andere Männchen am Betreten und Weibchen am Verlassen des Territoriums zu hindern. Bei einem Aufeinandertreffen zweier Männchen reichen meistens Drohgebärden mit lauten Schreien und Scheinattacken aus, um über Sieger und Verlierer zu entscheiden. Kommt es doch einmal zum Kampf, können die scharfkantigen Hörner ernsthafte Verletzungen und sogar den Tod verursachen.

Gabelbockherde

Jüngere Männchen, die noch nicht kämpfen können, finden sich zu kleinen Verbänden zusammen; alte Männchen, die zu schwach zum Kämpfen geworden sind, bleiben einzelgängerisch und versuchen, den Revieren der Artgenossen auszuweichen. Die Weibchen leben in Gruppen von etwa zwanzig Tieren. Nach einer Tragzeit von achteinhalb Monaten sondert sich das Weibchen von der Herde ab und bringt ein bis zwei, sehr selten drei Junge mit einem Geburtsgewicht von etwa drei Kilogramm zur Welt. Diese haben zunächst ein graues Fell, das nach drei Monaten die typischen Farben der Alttiere annimmt. Die ersten drei Tage werden sie in einem Versteck gehalten, und etwa nach einer Woche können junge Gabelböcke selbst rennen. Obwohl sie schon nach drei Wochen Gras zu sich nehmen, werden sie noch fünf bis sechs Monate lang gesäugt. Die Geschlechtsreife erreichen die Weibchen mit 15 bis 16, die Männchen mit etwa 24 Monaten.

Im Herbst und im Winter tun sich all die kleinen Verbände mit einzelgängerischen Männchen zu großen Herden zusammen, die in historischen Zeiten mehrere zehntausend Tiere umfassen konnten, heute jedoch maximal aus wenig mehr als tausend Tieren bestehen.

Gabelböcke haben eine geringe Lebenserwartung und werden selbst unter günstigen Umständen selten älter als zehn Jahre.

Geschwindigkeit

Im Laufen können Gabelböcke Geschwindigkeiten von 60 bis 70 km/h erreichen; in einem Fall wurde sogar eine Geschwindigkeit von 86,5 km/h gemessen. Über eine Strecke von bis zu fünf Kilometern können derart hohe Geschwindigkeiten durchgehalten werden. Ihre körperliche Anpassung an solche Geschwindigkeiten besteht nicht nur in dem schlanken Körperbau und den kräftigen Beinen, sondern auch in einer Vergrößerung von Lungen und Herz – das Herz eines Gabelbocks ist etwa doppelt so groß wie das eines Hausschafs.

Oft stößt man auf die Behauptung, Gabelböcke seien nach Geparden die schnellsten Säugetiere der Welt. Hier ist es aber stets eine Frage, wie man Schnelligkeit definiert. Über sehr kurze Distanzen können manche afrikanisch-asiatische Antilopen, wie zum Beispiel die Hirschziegenantilope, die gleichen Geschwindigkeiten erreichen. Allerdings sind Gabelböcke die schnellsten Säugetiere des amerikanischen Doppelkontinents, und gemessen über eine Strecke von fünf Kilometern vielleicht sogar die schnellsten Säugetiere überhaupt. Ihre Geschwindigkeit ist die Hauptwaffe gegen ihre natürlichen Feinde.

Natürliche Feinde

Die natürlichen Feinde des Gabelbocks sind vor allem Wolf und Kojote. Wegen der hohen Geschwindigkeiten ihrer Beutetiere reißen erstere jedoch meistens nur junge, alte oder kranke Individuen. Durch gezielte Tritte mit den Hinterhufen versuchen Gabelböcke, sich gegen die Angreifer zur Wehr zu setzen, was vor allem bei Kojoten oft Erfolg hat. Neben diesen natürlichen Feinden stellt jedoch auch der Mensch eine große Bedrohung für den Gabelbock dar.

Menschen und Gabelböcke

Bedeutung des Gabelbocks für die Indianer

Für die Indianer der Prärie waren Gabelböcke wertvolle Fleischlieferanten. Da sie ein überaus häufiges Wild waren – noch 1800 gab es etwa 40 Millionen Einzeltiere in der Prärie – spielten sie im indianischen Alltag oft eine große Rolle. Die Westlichen Shoshone kannten eine zeremonielle Gabelbockjagd, die von einem Schamanen eingeleitet wurde. Wie die Bisonjagd hatte die Jagd auf Gabelböcke eine religiöse Dimension. Eine Gruppe Jäger trieb die Tiere mit Hilfe eines Feuers in die Hände einer zweiten Gruppe Jäger, in die Richtung eines Flusses oder in einen zuvor vorbereiteten Korral, ein Fanggehege für wilde Tiere. Die Nördlichen Shoshone hingegen streiften sich Felle von Gabelböcken über und pirschten sich so getarnt möglichst nah an eine Herde heran. Auch nach der Verfügbarkeit des Pferdes war die Gabelbockjagd eine anspruchsvolle Herausforderung, da Gabelböcke schneller als Pferde zu laufen vermögen.

Die Lakota begehrten die Gabelböcke nicht nur wegen ihres Fleisches, sondern auch wegen ihrer Felle, die sie gerne für die Herstellung von Kleidung verwendeten. Den Bestand des Gabelbocks konnten die amerikanischen Ureinwohner mit ihren Jagdmethoden jedoch nicht in nennenswerter Weise beeinträchtigen.

Moderne Entwicklungen, Bedrohung und Schutz

Den europäischen Kolonisten war der Gabelbock lange Zeit unbekannt, bis die Art von Lewis und Clark auf ihrer Expedition (1804–1806) beschrieben wurde. In jener Zeit waren die Grasländer des nordamerikanischen Westens überreich an Großwild wie Bisons und Gabelböcken.

Nach der großflächigen Besiedlung Nordamerikas durch weiße Siedler glich das Schicksal des Gabelbocks dem des Amerikanischen Bison. Sie wurden zunächst wegen ihrer Felle und ihres Fleisches geschossen, später nur noch zum Sport bzw. aus Vergnügen. Aus den fahrenden Zügen entlang der Eisenbahnstrecken schossen Reisende Tausende von Gabelböcken ab, deren Kadaver zu beiden Seiten der Bahnlinien verwesten. Bis 1920 war die Bestandszahl durch unkontrollierte Jagd auf nur noch 20.000 Tiere gesunken. Erst danach wurden Schutzmaßnahmen erlassen, weshalb es heute wieder eine Million Gabelböcke in den USA und in Kanada gibt, so dass die Art als Ganzes nicht als gefährdet gilt.

In Mexiko hat sich der Bestand dagegen nie erholen können. Dort gibt es auch heute nur wenig mehr als 1000 Tiere. Folgerichtig listet die internationale Organisation zur Koordinierung des Naturschutzes (IUCN) die beiden mexikanischen Unterarten als bedroht. Dies sind der Sonora-Gabelbock (A. a. sonoriensis) und der Baja-California-Gabelbock (A. a. peninsularis). Letzterer ist nur auf der Halbinsel Baja California beheimatet und wird als stark bedroht geführt.

Gabelböcke sind für einige bedeutende Infektionskrankheiten der Paarhufer empfänglich. So bilden sie ein Erregerreservoir für das bösartige Katarrhalfieber, BVD/MD und die Epizootic Hemorrhagic Disease (EHD). Daneben besteht eine hohe Empfindlichkeit für Milzbrand, Tollwut und diverse Parasitosen.

Gabelböcke im Zoo

Als Beitrag zur Bestandsicherung werden Gabelböcke auch als Zootiere gehalten. Ihre Schreckhaftigkeit und ihre Neigung zur Panik im Umgang mit Menschen stellt hier ein besonderes tierpflegerisches Problem dar. Bei Unterschreitung der Fluchtdistanz reagieren die Tiere nicht selten mit einem kompromisslosen Angriff, der infolge der wirkungsvoll eingesetzten Hörner durchaus gefährlich werden kann. Jegliche Anwendung von Zwangsmaßnahmen kann zu Selbsttraumatisierung oder Stressmyopathie führen. Körperliche Untersuchungen können daher nur unter Sedation oder Narkose erfolgen. Eine wirkungsvolle Narkose ist dabei nur durch hochpotente Betäubungsmittel vom Morphintyp erreichbar. Gabelböcke lassen sich im Zoo nur schwer mit anderen Huftierarten vergesellschaften, schon das Eingliedern handaufgezogener, männlicher Tiere kann aufgrund ihrer Aggressivität zu Konflikten führen. Auch das natürliche Sprung- und Schwimmvermögen der Gabelböcke muss bei der Einrichtung des Geheges berücksichtigt werden. Anders als in freier Wildbahn beträgt die Lebenserwartung der Tiere in Gefangenschaft bis zu 17 Jahre.

Systematik

Die nähere Verwandtschaft des Gabelbocks war lange Zeit vollkommen unklar. Obwohl er schon frühzeitig in eine eigene Familie gestellt wurde, gab es bis in die 1980er Jahre hinein Zoologen, die meinten, der Gabelbock sei nicht mehr als eine Unterfamilie der Hornträger. Durch DNA-Analysen scheint heute geklärt zu sein, dass die Gabelhornträger die Schwestergruppe der Hirsche sind.

Osbornoceros aus dem Miozän

Blickt man in die Vergangenheit, war die Familie der Gabelhornträger einst artenreich in Nordamerika verbreitet. Der früheste bekannte Vertreter war Paracosoryx aus dem frühen Miozän mit einem sehr langen Gabelgehörn, gefolgt von Ramoceros, bei dem die Hörner zu kleinen Schaufeln umgebildet waren, und Meryceros, Cosoryx und Osbornoceros, die dem heutigen Gabelbock schon ähnlich sahen. Im Pliozän wurde die Reihe von Plioceros fortgesetzt, einem kurzhalsigen Tier mit sehr breiten und kurzen Hörnern. Zum Pleistozän hin erschienen gedrungene Tiere wie Tetrameryx und Capromeryx, die sich dem eiszeitlichen Klima anpassten und eine heute ausgestorbene Seitenlinie repräsentieren (Stockoceratini). Während am Ende der Eiszeit all diese Arten ausstarben, überlebte der Gabelbock, den es auch bereits im Pleistozän gegeben hatte, als Einziger.

Unterarten

Man unterscheidet je nach Lehrmeinung vier bis sechs Unterarten des Gabelbocks. Unumstritten ist dabei der Status der vier folgenden Unterarten:

  • Antilocapra americana americana in der Prärie der USA und Kanadas
  • Antilocapra americana mexicana in den Halbwüsten des Südwestens der USA und den angrenzenden Gegenden Mexikos
  • Antilocapra americana peninsularis in Baja California
  • Antilocapra americana sonoriensis in Süd-Arizona und Nordmexiko

Die manchmal ebenfalls als Unterarten geführten Antilocapra americana anteflexa und Antilocapra americana oregona sind dagegen wohl Synonyme der Unterart Antilocapra americana americana.

Literatur

  • Heinrich Weidinger: Pronghorn, die nordamerikanische Antilope. Weidinger, Fürth, 1995, ISBN 3-00-005546-0
  • John A. Byers: Built for Speed. A Year in the Life of Pronghorn. Harvard University Press, Cambridge Mass, 2003, ISBN 0-674-01142-2
  • Gary Turbak: Pronghorn. Portrait of the American Antelope. Northland Publishing, Flagstaff (Arizona), 1995, ISBN 0-87358-595-X

Weblinks

 Commons: Gabelbock – Album mit Bildern und/oder Videos und Audiodateien
  • Antilocapra americana in der Roten Liste gefährdeter Arten der IUCN 2006. Eingestellt von: Antelope Specialist Group, 1996. Abgerufen am 12. Mai 2006

Einzelnachweise

  1. Hall Sawyer, Fred Lindzey, Doug McWhirter: Mule Deer and Pronghorn Migration in Western Wyoming. In: Wildlife Society Bulletin, Vol. 33, No. 4 (Winter, 2005), ISSN 0091-7648, pp. 1266-1273
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